Haida Gwaii (BC / Canada / August 2011)

Als die Fähre morgens pünktlich um 9 h in Prince Rupert ablegt, begleiten uns dicke, tief hängende kühle Nebelschwaden. Wir setzen uns in den unerwartet luxuriösen Besucherraum und essen erst einmal Fruehstueck.

Hier treffen wir Walter wieder, den wir am Abend zuvor auf dem Campingplatz kennengelernt haben. Er will auf Haida Gwaii wandern und ist mit dem Rucksack unterwegs. Walter möchte auch bis nach Argentinien reisen, tut dies jedoch auf eine ganz andere Art und Weise als wir. Neben dem Reisen per Bus, Bahn oder Trampen verweilt er des öfteren auf Farmen, um dort gegen Kost und Logis zu arbeiten. Dazu nutzt er die Internetplattform workaway. Das ist so etwas ähnliches wie woofing. Neben dem Austausch von, wie gesagt, Arbeitskraft gegen Kost und Logis geht es darum, dass sich Menschen unterschiedlicher Kulturen kennenlernen, austauschen und Zeit miteinander verbringen.
Nach und nach kommt dann doch die Sonne hervor, so dass wir das Schifffahren draußen auf der Schiffsterrasse zu dritt genießen können. Inseln ziehen an uns vorbei. Wir plauschen lange miteinander und wollen eventuell später eine Wanderung zusammen antreten, wir haben in den folgenden Wochen ungefähr die selbe Route geplant.

Am frühen Abend läuft das Schiff am Hafen in Skidegate ein. Wir laufen langsam mit den Rädern den Steg hinab, als wir auf Ryan und Grace treffen, die auf uns gewartet haben! Hardy hatte Ryan abends zuvor auf der Mailbox ihres Handys eine Nachricht hinterlassen. Die beiden erzählen, sie hätten die Fähre vom Strand aus gesehen und sind gekommen, um uns willkommen zu heißen. Dies sei so üblich auf Haida Gwaii. Wir freuen uns riesig, damit haben wir wirklich nicht gerechnet!
Ryan empfiehlt uns den Campground von Joyce im nahen Queen Charlotte, der nur 5$ kosten soll … und sich als Joyce Vorgarten entpuppt. Wir verabreden uns mit den beiden für den folgenden Morgen in Jags Café, um den Tag gemeinsam zu verbringen.

Nachdem wir unser Zelt aufgebaut haben, erkunden wir während der Abenddämmerung den kleinen Ort. Neben vielen Kunstgalerien finden wir ein Visitorcenter, indem wir lange ein interessantes Aquarium bestaunen. Eine kleine Krabbe dreht hier ihre Runden. Ebenso genießen wir den Ausblick auf den kleinen Hafen, in dem Segelboote und Wasserflugzeuge vertäut liegen. Es ist schön hier, die Insel strahlt eine intensive Ruhe auf uns aus. Immer wieder schweifen meine Blicke aufs Wasser hinaus. Ich (Alena) freue mich hier zu sein und diese wunderschöne Landschaft genießen zu können.
In einem Liquor Store kaufen wir uns zur Feier des Tages Bier, Honeybeer. Vor dem Shop treffen wir auf zwei weitere junge Reiseradler. Die beiden feiern heute den 100sten Tag ihrer Trans-Kanada-Tour. Wir verquatschen uns und stoßen mit den beiden sogleich an. Dies aber nicht lange, denn schnell kommt der Verkäufer des Liquor Stores heraus geschnellt und weist uns darauf hin, dass es hier doch verboten sei in der Öffentlichkeit zu trinken! Das Polizeirevier sei gleich nebenan und wir sollten aufpassen, dass wir kein Knöllchen auf gebrummt bekommen. Er verweist uns auf den Baseballplatz, da sei es in Ordnung Bier zu trinken. Ups, daran haben wir gar nicht gedacht, die Berliner Verhältnisse haben wir noch so inne … merkwürdig, wieso ist denn der Baseballplatz kein oeffentlicher Raum? Egal, wir finden vor Ort eine gemütliche Bank und lernen auch sogleich einen alten Totengräber mit seinen zwei Hunden kennen. Er gibt stundenlang Geschichten über die Menschen auf Haida Gwaii zum besten und unterhält uns gut. Leider haben wir seine Haida-Namen vergessen. Er erhielt sie, als er vor vielen Jahren als Schotte in die Haida Kultur konvertierte.
Am spaeten Abend koennen wir dann noch die beiden Kanadier mit unseren Kochkuensten auf unserem Campingkocher begluecken. Die beiden haben es tatsaechlich geschafft Kanada ohne Kocher zu durch queeren.

Wir werden von Ryan zum Kaffee und Kuchen eingeladen. Wir sitzen in einem gemütlichen Glashaus einer ehemaligen Gärtnerei, die nun ein Café ist, es werden nur noch wenige Blumen verkauft. Grace sucht sich zwei aus, um sie später auf das Grab ihrer Tante und ihres Onkels legen.
Die achtjährige Grace und ihre Mutter Ryan verbringen eine Woche Ferien auf der Insel, um ihre Familie zu Besuchen. Sie wohnen in Calgary, Ryan arbeitet dort als Polizistin. Ich muss sagen, ihre Arbeit würde nach meinem Verständnis eher unter die Kategorie Sozialarbeit als unter Polizeiarbeit fallen. So eine liebenswürdige Polizistin habe ich noch nicht kennengelernt.
Da die beiden Hamster von Grace nicht allein zu Hause bleiben konnten, fahren Muffin und Oreo in einer Plastikbox im Auto mit. Grace ist ganz verrückt nach ihnen, ständig nimmt sie sie heraus, insbesondere Muffin. Das ist ein alter Hamster, dem bereits die meisten seiner Haare ausgefallen sind. Erst ist es merkwürdig für uns, aber recht bald ist der Anblick des kahlen Tierchens ganz normal. Grace sieht des öfteren nach, ob Muffin noch am leben ist und knuddelt dann mit ihr herum. “Muffin is still alife!” ist ein wieder kehrender Slogan. Laut Ryan lebt dieses Tierchen nur deswegen noch, da ihm so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Zusammen mit den beiden besuchen wir die Gräber ihrer Familie und schauen uns den alten Friedhof an. Danach treffen wir Cousin Tim, der in einem Atelier Totenpole und andere Schnitzarbeiten kunstvoll herstellt. Gerade ist er mit einem kleinen Totenpole beschäftigt, auf dem ein alter Mann und ein Rabe zu erkennen sind. Probleme bereitet ihm momentan eine morsche Stelle, welcher nun clever umgehen muss. Hardy versucht Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

Wir verbringen viel Zeit gemeinsam im Museum, das der Sprache, Kultur und Geschichte der Haida gewidmet ist. Die Ausstellung beeindruckt uns sehr. Es gibt nur noch wenige Personen die Haida sprechen können. Hardy beeindruckt am Meisten, dass die Sprache der Haida so einzigartig ist und keine Verbindungen zu anderen Sprachen dieser Welt hat.

Nach dem Museumsbesuch zeigt uns Ryan den einzigen großen Felsen weit und breit. Wir machen die obligatorischen Fotos, auf denen wir versuchen ihn zu bewegen und verbringen mit Grace Zeit an den kleinen Wasserlöchern und Felsspalten, in denen wir Wasserschnecken sowie Krebse entdecken und neue Gänge für sie bauen. Natürlich ist auch Muffin mit dabei, sie darf auf den Steinen herumlaufen. Während dessen passt Ryan wachsam auf das kleine Tierchen auf, damit sie nicht von einem der vielen Seeadler oder der großen Raben gefressen wird, die über uns kreisen. Wir haben den Tag mit diesen lieben Menschen sehr genossen und viel Spaß gehabt. Wir sind uns sicher, dass sich unsere Wege in den nächsten Tagen kreuzen werden, wir haben den selben Weg in den Norden der Insel vor uns.

Am Abend finden wir einen schönen Schlafplatz am steinigen Strand, wir genießen unser Abendbrot mit Blick auf das Meer. Ein kleines selbstgebautes Floß wackelt in den Wellen der hereinbrechenden Flut. Obwohl wir unser Zelt so weit weg vom Wasser wie nur möglich aufbauen, mache ich mir ein paar Gedanken, wie nah das Meer nun wirklich kommen wird. Um sicher zu gehen stellen wir den Wecker auf Mitternacht. Des Nachts schaut Hardy raus und alles ist in Ordnung.

In den folgenden Tagen radeln wir gemütlich gen‘ Norden, vorbei an kleinen Buchten mit Stein- und Sandstränden, Farmen mit weiten Wiesen und Seen, die glasklar oder mit Seerosen bewachsen sind. Am Wegesrand treffen wir immer wieder auf Rehe, die uns – gar nicht scheu – mit ihren großen Kulleraugen verfolgen.
Von der Insel geht eine gelassene, mystische Stimmung aus. Sie erfasst uns und wir lassen uns treiben. Hier reisen wir ohne groben Zeitplan, ohne Kilometerdruck und ohne ungefähres Ziel am Abend. Oftmals halten wir an und genießen die Aussicht oder besichtigen kleine Dinge am Rande des Weges. Es ist schön so relaxt unterwegs zu sein. Wir nennen die Tage auf Haida Gwaii “Urlaub von unserer Reise”. Ich genieße sie in vollen Zügen. Ryan hatte recht, Haida Gwaii ist etwas ganz besonderes. Ich kann mich nicht satt sehen an der Schönheit dieses Fleckchens, fühle mich relaxt, frei und ruhig. Leider driften in diesem Punkt Hardys und meine Interessen sehr weit auseinander. Hingegen meiner Vorliebe für das Meer und Küstenlandschaften, zieht er Berge und Blicke in Täler vor. Er langweilt sich hier und aeussert dies wiederholt. Irgendwann beschließe ich, mir meine gute Laune durch ihn nicht verderben zu lassen und übe mich in Ignoranz.

Auf unserem Weg zum nördlichsten Punkt der Insel halten wir an Marys Spring an. Der Legende nach kehren all jene, die von dieser Quelle tranken nach Haida Gwaii zurück. Das wollen wir auch – eine Umrundung der Insel mit dem Kajak ist noch offen – und trinken noch einen extra Schluck. Lustig und typisch kanadisch ist, dass direkt neben der Quelle und neben dem Schild, welches die Geschichte und den Mythos der Quelle erklaert, ein offizielles Warnschild steht, das von dem Trinken des Wassers aus gesundheitlichen Guenden abraeht.

Auf der Wanderung zu einem alten hölzernen Schiffsfrack treffen wir Ryan und Grace wieder, auch Muffin und Oreo sind in ihren Plastik-Hamster-kugeln mit dabei. Die 15 km lange Wanderung führt uns vorbei an einer sanften mit Gras bewachsenen Flusslandschaft. Als dieser ins Meer mündet, laufen wir eine Weile am endlosen breiten weißen Sandstrand, bis wir auf das Frack stoßen, das steil aus dem Boden schaut. Durch die strahlende Sonne leuchtet das ausgewaschene Holz in einem warmen Braunton.
Wir Picknicken zusammen, unterhalten uns und genießen den wunderschönen Blick, während Grace im Inneren des Schiffes spielt.

Unser Rückweg führt uns in eine vollkommen andere Welt. Der schmale Wanderpfad windet sich nun durch Regenwald in den verschiedensten grün und braun Tönen. Es ist kühl und schattig, in dünn leuchtenden Strahlen bahnt sich das Sonnenlicht einen Weg in den Wald hinein. Moose und Flechten hängen in dünnen Streifen von den Bäumen herab. Ich fühle mich, als würde ich durch einen Feen und Elfen Wald streifen. Der weiche mit Moos bewachsene Boden gibt unter unseren Fuessen nach, wir könnten uns auch auf ein Moosbett legen und hier verweilen.

Als der Abend hereinbricht, steuern wir eine day-use-area an einem wunderschönen See an, um sie auch des Nachts in Betrieb zu nehmen. Dort treffen wir Adam und Delara, die sich ähnliches gedacht haben. Sie kommen aus Victoria auf Vancouver Island und erkunden die Insel mit dem Auto. Wir kommen genau im richtigen Zeitpunkt, der Picknicktisch ist gedeckt, es gibt Kuskus und Lachs und die beiden sind bereits satt! Adam berichtet wie er den Lachs mit den Händen gefangen hat. Dieser sei durch die eintretende Ebbe am Strand liegen geblieben, wo er ihn zappelnd fand. Welch Glück für uns!

Wir radeln bis zum North Beach der Insel. Dort finden wir ein windgeschütztes Plätzchen für unser Zelt unter den Bäumen. Eine Duenenreihe trennt uns vom weiten Sandstrand. Wir finden viele vom Meer abgerundete und ausgewaschene Holzstämme. Auf einem nehmen wir Platz und essen Abendbrot, Reis mit Tomatensauce – hmmm.
Nun holt auch uns das für Haida Gwaii übliche Wetter ein, mit den letzten Tagen Sonnenschein hatten wir Glück! Der Himmel ist bewölkt und bald beginnen immer wiederkehrende Regenschauer.
Wir besteigen den Tow Hill und treten danach so langsam den Rückweg in den Süden der Insel Richtung Fähranleger an. Unterwegs treffen wir noch einmal Ryan und Grace wieder. Dies ist wirklich unsere letzte Verabschiedung voneinander. Es ist schade, wir haben die Beiden ins Herz geschlossen. Ryan schenkt uns 20 $, damit wir in der nahen Bäckerei einen Kaffee trinken und einen Cinamon Bun essen können. Wir freuen uns und treten sogleich den Weg zur Bäckerei an.

Im kleinen Ort Massett treffen wir auf eine Töpferei. Wir unterhalten uns lange mit der alten Töpferin. Dabei klären wir endlich eine Frage, welche uns schon lange auf der Zunge brennt. Seit vielen Kilometern radeln wir an Straßenschildern vorbei, die uns vor irgendetwas warnen, „Watch for livestock!“ ist dort geschrieben. Aber was ist das denn bloß? Auf was sollen wir aufpassen? Die Töpferin lacht herzhaft und erklärt uns, dass es sich bei livestocks nur um landwirtschaftliche Nutztiere handelt.
Ich bekomme einen Knopf mit einem Krebs darauf in ihrer Lieblingsglasur geschenkt. Sie gibt uns auch einen Lachs aus ihrer Tiefkühltruhe mit. Das wird ein super Abendessen am nahe gelegenen klaren See! Hardy freut sich schon den Kochlöffel zu schwingen.

Als wir am letzten Tag im Dauertritt der Fähre entgegen fahren, begleitet uns ein Dauerregen. Leider beschließen wir zu spät die Regenhosen und Gamaschen anzuziehen, wir sind bereits bis auf die Haut durchnässt. Stur fahren wir einfach weiter und halten des öfteren unter den verschiedensten Unterständen an, um warmen Kaffee zu trinken.
Im Warteraum der Fährgesellschaft können wir uns endlich trockene Klamotten anziehen. Hier treffen wir auch Walter wieder sowie unsere beiden Trans-Kanada-Radelfreunde. Wir berichten uns gegenseitig von unseren verschiedenen Erlebnissen. Gegen 21 h legt die Fähre ab, wir werden morgens um 6 h Prince Rupert erreichen. Dort wollen wir sogleich auf die nächste Fähre nach Vancouver Island hüpfen. Mit unseren Isomatten und Schlafsäcken machen wir es uns zwischen den Sitzreihen gemütlich und schlafen erschoepft, vom Schiff ins Land der Traeume geschunkelt, ein

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