Oaxaca (Mexiko / März 2012)

Nach unserem Großstadtabenteuer Mexiko City landen wir wieder in der etwas kleineren Stadt Toluca. Unsere Fahrräder hatten wir in Alfonsos Hinterhof geparkt und nehmen sie freudig in Empfang. Wir müssen Alfonso berichten was wir alles gemacht haben. Er fragt uns: „Wart ihr hier und da und dort?“ „Nein, waren wir natürlich nicht.“ Eine Woche reicht für Mexiko City einfach nicht aus.

Nevado de Toluca

Am folgenden Tag mache ich es mir an Alfonsos hölzernem Esstisch bequem und schreibe eineinhalb tagelang wie eine Wahnsinnige an künftigen Blogartikeln. Ich genieße es in Ruhe eine Tasse schwarzen Tee nach der anderen zu trinken und mal allein zu sein. Das geht on tour nicht.

Derweil ist Hardy auf Achse. Gleich vor den Toren Tolucas befindet sich der einzige Ride-In-Vulkan Mexikos. Sehr gut per Rad zu erklimmen. So kämpft sich Hardy, nur mit dem nötigsten Gepäck, bis auf 4000 m hinauf, schließt sein Radl an und wandert mit Rucksack weiter. Oben am Kraterrand angekommen offenbart sich eine grandiose Winterlandschaft mit einem Kratersee und ausgedehnten Schneefeldern. Der eigentliche Plan, den höchsten Punkt zu besteigen, verabschiedet sich so gleich, da Hardy ohne Steigeisen und vor allen Dingen sich nicht alleine durch Schnee und Eis durch unbekanntens Terrain kämpfen möchte. Trotzdem bleibt die Uebernachtung neben dem See bei 4300 m und einer sternenklaren, eiskalten Nacht. Kurz nach Sonnenuntergang erwachen die so genannten Vulkanmäuse und krabbeln über seinen  Schlafsack. Niedlich sollen die aussehen im Licht der Stirnlampe. Er ist natürlich zu faul gewesen das Zelt aufzubauen und muss nun sein Essen irgendwie über die Nacht bringen. Fast wie zu Kanadas(Bären)-Zeiten wird es etwas Abseits auf dem Eis abgelegt. So übersteht es die Nacht.

Am nächsten Morgen erglüht erst das oberste Ende des Kraterrandes in herrlichem gelben Licht, welches sich dann langsam bis in den Krater hineinarbeitet. Hardy beschliesst erst eine kleine Wanderung im Krater zu unternehmen bevor er seinen Rucksack versteckt, um einen unverschneiten Nebengipfel zu besteigen. Von dort oben lassen sich sogar die Gipfel von Popocatépetl und Iztaccíhuatl westlich von Puebla erkennen. Bei Abstieg beginnen ihn Kopfschmerzen zu plagen. Der alte Mist mit den ersten Symptomen der Höhenkrankheit…

Die Abfahrt geht doch recht schnell und schon bald sitzt er wieder neben mir am hölzernen Esstisch. Ein kleiner Sonnenbrand rötet seine Nase.

Oaxaca ruft, aber erst mal müssen wir den verkehrsreichen Großraum um Mexiko Stadt durchqueren. Wir wählen einen anstrengenden Weg Richtung Cuernavaca über die Berge. Das heißt für uns 30km lange Steigungen zu überwinden. Langsam, ganz langsam kämpfen wir uns voran. Der Puls pocht, der Schweiß rinnt in Strömen. An meiner Schläfe bilden sich Tropfen, die langsam an der Seite meiner Wange Richtung Kinn hinunter rinnen. Dort verweilen sie, bis sie auf meine Knie hinab tropfen, tropf, tropf, tropf.

Täglich trinken wir mindestens eine drei Liter-Flasche Erfrischungsgetränk aus. Meine Lieblingssorte ist ganz klar Apfelschorle, ist nicht ganz so süss wie Coca Cola oder Sprite. Und man kann sie auch noch trinken, wenn sie warm geworden ist. Gegen Mittag wird es sehr heiß, über 50 Grad beim Fahren in der Sonne überm schwarzem Asphalt. Gegen vier Uhr nachmittags geht es dann endlich wieder, dann sind es nur noch um die 30 Grad, aber um diese Uhrzeit suche wir ja schon meist einen Zeltplatz. Zum Schlafen benutzen wir zurzeit nur das Moskitoinnenzelt.

Cautla

Am Rande der Stadt Cautla bohrt sich eine fiese fette Schraube in meinen Mantel. Die Luft pfeift sofort heraus. Sie hat sich bis in die Felge hinein gebohrt. So ein Mist! Zum Glück hat es die Felge nicht zu doll lädiert. Also abladen und Reifen wechseln. Das machen wir in Rekordgeschwindigkeit, denn es ist bereits spät. Der nette Betreiber eines kleinen Ladens schaut uns mit seiner gesamten Familie zu. Leider hat er keinen Platz für unser Zelt, dafür schenkt er uns jedoch kaltes Wasser, ein Trinkpäckchen mit Guavengeschmack und Kekse. Er rät uns an der nahen Polizeistation nach einer Übernachtungsmöglichkeit zu fragen. Die nette Polizistin schickt uns sodann zur benachbarten, geschlossenen Tankstelle. Nach vielem lauten Rufen erscheint ein Junge, der dann seinen alten Vater holt. Nachdem dieser eine Weile über unser Anliegen sinniert hat, dürfen wir eintreten. Am Rande der Betonfläche machen wir es uns unter Bäumen bequem. Wir dürfen sogar ins Haus kommen und duschen. Der 12-jährige Junge kommt mit seinem Fußball an und schaut interessiert unserer Prozedur des Zeltaufbauens und Kochens zu. Er erzählt, dass seine Mutter irgendwo anders lebe und sein großer Bruder auch schon ausgezogen sei. Und, dass er seit drei Tagen nichts mehr gegessen hätte. Ob das nun stimmt oder nicht, wir kochen einfach eine Portion Nudeln für ihn und seinen Vater mit. Er bedankt sich und nimmt beide Teller mit hoch ins Haus, denn er will nun ein Video ansehen.

Oaxaca

Und dann rollen wir über die Grenze in den Bundesstaat Oaxaca. Sogleich wird die Qualität der Straße deutlich schlechter. Wir holpern auf einem recht buckeligen Asphalt dahin. Aber die Freundlichkeit der Menschen nimmt zu. Sie grüssen und winken. Auch stellen wir eine Veränderung in der Landschaft fest. Die triste, grau beige Trockenheit verwandelt sich in Leben! Yuccapalmen nehmen zu. Wir können an einen Hang hinunter sehen, der voll von diesen tollen Pflanzen ist. Insgesamt wird es grüner. Wir finden kleine Bäche, in denen das Wasser dahin gurgelt. Eine willkommene Abkühlung!

Bergig ist es nach wie vor. Aber interessanter wird’s. Oftmals passieren wir kleine Dörfer, mit ordentlichen Dorfkirchen, meist in weiß oder blau, manchmal auch in bunt. Die bunte Blüten an den Sträuchern leuchten. Ich mag die intensiv violetten am Liebsten.

Oaxaca Stadt

Aufgrund der Kombination der Hitze und den Bergen empfinden wir diese Etappe nach Oaxaca Stadt als sehr anstrengend. Aber nachdem auch der letzte Platten, diesmal an Hardys Hinterrad geflickt ist, radeln wir in Oaxaca ein.

Wir wohnen bei Meagan und Manuel. Manuel ist Künstler und malt an einem Selbstportrait. Meagan arbeitet für diverse Künstler in der hiesigen, überraschend großen Kunstszene als Assistentin.

Oaxaca ist eine sehr schöne, gemütliche Stadt. Die Altstadt ist toll restauriert. Es gibt viele Plätze, die von bunten Häusern umrahmt werden. Auf der Plaza vor einer Kirche betrachten wir eine Freilichtausstellung. Eine Schar von 2056 Tonfiguren stehen herum. Einige sind fast so groß wie ich. Sie symbolisieren die 2056 Personen, zumeist Männer, aus einem Dorf Mexikos, die legal sowie illegal in die USA gereist sind, um dort Geld zu verdienen. Dieses Dorf sei so gut wie ausgestorben, es gäbe nur noch Kinder und alte Menschen, lesen wir. Dem Künstler war es wichtig dieses Thema zu verdeutlichen, da dies ein aktueller Prozess in vielen Dörfern sei.

Wir nutzen die Chance und geben unsere dermaßen stinkende Wäsche in eine nahe Wäscherei. Dabei verliere ich einen Socken, schade, da waren doch bunte Fahrräder drauf!

Heute ist Weltfrauentag. Um die Ecke ist eine Bühne aufgebaut, Vorträge werden gehalten, Bands spielen. Ein schöner Ausklang des Abends, so ganz unmachoistisch! 

Mit Meagan besuchen wir verschiedene Vernissagen und erhalten so einen Einblick in die Kunstszene Oaxacas. Die Künstler können hier anscheinend vom Verkauf ihrer Bilder leben! Es gibt Mezcal umsonst und leckere, kleine gefüllte Croissants. An den Wänden hängen bunte Bilder, eine Installation steht auf dem Boden. Es ist ein kleiner Pool, in dem weiße Plastikbälle und blaue Glassteine drapiert worden sind. Sei es der Mezcal oder nicht, leider macht jemand einen Rückwärtsschritt zu viel und landet im Pool. Wasser schwabt über, Steine und Bälle fliegen durch die Gegend. Es ist mucksmäuschenstill geworden. Beschämt greift er sich einen Besen und versucht die große Pfütze in den Griff zu bekommen. Drapiert hier und da, aber es sieht einfach anders aus.

Mit dem Bus fahren wir auf den nahen Stadtberg, um die Ruinen von Monte Albán anzusehen. Die letzten 2km müssten wir laufen, doch da hält ein Van an und wir bekommen eine Mitfahrgelegenheit angeboten. Drinne sitzen zwei Kanadier, die auch nach Ushuaia unterwegs sind. Hier in Oaxaca pausieren sie, um einen Spanischkurs zu besuchen.

Vom Monte Albán, dem weißen Berg, haben wir einen tollen Ausblick aufs etwa 10km entfernte Oaxaca, das sich wie ein bunter Flickenteppich zu unseren Füssen ausstreckt. Hier oben bauten einst die Zapoteken ihre Hauptstadt, welche gleichzeitig ihr religiöses Zentrum war. Heute können wir nur noch Reste der einst prachtvollen Wohn- sowie Kultstätten, Grabkammern, Skulpturen und Wandmalereien besichtigen. Sogar ein Observatorium gab es!

Wir verbringen den halben Tag in der parkähnlichen Anlage und fahren per Bus zurück in die Stadt. Dort stürmen wir hungrig die Markthalle, um die örtliche “Pizza” zu essen. Wir erhalten jeder einen Teller mit einem großen, dünnen, knusprigen Tortillafladen, belegt mit Bohnenmatsche, Tomaten, Avocado und Chorizowurst. Mensch, ist das Lecker! Weniger angenehm sind die nervigen Verkäuferinnen, die insbesondere mich nicht in Ruhe essen lassen, sondern mir andauernd ihre Waren, bestehend aus Kochlöffeln, hölzernen Lesezeichen, Ketten oder Schals, direkt vors Gesicht halten.

Hardy probiert auch noch eine andere Spezialität Oaxacas, Chapolines. Das sind getrocknete und gegrillte Heuschrecken. Natürlich sind seine Augen grösser als sein Magen und die volle Tüte wird spaeter von Manuel mit Freude gelehrt.

Árbol de Tule

Wir rollen weiter nach Mitla. Hier wächst in einem Kirchengarten der berühmte Árbol de Tule. Der Baum von Tule ist eine mexikanische Sumpfzypresse gigantischen Aussmasses (Taxodium mucronatum). Dieser beeindruckende Baum ist nicht nur 1200 bis 3000 Jahre alt, sondern soll auch der dickste Baum der Welt sein, mit einem Stammdurchmesser von 14 Metern. Neben ihm, auf der anderen Seite der Kirche wächst sein kleiner Bruder oder sein kleine Schwester.

Hier treffen wir auf eine Gruppe Wochenendradler. Ihnen angeschlossen hat sich Andrew, ein englischer Reiseradler, der in San Francisco angefangen hat und auch auf dem Weg nach Argentinien ist. In Oaxaca besucht er, wie so viele, natürlich einen Spanischkurs und ist Banknachbar unserer kanadischen neuen Bekannten. Zudem wartet er auf die Ankunft seiner Freundin, beide wollen zusammen weiter reisen. Vielleicht kreuzen sich noch einmal unsere Wege!

Das ist ja hier wie im Mittelalter, denken wir uns später. Menschenmengen stehen am Rand und auf der Straße herum, der Verkehr wird dadurch stark beeinträchtigt. Um einen Bus steht ein Traube, Gepäckberge werden hinein gewuchtet. Viele Männer haben Macheten und Speere in der Hand. Heftig wird diskutiert und gestikuliert. Polizisten stehen herum, abseits. Bei einem Mann mit einem besonders alt aussehenden Speer fragt Hardy nach. Der erzählt, dass Mexikaner aus einem anderen Teil des Landes gekommen seien, um das Land auf dem nahen Berg hinterm Dorf zu besetzen, um dort zu leben. Die Dorfis haben das mitbekommen, wollen es nicht und haben angefangen die Neuankömmlige schwer bewaffnet wieder zu vertreiben. Ein Bus wurde angehalten, in den nun die Neuen und ihr Gepäck gequetscht werden, damit sie dahin verschwinden woher sie gekommen sind. Die Polizei sei nur dazu da, um für Sicherheit zu sorgen. Aus Hardys und meiner Sicht steht diese jedoch nur herum. Aber vielleicht bringt ihre pure Anwesenheit Sicherheit, wer weiß, wie es hier sonst angehen würde … Der Speer unseres Gesprächspartners sei überigens wirklich antik, ein Familienerbstück aus Zeiten seines Ur-Urgroßvaters.

Am Nachmittag besuchen wir in einem kleinen Ort einen lebhaften bunten Markt unter Planen, die nicht für mittelgrosse Europär aufgehangen sind, kaufen Gemüse fürs Abendbrot ein und machen uns so langsam auf Schlafplatzsuche.

Den finden wir diesmal am Rande eines Magueyfeldes. Die Agaven berühren fast unser Zelt. Wir müssen uns in die freie Stelle ein Wenig hinein quetschen, aber es geht. Ein schöner Tag neigt sich dem Ende, wir genießen die warme Abendstimmung.

Hierve el Agua

Aiaiai, was für ein Morgen. Ich habe Schmerzen innen am Oberschenkel, hab mir wohl was gezerrt, zudem beißt mich meine Freundin die große rote Ameise in die Hacke. Es hört nicht auf zu brennen. Dann geht es auch noch auf schönster Schotterpiste steil bergauf. Es wir wohl die folgenden Stunden so bleiben. Meine Laune sinkt dem Nullpunkt entgegen. Ich schaffe 7km und fange an zu schieben. Hardy ist voraus. Dann hält zum Glück wieder einmal ein Auto. Diesmal ist es ein roter Pick Up. Drei Italiener sitzen drinnen und fragen mich, ob ich Hilfe brauche. Das Angebot nehme ich freudestrahlend gern an! Gemeinsam wuchten wir mein Rad auf die Ladefläche, ich steige ein und wir quatschen drauf los. Die Drei freuen sich mir einen qualvollen Aufstieg zu ersparen und sind begeistert ob unserer Tour. Als wir auf Hardy treffen, läd auch er sein Gepäck auf die Rückfläche, will aber mit dem nackten Rad hochfahren. Ohne Gepäck braucht er dann nur eine Viertelstunde länger als ich. Pah! Das ist ja wohl keine Kunst!

Ziel dieser ganzen Strapazen ist das Hierve el Agua, der Ort des kochenden Wassers. Auf etwa 3000m Höhe finden wir versteinerte Wasserfälle. Ganze 70m reichen diese in die Tiefe. Da sie vor mehr als 2000 Jahren für die benötigte Bewässerung kanalisiert wurden, trockneten sie aus und offenbarten Versteinerungen aufgrund der Mineralien und Salze im Wasser. Es gibt mehrere kleine Pools, in denen das Wasser eiskalt und alles andere als kochend ist. Aber sie erfrischen und der Ausblick ist der Hammer! Steil geht es den Berghang hinab, ein Panorama an Bergen und Tälern vor uns.

Und weiter geht’s, hoch und runter. Teilweise ist die Schotterpiste so steil, dass wir zu zweit die Räder schieben. Hardy fasst am Lenker an und ich schiebe von hinten. Seine Prognose stellt sich als gegenteilig heraus. Er meinte, das dieser Abschnitt, da der Weg sich auf unserer Karte ja nur am Fluss lang schlängelt, recht fix und gut zu fahren sei. Aber weit gefehlt! Er entwickelt sichzu einer abenteuerlichen Odyssee. Zwei Tage schuften wiruns voran. Hoch und runter und dann noch einen Berg und noch einen. Wir fahren jedes Seitental voll ausund kreuzen nur manchmal den Fluss. Natürlich geht es danach sogleich wieder steil bergauf. Es ist staubig und heiß. Zum Glück fahren hiernur wenige Autos. 

Die Menschen sind eher zu Fuß, ihre Kühe vor sich her treibend oder auf ihren Pferden unterwegs. Offen und freundlich wird meistens ein Gespräch mit uns angefangen. Reiseradler scheinen hier nicht allzu oft durchzukommen.

Für die Plackerei werden wir mit tollsten Landschaften und Aussichten belohnt. Es ist wirklich etwas anderes in Oaxacas Hinterland zu radeln, als nur auf den Hauptstraßen. Der Kontakt zu den Menschen sowie die Naturerlebnisse sind anders, intensiver. Kakteen, windschiefe Bäumchen, kleine Blumen, die gelb und weiß blühen, ziehen an uns vorbei. Wir sind genau in der Agarven-, Aloe Vera- und Kakteenblüte. Besonders toll ist das warme, leuchtende Gelb der Agarvenblüten im Kontrast zum strahlend blauen Himmel.

In dieser Region werden die Magueyagaven für die Mezcalproduktion angebaut. Ordentlich in Reihen angelegt ziehen die sich Felder an den Hügeln entlang. Bis auf die steilsten Hänge reichen sie!

In den Dörfern selbst boomt die Mezcalproduktion. Die Mehrheit der Bewohner scheint in dieser Branche zu arbeiten. Da die kleinen Dörfer am Fluss in den Tälern zu finden sind, bleiben die Dunstschwaden des Destillationsgeruches in den Tälern hängen. Wir brauchen gar nichts trinken und werden auch so leicht beduselt. Überall treffen wir auf kleine Fábricas de Mezcal. Unter Wellblechdächern stehen drei bis vier Holzbottiche, abgedeckt mit Planen, in denen der Mezcal gärt. Daneben, wie aus alten Zeiten, ein Mahlstein, der per Esels- oder Pferdekraft bewegt wird. Dieser mahlt die zuvor mit Feuer und Glut behandelten Agaven klein. Freundlich erklärt ein Mann Hardy den Destillationsprozess, er darf auch mal probieren. Schade, dass wir erst vor wenigen Tagen in Oaxaca Stadt neuen Mezcal gekauft hatten. Noch eine weitere Flasche wollen wir nicht mitschleppen.

Im nächsten Dorf werden wir wieder gefragt, ob wir nicht Mezcal kaufen wollen und zu einem recht großen Probeschluck eingeladen. Hier strickt die Hausherrin bunte Blusen und Oberteile. Nun bin ich gefragt und gehe mit ihr ins Haus. Nun ja, leider stellen sich die Werke als potthässlich, dick und schwer heraus. Blusen in Neonfarben, orange, grün, rosa und lila werden mir hingehalten. Einen kurzen Moment bin ich geneigt, die dunkel lilane dennoch zu kaufen, da es ja ein Handarbeitsprodukt aus dieser Gegend ist. Aber 300 Pesos will sie dafür haben, etwa 15 Euro. Das finde ich ganz schön viel für die hiesigen Verhältnisse. Ich frage nach, wo sie diese Kunst denn gelernt habe, erwarte eine Antwort wie von ihrer Mutter und die hat es wiederum von ihrer Mutter gelernt. Aber “de una revista”, „aus einer Zeitung“, ist die freudestrahlende Antwort. Gut, nun bin ich wirklich überzeugt keine dieser Blusen kaufen zu wollen und versuche mich mit unseren Gepäckbergen als Ausrede aus der Affäre zu ziehen.

Endlich, endlich beginnt dann nach nur 10km Schotterpiste am nächsten Morgen der Asphalt, urplötzlich, irgendwo im Nirgendwo. Auch gute Qualität hat er. Wir freuen uns einen Kullerkeks, pumpen wieder Luft in die Reifen, denn diese hatten wir aufgrund der Schotterpartie entweichen lassen und sausen davon. Endlich mal wieder 20km pro Stunde!

Tehuantepec

Morgens, nachmittags und abends nerven Hardy die Platten. Bei Nummer 28 ist er inzwischen angekommen. Ist irgendwie der Wurm drin heute. Wir setzen uns erst mal auf den Platz und werden nach einer Essenspause heute zum wiederholten Male flicken. Hardy verschwindet in der Markthalle, um Tomaten, Avocado und aguas zu kaufen.

Aguas, also kalte Wässerchen, sind unsere neuen Lieblingsgetränke. In der Hitze ist dies das Beste was man trinken kann. Je nach Angebot können wir Orangenwasser, Mangowasser, Papayawasser, Melonenwasser, Tamarindowasser, Guyavenwasser oder Horchatawasser kaufen. Die verschiedenen Früchte werden ausgepresst oder püriert undmit Trinkwasser vermischt. Horchata ist Reismilch. Ungekochte Reiskörner werden püriert und etwas Zucker und Zimt vermischt, dann wird Wasser hinzugefügt. Eiswürfel bringen die erwünschte Kühlung. Das Ganze wird in einen Plastikbecher oder in eine Plastiktüte abgefüllt und mit einem Strohhalm bestückt. Eine super Erfrischung! Aber Vorsicht, sie machen süchtig.

Ich bin mit Manuel ins Gespräch gekommen. Er studiert Sprachen und wohnt mit seiner Familie gleich um die Ecke. Plötzlich kommen noch zwei Reiseradler angefahren. Es sind Marie und Johann aus der Schweiz, natürlich auch auf ihrem Weg nach Patagonien. Erstaunt stellen Hardy und Johann fest fast den gleichen Tachostand zu haben, obwohl die Beiden eine ganz andere Route fuhren als wir.

Ich frage, ob wir nicht alle heute Nacht bei Manuels Familie irgendwie unterkommen könnten. Manchmal muss man den Leuten halt sagen, dass es eine super tolle Idee wäre uns einzuladen. Manuel verschwindet für eine Viertelstunde, er muss erst seine Mutter fragen und kommt mit einem OK wieder zurück. Klasse!

Zusammen schieben wir die Räder zu ihrem Haus. Manuels Eltern betreiben einen kleinen Kiosk, der neben vielen Süssigkeiten auch mit vier Computerspielkonsolen gespickt ist. Wie davon magisch angezogen, hängen den ganzen Tag Kinder und Jugendliche davor. Das Geschäft läuft gut. Mit Marie und Johann teilen wir uns einen Raum und breiten unsere Isomatten aus. Die beiden haben Matratzen mit einem integrierten Blasebalg, den Marie, denn das ist ihr Job, erst 20 Minuten betätigen muss, bevor das Nachtlager fertig ist. Diese Variante wäre für uns nichts, es würde uns zu sehr nerven.

Zusammen mit Manuels Mutter beschließen wir für uns alle quesadillas zu kochen und gehen einkaufen. Quesadillas sind Tortillafladen mit Tomaten, Avocado und Käsefuellung, die zusammengeklappt auf dem Herd knusprig angebraten werden. Es wird ein schöner und lustiger Abend.

Wir verabreden uns, am folgenden Tag zu viert zu radeln, wir haben das selbe Ziel: Zanatepec. Dort lebt Rodrigo, unser warmshower-host. Es wird ein anstrengender Tag, 120km stehen an. Zudem müssen wir die berüchtigte La Ventosa passieren. Auf dem Isthmus von Tehuantepec, der kürzesten Landverbindung zwischen dem Golf von Mexiko und dem Pazifik (ungefähr 200 km Luftlinie), bläst der Wind in heftigen Boehen.

Langsam gehen wir diesen anstrengende Tag an. Unser erster ungeplanter Stop geht uns nahe und lässt uns sehr nachdenklich werden. Der Verkehrsfluss ist hoch. Plötzlich knallt es laut, bremsen quietschen. Scheiße, was ist denn jetzt passiert? Ein alter, dünner Mann, den wir eben noch aus den Augenwinkeln gesehen hatten, wollte mit seinem Holzbündel die Straße überqueren. Er wurde angefahren, voll auf die Autohaube genommen. Vor Schmerzen krümmend liegt er benommen am Boden. Blut rinnt von seinem Ellenbogen und aus einer kleinen Verletzung am Kopf. Alle Autos halten sogleich an, viele Leute stehen herum, ein Krankenwagen wird gerufen. Ein Mann redet beruhigend auf den Alten ein. Er solle sich nicht aufrichten und sich nicht bewegen, Hilfe sei unterwegs. Auch fragt er ihn nach seinem Namen und ob er sich noch an das gerade Geschehene erinnern könnte. Die Ankunft des Krankenwagens dauert. Zuvor kommt ein Polizeiauto vorbei. Und noch einmal werden wir geschockt. Die Polizisten schauen kurz aus ihrem Fahrzeug und fahren dann einfach weiter. Sie kümmern sich weder um den Verletzten, noch um die Absperrung der Unfallstelle oder den Verkehr, der sich in beide Richtungen anstaut. Nichts! Endlich erschient der Krankenwagen, der alte Mann wird auf eine Bahre gelegt. Wir radeln vorsichtig weiter.

In Juchitan legen wir eine Pause ein und trinken auf dem Platz vor der Kirche ein erfrischendes Orangenwässerchen. Juchitan wird auch „Stadt der Frauen“ genannt und man munkelt, es gäbe Reste von Matriarchat. In einem Baumarkt fallen uns Frauenfiguren auf, die einen Blaumann tragen. Und auch Frauenstimmen ertönen hier aus den Lautsprechern der vorbeifahrenden Autos, die lautstark Werbung für den nahen Supermarkt ankündigen. Sonst blöken hier nur Männer.

La Ventosa

Also wenn hier in Mexiko Scharen an Windkrafträdern zu finden sind, dann hat dies wirklich einen Grund! Die durchfegenden Windböhen legen teilweise sogar beladene LKWs auf die Seite. Schwungvoll bläst auch heute der Wind, aber wir haben Glück, er soll nicht doll sein. Dennoch werden wir wie Halme im Wind mal nach links und mal nach rechtes geschoben. Die anderen Drei fegt es sogar von der Straße in den Graben. Anstrengend ist es dagegen anzuackern. Ganz langsam kommen wir voran.

Dann staut sich der Verkehr. Lange LKW-Schlangen bilden sich. Wir schlängeln uns hindurch bis an die Spitze und stellen bestürzt eine Straßenblockade fest. Die Straße ist mit Steinen und großen Hölzern von den Dörflern besetzt. Entrüstet protestieren sie so gegen den Bau der vielen Windkrafträder. Sie sind eindeutig gegen sie. Zum Einen wurden sie nicht gefragt und zum Anderen ist Bauherr und Einheimser des Profits eine spanische Firma. Ganz schlecht. Eine Frau erklärt uns, es sei wie damals, als die Spanier kamen, um die Indigenen zu vertreiben und ihnen ihre Schätze klauen. Nun kommen die Spanier wieder, dominieren dieses Gebiet und verdienen sich dumm und dämlich. Das wollen die Dörfler nicht, protestieren und sperren den Verkehr. Dass sie damit eher ihren eigenen Landsleuten, als der spanischen Firma schaden, scheinen sie nicht so zu sehen. Nun gut. Auch uns wollen sie nicht durchlassen. Lange müssen wir mit ihnen diskutieren. Theatralisch stellt Hardy dar, dass wir unbedingt noch bei Tageslicht in Zanatepec ankommen müssen, da dort ein Freund auf uns wartet und im Dunkeln zu radeln viel zu gefährlich für uns sei. Und dass wir für die vor uns liegende Strecke noch einige Stunden brauchten. Aber es hilft nicht wirklich, die Anführerin und ihre Freunde zeigen kein Erbarmen. Erst als sich immer mehr wartende Menschen mit uns verbünden und lautstark auf sie einreden, werden wir durchgelassen. Glück gehabt.

Also weiter geht’s, ankämpfen gegen diese Böhe, dann gegen Jene. Für die zwei folgenden Stunden haben wir aber die Gesamtbreite der Straße für uns. Da können wir schon mal ein Bisschen aus der Bahn geworfen werden.

Als wir gerade eine Trinkpause machen und drei Liter Apfelschorle in uns schlingen, hören wir den nahenden Verkehr heranrasen. Wie die Irren brausen die Truckerfahrer vorbei. Wow, die haben eine Laune. Wir bleiben besser noch ein wenig sitzen.

Zanatepec

Völlig fertig kommen wir am frühen Abend an der Busstation im kleinen Zanatepec an. Hier wollen wir uns mit Rodrigo treffen. Johann holt erst mal ein Bier und wir stoßen auf diesen harten Tag an.

Rodrigo lebt mit seiner Frau Lupita und ihren zwei kleinen, sehr lebhaften Söhnen in einem schönen Haus. Im Garten steht einen riesiger Mangobaum. Auf dem Grundstück gleich nebenan leben Rodrigos Eltern und seine Schwester. Zu unserer allen riesen Freude ist gerade Mangozeit. Ich kann ohne zu lügen behaupten, dass es hier Mangos regnet. Andauernd fallen sie herunter. Rodrigos kleinster Sohn sowie sein Hund stehen besonders darauf. Beide laufen mit verdächtig verschmierten Mund herum.

Diesmal habe ich einen Platten, eifrig wollen mir die beiden Kinder helfen ihn zu flicken und die Luft wieder aufzupumpen. Alles wird begutachtet und ausprobiert, die Bremsen, die Pedalen und natürlich die Klingel.

Wir fühlen uns durch Rodrigos und Lupitas herzliche Art sehr willkommen und wohl in ihrem Haus. Hier werden wirfür vier Wochen unsere Räder lassen, um Backpacker zu werden. Per Bus geht’s ins recht nahe Tapachula an der Grenze zu Guatemala. Dort werden wir in den Tica Bus steigen, deruns durch Guatemala nach El Salvador bringt. Am folgenden Morgen werden wirmit ihm weiter durch Honduras und Nicaragua reisen, um in Costa Rica anzukommen. Ein Busmarathon erwartet uns. Dem stellen wiruns aber gern entgegen, dauns in wenigen Tagen unsere lieben Freunde Martin, Peter und Bianca aus Berlin besuchen kommen. Mit ihnen werden wir drei Wochen verbringen und durch Costa Rica, Panama und Nicaragua reisen. Wir freuen unswie kleine Kinder unsere Lieben nach so langer Zeit wiederzu sehen!!!

Allgemein, MexikoPermalink

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