Petén (Guatemala / Mai 2012)

Centro Amerika

Rein geographisch betrachtet zieht sich die Landbrücke Mittelamerika vom 8. bis zum 18. nördlichen Breitengrad, vom Isthmus Tehuantepec in Südmexiko bis zum Dschungel des Darién Gaps in Panama. Neben Mexiko befinden sich sieben Länder auf diesem recht kleinen Gebiet von etwa 545.000 Quadratkilometern, die der Fläche Frankreichs gleichzusetzen ist.
Diese sieben Staaten wollen wir in den folgenden Wochen und Monaten beradeln und genauer unter die Lupe nehmen. Wir sind gespannt auf die Menschen, Kultur, Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Guatemala / Petén
Eine neues Land, eine neue Zeitzone, eine neue Methode eine Grenze zu überqueren. Per lancha, einem kleinen Holzboot mit Außenbordmotor, setzen wir über den Grenzfluss Río Usumacinta ans andere Ufer. Schwups, hier sind wir nun, in La Técnica, einem kleinen Nest in Guatemalas Bundesstaat Petén. Dieser ist der zweit heißeste des ganzen Landes. Es ist nicht trocken-heiß, sondern schwül-warm, wie in der Badewanne. Die Leute hier warten auf den einsetzenden Regen – in diesem Tagen schlägt das Thermometer Rekorde.

Als wenn der Schweiß nicht auch so schon an uns hinunter rinnt! Nein, es erwartet uns auch noch eine steile, lange Treppe hinauf vom Flussufer. Wir laden die Taschen ab und buckeln die Einzelteile hoch. Eine Reihe herumhängender Männer schaut uns beim Klarschiffmachen der Räder zu. Es sind die örtlichen Geldwechsler, denn eine Bank gibt es hier nicht. „Cambio, cambio!“, ertönt es. Auch ohne diese Worte würden wir sie an den sieben Zentimeter dicken Geldbündeln in ihren Händen, gegen die sie die ganze Zeit klatschen, erkennen. Die Migration befindet sich im 17 km entfernten Betél. Dorthin müssen wir.
Lehm- und Bretterbuden umgeben uns. Kinder laufen in dreckigen, abgewetzten Klamotten und ohne Schuhe herum.

Die Piste ist super schlecht, ein Schotterweg jedes Gleichen. Megasteil beginnt sie sogleich, dagegen waren die Bedingungen in Chiapas ein Kinderspiel. Oft schieben wir zu zweit ein Rad nach dem anderen die Hügel hinauf. Etwa zwei Stunden brauchen wir für die folgenden Kilometer.
In Betél legen wir eine Brausepause ein, kaufen Reis, Möhren und ein Dose mit Tomatensauce fürs Abendbrot und gehen der Migration einen Besuch abstatten. Die Beamtin ist freundlich, schnell haben wir unseren Stempel im Pass.
Weiter geht der spaßige Schotter, insgesamt werden es wohl noch weitere 70 km sein, bevor wir wieder auf leisem Asphalt dahin rollen können.
In Petén wird viel Landwirtschaft betrieben. Uns umgeben ausgetrocknete und abgeerntete Felder sowie Bananenplantagen. Verkokelt riechen die vielen Schwelbrände, die die Bauern zur Rodung legen. Gebiete irren Ausmaßes werden abgeholzt. Besonders in diesem Bundesstaat ist dies ein Problem. Der Urwald wird in einem alarmierenden Tempo vernichtet.

Weit und breit ist kein Haus in Sicht. Also machen wir uns auf, wie üblich, nach einem Platz im Gelände Ausschau zu halten. Es ist schwierig einen geeigneten Platz abseits der Straße ausfindig zu machen. Hardy und ich gehen einige Male in ausgetretene Pfade in die Felder hinein, finden jedoch nichts. Nach einer einstündigen Schlafplatz-Suche entdecke ich neben einem eher schlecht als rechtem Plätzchen mitten in Bananenpflanzen eine Machete. Hardy wollte sich seit langem eh eine Besorgen und hier ist sie! Sogleich setzt er sie freudig ein, wild um sich schlagend mehr Platz für unser Zelt zu erarbeiten. Funktioniert prima! Wir haben einen kleinen Kolibri als Nachbar, der eifrig mit vielen Flügelschlägen Nektar aus den Bananenblüten saugt. Abends ist es immer noch um die 30 Grad, unsere Wasserflaschendusche erzielt keine nachhaltigen Erfolge, wir kleben nach wie vor. In Unterhosen bauen wir das Moskitozelt auf und kochen. Dann hüpfen wir schnell hinein, denn die Moskitoschaaren würden uns am Liebsten auffressen.
Es ist schon fast ganz dunkel, als wir Stimmen hören. Etwa hundert Meter neben uns hängen Jugendliche ab, sich laut unterhaltend. Warum kommen die ausgerechnet hier mitten ins Feld und warum so nah neben unserem Lager? Zum Glück bemerken sie uns nicht und ziehen irgendwann von dannen. Das ist uns nichts, wir können die Sicherheitslage in diesem Land noch nicht einschätzen und werden ab morgen bei Leuten fragen, ob wir im Schutz ihrer Gemeinschaft unser Zelt aufbauen dürfen. Generell kommen wir an diesem Abend ins grübeln. Wir sind bald ein ganzes Jahr unterwegs. Das ist eine lange Zeit. Beide empfinden wir so etwas wie Heimweh.

Zum Glück windet sich die Piste heute nur auf leicht hügeligem Terrain dahin. Gemächlich radeln wir mit Musik- und Hörbuchunterhaltung. Ganze 7 km schaffen wir pro Stunde! Die vorbeifahrenden Autos wirbeln jede Menge Staub auf. Unsere Lungen altern jetzt bestimmt um Jahre. Wir sehen aus wie graue Mäuse.
Ein kurzes Bad in einem unerwartet auftauchenden See bringt neuen Schwung in unsere müden Glieder. Und weiter geht’s.
Des Abends fragt Hardy bei einer Familie, die etwas besser gestellt zu sein scheint, um Unterkunft. Sie lebt in einem recht großen Steinhaus. Wir dürfen eintreten und bekommen sogar das Wohnzimmer als Nachtlager angeboten. Denn draußen sei es zu gefährlich. Duschen und Waschen dürfen wir auch, der Hammer! Als wir den vielen Kindern der Familie unseren aufblasbaren Globus vorführen, bewegt sich sogar der Vater vom Fernseher weg. Zusammen erforschen wir die Welt, die verschiedenen Kontinente, Guatemala und Deutschland.
Abends verteilt sich die Familie auf die wenigen Betten in den drei Schlafzimmern. Wir breiten die Isomatten im Wohnzimmer auf dem Boden aus. Links neben uns piepsen Babytruthähne in einem Karton, rechts von uns stehen zwei Motorroller. Die werden des nachts auch ins Haus geholt. Da die Wände nicht bis zur Decke reichen, ist es sehr hellhörig hier. Wir hören jedes Husten der Staublungen und das Schreien des Babys. Türen gibt es nicht, diese ersetzen Vorhänge.

San Benito, buenas cosas
Nachdem wir die Schotterpiste hinter uns gelassen haben, erreichen wir am frühen Abend San Benito. Wir sind beim Amerikaner Memo zu Gast. Als Memo vor Jahren auf Durchreise hier unterwegs war, erkrankte er an Denguefieber und wurde aufopfernd von seinen guatemaltekischen Nachbarn gepflegt, darunter war auch Angélica. Die beiden verliebten sich, zogen zusammen und schon bald entschlüpften eins nach dem anderen die vier Kinder.
Er und seine Frau Angélica gründeten vor wenigen Jahren den Verein buenas cosas, den Verein der guten Dinge. Das ist eine non-profit Organisation, die sich um Verbesserungen in den umliegenden Gemeinden rund um den See Petén Itzá in Zusammenarbeit mit vielen ausländischen Freiwilligen kümmert sowie sich für den Umweltschutz einsetzt.
Wir schlafen im Haus der Freiwilligen, die sich für dieses Projekt engagieren. Hier gibt es Schlafmöglichkeiten für bis zu 12 Personen. Matratzen, Moskitonetze und Ventilatoren stehen bereit. Im Haus ist es warm und stickig, wir wählen den Hinterhof, da dort in der Nacht eine kleine Brise zu fühlen ist, für unser Nachtlager. Es gibt Trinkwasser und eine Art Küche, in der neben Tischen und Plastikgeschirr aber nichts weiter vorhanden ist. Im Haus nebenan will Angélica, Herrin über ihre Küche, diese nicht teilen. Macht nichts, mit unserem Kocher sind wir zum Glück unabhängig. Mit uns sind in diesen Tagen verschiedene Couchsurferinnen zu Gast, die ein und aus gehen. Zudem wohnt hier die hochschwangere Katze Seven. Da ihr Sohn sie aus dem Haus gejagt hat, lebt sie  nun im Volunteerhouse.
Wir besichtigen das nahe Flores, ein Städtchen auf einer Insel im Lago Petén Itzá. Einen sehr touristischen aber netten Ort, voll von Hotels und Bars. Touristen hängen herum und nehmen ein Bad im See, wie wir. Zusammen mit Sandra, einer Reisenden aus Portugal, genießen wir die tolle Stimmung der warmen Farben des Sonnenunterganges im See und gehen gemeinsam Essen. Spagetti gibt es, dazu einen Fruchtshake. Sandra ist reisende Schriftstellerin und hat einen tollen Text über uns verfasst! Schaut Euch den mal an!

Zusammen mit Angélica, ihrer Mutter und einer engagierten Nachbarin fahren wir am nächsten Tag in ein nahes Dorf. Wir sind neugierig und wollen uns eines der Projekte von buenas cosas mal ansehen. Im Gepäck sind Samen für Kräuter- und Gemüsepflanzen. Unter dem Schatten eines großen Baumes wird eine Versammlung abgehalten. Angélica erklärt, dass buenas cosas, eine NGO sei, unabhängig von Staat und Kirche, die die Lebensumstände vor allem der Frauen verbessern möchte. Alles sei kostenlos, von den Samen, dem später selbst hergestellten Dünger bis hin zu den Öfen, die im späteren Verlauf das Holzfeuer ablösen sollen. Denn in der Mehrheit wird im 21. Jahrhundert hier noch mit Holz auf einem Feuer auf dem Boden oder mit Hilfe eines Lehmofens gekocht. Dies verursacht, neben dem Einatmen des Rauchen und den Gefahren durch Verbrennungen, auch die massiv voranschreitende Abholzung. Voraussetzung sei nur, dass die Frauen bereit seien anzupacken und zu arbeiten und nicht den ganzen Tag herum sitzen und erwarten, dass sie etwas geschenkt bekämen.

Später wird gemeinsam ein Dünger hergestellt. Ohne Handschuhe wird der Kalk mit den bloßen Händen zerrieben. Dann wird der große Topf lange über dem Feuer gekocht. Der erst weiße Dünger verändert seine Farbe ins gelbe und bekommt am Schluss einen rötlichen Ton. Auch ich helfe mit den Kalk zu zerreiben und muss leider in den folgenden Tagen feststellen, dass diese ätzende Mischung meine Haut an den Händen pellen lässt. Aber als ich Angélica und Memo auf das Fehlen von Handschuhen anspreche, höre ich nur, dass guatemaltekische Frauen sehr hart im Nehmen seien und Handschuhe Geld kosten würden, welches nicht vorhanden sei.
Wir treffen auf eine Freiwillige aus Polen und aus Spanien, die hier für zwei Wochen in einer guatemaltekischen Familien leben. Morgens arbeiten sie zusammen mit den Frauen an neuen Beeten und am Nachmittag geben sie den Kindern Englischunterricht. Auf den Beeten werden Gemüse und Kräuter für den Eigenbedarf sowie für den Verkauf angepflanzt. Ziel ist, dass die Frauen mit dieser eigenen Einnahmequelle unabhängiger von ihren Männer werden.

Beim abendlichen Bierchen lernen wir Memo und Angélica in langen Gesprächen besser kennen und erfahren eine Menge über Guatemala. Erst 1996 wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet, welches den 36-jährigen Bürgerkrieg beendete. Ein Krieg, indem nach Schätzungen etwa 200 000 Menschen umkamen und eine Million obdachlos wurde. Unzählige Menschen „verschwanden“ einfach. Zumeist Mayamänner wurden gefoltert und dahingerafft. Das Militär löschte im Namen der Politik der „verbrannten Erde“ unter General Ríos Mont ganze Dörfer aus. Jeder, der älter als 16 Jahre ist, hat den Krieg erlebt. Das sind die meisten Leute, denen wir begegnen.
Heutzutage stellen Ungleichgewichte in den Machtstrukturen große Herausforderungen dar, hören wir, „Sieben Familien gehört das Land.“ Anders herum gesagt sind 70% des urbanen Landes in Händen von nur 3% der Bevölkerung. Etwa die Hälfte der Menschen des Landes lebt in Armut, insbesondere in den ländlichen Gemeinden. Des weiteren stellen Analphabetismus sowie ein mangelhaftes Schul- und Gesundheitssystem große Probleme dar.

Tikal
Schon fast Maya-Experten, wollen wir uns die nahen Ruinen von Tikal natürlich nicht entgehen lassen. Die Räder parken wir in einem Hotel im ruhigen Örtchen El Remate am oestliche Ufer des Sees Petén Itzá. Den Nachmittag vertrödeln wir am und im See, indem rund um uns herum fleißig gewaschen wird.
Früh morgen bereits um 5 Uhr steigen wir in ein Combitaxi, dass uns über die vielen Hügel zu den Ruinen bringt. Eine Stunde später macht der Park auf. Obwohl sich eine wahre Taxischlange am Eingang bildet, verlaufen sich die Besuchermassen recht schnell. Dschungelfeeling kommt auf. Kleine Pfade schlängeln sich durch die Anlage, zu allen Seiten von hohen, dichten Bäumen umgeben. Wir hören es rascheln und knacken, irgendwo heulen Brüllaffen. Kleine Äffchen bekommen wir sogar zu Gesicht.
Tikal war einst eine der bedeutendsten Städte der Maya. Machtwechsel, Repräsentationsbedürfnisse sowie aufwendige Begräbnisse waren vielleicht die Motive, um ständig neue, prachtvollere und größere Bauwerke zu schaffen. Man nimmt an, dass bisher nur der kleinere Teil der einstigen Stadt ausgegraben sei. Im dichten Urwald sollen noch etwa 50.000 weitere Bauten im verborgen liegen. Wie auch die Ruinen im mexikanischen Palenque wurde Tikal gegen Ende des 9. Jahrhunderts verlassen. Die Gründe sind bis heute unklar.
Wir setzen uns auf die Mauern rund um den zentralen Platz des großen Jaguartempels und lassen die Stimmung auf uns wirken. Außer uns ist fast niemand hier. Ist schon beeindruckend die großen Pyramiden vor uns zu haben und in der Mitte Stelen und kleinere Bauwerke zu bewundern. Wie muss es wohl hier gewesen sein, als Priester und tausende von Bauern, Dienern und so weiter hier herum wuselten?

Unser Frühstück nehmen wir auf Pyramide Nummer Vier ein. Dies ist für mich der absolut beeindruckendste Augenblick in ganz Tikal. Hoch oben, auf dem höchsten Punkt, haben wir den Dschungel zu unseren Füßen. In kurzer Entfernung schauen die Spitzen der anderen beiden Pyramiden aus dem grünen Teppich. Die Weite, die wir sehen ist zum Greifen nahe. Unbeschreiblich. Die Wolken bilden finstere Formationen. Wird heute der erste Regen einsetzen?

Wir steigen ab und rennen fast hinein in einen „Fuchs“ mit einer Nasenbärschnauze, der ungestört im herumliegenden Müll stöbert. Den restlichen Vormittag schlendern wir durch die alten Bauten. Wir treffen auf einen Pfau mit leuchtend blauen Kopf sowie auf Spechte und dann fängt es tatsächlich an zu regnen! Ein kurzer Nieselregen fällt. Am 13. Mai 2012 beginnt für uns die Regenzeit.

Am Abend quetschen wir uns müde zu unseren Rädern ins Hotelzimmer. Trotz durch gelegener Betten fallen wir sogleich in tiefen Schlaf.

Morgen werden wir wieder eine Grenze überspringen. Spontan haben wir uns entschlossen, das nahe Belize zu erforschen. Wenn wir schon einmal so nah dran sind, muss das doch sein!

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