Von Medellín nach Ipiales (Kolumbien/Januar 2013)

Auf Abwegen nach Manizales

Am 1. Januar machen wir uns zusammen mit den beiden Radlern Matt und Susi auf den Weg ins Hinterland südlich von Medellín.

Zunächst geht’s nur bis nach San Antonio de Prado hinauf, um uns vor’m Radladen CicloCampeón von Manuel und Martha von allen zu verabschieden. Viele Leute sind da, denn heute fahren auch Alex und Luís auf ihre große Reise. Sie wollen zum Flughafen radeln, nach Feuerland fliegen und dann bis nach Peru hinauffahren.

Zusammen mit ihnen und ein paar weiteren Rennradlern werden wir den heutigen Tag verbringen. In einer Meute mit viel Gejubel geht es voran. Wir müssen erst einmal Medellín kreuzen, um uns dann in 15 sehr anstrengenden Kilometern auf der Ostseite der Stadt den Berg hinaufzuarbeiten. Es ist heiß. Ich krieche nur so voran.

An einem Aussichtspunkt warten die Frauen und Kinder Luís und Alex seit geschlagenen drei Stunden auf uns. Wir werden zu einer Cola und einer arepa mit Käse (arepa con choclo) eingeladen. Super!

Dann trennen sich unsere Wege, denn wir vier wollen nach einen Schlafplatz Ausschau halten. Wir landen auf dem Acker einer netten Familie, die uns heißen Kakao anbietet. Endlich ist auch Zeit für Hardys Geburtstagskuchen und seine Geschenke. Er bekommt Schokolade, einen neuen Kompass, sowie zwei Spiele und freut sich.

Zusammen mit Matt und Susi fahren wir über Hinterstraßen durch schönste Landschaft und kleine, urige Dörfer. Die Abendsonne wirft weiche Strahlen auf schräge Erdhänge. Die magische Stunde hat begonnen. Im schönsten Licht erstrahlen Kartoffeläcker mit ihren ordentlich gezogenen Furchen. Auch riesige Erdbeerfelder gibt es. An einem kleinen Haus kaufen wir für den Abend gleich drei Kilo und füllen den Wassersack auf. Kurz darauf finden wir vor Mesopotamia einen sehr schönen Schlafplatz auf einem Hochplateau. Ich frage vorbeigehende Bäuerinnen, ob es in Ordnung sei, wenn wir hier zelteten. „Natürlich, das macht das Militär auch immer wenn es kommt, aber die fragen nie!“, ist die prompte Antwort.

Der folgende Tag geht gehörig in die Hose. Eigentlich wollen wir in Mesopotamia abbiegen, um auf einem kleinen Weg nach Abejorral zu gelangen. Auf unserer Karte ist er als eine gestrichelte Linie eingezeichnet.

Anscheinend nehmen wir die falsche Lehmpiste, wie wir nach Stunden feststellen. Zuvor geht es hoch und runter und wieder hoch und so weiter. Die Straße besteht aus Schotter, Lehm oder losen Felsbrocken und ist eigentlich als solche gar nicht zu benennen. An vielen Stellen müssen wir schieben. Teilweise ist sie so steil, dass Hardy und ich mit unseren schwer beladenen Rädern nur sehr sehr schwer vorankommen. Susi und Matt helfen uns mit schieben, ziehen oder zerren.

Irgendwann treffen wir auf zwei Männer, die am Wegesrand auf ein Ersatzteil ihres kaputten, schwer mit Kartoffeln beladenen Traktors warten. Sie bescheinigen uns dann die bittere Wahrheit: dies sei die falsche Straße. Sie führe bald zu einem Fluss und gehe dann über in einen sehr schmalen nicht zu befahrenen Weg, der nach Sonsón gelangen soll. Letzteres wollten wir eigentlich umfahren. Niedergeschlagen machen wir erst mal eine Pause und beratschlagen uns. Umkehren und alles noch einmal fahren? Darauf hat keiner von uns Lust, dann doch lieber den unbekannten Weg einschlagen.

Dieser ist noch härter und anstrengender als der vorherige Abschnitt. Als erstes erwartet uns eine deftige, sehr lange Steigung. Wieder schieben Hardy und ich unsere Räder mit vereinten Kräften und vielen Pausen den Hang Zentimeter für Zentimeter hinauf. Die Belohnung ist ein wunderschöner Ausblick auf die andere Seite der Berge. Wir sehen bereits die asphaltierte Straße nach Sonsón auf die wir wollen. Sie liegt allerdings ein gutes Stück entfernt und auf der anderen Seite des Tales. Das müssen wir erst mal kreuzen.

Dann wird der Weg wirklich zum matschigen Pfad. Auf diesem wäre Wandern schon anstrengend gewesen. Denn über Huckel und Buckel geht auf auf und ab. Teilweise ist der Pfad gar nicht vorhanden. Einer geht voran und lotet den besten Weg für die Räder aus. Viel schieben wir, eigentlich nur. Es geht über Privatgelände. Wir öffnen und schließen diverse Gatter. Dann schlängeln wir uns durch ausgewaschene Rillen, die so eng sind, dass Hardy und ich dauernd mit unseren Vordertaschen hängenbleiben und anscheuern. Zuguterletzt bauen wir sie ab und wuchten sie hinten auf unser restliches Gepäck. Nun passen wir vorne durch die Enge, haben dafür hinten ein enormes Gewicht, dass zu schieben und zerren ziemlich schwierig ist. Manchmal, wenn es bergauf geht, setzen sich unsere Räder auf ihr Hinterteil und strecken Lenker sowie Vorderrad in die Lüfte. Dann brauchen wir Hilfe, denn jeweils allein kriegen wir sie nicht auf die zwei Räder zurück. Einmal fällt Hardy fast einen steilen Hang hinunter. Zum Glück kann er sich sowie sein Rad gerade noch halten, bis ich ihm zu Hilfe eilen kann.

Es gibt so viele Abzweigungen. Wir nehmen mal wieder die Falsche und verlaufen uns. Matt ist schneller als wir und brettert die engen Lehmwege voraus, auf denen wir nur mühsam mit Susis Hilfe voran kommen. Wir sehen ein Haus vor uns und hören eine Frau schreien. Oh, Matt hat wohl Probleme bekommen, denken wir, nichts Gutes ahnend. Doch dann beginnt auch er zu schreien und macht uns mit Gesten deutlich wir sollen doch hinüberkommen.

So landen wir auf dem kleinen Hof vom alten Ehepaar Cecilia und Luís. Cecilia bringt uns immer noch schreiend einen heißen Kaffee herbei. Wir erfahren, dass sie hier alleine leben. Der Hof ist sehr abgeschieden, er kann nicht mit einem Auto erreicht werden. Cecilia unterhält sich anscheinend immer schreiend mit allen Personen, die sie auf den anderen Hängen zu Gesicht bekommt. In normaler Lautstärke reden kann sie gar nicht mehr. Luís wandert einmal im Monat zur geteerten Straße hinab, um per Bus in den nächsten Ort zu fahren, um Käse zu verkaufen und Lebensmittel einzukaufen. Diese werden dann mit Pferdeskraft zum Haus hinaufbefördert. Cecilia verlässt nur alle drei Monate das Anwesen. Ab und an kommt einer der Enkel vorbei, um Gesellschaft zu leisten. Sie ist erfreut über unseren unerwarteten Besuch. Wir werden mit weiterem Kaffee und panela (heißem Rohrzuckerwasser) überhäuft. Uns wird sogar Mittagessen gekocht. Auf unsere Frage, ob wir hier heute Nacht campen dürften, bezieht Cecilia gleich die alten Betten ihrer nun erwachsenen Kinder für uns. Hardy, Matt und Susi gehen im Abendrot mit auf den Hang die Kühe melken. Das kann Cecilia sehr gut. Mit geübten, muskulösem Händedruck quetscht sie an den Eutern der sich zu wehren versuchenden Kühe herum. Bei Hardy und Matt klappt es dagegen kläglich. Abends sitzen wir in der vom Herdfeuer geheizten Küche und werden wieder bekocht. Rund und gefüllt schwanken wir dann früh sehr geschafft in die Betten. Ein harter Tag war das.

Nicht ohne ein deftiges Frühstück mit Suppe, Reis, Kartoffeln, Spiegelei und chicharón (sehr eklige, fettige Schweinehaut) dürfen wir am Morgen das Haus verlassen.

Es geht weiter zur Sache auf schlechtesten Pfaden, aber zum Glück meistens bergab Richtung Fluss. Susi und Matt gehen baden, während Hardy versucht sich von seinen bereits beginnenden Verdauungsschwierigkeiten zu erholten. Er schiebt es auf das chicharón. Es kommt aus allen Öffnungen wieder heraus.

Leider geht es bei sengender Sonne weitere zähe Kilometer auf losem Schotter den Hang hinauf. Endlich auf der langersehnten asphaltierten carretera braucht Hardy eine Pause. Hier trennen wir uns von Matt und Susi, denn mit Hardys Magenbeschwerden sind wir sehr langsam unterwegs. Tatsache kommen wir heute auch nicht mehr weit, denn dauernd muss Hardy hinter Bäumen oder Häusern verschwinden. Ihm geht es wirklich schlecht. Neben einer Schule können wir für heute bleiben. Einen funktionierenden Wasserhahn finden wir auch. Vor dem Gebäude gibt es ein Fußballfeld. Es ist schön hier, Blumen schmücken das saubere Gelände. Kinder kommen und spielen, wir verziehen uns hinter die Schule. Zum Glück kommen sie nicht zu uns und lassen uns in Ruhe. Denn so können wir stundenlang herumliegen. Mir geht es inzwischen auch schlecht. Auch ich habe die Kotzerei bekommen, aber im hohen Bogen. Müde und mit schwacher Kraft baue ich kurz vorm Sonnenuntergang das Zelt auf, wir schleppen uns hinein, mehr geht heute nicht.

Am Morgen geht es Hardy besser, aber ich habe keine Energie. Für die 12km nach Sonsón brauchen wir zwei Stunden. Ein Hotel muss heute her. Ich bin fertig und will nur liegen. Auf dem Platz treffen wir Susi und Matt wieder und verabschieden uns von ihnen. Sie wollen weiter. Hardy findet bald ein Hotel und ich verschlafe den Rest des Tages.

Sehr anstrengend geht’s es auch am folgenden Tag zur Sache. Eine tiefe Schlucht trennt uns vom nächsten Örtchen, Aguadas. Um dorthin zu gelangen geht es lange auf Schotter steil bergab. Zuerst durchfahren wir Höhen, in denen Kaffee- und Bananenpflanzen angebaut werden. Je tiefer wir schlittern, desto wärmer wird es. Bald sind wir im Zuckerrohranbaugebiet. Hier ist es unerträglich heiß. Auf Schotter hinabzurollen, ist kein Vergnügen, insbesondere, wenn die Steinchen unter den Reifen wegrutschen. So einige Male verliere ich fast die Kontrolle über mein Rad und entscheide mich lieber zu schieben.

Unsere Handgelenke schmerzen, die Nackenmuskeln sind angespannt, als wir endlich das Ende der Abfahrt, den Fluss, erreichen. Im Schatten machen wir eine Pause und stärken uns mit Brot, Tomate, Käse und Bananen. 

Denn nun geht es bergauf. Zwei Stunden lang quälen wir uns super langsam die Serpentinen wieder hoch. Irgendwann soll ein Wendeplatz kommen. Ab diesem Punkt fahren wohl Busse die schmale Piste den Berg hinauf. Matt hatte uns eine Email geschrieben und uns sehr empfohlen diesen Bus zu nehmen.

Wir warten gut eine halbe Stunde auf die Ankunft einer escalera, eines alten, offenen, buntbemalten Busses, der neben den Fahrgästen auch alles mögliche transportiert. Die Räder kommen aufs Dach, das ist kein Problem, das Gepäck in die Sitzreihen. Wir müssen nichts extra bezahlen. Und sodann beginnt die zweistündige, sehr abenteuerliche Fahrt. Langsam kämpft sich der starke Motor auf der steilen, holprigen Piste hinauf. Er nimmt die volle Breite des Weges ein. Es staubt total, wir ziehen uns Tücher vor den Mund und die Nase. Zum Glück sitzen wir in der Mitte der Sitzreihen, so dass ich nicht sehen muss, wie nah die Räder an der steilen Abbruchkante der Piste entlang schrammen. An der anderen Seite nimmt der Bus immer wieder Pflanzen mit, deren Teile dann in den Innenraum fliegen. Ich denke, hoffentlich passiert den Fahrrädern nichts und hoffentlich stürzen wir nicht den Abhang hinab.

Der junge Busfahrer scheint recht geübt in seiner Tätigkeit, heil erreichen wir am Abend Aguadas. Von der Anstrengung und dem Durchgeschüttelt-Werden sind wir völlig fertig. Noch ein Hotel muss her. Auch ist es schon so spät, dass Hardy essen gehen möchte. Im Minihotelzimmerchen wäre das Kochen zudem kein Vergnügen. Mit Blick über den kleinen, bunt beleuchteten Platz des Örtchens lassen wir es uns von der Terrasse des Restaurants schmecken. Es gibt eine Suppe, frisch gepressten Saft und einen großen Teller mit Reis, Bohnenmatsche, Fleisch und frittierter Kochbanane.

Auf unserem weiteren beschwerlichen Weg passieren wir weitere kleine, wunderschöne Berg-Dörfer wie Salamina und Neira. Immerhin ist die Straße nun meistens asphaltiert. Die deftigen Steigungen lassen uns weiterhin ins schwitzen kommen und des Abends todmüde ins Bett fallen.

Auf einer dieser Steigungen hält plötzlich ein Auto neben uns. Zwei Gatorade-Flaschen werden uns durchs Fenster gereicht. Drinnen sitzt Mauricio mit seinem Sohn. Er lädt uns nach Manizales ein. Wir könnten bei einem Freund von ihm wohnen, der auch Fahrradfahrer sei, sagt er. Auf einem Zettel erhalten wir Telefonnummern. Wir freuen uns sehr und versprechen uns zu melden.

Manizales

So landen wir schließlich am Ende dieser anstrengenden einwöchigen Etappe im Hause von Vacho, am Rande Manizales. Der große, rundliche Vacho fuhr vor einigen Jahren mit den Fahrrad hinunter bis nach Argentinien und wieder hinauf bis nach Brasilien. Nun schraubt der Mechaniker an seinen Motorcrossrädern ‚rum und liebt es mit seinen Freunden damit durch die Kante zu düsen.

Wir bekommen im Wohnzimmer eine Matratze auf den Boden gelegt und finden diese urgemütlich. Dennoch erheben wir uns, um uns die Stadt anzusehen. Auf dem Kamm von zwei Bergen zieht sich die Stadt Manizales entlang, die ärmeren Stadtbezirke kleben an den Hängen. In diesen Tagen ist feria, Volksfest. Erstmals finden diverse sportliche Wettkämpfe wie zum Beispiel ein Seifenkistenrennen statt. Zuvor soll es laut unseres Gastgebers nur den von den Spaniern hergebrachten, brutalen Stierkampf gegeben haben. Von Kindern werden in bunten Trachten Folklore dargeboten.

Salento

Nach Salento gelangen wir recht fix auf der Panamericana voran, denn eine sagenhafte Abfahrt auf einem breiten Seitenstreifen lässt uns fliegen. Wir sind nun froh zuvor den harten Schlenker gemacht zu haben, denn so erfuhren wir viel mehr von der berühmten Kaffeeregion, der zona cafetera, als nur von der Schnellstraße aus.

Im kleinen, aber sehr touristischen Ort Salento wimmelt es nur so von Menschen, denn es ist Wochenende. Wir schlagen unser Zelt im Garten eines Hotels auf und begeben uns zusammen mit anderen Touristen per Jeepfahrt ins nahe Valle de Cocora, dort gibt es die Wachspalmen zu bestaunen, das Wahrzeichen Kolumbiens.

In den zarten Strahlen der aufgehenden Sonne erscheinen die dünnen, langen Palmen magisch. Sie wachsen zahlreich an den offenen Berghängen.

Armenia

In Armenia besuchen wir unsere Freundin Diana. Bei ihr lebte Hardy lange Zeit in Bogotá, als er sich von den Folgen seines Sturzes erholte. Genau in dieser Zeit hatte Diana ebenfalls einen Unfall, allerdings mit ihrer Vespa. Nun wohnt sie für einige Wochen bei ihren Eltern und macht Physiotherapie. Auf Krücken kann sie schon wieder laufen. Diese versteckt sie aber auf jedem Foto hinter ihrem Rücken.

Mit einem Taxi fahren wir ins Zentrum, dort zeigt uns Diana alles was es zu sehen gibt. Vor einigen Jahren war Armenia während eines Erdbebens fast völlig zerstört worden. Jegliche Gebäude wurden in Rekordzeit wieder aufgebaut, nicht besonders schön, aber alles steht wieder. Daher kommt auch der Beiname Stadt der Wunder. In einer Eisdiele lassen wir uns einen Fruchtsalat schmecken und quatschen über die vergangenen Wochen.

Buga

Von Armenia geht es hinab ins Valle de Cauca, das Tal, in dem sich der gewaltige Fluss Cuaca entlang windet. Wir kommen gut voran und schaffen über 100km. Bereits als wir den Ort Tulúa durchfahren fällt uns auf, dass hier wieder wie in Zentralamerika die Läden sowie die Fenster mit dicken Metallgittern verrammelt sind. Verkauft wird durch das geschlossene Gitter, man kann den Laden selbst nicht betreten. Auch später in Buga ist dies so. Eine Nonne in der Kirche erklärt uns, dass es insbesondere in Tulúa gefährlich sei.

Heute wollen wir bei der Feuerwehr schlafen. Das geht wohl gut, haben wir in einem Blog einer anderen Radlerin gelesen, die hier vor etwa zwei Jahren entlangfuhr. Doch der freundliche Rezeptionist sagt dies sei nun verboten, es gäbe einen neuen Kommandant. Aber er weiß Rat und ruft einen bekannten Radler an. Jonathan erscheint eine Viertelstunde später auf seinem Fahrrad. Lustig, auch er war einst in der casa de ciclistas in Medellín zu Besuch. Ich hatte im Gästebuch ein Foto von ihm gesehen. Jonathan quartiert uns bei seinem Freund Walter ein. Zusammen gehen wir Abends eine sehr leckere Pizza essen.

Auch den folgenden Vormittag verbringen wir mit Jonathan. Er arbeitet als Rettungsschwimmer in einem Erholungspark und läd uns ein. Es ist fast nichts los und so hängen wir gemeinsam im Pool unter der warmen Sonne ab oder probieren die gewaltige Wasserrutsche aus. Der Blick wandert auf die uns umgebenden Zuckerrohrfelder und die dahinter liegende Bergkette.


Bolo

Mittags raffen wir uns auf und treten noch rund 50km in die Pedalen. Obwohl es unerträglich heiß ist, bin ich froh die Zuckerrohranbauregion zu sehen. Auf immensen Feldern wird dieses hier angebaut. Kleine Flugzeuge kreisen über ihnen, um Insektizide zu versprühen. Aus den Feldern rollen gigantische Lastwagen mit vier Anhängern bis unter die Unterkante beladen mit Zuckerrohr auf die Panamericana in die nahe Fabrik. Sie werden als trenes, als Züge benannt.

Im Miniort Bolo, indem es nicht einmal ein Hotel gibt, fragen wir in der kleinen Kirche nach Unterkunft und werden von der freundlichen Schwester in die nahe Ecoaldea Nashira geführt. Das ist ein Projekt, geleitet von Frauen, indem rund 260 Menschen leben, zumeist Frauen mit ihren Kindern. Es wird Obst und Gemüse angebaut. Es gibt eine Wasserfilteranlage, ein Kompostklo, Hühnerhaltung und eine Recyclinganlage. In kleinen Reihenhäusern leben die Familien. Wir zelten in einem Bananenhain und unterhalten uns noch lange mit ein paar Frauen.

Popayán

Auf unserem Weg nach Popayán verlassen wir die heiße Tiefebene. Der Zuckerohranbau nimmt ab, Reis kommt hinzu. Auf einem abgelegenen Stück Einöde halten zwei Polizisten auf einem Motorrad neben uns an. Sie wollen uns eskortieren, damit uns nichts passiere, denn hier sei es gefährlich. Sie fahren etwa 5km hinter uns her, bis wir das nächste Dorf, bzw. Leben erreicht haben, dann drehen sie ab. Das ist das erste Mal, dass uns so etwas passiert.

In Santander de Quilichao schlafen wir bei John Javier (warmshowers) und seiner Familie. Er räumt extra für uns sein Zimmer. Wir finden diese Familie sehr interessant, besonders die kleinen Eltern. Seit Guatemala erleben wir zum ersten Mal, dass sich nicht in Spanisch, sondern in einer indigenen Sprache unterhalten wird. Wir verbringen den Abend zusammen und bieten unseren Nudelsalat an, so etwas kennen sie noch nicht.

Danach nimmt die Steigung zu. Die folgenden 80km sind harte Arbeit, dafür ist es angenehm kühl. Am Spätnachmittag erreichen wir müde Popayán. Wir sind an der Plaza de Torros mit unserem Gastgeber verabredet. Die beiden Brüder David und Fernando (warmshowers) leben in einem ärmlichen Randbezirk der Stadt. Bereits als wir zur Plaza fahren, sagt man uns, wir sollen bloß nicht weiter radeln, es sei zu gefährlich. Und auch als wir mit Fernando zu seinem Haus gehen, kommt uns ein Mann hinterher und sagt das selbe. Fernando meint, die Leute kennen ihn und David hier, wenn wir mit ihnen gingen sei das okay. Hier im Bezirk sei es recht ruhig, noch weiter oberhalb, da sei es gefährlich, da ginge auch er nicht hin. Wir sehen wieder mit Gittern verrammelte Läden. Ein paar Polizisten fahren auf Motorrädern in den barrio, die Hand an der Waffe.

Wir wohnen bei den beiden wirklich liebenswerten Brüdern, die in einem dieser typischen Häuser, die nur zur Straße hin einen Lichteinfall haben und sich sonst wie ein dunkler, stickiger Schlauch entlangziehen. In diesem Haus lebt auch noch Fernandos Sohn. Zwei Zimmer sind voll mit Sperrmüll. Ein Zimmer wird sich geteilt von einer Mutter mit ihrem pubertierendem Sohn. Dauernd laufen Leute hin und her, wir blicken nicht so ganz durch. Auch nicht, wo wir denn schlafen sollen. Denn es gibt keinen Platz für uns im ramschigen Künstlerhaus. Wir müssen bis spät nachts warten, bis das stickige Computer-Filmguckzimmer frei wird und wir die Isomatten dort ausbreiten können. Das ist nicht ganz unsere Zeit. Sonst gibt es auch nichts, wo man abhängen könnte. Alles ist dreckig, insbesondere die Küche und vom Bad will ich gar nicht reden. Schade für uns, denn die Bewohner scheinen sich ja hier wohl zu fühlen und sind auch sonst sehr sehr nett. Nachdem uns die Freundin von David in einer sehr ausführlichen Stadtführung alles gezeigt hat, beschließen wir, dass wir so unausgeruht sind, dass wir nicht weiterfahren wollen und ziehen in ein Hotel um. Das saubere und gemütliche Bett und Bad lässt große Freude aufkommen. Hier können wir endlich ausspannen.

Auf dem Weg nach Ipiales

Ganze sechs Tage benötigen wir, um uns über die Berge nach Ipiales zu arbeiten. Die Landschaft ist toll, endlich sind wir in den richtigen Anden. Die Berge werden schroffer und gewaltiger, sind aber immer noch mit grün überzogen. Toll ist es, wir genießen die Ausblicke.

Das Militär patrouilliert besonders viel auf diesem Abschnitt der Panamericana. Wir sehen Soldaten auf Motorrädern schwer bewaffnet an uns vorbei fahren. Am Straßenrand werden Autos und Lastwagen kontrolliert. Plakate werben für den Frieden, Guerilleros werden aufgefordert an ihre Kinder zu denken und ihre Waffen abzugeben.

Oft stehen auch sehr junge Soldaten am Straßenrand, das Maschinengewehr im Arm. Sie lächeln uns und den Autofahrer zu und heben den Daumen hoch. Das ist ein komisches Bild. Es heißt soviel wie „alles in Ordnung, ihr könnt weiterfahren“. Wir erfahren, dass einst das Militär ein sehr schlechtes Image hatte, da es im Kampf gegen die Farc unter anderem Zivilisten tötete, diese als Guerilleros verkleidete, um Erfolge aufzuweisen. Nun wird an einem Imagewechsel gearbeitet. Tatsache, so freundliche Soldaten haben wir selten erlebt. Uns scheint, dass das Militär im Gegensatz zur Farc heute ein positives Ansehen genießt. Oft wird uns erzählt, das es hier nur sicher sei, da so viele Soldaten vor Ort wären. Von den Leuten mit denen wir sprechen erfahren wir, dass die Farc in ihrem brutalem Kampf sowie ihren Drogengeschäften bei der Mehrheit der kolumbianischen Bevölkerung verspielt zu haben scheint.

Des öfteren sehen wir Jeeps der Ärzte ohne Grenzen an uns vorbeifahren. Weiße Flaggen wehen aus ihren Fenstern auf denen auch Abbildungen mit durchgestrichenen Waffen zu sehen sind.

Uns fällt die Vielzahl der Motorradreisenden auf der Panamericana auf. Dauernd kommen uns welche entgegen oder überholen uns. Nur wenige grüßen.

Auf die beiden Reiseradler Erec und Candice aus den USA treffen wir, als sie ’nen Platten haben. Die beiden wollen nachdem sie Argentinien erreicht haben auch Afrika, Europa und Asien beradeln. Hardy wird mal wieder neidisch, als er das hört. Seine Augen flimmern und er macht die wildesten Routenpläne um unsere Rückreise zu verschieben.

An meinem Hinterreifen macht es plopp, plopp, plopp. Wir sehen nach und sind von der Qualität dieses Continental-Mantel enttäuscht. Am Felgenansatz hat sich der oberste Layer aufgeribbelt. Der Reifen ist doch noch nicht alt, wir hatten ihn in San José/Costa Rica erst aufgezogen. Abgefahren ist er auch noch nicht. Schade, aber er kommt in die Tonne und einer unserer beiden Ersatzmäntel muss her.

Auf einem sehr kargen Abschnitt wird es trotz der Höhe über 40 Grad heiß. Alles ist trocken. Hier wachsen wieder Kakteen. Vor einem Haus werden auf schwarzen Planen Erdnüsse in der Sonne getrocknet. Hardy möchte welche kaufen und bekommt eine Tüte voll geschenkt.

Direkt am Straßenrand sitzen unter kleinsten Plastikplanenholzhäuschen alte, arm aussehende Frauen, die Gesichter von der Sonne gegerbt. Als wir sowie anderer Verkehr uns nähern, stehen sie wackelig auf ihrem Stock gestützt auf und bitten mit einem herzzerreißendem Stimmchen um Geld. Hardy gibt einer Frau Etwas. Sie hat Glück, sie ist die erste. Es folgen noch weitere. Zwei Frauen haben sogar schlaff ein Seil über die Straße gelegt und spannen es, als ein LKW naht. Dieser geht nicht vom Gas runter und sie lassen es wieder sinken.

Hier in Grenznähe sehen die Häuser verfallener und runtergekommener aus. Der Anteil der indigenen Bevölkerung nimmt zu. Wir hören die Menschen kein Spanisch reden. Unsere Freunde die Gringo-Rufe und das Angegafftwerden nehmen wieder zu.

Ipiales

Ipiales ist eine sehr hässliche Grenzstadt vor der wir gewarnt wurden. Tagsüber ist der Strom lahmgelegt, keine Ampel funktioniert. Wir hören das laute Brummen vieler Generatoren. Auf dem Platz bewacht lieber Hardy die Räder, derweil ich auf Hotelsuche gehe, zu viele komische Gestalten lungern herum. Bald wird er auch schon von drei betrunkenen Kerlen angesprochen, die sind aber nett. An Hotels gibt es nur Bruchbuden, in manche Gassen gehe ich lieber gar nicht erst rein. Ich finde eines, indem es sich aushalten lässt, wir wuchten die Räder und das Gepäck die Treppe hinauf. Dann will der Portiere doch tatsächlich mehr Geld haben, da wir die Räder mit aufs Zimmer nehmen. Wir sagen, dann gehen wir eben wieder und er gibt nach.

Schnell sputen wir uns dann, denn wir wollen uns die nahe Kirche Las Lajas ansehen. In der Schlucht soll einem taubstummen indigenen Mädchen einst die Jungfrau begegnet sein, woraufhin sie geheilt wurde. An dieser Stelle wurde dann das Sanctuario Las Lajas errichtet, eine gewaltige Kirche im gotischen Stil. Viele Dankestafeln schmücken den Weg zur Kirche. Es ist brechend voll. An einer Figur, die Wasser spuckt, wird sich heiliges Wasser in große Plastikflaschen Schlange stehend abgefüllt. Die Kirche ist ein beeindruckendes Bauwerk, sie thront auf einer Brücke über dem Fluss in der tiefen Schlucht.

Ipiales ist noch für etwas anderes berühmt. Eine Spezialität sind auf einem Spieß gebratene cuys. Ein Meerschweinchen kostet hier jedoch 30.000 Pesos, ungefähr 13 Euro. Das ist uns, bzw. Hardy zu teuer. Er wird auf Peru warten und es dort ausprobieren.

Vier Monate sind nun vergangen, seit dem wir in Kolumbien eingereist sind. Bis jetzt ist es das Land, indem wir uns am Längsten aufgehalten haben sowie eines unserer Favoriten. Besonders die Menschen hier mit ihrer offenen und herzlichen Art sind uns ans Herz gewachsen.

Wir haben selten wild gezeltet, da uns die Bevölkerungsdichte zu groß erschien und haben uns stattdessen oft bei netten Familien eingeladen und interessante Konversationen geführt. Fast immer waren die Leute an unser Wohl bedacht und stark daran interessiert, dass wir ein positives Bild von Kolumbien in die Welt tragen.

Von der Farc haben wir auf unserer Route anhand der starken Militärpräsenz nur indirekt mitbekommen. Wir haben uns von den immer noch schwelenden Konflikten nicht bedroht gefühlt.

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