Death Valley, Wüstenerfahrung (Nevada / USA / Oktober 2011)

Highway 395

Nach der anstrengenden Überquerung der Sierra Nevada mit dem Höhepunkt des Tioga Passes mit seinen 3031 Hoehenmetern stehen uns zunächst zwei Routen zur Annäherung an das Death Valley zur Auswahl. Die eine führt über zwei weitere Pässe, entlang den Ausläufern der Sierra Nevada in eine Gegend mit vielen heißen Quellen. Die Andere verläuft ohne anstrengende Steigungen am großen Mono Lake vorbei.

Lange überlegen wir, ob wir die Bergroute wählen und trotzdem hinab zum See fahren sollen. Eine Abfahrt hieße jedoch auch, die verlorenen Höhenmeter anschließend wieder hinauf strampeln zu müssen. Wir entschließen uns die Aussicht auf den Mono Lake von unserem Standpunkt aus zu genießen und fahren weiter. Ich bin ein bisschen grantig ob dieser Entscheidung, zumal Hardy sich mal wieder ganz spontan umentschieden hatte, kann mich dann aber doch durch die spektakuläre Aussicht auf die steilen Westhänge der Sierra Nevada besänftigen lassen. Nach der rasanten Abfahrt des Tioga Passes strampeln wir also an diesem Nachmittag noch über zwei weitere Pässe, na nu‘ ham wa’s ja drauf!

Um uns von den Strapazen zu erholen sowie unseren Muskeln etwas Gutes zu tun, steuern wir zielstrebig unsere erste heiße Quelle auf dieser Reise, ach was sag ich, unsere erste heiße Quelle überhaupt, an. Lorraine und Nigel von der Eatwell Farm hatten uns vor einigen Wochen ihr Hot Spring Buch ausgeliehen und uns die heißen Quellen dieser Gegend, im wahrsten Sinne des Wortes, wärmstens empfohlen. Der Highway 395 wird für uns nun zum Hot Spring Highway.

Zur Auswahl haben wir den „crab cooker“ und den “hot tube”, wir wählen letzteren, er liegt nicht allzu weit abseits der befestigten Straße. Ein bisschen gravel road nach links, ein bisschen gravel road nach rechts und schon sind wir am Ziel. Der “hot tube” entpuppt sich als ein schön angelegter steinerner Pool mitten in der Wüste. Das heiße Wasser wird mit Hilfe eines Plastikrohres direkt ins Becken geleitet. Neben dem Pool treffen wir auf ein altes windschiefes silbernes Wohnmobil, wie es sie in den alten amerikanischen Filmen gibt. Mit ihm sind Al und Tanja mit ihrem Hund Scheeva auf einer zweiwöchigen Hot Spring Tour bis hoch nach Oregon unterwegs.

Der ältere Al mit Bäuchlein und Glatze scheint die heißen Quellen wie aus seiner Westententasche zu kennen. Genauso urig wie sein Besitzer ist auch das Innere des Gefährts, sanfte Musik, Räucherstäbchengeruch, Kissen und diverse Tücher an den Wänden versetzen uns nach Indien.

Als wir ankommen, ist uns die Hündin Scheva nicht gut gesonnen, aufgestellte Ohren und Nackenhaare, lassen uns aufmerksam werden und einen großen Bogen um sie machen. Hardy zückt schnell unser Barspray. Auch Tanja scheint das Verhalten ihres Tieres bemerkt zu haben und redet beruhigend auf sie ein. Es scheint zu helfen, so dass wir uns beschnüffeln können und Hardy wird mal wieder zum Hundeflüsterer. Eine Seite an ihm, die mir völlig neu ist. Vorher in Berlin war er, na‘ ich sage mal, nicht besonders an Hunden interessiert, wenn nicht sogar genervt von den Vierbeinern. Aber hier scheint er immer begeisterter zu werden! Freundschaft ist mit dem Husky geschlossen, wir dürfen nun auch unser Lager aufstellen.

Und da passiert es, ein riesen Insekt krabbelt unter mein Hemd. Als ich es nach mehrmaligem Krabbeln erblicke, kriege ich einen Schock, gebe kreischend hysterische Laute von mir und rufe eilig Hardy herbei. Nach einer gefühlten Ewigkeit hat er es endlich gepackt und entfernt. Puh! Sechs Zentimeter groß ist dieses bienenähnliche Ding gewesen. Weder gebissen, noch gestochen nehme ich mir vor morgen früh die Schuhe besonders gründlich vorm Anziehen auszuklopfen. Wir sind nun in der Wüste.

Glücklich genießen wir nach diesem anstrengenden Tag den wunderschönen Abend. Es ist unglaublich in dem heißen Wasser zu sitzen. Die Luft ist bereits kalt geworden, der Vollmond scheint, wir sehen Sterne und die uns umgebende Wüstenlandschaft glüht im Abendrot. Ausläufer der nahen Berge mit ihren verschneiten Wipfeln umgeben uns. Anfangs tragen wir brav unsere Badesachen, wir dachten es sei keine gute Idee im prüden Amerika, wo das Nacktsein unter Strafe steht, ohne alles zu planschen. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass wir auf relaxte Hippies getroffen sind. Al und Tanja laden uns splitternackt auf eine Corona ein, wir bekommen sie sogar mit Zitrone und Salz serviert! Später lernen wir zwei weitere überzeugten Nudisten kennen, die uns voller unprüder Leidenschaft erklären, wie sie morgen die nahen Sanddünen nackt besteigen wollen.

So ein tolles Erlebnis, das wollen wir am nächsten Abend gleich wieder genießen! Also planen wir unsere Tagesetappe so, dass wir eine weitere heiße Quelle etwa 60 km weiter südlich am folgenden Abend anstreben. Dort werden wir auch unsere neuen Nudistenfreunde wieder treffen.

Am Nachmittag wollen wir im kleinen Städtchen Bishop noch einige Besorgungen machen. Vorher geht es ganze 15 km bergab, wir nähern uns der Meereshöhe… Leider stellen wir nun bereits ein zweites Mal fest, dass Hardys Hinterrad eine Beule aufweist. Diese wird schnell immer größer. Also steht nun auch der Besuch eines Bikeshops in Bishop auf dem Plan. Ganz langsam radelnd suchen wir ihn. Hardys Hinterrad macht plopp, plopp, plopp.

Glücklicherweise werden wir fündig. Als wir drinnen nach einem neuen Mantel Ausschau halten, hören wir plötzlich ein lautes Peng. Der Reifen ist explodiert! Na‘ dit nenn‘ ick ma‘ n‘ jutes timing! Zum Glück ist es nicht beim Radeln passiert! Der Verkäufer ist sich seines Geschäfts sicher. Wir kaufen auch einen neuen Schlauch, den zerfetzte es ebenso.

Der netter Verkäufer will außerdem für uns mit Schwalbe Kontakt aufnehmen, um Entschädigung zu bekommen. Schade, bis heute hören wir nichts von Schwalbe weder auf seine, noch auf unsere Anfragen bezüglich Entschädigung oder Ersatzreifen, hatten wir nun bereits zwei Beulen in den Reifen und diese Explosion.

Diese Nacht verbringen wir an der „Keough Hot Spring“. Ein paar aufeinander folgende Becken beherbergen hier das heiße Wasser in mitten brauner trockener Landschaft. Tuffgestein liegt herum, die Sierra Nevada liegt im Rücken.

Diese heiße Quelle ist größer als unsere erste, wir können sogar ein wenig hin und her schwimmen. Büsche und Blumen rahmen die Becken sehr schön ein. Abends treffen wir unsere Nudistenfreunde wieder. Leider konnten sie die Sanddünen nicht nackt bis auf den Gipfel besteigen, da sie mit ihrem sperrigen Wohnmobil nicht auf der schlechten Straße bis heran fahren konnten. Beim nächsten Mal wollen sie mit ihrem Jeep anrücken.

Auch lernen wir Scot kennen, der hier an der heißen Quelle die letzten drei Wochen verbrachte, während er auf die Reparatur seines Fahrrads nach einem Unfall wartete. Leider beginnen wir erst spät uns näher mit ihm zu unterhalten. Er scheint ein spannender Mensch zu sein und wir hoffen per Mail noch mehr Kontakt zu haben. Am nächsten Morgen schiebt er seinen Fahrradanhänger von dannen.

Unser Weg führt uns weiter Richtung Südost. Die Temperaturen nehmen zu. Wir stehen vor Sonnenaufgang auf und sehnen uns schon bald nach einer Mittagspause im Schatten. Hierfür nutzen wir Parks, die es in den kleinen Ortschaften, die uns an Überbleibsel der Wild West Zeiten erinnern, immer wieder gibt. Teilweise fließen sogar kleine Bächlein durch sie hindurch. Welch Erfrischung! Glücklich sitzen wir an einem Picknicktisch in Independence, nippen an unserer kalten Cola und essen Wassermelone bis wir fast platzen. Auch Hardys Fahrrad legt sich nieder. Ein Schlauch will geflickt werden.

Bei einer solchen Pause lernen wir Rainbow und seine Frau kennen. Sie kommen aus San Diego und laden uns zu sich ein. Mal sehen, vielleicht werden wir ihr Angebot irgendwann annehmen, sollte unsere Route durch San Diego führen.

In Lone Pine wollen wir die Alabama Hills besichtigen. Diese Gegend ist berühmt für ihre Steinkulissen, in denen viele Western gedreht wurden. Abgefahrene Steinskulpturen liegen links und rechts des Weges. Im Sonnenuntergang leuchten der Sandstein in einem warmen Gelb. Wir suchen uns einen schönen Platz abseits des Weges unter einem großen Baum und schlafen nur in den Moskitonetzen. Ein weiterer Platten erheitert die Abendstimmung.

Wir treffen auf eine Gruppe älterer deutscher Rennradler, die eine organisierte Radtour gebucht haben. Ihr Gepäck wird ihnen von Hotel zu Hotel gefahren, für Verpflegung ist gesorgt. Besonders die Eine unter ihnen ist von unserer individuellen Reiseart begeistert. Sie erzählt uns, schon einen Gruppenkoller gekriegt zu haben. Es ist ihre erste Reise mit dem Rad. Sie nutzt das Angebot , um sich so an das Radreisen heran zu tasten, wir reden ihr gut zu, es doch mal allein und nicht in einer vorgebuchten Form zu versuchen. In den nächsten Tagen werden wir sie immer wieder treffen. Diese sportliche Lady in den 40/50 -gern ist tief rotbraun gebrannt, ohne Hut und nur im knappen Busty mit Radlerhose unterwegs. Wir sind darüber sehr erstaunt und finden dies völlig verrückt! Um uns vor den Sonnenstrahlen zu schützen, fahren wir seit einigen Tagen trotz der Hitze in langer Hose sowie langärmligen Hemd.

Death Valley

Kurz nach Lone Pine zweigen wir auf dem Highway 139, der in den Hwy 190 mündet straight nach Osten ab, um das Death Valley in Angriff zu nehmen. Zuvor versorgen wir uns im Visitor Center mit den nötigen Infos, einer Detailkarte des Nationalparks und frischem Wasser. Wir sind erstaunt, wie viele Campingplätze und Wasserstellen es gibt. Zwar sind wegen der Nebensaison viele der Campingplätze geschlossen, was uns nichts ausmacht, aber Dank der guten Wasserversorgung muss hier niemand mehr verdursten.

Dennoch ist es für Radler notwendig den Wassernachschub, sowie anstehende Steigungen mit dem Stand der Sonne zu timen. Hingegen aller Vorstellungen ist das Tal des Todes nämlich gar nicht flach! Es ist von zwei Gebirgszügen eingefasst, die erst einmal bezwungen werden wollen. Hinzu kommt ein atemberaubender Asphalt, der sich für die Touristen durch die Wüste zieht. Von Straßenbelag sind wir sehr angetan!

Zunächst rollen wir über sanfte Steigungen durch das Panamint Valley, ein Tal, das dem Death Valley vorgelagert ist. Die Landschaft verändert sich. Trockene Sandwüste in einem Ockerton zu beiden Seiten des Weges. Es gibt keinen Schatten, unser Thermometer zeigt 39 Grad an. Wir sehen die ausgetrockneten Reste des Owens Lake, als wir an einer kleinen Siedlung vorbei fahren. Den Schatten der Häuser nutzen wir für eine kleine Verschnaufpause, denn die Hitze macht uns zu schaffen.

Dennoch müssen wir weiter. Vor unserem Etappenziel für heute liegen noch ein paar Steigungen. In das uns umgebene Ocker mischen sich nun Rottöne in den verschiedenen Gesteinsschichten. Die Landschaft ist atemberaubend, wir halten oftmals an, um unsere Blicke schweifen zu lassen und diverse Fotos zu knipsen. Trotzdem kommen wir erstaunlich gut voran. Nach dem aufstehen um 5:30 haben wir um 12:30 bereits 60 km geschafft. Ein Gebirgszug ist bezwungen. Auf dem Hochplateau angekommen, lassen wir unsere Blicke weit in die Ferne schweifen – Wüste in alle Richtungen. Wow, wir sind hin und weg. Irre Farbspiele und tiefe Täler fesseln uns.

Plötzlich hält ein blauer Jeep an, ein blonder Mann steigt aus und begrüßt uns mit den Worten: „Hardy und Alena aus Berlin, nehme ich an!“ Es ist unser alter Radelfreund Andre (andre-on-tour.blogspot.com), den wir vor Wochen im Norden Vancouver Islands getroffen hatten. Damals wollten wir eine Wanderung zum Cape Scott unternehmen und hatten ihn gefragt, ob er nicht mitkommen wolle. Da Andre uns damals sagte, er wolle auch bis nach Argentinien radeln, jedoch in einem Jahr, statt wie wir in zweien, musste er weiter Strecke machen und hatte keine Zeit zum Wandern. Schade, ich hoffe, er hat inzwischen seine Pläne geändert!

Wir sind überrascht Andre in einem Jeep anzutreffen, finden es aber auch toll, da er nun als „Autofahrer“ jede Menge Essen und Trinken dabei hat und uns großzügig mit Wasser, Äpfeln, Karotten, Twix und Keksen versorgt. Da ihn sein Vater bald besuchen kommt, ist Andre mit dem Auto in Richtung San Fancisco unterwegs. Die Beiden wollen eine kleine Rundtour machen. Sein Rad hat er bei Freunden in San Diego geparkt. Lange sitzen wir im Schatten des Wagens und tauschen Geschichten und Erlebnisse aus. Wir freuen uns wirklich sehr ihn wieder getroffen zu haben und unterhalten uns später noch lange über diese unerwartete und sehr schöne Begegnung.

Dann geht es hinab in rasanten Kurven. Der Fahrtwind weht uns um die Ohren. In einer Kurve trifft Hardy auf dem schmalen Seitenstreifen eine große Wüstenschildkröte.

In Panamint Springs, einem Ort, der aus einer Tankstelle und einem Hotel mit Campingplatz ohne Schatten besteht, dürfen wir unsere Wasservorräte auffüllen. Zum ersten mal befüllen wir auch unseren 10 l Wassersack. Er wird hinten auf meinen Gepäckberg geschnallt und ist ganz schön schwer. Aber wir wollen ja noch duschen. Wir schlagen unser Nachtlager direkt nebenan hinter der einzigen großen Düne auf und schlafen wieder nur unter den Moskitonetzen, die wir am Rad und an einem Busch befestigen. Die Stille in der Wüste ist unbeschreiblich.

Mit den nicht vorhandenen Hähnen stehen wir lange vorm Sonnenaufgang gegen 5 Uhr morgens auf. Der 20 km lange Anstieg auf den Towne Pass steht an. Bedrohlich liegt er vor uns. Wir schaffen es heute mal noch im Dunkeln loszukommen. Das warme Licht des schnell hereinbrechenden Sonnenaufganges mögen wir besonders gern. Wir nehmen den Pass in Angriff und kommen schon bald ordentlich ins Schwitzen. Bereits 20 Minuten nach Sonnenaufgang werden wir gegrillt. Es hilft nichts, oben angekommen sind wir noch lange nicht. Serpentine um Serpentine ringelt sich die Straße empor. Steigungen von 9 % auf 5 km halten uns beschäftigt. Es ist megaheiß, der Puls rast, im Nacken pocht es unangenehm. Beide müssen wir ab und an anhalten, um Luft zu holen und zu verschnaufen. Das hatten wir zuvor noch nie. Bald ist Hardy mal wieder vorne weg. Ich schleiche hinterher und erreiche endlich, nach drei Stunden bergauf radeln das ersehnte Schild. Der Pass ist geschafft!

Hardy wartet mit Keksen im Schatten seines Rades. Wir machen Pause und treffen zwei Rennradler der organisierten Reisegruppe wieder. Ätsch, trotz der Gepäckberge waren wir die ersten!

 Hinab geht es geschwind wie der Wind. Von ca. 1600 HM rasen wir auf 30 km hinab. Wir befinden uns nun auf dem Niveau des Meeresspiegels! Flimmernd und blass erscheint die Landschaft hier unten. Alle Kontraste verschwinden in der Mittagssonne. Umliegende Gebirgszüge halten die Hitze im Tal, es ist das regenärmste Gebiet der USA und galt auch lange zeit als die trockenste Region der Welt. Unattraktiv für fast alle Lebewesen und wir finden es atemberaubend! Death Valley! Ist irgendwie extrem nach den winterlichen Strapazen bei Yosemeti NP nun hier in der krassen Wüste zu sein!

Da sagt jemand, in der Wüste gebe es kein Leben! Am Campingplatz, sagen wir Parkplatz mit kleinen windschiefen Büschen, treffen wir auf wilde Bienen, die lechzend um einen Wasserhahn herum fliegen. Hardy, alter Imker, findet eine Plastikschüssel und füllt sie mit kleinen Ästen und Wasser für die Tiere. Erstaunlich, dass die hier überleben können.

Nicht weit entfernt liegt „Nellis Air Force, Bombing and Gunnery Range“, auf der anscheinend fleißig in Kampfjets geflogen wird. Leider drehen diese auch außerhalb ihres Reviers ihre Runden und erschrecken uns jedes mal zu Tode, wenn sie mit ohrenbetäubenden Lärm im Tiefflug zum Greifen nahe über unsere Köpfe hinweg jagen.

In Stovepipe Wells machen wir die verdiente Mittagspause. In diesem künstlichen Touri-Westernort finden wir unter einem Vordach eine Bank. Und auch Eis gibt es hier, welches wir genüsslich weg schlecken. Das Thermometer zeigt 40 Grad im Schatten. Ach gäb` es nur welchen auf den folgenden Kilometern!

Unser Weg führt uns an großen Sanddünen vorbei, an denen der weiße feine Sand zum Wandern und Herumtollen einläd. Leider nimmt uns die Hitze jegliche Energie. Wir laufen nur ein paar Meter hinein und drehen dann wieder um. Mich spricht ein Rennradler an, der sehr an unseren bikes interessiert ist. Er erzählt, dass morgen ein charity race der Organisation research for juventil diabetes stattfinden wird, der 105 Meilen durch das Death Valley führt. An jenem werden 350 Rennradler teilnehmen. Zusammen sammeln sie Geld im Kampf gegen Diabetes. Das hört sich doch interessant an!

Hardy macht die Hitze sehr zu schaffen, sein Kreislauf macht nicht mit. So fahren wir ganz langsam und halten oft an, um Wasser zu trinken und etwas Süßes zu essen. Verkehrsschilder müssen als einzige Schattenspender herhalten.

Abends kommen wir im Furnance Creek an, dem touristischen Zentrum des Death Valleys. Wie eine Oase liegt der kleine Ort eingebettet in einem Meer aus Palmen. Es gibt eine Dorfstraße, an den sich die Hotels, Bars und der einzige völlig überteuerte Supermarkt aufreihen. Wir wollen Kosten für den Campingplatz sparen und hatten bereits vor Einfahrt in den Ort rechts des Weges eine Stelle in den Büschen ausfindig gemacht, in der wir zur Not verschwinden wollen. Aber vielleicht werden wir ja noch eingeladen! Mit diesem, aehm „Plan“, im Hinterkopf setzen wir uns erst einmal vor den Supermarkt auf den Platz des Örtchens.

Es dauert nicht lange, da treffen wir unseren Rennradler wieder, der uns mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen bekannt macht. Es kommen immer mehr Rennradler des Charityraces herbei. Sie umringen uns wie eine Traube und wir müssen von allen Seiten Fragen beantworten. Fröhlich werden diverse Gruppenfotos geschossen. Wir scheinen diese Menschen sehr zu beeindrucken, sie wollen uns unterstützen und stecken uns Geld zu. Insgesamt bekommen wir 75 Dollar geschenkt und können dies kaum glauben! Auch unser Schlaf“-problem“ löst sich von selbst, die Söhne unseres neuen Bekannten, die nicht mitradeln, aber den Charityrace vor Ort unterstützen, laden uns ein, ihren Campingplatzabschnitt mit zu benutzen. Super! So können wir am folgenden Tag Zelt und Gepäck dort lassen und einen Tagesausflug unternehmen.

Wir wollen zum Badwaters fahren, einem ausgetrockneten großen Salzsee 30 km südlich des Furnace Creek, dem tiefsten Punkt Nordamerikas. Zu unserer Freude liegt unsere Route auf einem großen Teil der Rennstrecke und so fliegen wir zusammen mit vielen vielen Rennradlern über die Hügel der Wüste. Neben uns hören wir das Klacken der Schaltungen und das Ächzen und Krachen der Ketten. Jedes Mal, wenn uns Radler entgegen kommen, feuern wir sie jubelnd an. Unser großes Vorhaben bis nach Südamerika zu radeln scheint sich unter ihnen herumgesprochen zu haben und wir sind zu einer kleinen Berühmtheit geworden. Oftmals wird uns aus vollem Herzen ein „Argentinaaa!“ entgegen geschmettert. Auch ihre Leistung ist enorm: 105 Meilen, etwa 165 km, bei dieser Hitze in einer solchen Geschwindigkeit zu radeln, alle Achtung! Wir machen heute dagegen nur 60.

Der Badwatersalzsee liegt wie eine große weiße Decke vor uns. Es ist kaum zu glauben, wir befinden uns 86 Meter unter dem Meeresspiegel! Kein Ende ist in Sicht, durch die Hitze flimmernd verwischt sich der Himmel mit dem Horizont. Der weiße Boden blendet in unseren Augen. Fünf Zentimeter hohe Salzkrustenränder bilden wabenförmige Flächen über hunderte Meter. Das Salz knirscht beim Drüberlaufen. Ein Vorgeschmack auf den Salar de Uyuni in Bolivien. Unwirklich ist diese Landschaft. Wir machen tausend Fotos und Hardy nimmt sich etwas Salz als Andenken mit. Eigentlich möchte er es seinen Eltern später mitgeben, doch es wird die Zeit kommen wenn unser Salz alle sein und auch dieser Vorrat zum Würzen der Spagetti angebrochen wird…

Hier am Badwaters ist für Rennradler eine Versorgungsstation aufgebaut. Neben Dixitoiletten gibt es Aufhängemöglichkeiten für die bikes und jede Menge Essen und Trinken. Wir fallen neben den ganzen Autotouristen auf, kommen schnell ins Gespräch und dürfen uns dann auch wie selbstverständlich bedienen. Es gibt Sandwichs, Obst, Kekse und neben Gatorade jede Menge Powerriegel und Energiegels. Wir genießen dieses reichhaltige Superangebot und verdrücken eine Menge. Zudem treffen wir viele Radler von Gestern wieder und lernen neue Menschen kennen.

Auf dem Rückweg Richtung Furnance Creek machen wir am Golden Canyon halt. Eine enge Schlucht zieht sich durch die gelbfarbenen Felsen, die im Sonnenauf- und -untergang golden strahlen sollen. Aber auch hier macht uns die Hitze einen Strich durch die Rechnung, ermüdet laufen wir nur ein paar Meter des Pfades hinein.

Am Abend veranstalten die Organisatoren des Charityraces für alle Radler, deren Familien sowie für das große Supportteam ein Fest. Wir gehen vorbei, quatschen mit unseren neuen Bekannten und gratulieren ihnen zu ihrer tollen Leistung. Da kommt plötzlich der Hauptorganisator an und meint: “I have seen you today on the road, you are the couple on the way to Argentina. We made a decision. You are very welcome to celebrate with us. Take a lot of food and beer, go on!“ Natürlich freuen wir uns über diese herzliche und offene Art und auch darüber, dass wir für diesen Abend Teil dieser Gemeinschaft sein dürfen. Natürlich langen wir ordentlich am Buffet zu. Neben dem frisch gegrillten Fleisch finde ich den Schoko- und Waldbeerenkuchen besonders toll! Ein wenig unschlüssig an welchen Tisch wir uns denn mit ran setzen sollen, werden wir gleich von einem New Yorker heran gewunken, der bereits seit vielen Jahren als Coach bei dieser Organisation mitwirkt. Er meint, es wäre für ihn eine Ehre mit uns den Tisch zu teilen und ein tolles Gespräch zu haben. Wow, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.

Ein Programmpunkt des Abends ist eine Fotoshow von Aufnahmen des Tages sowie die anschließenden Reden. Wild bejubelt wird ganz besonders ein Foto: der Heiratsantrag eines jungen Radlers, der kurz vorm Ziel um die Hand seiner Freundin anhielt. Sie sagte natürlich „ja“! Dieser Radler bekommt auch das Trikot des desjenigen, der den Spirit dieses Rennens am stärksten verdeutlicht hat, verliehen. In den Reden wird sich bei allen Mitwirkenden bedankt und erzählt, was im Laufe des Tages so alles passiert ist. Auch wir werden von dem einen Redner erwähnt. Er erzählt, dass neben vielen anderen heute auch zwei weitere Radler auf der Strecke waren, die bis nach Argentinien fahren wollen. Alle applaudieren. Wir sind viel zu perplex um aufzustehen und uns zu erkennen zu geben! Es wird hervorgehoben, dass in diesem Jahr keiner der Teilnehmer wegen Hitzeschocks oder ähnlichem ins Krankenhaus gebracht werden musste. Uns wird erklärt, dass es in den vergangenen Jahren leider Zwischenfälle gab, da einige Radler selbst unter Diabetes leiden und ihren Blutzuckerspiegel bei der Hitze und Anstrengung dauernd im Auge behalten müssen. Bei lauter Musik, einem weiteren Nachschlag und mehr Bier klingt dieser tolle Abend aus.

Leider sind wir trotz Frühaufstehens am nächsten Morgen zu spät dran und erreichen nach einem Anstieg den Zabrisky Point erst nach dem Sonnenaufgang. Schade, die roten und beigen Steine sollen zu jener Tageszeit besonders schön angestrahlt werden.

Heute ist bei mir der Wurm drin, die Steigungen fühlen sich für mich besonders anstrengend an. Um Death Valley Richtung Osten verlassen zu können, müssen 30 km Anstieg überwunden werden. Langsam folge ich Hardy, der schon nicht mehr zu sehen ist. Irgendwann bequemt er sich mal anzuhalten und muss ganze 20 Minuten auf mich warten.

Mitten in der Wüste liegt die Death Valley Junction. Wie in einer Geisterstadt stehen hier verlassene und verfallene Häuser. Es fühlt sich an, als könnten jederzeit bewaffnete Cowboys auf ihren Pferden um die Ecke kommen. Aber nichts passiert. Ein großer Gebäudekomplex war einst ein stolzes Theater, nur ein kleines Restaurant ist übrig geblieben. Wir haben Glück, es ist offen. Bei einer Cola erklärt uns der Barkeeper, dass hier ganze vier Leute wohnen. Wir fragen uns, warum man hier wohl leben will.

Irgendwo im Nichts überqueren dann wir die Grenze zwischen Californien und Nevada und müssen auch hier entsetzt feststellen, dass fast ganz Amerika eingezäunt ist, sogar die Wüste ist eingerahmt!

Am späten Nachmittag finden endlich wir in Pahrump den Walmart. Völlig ausgehungert komme ich mit fünf prall gefüllten Tüten wieder heraus. Kein Wunder, haben wir heute schon 100 km geschruppt und keine Mittagspause gemacht. Im nahen Park gibt es dann ein ausgedehntes Picknick mit Orangensaft, süßen Teilchen und viel Obst. Heute Abend werden wir wohl nicht mehr kochen. Auch fahren wollen wir nicht mehr und suchen uns hinterm Ort ein Plätzchen in den Hügeln der Wüste. Hardy hat schon wieder ’nen Platten und muss flicken, ich schaue ihm zu und beobachte im Hintergrund unsere ersten Casinos Nevadas.

Las Vegas

Unser Etappenziel heißt Las Vegas, nur noch eine Mountain Ranch trennt uns von der Großstadt. Und da ist es endlich!

Unwirklich ragen die großen Gebäude des Strips in der Ferne in den Himmel. Unklar und schemenhaft können wir sie schon erkennen. Eine Stadt in der Wüste. Es sieht aus wie eine fantasievoll zusammengewürfelter Lego-Komplex. Wir haben es geschafft, unsere erste Wüstendurchquerung liegt hinter uns!

Diesmal heißt unser Gastgeber Kevin. Er wohnt im Westteil Las Vegas und stellt uns einen eigenen Raum zur Verfügung. Kevin ist einer der drei Administratoren des warmshowers-Netzwerkes und erzählt uns viel darüber. Auch hat er jahrelang seinen Lebensunterhalt als professioneller Pokerspieler verdingt. Dies interessiert Hardy besonders und so erfahren wir eine Menge über die komplexen Hintergründe, die Psychologie und Taktik des Pokerns. Bei Kevin befindet sich eine kleine Bibliothek zu diesen Themen. Wir lernen in welchen Casinos Las Vegas um große Steaks gespielt werden und wieso Casinobetreiber lieber kein Pokerspiel anbieten würden.

Bei Kevin ist ein weiterer Radler zu Gast und so lernen wir Martin aus Berlin kennen. Er startete in New York und ist ebenso Richtung Südamerika unterwegs. Von ihm bekommen wir den Tipp jeweils einen weiteren Trinkflaschenhalter am Steuerrohr zu befestigen. Der Griff zur Flasche fällt so um einiges leichter. Danke Martin, endlich ist der richtige Platz für unser Frühstücksbier gefunden!

Wir wollen vier Tage bleiben, denn mein 28. Geburtstag steht an und den wollen wir hier feiern. Zudem haben wir uns nach langer Überlegung gegen unser altes und für ein neues Zelt entschieden und möchten hier Recherche betreiben. Bei unserem alten Zelt waren seit Beginn der Reise immer wieder Zwischenstücke der Zeltstangen gebrochen und auch ein Reißverschluss ist verschlissen. Die Firma Wechsel hatte uns ein neues Set stabilerer Zeltstangen zugesagt, aber auch aus Platzgründen wollen wir unsere Wohnung verändern.

In einem kleinen Klettershop werden wir letztendlich in einem Katalog fündig. Die amerikanische Firma Nemo scheint uns interessante Zelte zu produzieren. Sie haben das Zelt nicht vor Ort, aber der nette Verkäufer hat genau das Zelt unseres Interesses zu Hause und bittet seine Frau es vorbei zu fahren. Gemeinsam schieben wir die Kleiderständer zur Seite bauen es im Laden auf. So gut es eben geht, testen wir es und Fragen den Verkäufer Löcher in den Bauch. Gegenüber unseres altes Zeltes kommt uns dieses vor wie eine Villa, der Platzunterschied im Innenzelt ist gewaltig. Wir erbeten uns Bedenkzeit und entscheiden uns schließlich für dieses Model, ein Losi Dreipersonenzelt von Nemo soll es diesmal sein. Hoffentlich wird es uns bis nach Feuerland begleiten! Wir lassen das Zelt zur unserer nächsten Gastgeberin in Moab (Utah) senden, wo wir in etwa zwei Wochen ankommen werden. Unser altes Modell wollen wir nach Hause zu Hardys Eltern schicken.

Von Hardy bekomme ich zu meinem Geburtstag einen selbstgebackenen Schokokuchen und ein scharfes kleines Keramikmesser geschenkt. Zur Feier des Tages wollen wir Essen gehen. Wir landen in einem asiatischen Restaurant, es ist sehr lecker. Danach geht’s auf ins Getümmel auf den 8 km langen Strip.

Hell in allen Farben angeleuchtet fallen wir in eine andere Welt: Venedig, Paris, Schneewittchens Märchenschloss, Pyramiden und diverse Türme und Hochhäuser sind wild aneinander gereiht. Jedes dieser Hotels/Casinos wartet mit Attraktionen, Prunk und Ausgefallenheit aller Art auf und versucht die unzähligen Touristen mit ihren flotten Dollars an sich zu binden. Gerade beginnt eine Piratenshow. Mit viel Geschrei, Gesang und Getanze kämpft eine Gruppe männlicher gegen eine Gruppe weiblicher Piraten. Am Ende geht das Plasteboot mitten in der Wüste unter und die knapp angezogenen Piratinnen gewinnen. Die Touristen-Meute zieht weiter.

An zwei Abenden tun wir uns den Spaß an, leider kommt Hardy nicht ganz auf seine Kosten. Er hätte gerne noch mehr und intensiver in diese verrückte Welt mit mir hinein geschnuppert, doch kommt bei mir der Ekel. Horden betrunkener Gestalten mit blitzenden Augen bevölkern nachts den Strip, kreischende Glamourgirls verkünden die frohe Botschaft einer eben stattgefundenen Hochzeit.

4690 In den Casinos drängeln sich die Menschen ums Roulette, das Geld sitzt locker. Ein-Pence-Automaten an den Eingängen locken mit dem schnellen Gewinn. Hardy findet`s lustig und betreibt soziale Studien, wie er sagt. Ich finde es grässlich und kann mich nicht darauf einlassen. Der offensichtliche Reichtum und Überschwang steht im krassem Gegensatz zu den vielen Obdachlosen, die auf den Gehsteigen sitzen.

Natürlich bekommt mich Hardy überredet auch mal was zu riskieren und so mache ich dann doch tatsächlich aus einem Dollar sieben an einem Automaten. Mit dem Glück kommt die Sucht, ich kann nicht aufhören und habe dann schon bald alles wieder verloren. Insgesamt lassen wir 5 Dollar auf dem Strip. Wird als doch nix aus dem Recreation Vehikel (mit Bootsanhänger). Müssen weiter strampeln. Nach einem Gespräch mit Kevin ist klar wo es lang geht. Weiter Wüste und Berge, dass soll es sein. In Utah und Arizona scheinen Radelstrecken zwischen den Naturschönheiten rar zu sein.

Allgemein, USA (lower 48th)Permalink

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