Californien! Hitze, Strand und Unmengen an Weintrauben! Und endlich kontinuierlichen Sommer, sowie den Beginn der erhofften 365 Tage regenfreier Zeit … letzteres war leider der größte Traum.
Californien begrüßt uns mit einem Checkpoint, an dem die Einfuhr von Früchten und Gemüse kontrolliert wird. Das Einbringen von Schadorganismen soll verhindert werden. Nord-Californien wird von Ackerbau und Weinanbau maßgeblich geprägt. So wird alles zum Schutz der Landwirtschaft getan. Wir haben ein bisschen Bammel, als wir uns dem Checkpoint nähern, haben wir ja noch ein paar wenige Früchte und etwas Gemüse an Bord. Wir hoffen, dass die Aussage in unserem Radreiseführer stimmt, dass Radler nicht kontrolliert würden. Ansonsten hatten wir uns schon auf ein zweites Frühstück eingestellt.
Nur ein freundliches Nicken, wir dürfen durchfahren und sind nun tatsächlich in Californien! Sieht auf den ersten Blick noch genauso aus wie Sued-Oregon, doch soll heute ein weiterer Traum in Erfüllung gehen: Der Besuch der mächtigen Kuestenmamutbaeume (Sequoia sempervirens).
Keine 20 km weiter ist es dann soweit. Wir nehmen einen Umweg durch die Berge mit Schotterpiste und befinden uns schnell in einem der dichtesten und, wie uns später berichtet wird, beeindruckensdem Teil des weit ausgedehnten Areals der californischen Redwoods. Mammutbäume bilden hier im Jedediah Smith State Park kurz vor Crescent City einen dichten Wald. Die Baumkronen der größten Organismen dieser Welt bleiben im Verborgenen, nur der Anblick der massiven Stämme in Bodennähe lassen den Mächtigkeit dieses Gewächs erahnen. Wir schließen unsere Räder an und machen einen Spaziergang. Vereinzelt blinzeln dünne Lichtstrahlen zu uns hinunter, als wir und auf den Boden legen und die Ruhe genießen. Wie klein sind wir hier, wie kurzlebig. Wie lange mögen diese Bäume hier schon stehen?
Die Kuestenmamutbaeume werden in Nord-Californien in einem Netz aus Nationalparks und Stateparks geschützt. Das war dringend notwendig, denn Aufgrund ihres beständigen Holzes wurden diese in vergangener Zeit fast bis zur vollständigen Dezimierung abgeholzt. Museen in dieser Gegend berichten stolz von dieser glorreichen Zeit. Leider müssen wir schließlich weiter, eine Verabredung in Crescent City wartet, und wir trösten uns mit der Vorfreude auf noch mehr Baumriesen weiter südlich.
Gerry lebt in Crescent City, einer alten Holzfällerstadt, die sich heutzutage,nach Zusammenbruch der Holzindustrie, als Standort eines großen Gefängnisses über Wasser halten kann. Gerry war Schuldirektor und ist nun, zu Beginn seiner Rente, im Begriff mit seiner Frau ihr Haus, welches sie nach jahrelanger Miete endlich kauften, um- und auszubauen. Wir erwischen ihn alleine beim Kantenstreichen. Naja, nicht ganz alleine, denn er hatte als warmshower-host noch anderen Radlern für diese Nacht zugesagt und unsere Ankunft entgegen unserer Mitteilung erst für Morgen erwartet.
Die Freude ist groß, unter den anderen Radlern sind Andi und Ross, die wir schon in Sued-Washington getroffen hatten und die nun mit zweit Freunden von Ross auf dem Weg nach Süden unterwegs sind. Nun stehen vier Zelte in Garten, sowie Gerrys Trailer, in dem wir kochen und ich (Hardy) mit Ross mögliche Routen für unsere verbleibenden zwei Monate in den USA diskutieren. Unsere To-See-Liste ist nun wieder ellenlang, gemütlich wird das nicht, aber dafür super spannend. Andi will mit Ross und seinen Freunden noch gemeinsam bis nach San Francisco radeln und dann weiter die letzten paar Hundert Kilometer bis nach San Diego. Wir freuen uns sie wiederzusehen, es ist immer schön Bekannte wiederzutreffen und Berichte auszutauschen und verständnisvoll Erlebnisse zu diskutieren. Etwas unter Stress, denn Ross steht ab um acht absprungbereit neben seinem Rad , muss morgens bei ihrer Reisegruppe alles etwas schneller gehen. Wir haben etwas mehr Zeit und Quatschen noch eine Weile mit Gerry. Uns ist es wichtig mit den Warmshower-hosts möglichst viel zu Reden, deswegen sind wir hier!
So kommen wir spät los und kommen auch nicht weit, denn was hören wir da am Pier in Crescent City? Merkwürdige grunzende Laute mit untergeschobenen Hochtönen. Seelöwen luemmeln sich in der Sonne auf sicherlich vor langer Zeit okkupierten Stegen. Neben dem Luemmeln scheinen sie beständig damit beschäftigt zu sein sich gegenseitig vom Steg zu schubsen. Wir legen unser mittägliches zweites Frühstück ein und kosten die Aussicht auf Seelöwen in ihrem äußerst natürlichem Lebensraum mitten im Hafen aus.
Am darauffolgendem Tag radeln wir in Arcata ein. Ein Rennradler weißt uns den besten Weg über die Felder in die Stadt und so kommen wir entspannt beim heutigen Straßenfest an. Plötzlich fühlen wir uns wir in Friedrichshain auf dem Kreuziger Straßen Fest! Arcata ist bekannt für seine „Hippiekultur“ und das sieht man. Wir fühlen uns pudelwohl, gesellen uns auf die Wiese und beschließen unser Tagesprogramm mit geplanten 100 km rapide zu verkürzen. Hier möchten wir mehr Zeit verbringen. Es gibt drei Bühnen, viele Stände und Alena ist ganz hingerissen von den viele Töpferwerken, ich quatsche mit dem örtlichen Imker. Großes Geld wird hier, wie ich erwartet habe, mit Bestäubung gemacht. Der Verkauf von Honig ist da sogar Nebensache.
So jetzt sind wir hier, würden gerne auch bleiben und brauchen nur noch eine Möglichkeit zum Schlafen. Wir lassen es mal drauf ankommen und machen erst mal nix. Keine 15 Minuten später lernen wir Hugh und Darleen von Stand direkt hinter uns kennen. Hugh vertritt hier eine NGO, die sich die Bekämpfung invasier Arten in Nord-Californien auf die Fahne geschrieben hat. Wir verstehen und prächtig. Mein kleiner Kurzvortrag zur Bekämpfung der Robinie durch Ringelung bricht letzte Zweifel und wir werden auf die Ranch, in der die beide eine Scheune bewohnen, eingeladen. Prima! Wir können unser Glück kaum fassen. Wir werden eingeladen von solch netten Leuten! Da nehmen wir sogar eine kleine Autofahrt an die Küste in Kauf…
Nur erst muss noch das Platzproblem gelöst werden. An Hughs Stand werden neben Informationen viele viele einheimische Pflanzen angeboten, die nun auch alle wieder nach Hause müssen, und nun, zusätzlich unsere Bikes. Nachdem wir klar machen, dass diese selbstverständlich abgeladen und auch in die letzte Ritze gequetscht werden können, passt dann doch alles in den Pickup und die zwei PKWs. Wir stoppen bei einem Biosupermarkt und sind dann des Nachts auf der Farm in Petrolia, an der so genannten Hidden Coast.
Hugh hatte vor Jahren invasive Pflanzen auf dem Grundstück ihres jetzigen Landlords entfernt und bekam dann später das Angebot als Caretaker auf der Ranch zu leben. Es gibt da ein nettes Appartement in einer ausgebauten Scheune, welches die beiden nun für Umme bewohnen und sich dafür um die Ranch kümmern. Das heißt, Zäune reparieren, sich um die Kühe, das Pferd, die Rinder und den Esel kümmern. Sie haben auch einen Hund, der heißt Willi und ich habe ihn ins Herz geschlossen. Bei den beiden angekommen gibt’s Pizza und Bier und wir verbringen einen wunderschönen Abend mit Essen und Fotos angucken.
Am nächsten Morgen wache ich total verspannt auf. Einen Tag zuvor am Morgen habe ich Alena morgens, kalt in einer ungünstigen Position einen schweren Sack über den Tisch gegeben. Ich merkte schon damals, dass da was schief läuft, aber es musste natürlich sein! Nun merke ich die Bescherung. Es tut höllisch weh und ich muss mich stark zusammennehmen beim Reden und Laufen. Dank Darleens Stretch-Übungen in einer Mini-Physiotherapie-Sitzung können die Schmerzen etwas verringert werden. Zusätzlich macht mir eine vielleicht verstauchte Rippe zu schaffen. Zwei Tage zuvor musste ich meine Sattelfederung unter Zuhilfenahme meines Brustkorbes testen. Toller Plan! Die Sattelfederung gab nicht nach, dafür irgendwie eine Rippe. Ich sollte vorsichtiger mit mir sein…
Wir verbringen einen ruhigen und entspannten Tag auf der Farm, besichtigen Bill den Bullen und lassen die Beine ihm nahem Fluss ins Wasser baumeln.
Dann passiert das, was passieren musste. Die Sache mit dem Landlord und dem Caretaker-Verhältnis hat nämlich leider einen Haken! Wohnen für Umme ja, aber bloß keine fremden Leute. Wir waren nicht erlaubt auf diesem Grundstück. Hugh und Darleen gingen ein kleines Risiko ein, als sie uns auf das Gelände brachten, doch normalerweise ruft ihr Landlord eine Woche im Voraus an, bevor er sein Land (ein mal im Monat) aufsucht. Die beiden haben sich aufgrund der anderen Vergünstigungen, die mit dem Leben auf diesem Land einhergehen, mit dieser Tatsache arrangiert.
Plötzlich klingelt Darleens Telefon. „Hi, in four hours i’ll be in my house!“ Gleich ist er da und wir dürften dann nicht hier sein. Nach einer kurzen Debatte über Alenas und meine Anwesenheit beschließen wir die Nacht am nahem Strand zu verbringen. Für uns kein Problem, Hugh und Darleen sind traurig, das dir schöne Gemeinsamkeit so schnell wieder unterbrochen werden soll. Naja, ein paar Stunden haben wir noch.
Natürlich ist der Landlord nicht erst in vier Stunden vor Ort. Und so braust ein Pickup im Affenzahn auf das Gelände während wir gerade beim Essen sind. Chuck ist außer sich, als er von unserer Anwesenheit erfährt und will und uns auch gar nicht sehen. Wir sollen sofort verschwinden. „What the fuck are they doing here? Get them out of here!“ sind seine Worte. Das machen wir auch, die freundliche Atmosphäre ist dahin. Uns tun Hugh und Darleen leid, die wegen uns solche Unannehmlichkeiten erleben. Wir verbringen die Nacht am wunderschönen Strand.
Am nächsten Tag werden wir von Darleen abgeholt. Wir wollen gemeinsam mit ihren Freunden und unserer Freundin Scheska die folgenden zwei Tage im Humboldt Redwood Nationalpark verbringen. Mit Scheska wollen wir dann außerdem die folgende Woche reisen. Wir sind schon ganz gespannt und aufgeregt sie endlich zu treffen. Schon in Berlin hatten wir vor Monaten dieses Treffen wage verabredet und nun soll es Wirklichkeit werden. Was wird sie so alles über unsere gemeinsamen Freunde zu berichten haben? Wir sind auf den neusten Klatsch und Tratsch gespannt!
Scheska hat, um zu uns zu gelangen alle Hebel in Bewegung gesetzt und das Abenteuer Busreise in den USA mit dem Rad bereits absolviert, als ich sie mit Darleens Auto vom Freeway abhole. Verdutst schaut sie genau hin. Mich im Auto hätte sie hier nicht erwartet. Hätte ich auch nicht. Und so bekomme ich Gelegenheit meinen Klischee-American-Dream zu verwirklichen. Mit lauter Musik heize ich mit max. 75 mph (130 km/h) ueber den Freeway zum vereinbarten Treffpunkt.
Die Wiedersehensfreude ist groß, wir kommen aus dem Quasseln nicht mehr raus! Passend dazu trifft auch Darleen auf dem Campingplatz alte Freunde wieder. Am Abend kochen wir zusammen und erzählen viele Geschichten…
Nach einer gemeinsamen Wanderung am folgendem Tag düsen Darleen und ihre Freunde ab und Scheska und wir machen Pläne für die nächsten Tage. Gemeinsam radeln, das wollen wir, aber nicht zu weit. Eine kurze Busfahrt bis nach Rohnald Park, wo eine alter Bekannter Scheskas wohnt, soll die Reise nach San Francisco etwas abkürzen. Scheskas Zeit drängt, da ihr Rückflug nach Berlin naht. Wir wollen vor allen Dingen gemeinsam Zeit verbringen, als radelnd Strecke schaffen, außerdem würde ein Abradeln der hügligen Küste mit sich stark unterscheidender körperlicher Fitness kein angenehmes Unterfangen sein… So radeln wir gemeinsam über die Avenue of the Giants durch gewaltige Baumriesen bis nach Garberville. Wieder recken wir uns die Hälse lang, um wenigstens einen Teil der Größe der Bäume zu erfassen. Es ist sehr dunkel am Boden, fast kein Licht kann durch die Wipfel dringen. Scheska schiebt einige der Hügel hoch, oben warte ich, wie immer, die Kekse bereit.
Am nächsten Tag soll unser bisher leider unangenehmstes Abenteuer dieser Reise stattfinden. Busfahren in den USA (mit dem Rad) ist nämlich gar nicht so einfach.
Alles beginnt damit, dass wir pünktlich um 11:40 für den Greyhoundbus nach Rohnald Park in Garberville an der Bushaltestelle sitzen. Der Bus kommt und der Fahrer erklärt sofort und ohne Umschweife in genervtem Ton, dass er unsere Bikes, da sie in nicht in Boxen sind, nicht mitnehmen könne. Alle Versuche ihn umzustimmen fruchten nicht, die gestrige Auskunft der Telefonhotline („Wir bräuchten keine Boxen.“) ist schlichtweg nicht war. Wir sind über die Unfreundlichkeit des Busfahrers entrüstet, haben aber damit nicht mit dem folgendem Busfahrer gerechnet…
Wir entscheiden uns, die Option Reisen mit dem Amtrak-Bus auszuprobieren. Da gibt es nur von Vornherein einige Schwierigkeiten, die Scheska bezüglich ihrer Anreise bereits erfolgten Recherche detailliert erörtern kann. Amtrak ist das Bahnunternehmen in den USA und darf aufgrund der zwar nicht erlaubten, aber tatsächlich vorhandenen, Monopolstellung des Greyhound-Busservice eigentlich keinen Busservice anbieten. Amtrak-Busse sind also Zubringerbusse. Dies bedeutet, dass eine Reise mit einem Amtrakbus unbedingt an einer Eisenbahnstation vorbeiführen muss. Zwischendurch aussteigen geht nicht, man kann sein Ticket auch nur beim Servicedesk an einer Bahnstation kaufen. Nur würde das für uns eine Fahrt durch Rohnald Park bis nach Martinez (ca. 3 h weiter) und dann nach einem Buswechsel zur Rückfahrt nach Rohnald Park bedeuten. An dieser Stelle möchte ich eine Zeile aus einem Radelbuch von Daniel Snajder zitieren: „Es gibt immer einen Weg, man muss ihn nur finden.“
Wir haben einen Plan: Gleich an der Bushaltestelle treffen wir Allison, sie erklärt sich bereit in Martinez die Tickets für uns zu kaufen und auch unsere ID, die als Pfand dem Busfahrer beim Einsteigen überreicht werden müssen an uns zurück zu senden. Natürlich geben wir nicht unsere richtigen Pässe aus der Hand, zu diesem Zweck führen wir internationale Studentenausweise mit, die wir dem Busfahrer geben. Wir wiederum wollen es irgendwie schaffen schon in Rohnald Park auszusteigen.
Der Plan ist gut, denken wir, nur rechnen wir nicht mit der enormen Aggressivität des Busfahrers… Der Bus kommt, wir stehen auf der falschen Straßenseite, schon das ist ein Riesenproblem! Ob wir eine Reservierung für die Bikes hätten? Die bräuchten wir nicht! Und schon sind die Räder eingeladen.
Bereits nach fünf Minuten Fahrt stoppt der Bus, der Fahrer stellt sich vor alle Fahrgäste, die nun betreten nach unten schauten: „Seitdem wir in Garberville losgefahren sind, stinkt es höllisch hier im Bus. Diejenigen wissen schon wer gemeint ist. Hier ist ein Stück Seife, ihr habt fünf Minuten euch zu waschen, dann fahr ich los!“ Eine ekelige Situation, die ein Aufbegehren sowie eine Gegenattacke bedürfte. Natürlich stinken wir! Geht leider nicht anders, wer radelt der stinkt nach einer Weile.
Leider haben wir noch Großes vor mit dem Busfahrer und wir wollen doch nach Rohnald Park, Aussteigen und Weiterradlen als immer möglicher Ausweg ist leider jetzt zu dritt keine Alternative. Wir spritzen uns drei Tropfen ins Gesicht und sind nach sechs Minuten wieder im Bus. Ekelige Situation, der Busfahrer frohlockt.
Kurz vor Santa Rosa entscheiden wir hier Auszusteigen und werden auch so langsam aufgeregt. Den Busfahrer weihen wir nicht in unser Anliegen ein, er würde sowieso nicht mitmachen und uns nur behindern wollen. Wir rechnen mit seiner Aggressivität.
Gleich nach dem Anhalten springen wir aus dem Bus und beginnen zwölf unserer Päckchen heraus zu räumen. Der Busfahrer beginnt vor Wut zu schäumen, zerrt an seinen Busladeklappen und an Scheska. Seine Nasenflügel beben und er ist Nahe dran Scheska zu schlagen. Wir erklären, dass wir niemanden töten wollen, nur aussteigen und dass alles geklärt sei, doch der Fahrer stellt quer. Wir sind nicht schnell genug gewesen.
Der Plan geht erst mal nicht auf, drei Gepäckstücke und die Bikes sind noch im Bus und der Busfahrer bewacht wie ein Tier seine Klappen. Er ist so unglaublich wütend, mit solch einer heftigen Reaktion haben wir nicht gerechnet. Sicherlich haben wir auch den dreisten Akt, des unbefugten Öffnens der Ladeklappen hier in Amerika unterschätzt. Auch ist die Anzahl unserer Gepäckstücke für ein solches Unterfangen schlicht zu groß.
Sofort beginnen drei umstehende Menschen die Polizei zu rufen. Wir spüren das Knistern der Feindseligkeit in der Luft. Alle nehmen an, wir wollten abhauen ohne zu bezahlen, dass wir „einfach nur“ gegen die Regeln aus dem Bus steigen wollen, nimmt uns niemand ab.
Keine drei Minuten später kommt der erste der bald fünf Polizisten. Aeußerst freundlich lässt er sich die sich deckenden Versionen der Geschichte von uns uns dem Fahrer erzählen und bemüht sich tatsächlich um eine Lösung des Konflikts. Der Busfahrer ist jedoch unerweichlich. Er pocht auf die Richtlinien seiner Firma und will keinen Zentimeter davon abweichen.
Und dann, noch während des Gesprächs, springt der Fahrer in den Bus und braust los. Wir sind alle verdutzt und total perplex. Ich stelle mich vor den Bus, möchte mitfahren, unsere Räder sind ja noch drin! Doch der Bus kommt immer näher. Der Polizist hebt die Hände: „I can’t stop this bus!“ Die Augen des Fahrers funkeln, ich springe zur Seite, dann ist der Bus samt Fahrräder weg.
Wir fühlen uns schrecklich! Ein Zustand ist eingetreten, der so nie passiere darf! Die Fahrräder sind weg! Von einem Busfahrer gestohlen.
Zumindest werden wir nun nicht festgenommen und die nun fünf Polizisten bemühen sich um eine Klärung der Situation. Der eine fängt an zu telefonieren. Schnell ist der Supervisor von Amtrak an der Strippe und erklärt sich bereit, sich um unsere Räder zu kümmern. Wir können sie am nächsten Tag in Martinez abholen. Wir erhalten seine Nummer. Völlig verstört, geschafft und geschockt warten nun auf Keegan (Scheskas Freund), mit dem wir erst einmal einkaufen gehen und der uns dann zu seinem Haus in Rohnald Park fährt.
Für mich steht nun fest, dass wir weiter in Aktion treten müssen, sonst lässt mir die Sache keine Ruhe. Die Bikes sind weg, ich fühle mich nackig und möchte am Liebsten sofort nach Martinez aufbrechen. Scheska ruft erst einmal beim Supervisor an, um unsere Sachen zu beschreiben. Und siehe da, er schlägt doch tatsächlich vor, dass unsere Gepäckstücke sowie die Räder ja auch Morgen mit einem anderen Amtrack-Bus nach Rohnald Park gebracht werden könnten. Na, das wäre super, dann würde unser Plan ja doch aufgehen! Die Stimmung schlägt vom Nullpunkt wieder in die Höhe! Wir sind frohen Mutes und genießen den Abend bei Keegan, auch wenn Alena und ich keine Kraft mehr für ein Siedlerspiel haben. Scheska ist sich dafür nie zu schade und schlägt wie immer alle!
Am nächsten Tag kommen unsere Bikes tatsächlich an, ohne Probleme. Zum Glück bringt sie ein anderer Busfahrer. Wir haben das Bussystem also doch ausgetrickst, auch wenn wir dafür ganz schön kämpfen mussten!
Die Fahrt zur Küste ist sehr schön. Hügeliges Gelände, wir warten oft auf Scheska und haben so viel Zeit uns die Landschaft anzuschauen. Scheska hat recht bald auch einen Platten, der erste unserer Tour, ich hatte es vorausgesehen! Schadenfroh lacht dann Scheska, als ich später am Tage bei mir den zweiten der Reise zu verzeichnen habe. Am Abend suchen wir lange nach einem Platz zum Zelten. Wir fragen schließlich bei einem Haus, ob wir auf dem leerem Nachbargrundstück übernachten können. Können wir! In dieser Nacht reicht unsere Plane als Zeltersatz völlig aus.
Am nächsten Tag stellt sich heraus, dass wir das gestrige Duschangebot unserer Nachbarn hätten annehmen sollen. Wir werden prompt zum Frühstück eingeladen und hätten bestimmt auch Abendbrot bekommen… Naja egal, auch so verbringen wir äußerst angenehme 1,5 h bei zwei Mexikanern. Sie ist Sängerin und er Marxist und Veranstaltungsorganisator. Wir erfahren viel über Mexiko und bekommen Adressen. Auch Kommunismus und Kapitalismus sind Themen am Morgen.
Dann fahren wir ab, die Kräfteschere zwischen Alena und mir und Scheska klafft immer weiter auf. 80 km wollten wir heute fahren. Hätte Scheska nicht bei einem wirklich langen Hügel beschlossen zu Trampen, wären wir weit nach 19:00 h in San Francisco angekommen. So wollen wir uns kurz vor der Golden Gate Bridge wieder treffen.
Wir verirren uns kurz vor San Francisco auch gleich auf den Freeway, was hier hoch verboten ist! Nach wenigen Minuten haben wir ’ne Streife an uns kleben, die uns dann mit Blaulicht bis zum nächsten Exit eskortiert. Da muss wohl jeder mal durch…
Bald kommen wir an der Golden Gate Bridge an. Über diese Brücke zu fahren, sollte eigentlich ein ganz besonderer Moment für mich sein. Ist es auch, denn es ist so nebelig, dass Scheska sagt, so was hätte sie noch nie in San Francisco erlebt. Wir können die Hand kaum vor Augen sehen und kommen nahezu pitschnass auf der anderen Seite an. Wir machen unsere Fotos und sind trotzdem glücklich endlich in dieser Stadt zu sein! Ein weiterer Traum wird wahr.
Nach dem Überqueren der Brücke treffen wir sogleich andere Radler, die uns den besten Weg durch die Stadt bis zu Lindsey und Erik zeigen. So schaffen wir es heute tatsächlich beim verabredeten Zeitpunkt bei unserem Warmshower-host anzukommen.
Lindey und Erick sind sehr nette Menschen, die ständig arbeiten. Sie wohnen direkt im hippsten Viertel der Stadt und haben nix davon. Dafür wir! Am ersten Abend kochen sie Spagetti Bolognese für uns und wir fühlen uns sehr wohl.
In den folgenden Tagen hängen wir eher rum als konzentriert die Stadt auszukundschaften. Wir lassen uns eher treiben und genießen die angenehme Zeit mit Lindsey und Erik. Mit Scheska erkunden wir das alte Hippieviertel und ich stelle fest, dass ich nun, da sich mit Scheska die Gelegenheit bietet Souvenirs nach Hause zu senden, nichts mehr brauche. All die kleinen Dinge, die ich kaufen könnte brauche ich nicht wirklich und sie würden zu Hause letztendlich doch nur als Staubfänger enden. Während der letzten Monate lebten wir nur aus unseren fünf Packtaschen. Wir haben alles dabei was wir brauchen und sogar noch mehr. Ich kann mir nicht momentan nicht vorstellen zu meinen 20 Kisten zurück zu kehren. So kaufe ich nur ein paar Poster, das wars.
Am letzten Tag mit Scheska treffen wir Lorraine. Lorraine war Teil der Gastfamilie, die Scheska vor zehn Jahren für ein Jahr aufnahm. Diesen Treffen ist langersehnt, bringt sie doch einen speziellen Rucksack mit.
Einen Monat zuvor haben wir unseren Eltern eine kleine Wunschliste gesendet. Der prall gefüllte Rucksack stellt das Resultat dieser Bemühung dar. Gleich vor Ort, auf der Straße, müssen wir ihn öffnen und kommen aus dem Staunen nicht mehr raus. Kleine Tränen vor Rührung fließen, als wir all die Schokolade, kleine Geschenke und die lieben Briefe unserer Freunde sehen. Jetzt sind wir gerade mal vier Monate unterwegs, aber merken, dass die Gedanken an Familie und Freunde stark sind und jede Nachricht regelrecht aufgesogen wird. Das Auspacken, jedenfalls, wird ein Fest! Es ist wie Geburtstag und Weihnachten und noch schöner! Von Zungenputzer bis Katjes Pandabären ist alles dabei; sogar Honig unserer Bienen! Wir sind begeistert von der Liebenswürdigkeit unserer Freunde und dem Aufwand, der für uns betrieben wurde.
Dann verabschieden wir auch Scheska. Es fällt uns verdammt schwer. Es war schön Zeit mit ihr zu verbringen. Auch wenn wir oft auf sie warten mussten war es toll mit ihr und ihrer direkten aktionreichen Art unterwegs zu sein. Wir haben gemeinsam viel Schwung in unseren Radlertrott gebracht.
Wir erkunden San Franciscos Architektur. Kleine Häuser dicht an dich, typische Feuertreppen bestimmen die Fassaden. Moma und Chinatown ist interessant, der Fischermans Warf (Pier 39) mit seinen Seelöwen ist nichts gegen die Stege in Crescent City. In ausgedehnten Radtouren erkundigten wir die Parklandschaft und erleben dann doch noch die Golden Gate Bridge, sogar bei einem sagenhaften romantischen Sonnenuntergang.
Kulinarisch verköstigen wir uns unter anderem mit Burritos und mit Senfeiern. Senfeier kommen super an bei Lindsey und Erik, wir stellen so viel Sauce her, so dass wir noch drei Tage davon zehren. Eric revanchiert sich, indem er uns eines abends auf ein super leckeres Eis einläd und uns den nahen Park zeigt. Hier wurde einst eine der ersten Missionen Amerikas aufgebaut. Die Mission Dolores gab dem heutigen Stadtbezirk seinen Namen: Mission Distrikt.
Wir würden auch noch länger bleiben, aber die Berge rufen. Wir sind bereits fünf Tage in der Stadt, es ist bereits September und wir wollen unbedingt einen ganz bestimmten Pass über die Sierra Nevada erradeln. Es darf nur nicht schneien, dann könnte es klappen. Also ziehen wir weiter und verlassen das wirklich schöne San Francisco. Hoffentlich kommen wir mal zurück!