Washington (USA / September 2011)

Mit der Fähre setzen wir von Victoria, auf Vancouver Island, nach Port Angeles, in Washington über. Im Gegensatz zu den schicken neuen BC Ferries, ist diesem, nun us-amerikanischem Schiff sein Alter deutlich anzusehen. Stahl und abgesessene braune Ledersitze prägen das Bild. Das Essen im schiffseigenen Bistro ist so, wie wir es uns von einer amerikanischen Gesellschaft vorstellen: Es gibt nun viel Fastfood, Hamburger und Hotdogs.

Langsam fahren wir in den Hafen von Port Angeles ein und sind ganz aufgeregt, haben wir gehört, dass Alaska noch ganz anders amerikanisch sei. Was erwartet uns nun in den “lower 48”? Wir reden lange darüber, können es nur langsam begreifen wirklich in den USA zu sein. Es fühlt sich an, wie ins Ungewisse zu fahren, irgendwie seltsam. Auch das traurige melancholische Gefuehl nun das erste Land waehrend unserer Reise zu verlassen macht sich breit. Kanada, fuer dessen noerdlichen Teil wir uns nur vorbereitet hatten, hat uns mit seinen Menschen schon tief beeindruckt. Die wilde Einsamkeit der Landschaften und ebenso die geballte intensive Herzlichkeit der Bewohner hallt bestimmt noch lange nach.

Zunächst muessen wir uns aber auf die Passkontrolle und die Konfrontation mit dem Immigrationoffizier einstellen. Wir erwarten ein ähnliches Szenario wie in Anchorage mit vielen Fragen eines kritischen Beamten und sind dann überrascht, dass keine Kontrolle unseres Gepäckes und auch nur ein ganz kurzes Gespräch statt findet. Was, das wars schon? So einfach dürfen wir in die USA spazieren? Und schwupps sind wir drin, selbst unser geschmuggelter Apfel faellt nicht auf

Im Visitor Center besorgen wir uns eine Karte der Gegend und ich (Alena) gehe einkaufen. Die Preise im Riesensupermarkt sind für mich ungewöhnlich niedrig. Ich kaufe sogleich Obst, Gemüse und zur Feier des Tages zwei große 0,7 l Dosen Bier für den Abend mit 8,1 %. Bis dahin müssen wir noch ein bisschen weiter radeln.

Wir gelangen auf den berühmten Hwy 101, der uns eine lange Zeit begleiten wird. Vielleicht habe ich mir diesen Mythos zu schoen vorgestellt. Letztendlich ist es nur eine stark befahrene Straße, die uns vorbei an kleinen Ortschaften und Farmen ‚gen Süden fuhrt. Wir passieren einen wunderschönen großen klaren See, an dessen Seiten steile Berghänge direkt bis ans Ufer reichen. Hier gibt es auch Regenwald, der noerdlichste in den USA. Neben den bemoosten Bäumen erregen große Farne unsere Aufmerksamkeit.

Auf einer Lichtung, gut versteckt, finden wir unser erstes schönes Plätzchen für die Nacht in den United States.Glücklich bereiten wir unser Abendbrot zu und stoßen mit dem Bier an. Da wir nichts mehr gewohnt sind, werden wir bald angenehm beduselt… Um uns herum waechst Fireweed, welches nun fast verblüht ist. Die Prophezeiung aus Alaska, dass das Fireweed mit dem Sommer geht scheint sich zu bewahrheiten. Wir haben Anfang September, der Herbst beginnt und wir sind bereits ein Vierteljahr unterwegs – unfassbar, Berlin und insbesondere unsere letzte Nacht mit dem Abschiedsgrillen und all den lieben Leuten im KITA-Garten, das alles fühlt sich immer noch so nah, fast aktuell an.

Lastwagen beladen mit Baumstämmen uberholen uns oft. „Das riecht ja wie Weihnachten“, sage ich. Der Geruch ist angenehm, die kahlen Flächen, die wir passieren sind dagegen völlig niederschmetternd. Zweimal finden wir in den abgeholzten Flächen einen Platz für die Nacht.

Wir passieren das kleine Städtchen Forks. Es wurde zum Schauplatz der berühmten Twilight Saga auserkoren, was dem heruntergekommenen Örtchen einen finanziellen Aufschwung bescherte. Twilight wird anhand von viel Werbung, wie zum Beispiel durch nächtliche Touren bei Vollmond kommerziell ausgeschlachtet. Wir sehen weder Vampire, noch Wehrwolfe, nur eine Hand voll fotografierender Touristen.

In der Mittagspause vor einem Supermarkt lernen wir unsere ersten ostdeutschen Reiseradler dieser Reise kennen. Ein älteres Paar aus Dresden. Sie haben eine neue Variante unseres Zeltes und sind geschockt, dass uns bereits so viele Zwischenstücke der Zeltstangen zerbrochen sind. Da sie es erst seit drei Tagen im Gebrauch haben, können sie keine Erfahrungswerte an uns weiter geben.

Mit den Beiden teilen wir uns in der folgenden Nacht den Campground im Hoh Rain Forest Nationalpark. Der Weg in die 16 km lange Sackgasse hat sich gelohnt. Wir sahen ja bereits auf unserer Wanderung in Cape Scott (nördliches Vancouver Island) Regenwald, aber dieser hier ist wirklich etwasbesonderes! Riesengroße Bäume wachsen moosüberwachsen zu beiden Seiten des Weges, es ist feucht und kühl und alles riecht intensiv. Der „world largest sitka spruce“ wachst hier. Eine gigantisch große Fichte! Ebenso kreuzt ein für uns neues Tier unseren Weg. Es nennt sich Elk und sieht aus wie eine Kuh mit einem Rehgeweih. Wir sind zutiefst beeindruckt von diesem wunderschönen Naturschauspiel.

In einem Souvenirladen, der gleichzeitig ein Outdoorshop ist und gerade Ausverkauf hat, findet Hardy seine neuen Wanderschuhe.

Unser Weg nach Oregon fuhrt uns an der Westküste der USA entlang Richtung Süden. Bereits in den Vorbereitungen zu diesem Abschnitt hatte ich so einige Bücher von anderen Radlern gelesen. Ich hatte mich von deren Begeisterung anstecken lassen und war zu keiner Diskussion bezüglich einer anderen Routenführung bereit. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass diese Entscheidung fuer uns vielleicht nicht die allerklügste war. Uns beiden ist die Dichte der vielen Autos, Wohnmobile und Lastwagen zu viel. Aufgrund der Enge der Straße fahren sie oftmals dicht an uns vorbei, so dass wir aufpassen müssen, nicht vom aufkommenden Luftstrom umgeschupst zu werden. Zudem ist die Strecke sehr touristisch, es ist voll und Hotels sowie Souvenirladen gibt es in Hülle und Fülle. Fur die wenigen schoenen Strandabschnitte oder netten Örtchen lohnt es sich nicht, diesen Abschnitt in Washington zu radeln, so finden wir. Hardy ist bereits schnell angenervt, bei mir dauert es eine Weile, aber auch dann bin ich ernüchtert. Wir fragen uns warum das so ist. Sind wir von unseren bisherigen Erfahrungen aus Alaska und Kanada zu verwöhnt und fangen nun an zu vergleichen?

Ein paar Veraenderungen gibt es. Zum einen bekommen wir erstmalig an einem Bistro nach einer wirklich nur kurzen Unterhaltung 20 Dollar in die Hand gedrueckt. Jemand moechte uns Unterstuetzen und ein Teil unserer Reise werden. Es ist Mittagszeit und die Sonne drueckt sowieso: Wir investieren das Geld gleich in zwei grosse Burger mit Pommes…

Ausserdem passieren uns leider gleich zwei aeussert unangenehme Erlebnisse. Gerade als wir uns durch den Wald kaempfen kommt ein Auto angefahren und die Insassen bewerfen uns doch tatsaechlich mit Muell. Eine Plastikflasche verfehlt nur knapp Hardys Kopf. Ich bin noch lange geschockt. Leider muessen wir sagen, dass wir seit dem Eintreffen in den USA ein deutlich aggressiveres Fahrverhalten mancher (wirklich nicht aller!) Autofahrer feststellen koennen. Nicht nur einmal werden wir durch Anhupen auf unsere Dreistigkeit die Strasse zu benutzen hingewiesen.

Wir treffen viele andere Reiseradler, die an der Küste von Washington nach Kalifornien fahren und es hier total toll finden. Ein lustiges Paerchen macht diese Reise bereits zum fünften Mal. Beide sind mit einem Anhänger unterwegs, haben einen kleinen Bauch und haben des Komforts wegen Klappstühle mit dabei. Sie erzählen witzige Anekdoten und wissen ganz genau welches kleine Café sie zum ersten und dann zum zweiten Frühstuck ansteuern werden.

Auf den Hiker-Biker Campingplätzen treffen wir abends die gleichen Radler wieder. Hiker-Biker Campgrounds sind Areale, abgetrennt auf herkoemmlichen Campingplaetzen, die gegen 5 Dollar zu benutzen sind. Sie sind meistens abseits des Betrieb und verfuegen nur ueber ein Dixiklo und einen Wasserhahn. Schoen gelegen bieten sie uns mitunter eine willkommene Abwechslung zum Wild-Campen, dass seit dem Betreten des Festlandes mit langem Suchen verbunden ist. Was wir gehoert haben scheint sich zu bestaetigen. Die USA ist fast komplett eingezaeunt. Schilder mit den Aufschriften :“No Trespassing. Keep Out! Private Property.“ koennen wir nicht mehr sehen.

Viele der Rader fahren nach dem Guidebook “Bicycling the Pazific Coast” und folgen diesem Spot für Spot. Wir finden es nett sie des öfteren wieder zu treffen und zu quatschen, können uns aber ein solches Reisen für uns nicht vorstellen.

Wir beginnen uns Gedanken über eine alternativ Route zu machen. Wir wollen versuchen Richtung Osten ins Landesinnere abzubiegen. Wir mochten durch Farmland radeln und unsere innere Ruhe wieder finden. Der Crater Lake in Oregon schwebt uns dabei vor.

*******  Fotos zu dem Text sind online (Siehe Galerie). Gruesse aus LAS VEGAS, wir haben all unser Geld verspielt!   *******

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