Ruta de las Lagunas: heftiger Dauerwind in der Wüste – von San Juan de Rosario nach San Pedro de Atacama (Bolivien-Chile / September 2013)

Die Lagunenroute – die LAGUNENROUTE. Seit Beginn unserer Reise sprechen wir davon. Unter Jeeptouristen berühmt, unter Reiseradlern berüchtigt, soll eine Strecke von nur 350km ab dem Südrand des Salar de Uyunis bis nach Chile auf permanent über 4000m, durchzogen von Lagunen gefüllt mit Flamingos, Gipfel an die 6000m, Einsamkeit, Weite und schlechteste bis nicht vorhandene Sandpisten, sowie eine stetige Unterversorgung mit Wasser und fast ohne Einkaufmöglichkeiten ein besondere Erfahrung ermöglichen, die wir wohl so seit Anfang unserer Reise noch nicht hatten. Es heißt sich gut vorzubereiten, Kartenmaterial zu besorgen und vor allen Dingen ausreichend Lebensmittel einzupacken.

Wir sind tierisch gespannt und freuen uns diesen vermutlich herausragenden Abschnitt unserer Reise endlich anpacken zu können.

1.Tag: San Juan de Rosario – 5km vor dem ersten Pass (53,7km, 5:32h)
Gut gelaunt verlassen wir mit vollgepackten Rädern das kleine San Juan. Momentan schleppen wir Wasser für zwei Tage mit, das macht 16l. Essensvorräte für elf Tage kommen hinzu. Die Packtaschen sind voll bis obenhin, die Fahrräder super schwer.

Auf festen Pisten eines ausgetrockneten Salzsees kommen wir den vielen Jeepspuren folgend auf den ersten 30km flott voran. Die Farben werden vom blauen Himmel und brauner Erde dominiert. Alles ist super trocken, kein Pflänzchen in Sicht. Die Luft vibriert. Wie in einem Sciencefiction-Film „fliegen“ fern in der flimmernden Luft ein paar Jeeps mit neugierig aus ihren dreckigen Fensterchen rausschauenden Touristen vorbei.

Hinter dem mini Ort Chiguane queren wir die Schienen. In vergangenen Zeiten lebte das ganze Dorf von der Eisenbahn. Heute sind nur noch sehr wenige Häuser auszumachen.

Mit Verlauf des Nachmittags wird es zunehmend sandiger und steiler. Loses Geröll erschwert zu dem horrenden Gewicht der bikes das Vorankommen. Den Hauptteil der Steigung hinauf zum ersten Pass auf 4200m schieben wir im Schneckentempo. Der Gegenwind nimmt zu und kühlt aus. Ich brauche viele Verschnaufpausen. Hardy ist weit voraus, keine Ahnung wie er das bewerkstelligt. Meine Kraft ist am Ende, als gegen 17h Hardy endlich auf mich wartet. Er hat am Wegesrand einen aus Steinen gebauten Windschutz gefunden. Unser Zelt passt zum Glück geradeso hinein. Wir machen Schluss für heute, bauen unsere Behausung auf und spannen die Sturmleinen. Schnell wird im Vorzelt ein heißer Tee gekocht, denn es wird geschwind kalt.

2.Tag: 5km vor dem ersten Pass – kurz vor Laguna Hediona (37,3km, 5:16h)
Als wir um 8h losrollen wärmt die Sonne bereits ein wenig. Es sind 3,5 Grad Celsius. Aus Faulheit hat Hardy überflüssige Wasserflaschen in der Nacht am Fahrradrahmen gelassen, diese sind heute komplett durchgefroren.
Mit neuer Energie können wir die letzten Kilometer bis zum Pass heute sogar fahren. Dennoch dauert es auf den losen Steinen, die mit Sand durchsetzt sind, über eine Stunde, bis wir ihn erreicht haben.

Es geht hinab, vorbei an tollen rötlichen Felsformationen. In der Ferne sehen wir bereits die Autos auf der internationalen Straße dahingleiten. Nach Schlittern und Schieben durch tiefen, feinen Zuckersand entpuppt sich diese als eine sich im Bau befindende Schotterpiste. Baumaschinen und die ersten Jeeps arbeiten sich an uns vorbei. Wenigstens ist der Untergrund recht hart, so dass die folgenden 10km fix vorübergehen.

Wir biegen nach Westen ab, um den nächsten Pass auf 4300m zu erklimmen. Die Beschaffenheit des Bodens ist in einem schlechten Zustand zudem ist die Piste hier sehr eng und natürlich jetzt muss die heutige Welle der Jeeps kommen. Mich stresst das sehr. Ich steige ab und schiebe und zerre, wenn sie sich eng an mir vorbeischieben. Hardy fährt mit einer gelassenen Ruhe einfach ganz cool vor den Fahrzeugen ohne ihnen gleich Platz einzuräumen. Es ist anstrengend und ätzend. In so blöden Momenten gibt es plötzlich neue Motivation, wenn sich ein Fenster öffnet und Jemand mit breitem amerikanischen Akzent mir zuruft: „Du schaffst das !“

Zum Mittagessen erreichen wir die Laguna Cañapa. Neben vielen Jeeps und fotografierenden Touristen machen wir es uns so gut wie es geht im Windschatten einiger vollgeschissenen Ruinen bequem und hauen rein. Flamingos stehen im seichten Wasser. Ein Fuchs lauert auf die herumliegenden Abfälle. Eine imposante Windrose bildet sich über der Lagune und zieht den Hang hinauf ab. Das beeindruckt uns sehr.

Mit zunehmenden Nachmittagswind schwingen wir uns wieder auf die Sättel, um uns ein paar Kilometerchen zum folgenden Pass voranzukämpfen. Der Wind bläst nun von der Seite. Ich bin noch nie in solch einer Schräglage gefahren.
Heute suchen wir lange nach einem Zeltplatz, der wenigstens einen kleinen Schutz vor dem tosenden Wind bietet. Wir finden ihn, als wir neben der Piste einen kleinen, trockenen Salzsee queren und uns direkt an den Berghang quetschen.
In diesen Tagen bekommen wir die Rechnung damals in Las Vegas eben kein 4-Jahreszeitenzelt gekauft zu haben. Nur mit einem Innenzelt aus Moskitonetz wird es nachts eisig kalt. Das abendliche aus dem Schlafsackpellen, um draußen unter dem schönsten Sternenhimmel im eisigen Wind pissen zu gehen, wird zur Qual. Zudem weht uns der Sturm ganze Böen aus Sand hinein. Regelmäßig ist alles voller feinem Sand: Von den Isomatten und Schlafsäcken bis hin zu den Zahnbürsten. Sand knirscht zwischen den Zähnen und schmerzt in den Augen. Außerdem macht der Kocher aufgrund des schmutzigen Benzins Mucken. Hardy reinigt ihn vor jedem Benutzen, wobei dies in Gänze erst wieder in San Pedro de Atacama möglich sein wird… So vergehen in der Höhe 40min bis 2l Wasser kochen.

3. Tag: kurz vor Laguna Hediona – 5km vor dem Hotel de Desierto (35,2km, 5:24h)
Zu meiner großen, moegenmuffeligen Freude brechen wir an diesem eisigen Morgen noch in der Dunkelheit das Wasserkochen ab, da der Kocher mal wieder verstopft ist. Es gibt Haferflocken mit kalten Wasser. Die essen wir schweigend noch in den warmen Schlafsäcken sitzend.
Schnell kommen wir an der Laguna Hediona an. Die Flamingos grasen bereits im Wasser. Wir haben sie ganz für uns allein und verweilen lange am Ufer. Die Ecolodge, ein nahes heruntergekommenes Hotel, hat noch geschlossen, aber bereits am frühen Morgen kommt ein Jeep herangefahren. Wir kommen mit dem Fahrer und dem Koch ins Gespräch. Sie fahren vier Tage lang zwei japanische Touristen durch die Kante und werden heute in Uyuni ihre Tour beenden. Eigentlich wollen wir Wasser aus der super salzigen Quelle an der Lagune filtern (Achtung – das soll dann immer noch zu salzig zum Trinken sein!), bekommen jedoch 2l Trinkwasser, sowie Orangen, Brot und Schokoladenbonbons geschenkt! Darüber freuen wir uns wie die kleinen Kinder.

Zu den folgenden drei Lagunen geht es auf und ab. An diesem Morgen sind wahnsinnig viele Jeeps unterwegs. Wir machen uns einen Spaß draus und fangen an sie zu zählen. Insgesamt werden es heute 61. Sie sind mit zwei bis sechs Touristen besetzt. Man kann sich vorstellen, dass es an den Fotopunkten, an denen die Touristen mal ein paar Schrittchen laufen dürfen, nur so von ihnen und den surrenden Kameras wimmelt.

Es windet heute kontinuierlich, entweder von der Seite oder von hinten. Wir haben erst 11km zurück gelegt, als der Wind schon wieder barbarisch stürmt. Es folgen anstrengende Passagen durch tiefen Sand und Wellblech. Wir schieben den folgenden Pass hinauf. Oben ist der Wind, obwohl von hinten kommend, zu heftig zum Radeln. Hardy versucht es immer wieder, muss aber voll in die Bremsen gehen, um nicht von einer starken Böe erfasst zu Boden zu fliegen. Ich steige schon gar nicht mehr auf. In solchen Situationen muss ich auch beim Schieben beide Beine fest in den Boden rammen und mein volles Gewicht gegen die Kraft des Windes einsetzten, um das Fahrrad neben mir halten zu können. Den Kopf abgewandt, wird einfach nur abgewartet und weiter geschoben. Wir schieben kilometerweit stur vor uns hin. Laute Musik plärrt in den Ohren, um das Rauschen des Windes zu übertönen. Jeder kämpft für sich allein und ist in seiner eigenen Gedankenwelt.

Wir bewegen uns durch riesige Sanddünen in verschiedenen Farben. Seit über einer Stunde schon suchen wir nach einem Schlafplatz. Der Wind tobt, Sand wird aufgewirbelt. Um 17h kreuzen wir eine der vielen Jeepspuren, die die Landschaft durchpflügen und ich sehe ein paar hundert Meter entfernt eine Felsformation, die einen gewissen Windschutz bringen kann. Leider dreht der Wind in der Nacht und rüttelt nur so am Stoff des Zeltes. Ich wusste nicht, dass es quietschen kann.

4.Tag: 5km vor dem Hotel de Desierto – Árbol de Piedra (36,3km, 5h)
Morgens ist es bitter kalt. Wenn die Zahnbürste gefroren ist und erst im Mund langsam auftaut, ist dies der Moment, an dem man endgültig wach wird. In solch‘ lieblichen Momenten verkündet Hardy immer wieder sein neuestes Motto: „Wir werden es überleben!“
Es stürmt immer noch. Mit vier Händen wird vorsichtig das Zelt abgebaut, jeder Handgriff vorher besprochen. Minus vier Grad Celsius sind es, als wir um 7:30h auf sandigem Wellblech losrollen. Bald schieben wir wieder gegen den Wind.

Den im Frühstücksraum des Hotel de Desierto sitzenden Gästen müssen wir, uns in Zeitlupe heranschiebend, durch die Panoramafenster ein tolles Bild geboten haben! Jedenfalls wissen schon alle Bescheid, als wir endlich eintreffen. Wir werden super freundlich von den Mitarbeitern begrüßt. Problemlos dürfen wir die Wasserflaschen mit Trinkwasser auffüllen und werden zu einem Kaffee eingeladen!

Schiebend durch Sand und Geröll arbeiten wir uns dann die folgenden 4km voran. Jeep Nummer 26 und 27 halten an, heraus springen zwei Franzosen, die uns begeistert aus allen Richtungen abfotografieren. Nach einem kurzen smalltalk springen sie zurück und hinterlassen nur eine Staubwolke. Wir packen die Lenker fest an und schieben weiter.
Der Wind dreht. Mit 10km/h schiebt er uns auf tiefer, sandiger Wellblechpiste bergauf! Dabei können wir eine sanfte Rückenmassage durch prasselnde Steine genießen. Kommt der Wind nur leicht von der Seite, geht gar nichts mehr. Wir schieben im 45 Gradwinkel.
In einer Felsnische essen wir Mittag und nutzen dann den unverhofften Support, um weitere 20km geschoben zu werden. Der Wind ist so stark, dass wir den Schwung ausbremsen. Wir werden nach links und rechts gepustet und müssen aufpassen nicht hinzufallen. Völlig fertig und verkrampft kommen wir an den beeindruckenden Felsformationen rund um den Árbol de Piedra an.
Wir können die surrealen Gebilde in der weiten, wüstenartigen Landschaft nicht genießen, denn Sandstürme peitschen uns ins Gesicht. Fluchtartig verschwinden wir uns duckend hinter dem ersten Fels. Wir haben keine Kraft mehr. Nach einer intensiven Recherche hinter jeden Felsen findet Hardy einen relativ geschützten Platz. Es ist früher Nachmittag, wir brechen hier ab für heute. Wieder ist ein Tag geschafft, wir machen drei Kreuze, als wir im Zelt sitzen.

5. Tag: Árbol de Piedra – ausgetrocknetes Flussbett am Südende der Laguna Colorada (32,7km, 3:44h)
Kurz nach dem Sonnenaufgang können wir endlich diesen super schönen Ort genießen. Die ersten zaghaften Sonnenstrahlen wärmen uns in der Kühle des Morgens. Durch den Wind wurden die Felsformationen rund um uns herum irre ausgehöhlt. Tolle Stimmung!

Auf der sehr sandigen Piste passieren uns in der morgendlichen rushhour die ersten 20 Jeeps des Tages. Bereits jetzt werden wir eingestaubt. Zu unserer Freude hält der Fahrer von Jeep Nummer 6 an und schenkt uns zwei Lutscher. So eine kleine Geste bewirkt Wunder.

Am Nordufer der Laguna Colorada beginnt der Nationalpark Eduardo Avora. Wir müssen uns registrieren lassen und erhalten für 15 Euro ein Ticket für insgesamt vier Tage Aufenthalt. Der junge Ranger ist besorgt. „Der starke Wind hat fast das ganze Wasser in der Lagune weggeblasen“, erzählt er uns während wir die Wasserflaschen auffüllen. Tatsache, die berühmte Laguna Colorada macht einen traurigen, ernüchternden Eindruck. Große Flächen sind ausgetrocknet und nur leicht weißlich und rostrot anzusehen.

Am nahen refugio, das uns an eine sehr heruntergekommene Jugendherberge erinnert, machen wir im Windschatten des Hofes halt und essen ein zweites Frühstück.
Wieder kämpfen wir uns im Wind voran. Ich habe heute kaum Kraft, Hardy fährt weit voraus.
Am Südende der Lagune beginnt die 21km lange Steigung auf 4900m hinauf. Mit diesem krassen Gegenwind hat es keinen Sinn auch nur hinauf zu schieben. Weiter oben fänden wir eh nichts zum Zelten. So brechen wir mal wieder am frühen Nachmittag ab und schieben die Räder in einen ausgetrockneten Canyon hinein. In einer Felsnische neben aufgetürmten Schneebergen gibt es einen guten Zeltplatz. Es ist kalt. Seit Tagen setzen wir unsere Mützen nicht mehr ab.

6. Tag: ausgetrocknetes Flussbett am Südende der Laguna Colorada – Laguna Chalviri (44,9km, 5:42h)
Heute morgen sind es um kurz nach 7h minus 3,7 Grad Celsius, als wir in der tollen Morgenstimmung aus „unserem“ Canyon herausschieben. Gleich geht die Steigung los. Die Piste ist von unerwartet guter Qualität. Der Wind lässt netterweise die ersten zwei Stunden lang auf sich warten. Wir kämpfen uns, überholt von diversen Lastwagen und Jeeps, auf der Schotterpiste hinauf auf 4800m. Mal geht es gut, mal ist es sehr steil, mal kommt der Wind von der Seite, dann müssen wir schieben.
Auf matschigen Abschnitten rollen wir durch imposante Eisfelder. Meterhoch breiten sich um uns herum die Überreste des letzten Wintereinbruches aus. Das Tauwetter und der Wind haben imposante Zacken in den Schnee geformt.

Am Mittag haben wir es endlich geschafft. Schon der Geruch nach Schwefel verrät uns, dass wir in der Nähe der brodelnden Geysire Sol de Manana sind. Wow! Es raucht und qualmt und stinkt total. Ein sehr beeindruckender Anblick!
Wir sitzen bestimmt ein Stunde im Windschatten von ein paar Steinen, ruhen uns aus und beobachten die Szenerie, bevor wir uns wieder auf den Weg machen, um den höchsten Punkt dieser Runde anzugehen.

Am Pass auf 4926m jubeln wir in den tosenden Wind hinein. Wir fühlen uns wie die Könige.
Nun geht es für heute nur noch bergab. Da ganze auf einer kopfsteinartigen Piste, ich fühle mich wie auf der Via Apia. Wir holpern voran. Es schmerzt im Nacken und den Handgelenken.

In sanften Pastelltönen nähern wir uns der Laguna Chalviri. Wunderschön liegt sie da. Ein paar Flamingos stehen am Ufer. Uns reicht es. Wann kommt denn endlich das Restaurant Polques? Von anderen Radlern haben wir gehört, dass hier kostenlos im Essenssaal die Isomatten ausgebreitet werden könnten. „Eigentlich ist das jetzt nicht mehr möglich, da nebenan ein kleines Hotel gebaut wurde“, erfahren wir vom netten Besitzer. Da es aber heute Nacht ausgebucht sei, wird für uns eine Ausnahme gemacht. Ich verschwinde sogleich im warmen Schlafsack im windgeschützten Frühstücksraum. Ich bin so fertig, dass Hardy allein um 20h zum Abendessen gehen muss und auch allein beim aufgehenden Vollmond in die heißen Thermalquellen gleich neben der Lagune springt.

7. Tag: Laguna Chalviri – Laguna Blanca (34,8km, 3:51h)

Das Wetter hat sich verändert, Wolken verdecken den sonst strahlend blauen Himmel. Sogleich kommt eine düstere Stimmung auf. Alles wirkt noch rauer und karger, gewaltiger und bedrohlicher. Früh morgens brechen wir auf und bekommen von der freundlichen Hotelmami noch eine Ladung Pancakes mit auf den Weg.

Wir fühlen uns wie auf der Autobahn. Dschum, dschum macht es in den ersten 10km ganze 32 Mal, während Jeeps im Sand an uns vorbeibrettern. Sie hinterlassen nichts als Lärm, Gestank und Staubwolken. Sie halten nicht einmal am Desierto de Dali an, wieder einmal fantastische, surrealen Felsformationen.

Noch anfangs fahrend, sehr bald schiebend, arbeiten wir uns hinauf zum Paso de Condor auf 4726m. Sehr starker Gegenwind macht uns das Leben schwer. Kurz vor dem Pass werden Sandkörner und kleine Steine durch die Luft gepeitscht, die insbesondere im Gesicht sehr weh tun. Immer wieder bleiben wir stehen und drehen die Köpfe aus der Windrichtung, kommt uns eine Böe entgegen geflogen. Genau fährt ein laut hupender Jeep vorbei, auf dem Dach ein Reiserad befestigt. Wenn dieser Radler uns so sieht, ist er bestimmt froh in solch einen Jeep gestiegen zu sein.

Geschafft! Den Pass hinter uns lassend rollen, bzw. schlittern wir auf Sand nach unten. Wir haben Hunger, aber weit und breit ist kein geschützter Platz zu finden. So arbeiten wir uns mit hängenden Mägen hinab. Die Landschaft verändert sich einmal wieder. Hohe, schneebedeckte Vulkane umgeben uns.
2095In der Ferne befindet sich die schöne Laguna Blanca. An ihrem Ufer befinden sich Ruinen alter Häuser. Super, hier bleiben wir. Es ist 12h, die heutige Tagesetappe ist bewältigt. Es stürmt wie bekloppt. Im Innern einer Ruine bauen wir das Zelt auf. Es passt so eben hinein. Nach wie vor rollen Jeeps vorbei. Heute ist ein unangenehmer Rekord, bis mittags zähle ich 104!

8. Tag: Laguna Blanca – San Pedro de Atacama (66,2km, 5:39h)
Zusammen mit ein paar Touristen stehen wir am Morgen am Rande der kleineren Laguna Verde. Von der Laguna Blanca fließt ein eisger Bach in die daneben liegende Laguna Verde, den müssen wir kreuzen. Wir schauen ein paar Jeeps zu. Es scheint verdammt tief zu sein. Hardy, mal wieder super hart, zieht Schuhe und Hose aus und schiebt die Zähne zusammenbeißend einfach hindurch. Ja, es ist tief, das sehe ich. Sogar die Hinterradtaschen hängen im Wasser. Aber sie halten dicht! Ich kreuze oberhalb. Ganz langsam von Stein zu Stein balancierend buchsiere ich im flacheren Wasser das Rad neben mir her. Eisschollen haben sich an den Steinen verfangen. Ich bekomme leicht nasse Füße, aber mir wird bei dem Gegenwind schnell wieder warm.

Zum Häuschen der bolivianischen Grenzbeamten schieben wir erneut den mini Pass hinauf. Der Grenzbeamte fragt uns: „Warum wollt ihr denn hinunter ins flache und super teure San Pedro nach Chile runter, wo ihr doch einfach weiter bergauf über einen weiteren Pass nach Argentinien fahren könnt, wenn ihr da später eh hin wollt?“ – „Um uns auszuruhen!“, kommt es wie aus einem Munde geschossen. Er sieht uns an und nickt. Das scheint er zu verstehen. Und wooom haben wir den bolivianischen Ausreisestempel in den Pässenund kreuzen nach Chile!

Wir schieben weiter. Ein Pick Up hält an und der Fahrer fragt uns, ob er uns mitnehmen soll. Wir bedanken uns und lehnen ab. Nun haben wir uns soweit vorangearbeitet, da wollen wir die letzten Kilometer auch aus eigenen Kräften schafften.
Nach einer weiteren Anstrengung ist dann endlich, endlich die super tolle Asphaltstraße erreicht. Schotter, Sand und Wellblech ade! Doch die Freude darüber sowie über die 40km lange Abfahrt hinunter auf etwa 2000m hinein in die langersehnte Wärme währen nicht lange, denn es stürmt und ist super kalt. Die Serpentinen auf der prima Straße sind kein Genuss, sondern richtig harte Arbeit. Immerhin wird der Wind lauwarm!

In San Pedro de Atacama, einer künstlich wirkenden „Stadt“ mitten in der riesigen Atacama Wüste, führt unser erster Weg zur Migration. Wir bekommen problemlos den Einreisestempel. Unser Gepäck wird auf frische Lebensmittel gefilzt. Wir haben ja eh alles aufgegessen.
Mein sowas von platter Hinterreifen verzögert die Suche nach einer Unterkunft. Erstmal landen wir auf der plaza. Gut beleibte Menschen in kurzen Hosen, einen Cowboyhut auf dem Kopf, ein Eis schleckend schlendern an uns stinkenden, super dreckigen Radlern vorbei. Überall hängen Flaggen der gerade stattfindenden Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag. In Zelten wird Countrymusik gespielt. Fleischbatzen liegen auf den großen Grills. Wir schauen uns an und fühlen uns in die USA zurückversetzt.
Schließlich landen wir bei der netten, jungen Brasilianerin Aline in der Casa Campestre. Obwohl wir gern in einem Bett schliefen, können wir uns nur campen leisten. Chile ist teuer! Wo andere Touristen all die Aktivitäten und Sehenswürdigkeiten in der Umgebung abklappern, sind wir froh in einer gemütlichen Küche ohne Wind drinnen Zeit zu verbringen. Mit Clair und Graham, einem netten französischen-kanadischem Paar verbringen wir lachend unheimlich viel Zeit und essen stundenlang. Es gibt selbstgemachte Pizza aus der Pfanne.

Nach drei Tagen füllen wir die Radtaschen erneut mit Lebensmitteln und machen uns auf in die Atacamawüste. Wir wollen den Paso de Sico hinauf, um nach Argentinien zu kreuzen.

Fazit-Lagunenroute:
Für „unsere“ Lagunenroute von San Juan bis nach San Pedro de Atacama benötigen wir acht Tage. Das Motto heißt WIND! Wir müssen andauernd mit ihm kämpfen. Er dreht sich ständig. Drei Mal müssen wir bereits am Mittag aufgrund des Sturmes abbrechen. Landschaftlich sehr beeindruckend und körperlich sehr anstrengend ist dies bisher ohne Zweifel die krasseste, intensivste und anstrengendste Etappe überhaupt gewesen.
Wichtige Fragen, die man sich unbedingt ernsthaft vor dem Antritt der Lagunenroute stellen sollte sind: Habe ich genügend Kartenmaterial? Bin ich gut genug akklimatisiert? Habe ich genügend Kondition und Kraft? Und reicht mein Equipment aus für mögliche Temperaturabfälle von minus 20 Grad Celsius sowie super starken Wind? Halte ich krasse, lang anhaltende Anstrengung und widrigste Umstände auf so eine große Distanz körperlich sowie mental aus?

Temperaturen und Wind:
Wir haben Glück im Unglück, denn die Temperaturen fallen im September nicht mehr so stark ab wie im Juli/August. Bei minus 10 Grad Celsius und tobendem Wind haben wir jedoch in unseren Schlafsäcken gefröstelt und diverse Schichten von Kleidung angehabt.
Dafür geraten wir voll in den Monat des Windes. Wenn wir auf Einheimische treffen, wird uns jedes mal versichert: „Dieser Wind ist besonders stark, so doll bläst er normalerweise nicht!“ Stundenlang mit hängendem Magen zu fahren, ohne einen windgeschützten Platz zum Mittagessen zu finden, auch das ist Lagunenroute.

Wasser und Essensvorräte:
Das Erlagen und mitschleppen der benötigten Wassermengen ist kein Problem, sollte nur unbedingt vorher geplant werden, genauso wie die Mitnahme genügend Nahrungsvorräten. Maximal haben wir Wasser für zwei Tage mitgeführt. Ab und an trifft man auf refugios (kleine Hotels), in denen auch Essen bestellt werden kann. Dennoch ist das Gewicht eines mit Essen und Wasser vollbeladenes Reiserads nicht zu unterschätzen.

Jeeps:
Definitiv ist man auf der Lagunenrute nicht allein! Das Vorbeifahren von 50 Jeeps täglich ist nichts Besonderes. Die meisten der Fahrer sind freundlich und machen einen Bogen um Radler. Eingestaubt wird man natürlich dennoch. Als Radfahrer bist du eine der Attraktionen und wirst permanent fotografiert. Aber auch positive Seiten wirft der Jeeptourismus ab. Wir bekommen Wasser und Essen geschenkt. Und ganz klar ist, in einem Notfall ist nur Hilfe von Seiten der Jeepbesatzung zu erwarten.

Kartenmaterial:
IMG_3226Unserer Meinung nach bedarf es auf der Lagunenroute keines GPS. Es gibt sehr gutes Kartenmaterial mit Kilometerangaben, Infos zu Campmöglichkeiten die vor dem Wind geschützt sind, Wasserstellen und aktuellen Tipps, die bei andesbybike sowie als ein pdf bei tour.tk zu finden sind.
Diese sind wichtig, sehr hilfreich und völlig ausreichend. Wir haben nicht einmal auf den Kompass geschaut. Zudem ist (leider) die Landschaft durchflügt von vielen Jeepspuren, die einem die richtige Richtung weisen. Zur Not können die Jeepfahrer nach dem Weg gefragt werden.

Fazit-Bolivien:
Fest steht, wir haben nur einen kleinen Teil des Landes bereist, nämlich den „wilden“ Westen. Hier sind die Pisten schlecht und die Konditionen hart. Die spärliche Versorgungslage ist ernst zu nehmen. Jedes Auffüllen der Vorräte sollte man planen. Genauso heißt die Devise: Wenn es einmal Wasser gibt: alle Flaschen auffüllen!

An die Verschlossenheit und Zurückhaltung der Bolivianer mussten wir uns nach den sehr offenen und kommunikationsfreudigen Menschen in Peru erst einmal gewöhnen. Uns scheint, als ob die Menschen in den touristischen Gebieten Boliviens einfach keine Lust haben sich mit Touristen zu unterhalten und das ist auch total in Ordnung.
Je mehr wir von der befahrenen Route abgekommen und die abgelegenen Dörfer bereisen, desto offener begegnen uns die Leute, bis hin dass wir von alten Muttis auf eine Limo zu einem Gespräch eingeladen werden.

Wir haben bis auf ein paar unfreundliche Menschen, denen insbesondere ich nicht zu viel Bedeutung beimessen darf, Bolivien als ein tolles Reiseland erlebt, das wir eines Tages zu Ende erforschen wollen. Auch in La Paz und in El Alto haben wir uns sicher gefühlt und keine doofe Situation erlebt.

In der Galerie findet ihr Fotos zu diesem Abschnitt.

Bolivien, ChilePermalink

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