Mexiko City (Mexiko / Februar 2012)

Großstadthungrig machen wir uns auf in eine der grössten Städte der Welt – Mexiko City, La Ciudad de México oder einfach nur D.F.(„De-Efe“). Dem Districto Federal, wie die jüngeren Leute sagen. Ein weiterer Name ist einfach schlicht México.

Wenn vom Land Mexiko die Rede ist, wird jenes als La República benannt, die Republik. Bis wir dahinter gestiegen sind, war dies für uns anfangs verwirrend.

Ein gemütlicher Reisebus bringt uns in einer einstündigen Fahrt mit Cartoonunterhaltung mitten hinein ins pulsierende Abenteuer. Im Jahr 2009 lebten hier bereits 8,8 Millionen Menschen. Die Region der Metropole erfasst über 20 Millionen Einwohner (Quelle: Wikipedia). Wie viele mögen es wohl heute sein?

Der Geschichte nach wurde die einstige Siedlung genau an dieser Stelle gegründet, da die Azteken, eigentlich die Méxica, der Aufforderung ihres Gottes Huizilopochtli folgten, exakt dort eine Stadt zu gründen, an der sie auf einen Adler stießen, der auf einem Kaktus sitzend eine Schlange verspeiste. So begann die Geschichte Tenochtitláns.

Museo Nacional de Antropología

Als erstes statten wir dem Museo Nacional de Antropología (MNA) einem langen Besuch ab. In diesem riesigen Museum werden die präkolumbianische Vergangenheit sowie die heutige lebende indianische Kultur Mexikos an vielen künstlerisch wertvollen und sehr beeindruckenden Exponaten dargestellt. Besonders berührt und inspiriert mich die wunderschöne Töpferkunst Mexikos. Ich kann mich gar nicht satt sehen und würde am Liebsten sogleich Ton in die Hand nehmen und anfangen zu modellieren. Geht ja nicht! Drum kaufe ich mir nur im Souvenirshop eine Zeitschrift über die hiesige Töpferei und hoffe so wenigstens etwas mit nach Hause zu nehmen.

Hardy wird vom gigantisch aztekischen Kalenderstein in den Bann gezogen, der Piedra del Sol, der einen Durchmesser von 3,6 Metern misst. Jener ist eine sehr große monolithische Skulptur, die ehemals im Haupttempel Tenochtitláns stand.

Wiedereinmal wird unsere derart unterschiedliche Herangehensweise an einen Museumsbesuch deutlich: während Hardy in vollen vier Stunden “nur” die untere Etage akribisch erkundet, bin ich in der halben Zeit mit beiden Etagen fertig. Hardy sagt immer, ich sehe mir die Exponate gar nicht richtig an, aber ich habe einfach ein anderes Museumstempo drauf. Später fragt er mich lehrerhaft aus und stellt entrüstet meine lückenhafte Erinnerung an das Gesehene fest.

Vor dem Museum findet ein Spektakel für die Touristen statt. Auch wir schauen staunend zu. Fünf Männer, in bunten Trachten erklimmen einen hohen Holzpfahl, welcher sich zu drehen beginnt und postieren sich oben drauf auf einer Art Plattform. Unter der Begleitung von melodischem Flötenspiel lassen sie sich langsam, per Seil an den Beinen befestigt, in großen Kreisen, schwingend hinab gleiten. Toll!

Metro

Danach machen wir uns per U-Bahn auf zu unserem warmshower-Gastgeber. Everardo wohnt mit seiner Familie im Süden der Stadt, in der Nähe der Universität. Und so wagen wir uns in den mexikanischen Untergrund … und sind völlig begeistert! Unerwartet sauber ist es hier. Die Gänge und Waggons quellen nur in der Rushhour über, ansonsten ist es sehr erträglich. Zudem kostet eine Fahrt nur 5 Pesos, etwa 0,30 Euro. Alle 2 Minuten saust lautlos, ohne jegliches Quietschen, eine Bahn ein. Daran sollten sich mal die Berliner Verkehrsbetriebe ein Beispiel nehmen! Und wie schnell die Bahnen dahin düsen!

In der U-Bahn selbst herrscht ein lustiges Treiben. Verkäufer am laufenden Band. Und was wir nicht alles kaufen könnten! Für nur fünf Pesos gibt es Kaugummi, Klebeband, Vollmilchschokolade, Schlüsselringe, einen Intelligenztest, Übungsbögen für den Intelligenztest, Musik, hölzerne Kochlöffel und so weiter und so fort.

Eine Darbietung lässt uns jedoch nachdenklich werden. Ein Mann beteuert keine Drogen zu nehmen sowie keinen Alkohol zu trinken, nicht die Leute anzubetteln und anders sein Geld zu verdienen. Mit sich trägt er ein Bündel. Dieses breitet er auf dem Boden aus. Glasscherben kommen zum Vorschein. Er drapiert die Scherben und stösst dann schwungvoll seinen Ellenbogen hinein. Das Ganze zwei Mal. Blut rinnt an seinem Arm hinunter. Alle schauen weg. Von einigen Fahrgästen sammelt er dann Geld ein.

Everardo wohnt mit seinen Eltern, seiner Schwester und ihren zwei Hunden in einem ruhigen Viertel am südlichen Rande Mexiko Citys. Sein Vater und seine Schwester sind Augenärzte und arbeiten in derselben Praxis. Everardo studiert Mechatronik und schuftet an seiner Abschlussarbeit.

Als wir angebliche Radfahrer dort ohne die Bikes aufkreuzen, meint Everardos Vater wir seien gar keine richtigen Radler, da ja alle anderen fahrradfahrenden Gäste sehr wohl mit ihrem Gefährt bei ihnen aufkreuzen.

Welch Überraschung, Martin ist hier! Martin, den Berliner Radler, den wir einst vor einem halben Jahr in Las Vegas kennengelernt hatten. Was für ein unerwartetes Wiedersehen! Lange tauschen wir unsere Routen, Erlebnisse und Geschichten aus. Schön, ihn wieder zu treffen. Auch kann er zu unseren Gunsten von unserem ersten Treffen in Las Vegas berichten. Da hatten wir auch Bikes dabei…

Historisches Zentrum

Natürlich erforschen wir die Stadt. Die große Kathedrale, der Regierungspalast und der berühmte Zocalo mit seinen Taubenschwärmen und der XXL-Mexikofahne stehen neben dem Besuch des Restes der Altstadt sowie dem Palacio de Bellas Artes auf dem Programm.

Letzterer ist dem Theater, der Musik und der visuellen Künste gewidmet. Wir bestaunen die interessanten Wandmalereien Diego Rivieras.

Das Zentrum der Stadt, ach was sag ich, irgendwie ist hier ja alles Zentrum, brodelt nur so von Menschen- und Automassen. Wie in einem niemals stillstehenden Ameisenhaufen geht es hier zu! In der Fußgängerzone verkaufen fliegende Händler Piratenware, Haargummis, CDs, Halstücher und Elektrokleinwaren. Wie Katz und Maus kämpfen Polizeitrupps und gewitzte Händler um die Vorherrschaft des Bodens. Wir sehen belustigt zu. Die Verkäufer warnen sich per ausgeklügelten Peilflauten vor den nächsten Polizisten. Sie raffen ihr Bündel zusammen, verschwinden um die Ecke und kommen nach ein paar Minuten wieder.

Abends treffen wir uns mit Everardo und ein paar Freunden in einer urigen Biererei im Zentrum. Wir lernen Nallely, Everardos Freundin kennen und feiern gemeinsam mit Andrea und ihre Freund die frisch gefundene neue Wohnung. Andrea ist Fotografin und kann in wenigen Wochen ihre Bilder in Berlin ausstellen. Dicht gedrängt stehen die Tische beieinander, es ist rappel voll. Das Bier schmeckt super!

Xochimilco

Per Metro und Vorortzug fahren wir nach Xochimilco. Das Viertel ist berühmt für seine „schwimmenden Gärten“. Kleine, künstlich angelegte Inseln, mit Seeschlamm bedeckte Flösse, prägen mit einem Netz aus Kanälen das Bild. Letztere haben eine Gesamtlänge von 150km. In vergangenen Zeiten legten die Bauern diese Inseln an, da der fruchtbare Schlamm ihnen eine ganzjährige Ernte ermöglichte. Auch heute werden sie neben der Touristenakttaktion auch noch für landwirtschaftliche Zwecke genutzt.

Eine ganze Armada an Ausflugsbooten, den trajineras, liegt vor Anker. Wir heuern einen dieser kleinen, quitschbunt angemalten Kähne an und werden langsam von unserem Bootsmann per Holzstange durch die Kanäle bugsiert.

Auf anderen Kähnen spielt eine Mariachitruppe. Laut klatscht eine belustigte Gesellschaft Beifall. Auf anderen werden Bier und Erfrischungsgetränke verkauft. Ganz so hat es unser Chauffeur nicht drauf, ab und an rammen wir andere Holzboote, aber das stört hier anscheinend niemand. Alle sind fröhlich und gelassen. Am Ufer werden bunte Blumen verkauft. Überhaupt ist hier vieles liebevoll damit geschmückt.

In der Markthalle geht es ebenso bunt zu. Heute wird die Jungfrau des Ortes gefeiert. Mit schicken Kleid steht die Statue herum, davor sind jede Menge Blümchen drapiert. Flotte Lieder spielen eine Mariachis, in schickem beigem Dress, auf dem Kopf riesige Sombreros.

Kamerasuche

Da Hardys alte Knipse ihm nicht mehr ausreicht und er seine neues Leidenschaft des Fotografierens entdeckt hat, sind wir auf Kamerasuche. Everardo will uns helfen. So klappern wir alle First- und Secondhandfotografiegeschäfte im Zentrum ab. Das Gute hier in Mexiko ist, dass sich die Fachgeschäfte zu einem Themenbereich alle an einer Stelle ansiedeln, so dass wir keine weiten Wege haben. Nach etlichem Anschauen, Testen und Beraten entscheidet sich Hardy dafür, eine neue Kamera in Deutschland übers Internet zu ordern und diese in wenigen Wochen von unserem baldigen Besuch mitbringen zu lassen. Hier sind Kameras noch teurer.

Geradeso schaffen wir es uns unter einem Dachsims in Sicherheit zu bringen. Der Himmel hat sich bedrohlich zugezogen, ein Starkregen verwandelt sich in einen Hagelsturm. Die Straße verwandelt sich in einen reißenden Strom. Und das im März in Mexiko!

Als sich das Wetter wieder beruhigt hat, schlendern wir durch die Fußgängerzone und den nahen kleinen Markt, in dessen Gassen Kinder mit der Hagelmatsche spielen. Es gibt bereits fantasievolle Eiskunstwerke. Wir wärmen uns mit heißen elotes und einer Art Maissuppe auf.

Bei den Narcos und Beautiqueens

Zur Einweihung seiner neuen Wohnung gibt ein Freund Nallelys heute ein Party, Motto ist Narco und Beautyqueen, also Drogenhändler und Schönheitskönigin. Einen Narco könnte man in dieser Situation wohl eher als einen Cowboy bezeichnen, die Drogenhändler werden hier so in romantisierter Form dargestellt.

Wir müssen grinsen, als wir das Thema zur Kenntnis nehmen. Leider, leider haben wir sowie Martin nur unsere paar Reiseklamotten dabei und können uns nicht schick machen. Da ist Everardo schon ganz anders in Zugzwang. Aber auch er ist nicht fürs Verkleiden zu haben. Ganz zum Leidwesen seiner Freundin, die sich zusammen mit ihrer Mitbewohnerin ordentlich aufstylt.

Wir treffen auf Mädels in den tollsten Kleidern, in allen Farben, funkelnde Plastikdiademe im Haar. Wenn ich es nicht besser wüsste, dächte ich, wir seien auf einem amerikanischen Abschlussball gelandet. Die Jungs tragen Cowboystiefel, breite Gürtelschnallen und Cowboyhüte, die bunt im dunklen Raum blinken.

Bei Eintreffen erhält jedes Mädel eine selbstgebastelte Schärpe, um so eine Miss aus jeder Region Mexikos darzustellen. Sie können gar nicht verstehen, warum ich sie mir nicht auch begeistert vor die Brust binde. Als Kompromiss benutzte ich sie als Gürtel. Laut dröhnt die Popmusik. Der Bass bringt die Wände zum Beben. Wir trinken Bier aus Einliter-Flaschen. Stehen rum und versuchen uns mit Martin und den Leuten schreiend zu unterhalten.

Als dann in den frühen Morgenstunden in Affenlautstärke Britney Spears gespielt wird und Nallely und ihre Freundinnen kreischend dazu abgehen, beschließen wir diesen Ort zu verlassen.

UNAM

Everardo studiert an der UNAM, eine der ältesten und größten Universitäten Amerikas. Diese hat einen gigantisch großen Campus, dessen Gelände autonom Verwaltet wird. Die Uni betreibt einen privaten Sicherheitsdienst nur für den Campus. Polizei und Militär haben keinen Zugang, nachdem im Jahre 1968 bei Studentenprotesten hunderte Menschen vom Militär erschossen wurden.

Es wimmelt nur so von bunten Studenten. Wir sehen uns das Stadion, die Zentralbibliothek und den Rektoratsturm an. Die Außenwände aller drei Gebäude sind mit beeindruckenden Mosaik überzogen. Im Park zu ihren Fuessen hängen Studenten Café trinkend ab. Tischtennisplatten stehen zur Verfügung und es wird ein Yogaworkshop angeboten. Ach, da wollen wir doch auch wieder Studenten sein!

Monumento a la Revolución

Das Denkmal der Revolution ist ein klotzartiges Bauwerk mit runder Dachkuppel, dass in den 30er Jahren gebaut wurde. Einst waren die Baupläne ganz anders, eher im Stil des Weißen Hauses geplant. Jene mussten doch aufgrund der Revolution eingestellt werden. Nun beherbergt es eine Ehrengrabstätte der mexikanischen Revolutionäre.

Wir stehen lange am Rande des Brunnens vor dem Komplex, der des nachts in den verschiedensten Farben angestrahlt wird. Endlich kommt Hardy zum Zuge und kann mir was über Lichtinstallationen aus landschaftsarchitektonischer Sicht erzählen! Nun weiß ich auch über Punkt- und Linienbeleuchtung Bescheid. Kinder und Jugendliche rennen kreischen durch die verschiedenen Fontänen, die neben ihrer Beleuchtung auch ihre Positionen verändern. Alle werden patschnass.

Abschiednehmen fällt mal wieder schwer, eine ganze Woche haben wir hier verbracht. Als Dankeschön wollen wir heute für die Familie kochen. Martin macht auch mit. Es gibt Pellkartoffeln mit Quark und dazu selbstgemachte Buletten. Kommt super an! Noch lange sitzen wir mit Everardos Eltern und Ihm am großen Tisch und tauschen Rezepte aus. Unseres gegen ein Familienrezept der sehr leckeren scharfen Soße von Everardos Vater, der berühmten Weber Sauce. 

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