In der Grenzstadt Melchor de Menos schreiten wir über die magische Linie hinüber in ein weiteres Land, nach Belize. Die grummelige Beamtin ist nicht ganz so easy going drauf, wie wir es erwartet hatten. Dafür gibt es als Willkommensgeschenk eine Probe der unbeschreiblich leckeren Schokolade, die hier produziert wird.
Belize, easy going, Land der Rasta Kultur und Garifunda Gemeinden, wir kommen! Wir wollen herausfinden, ob es hier wirklich so gechillt abgeht, voller Musik und gut gelaunter Leute.
Was ist anders in Belize? Auf einmal sprechen alle, wirklich alle Englisch! Völlig ungewohnt ist dies für uns. Eine lange Zeit rätseln wir, ob wir die Menschen nun auf Spanisch oder besser Englisch ansprechen sollen. Englisch ist hier die Hauptsprache, Spanisch wird, nicht immer, hinzugelernt.
Die Entfernungsangaben werden in Meilen und Yard angegeben. Wir kramen in unseren Erinnerungen an Amerika und den Umrechnungen ins metrische System.
Dann treffen wir auch auf unsere alten, liebevollen Bekannten, den “No Trespassing!”, “No Loitering!” und “Private Property!” -Schildern.
Der Verkehr ist alles andere als easy-going. Wie die besängten Säue rasen die Autos vorbei. Wer bremst, der verliert. Abstand halten ist hier nicht angesagt. Wie wir kleinen, unwichtigen Radler überhaupt auf die Idee kommen, ihnen ihre Rennbahn streitig zu machen?!
Die kleinen Läden heißen hier “Mary’s Supermarket” oder “Mitch’s Cool Place”, deren Konkurrenz viele, viele Läden, geführt von Chinesen, sind. Die chinesischen Supermarkt-Mafia, wie wir hören. Da jene nur wenige Arbeiter, zumeist ihre eigenen Familienangehörigen beschäftigen und in ihren Großfamilienclans gemeinsam Waren anliefern lassen, können sie die Produkte an die Kunden sehr günstig verkaufen, dass zum Bankrott vieler kleiner einheimischer Läden führt.
Einmal ist es lustig in einem chinesischen Laden einzukaufen. Nachdem die meist in unserem Alter und total gelangweilt, fast am Einschlafen aussehenden Verkäufer mit der Berechnung unserer Waren fertig sind, interessieren sie sich meist sehr für uns. Sie fragen nach wo wir herkommen und wollen Wörter auf deutsch lernen, eins, zwei, drei.
Unsere erste Nacht in diesem netten Land verbringen wir bei unserem warmshower-host Rodolfo und seiner Familie. Wir zelten vor ihrem auf Stelzen stehenden Haus. Rodolfo ist Schulleiter sowie Farmer und bastelt hier und dort an seinem Haus herum. Elektrizität und fließendes Wasser lassen noch ein Wenig auf sich warten. Im Garten steht ein großer Avocadobaum, es gibt Pferde und Kühe.
Die 6-jährige Mary schließt schnell Freundschaft mit Hardy und kuschelt sich schutzsuchend bei ihm unter, als ihr kleiner Bruder Marc sie kontinuierlich zu ärgern versucht. Einst fuhr Rodolfo auch mit dem Fahrrad durch Mittel- und Südamerika, berichtet er uns am Abend. Er schwärmt noch heute davon und zeigt uns Bilder. Leider ist er dagegen in den letzten 10 Jahren überhaupt kein Rad mehr gefahren.
Bei den Mennoniten in Spanish Lokout
Dies wird ein kurzer Radeltag. Nach unserem Aufbruch ziehen schnell bedrohlich tief hängende Regenwolken auf. Eine tolle Weltuntergangsstimmung! Die Luft knistert. Dann fängt es heftig an zu gießen. Wir schaffen es geradeso uns unter dem Vordach einer Fleischerei unterzustellen – Zeit für eine Bananenpause mit heißem Kaffee aus der Thermoskanne.
Wir befinden uns nun in einer Region, in der Flächen des Dschungel gigantischen Ausmaßes gerodet werden. Einfach weg ist er nun, der gute Urwald. Auf den Feldern wird Landwirtschaft sowie Viehzucht betrieben. Einzelne Baumriesen erinnern an die einstige Vielfalt der Gigantenbäume.
Vom Western Hyway biegen wir auf einer Schotterpiste nach Spanish Lokout ab. Wir hatten gehört, dass dies eine mennonitische Gemeinde sei und sind neugierig. An großen Weiden mit lustig aussehenden weißen Kühen mit Schlappohren geht’s vorbei bis zu einer kleinen, alten, verrosteten Fähre. Während wir auf ihre Ankunft warten, lernen wir Ronny und seinen Freund kennen. Beide wohnen in Spanish Lokout. Dieser Kahn ist ein Unikum, gerade mal drei Autos plus unsere Drahtesel finden darauf Platz. Als wir uns umsehen, stellen wir mit lautem Lachen fest, dass diese Fähre ja noch per Hand betrieben wird! Ronny hat sich an die Kurbel geschwungen und legt fleißig Hand an. Im Akkord kurbelt er uns über den Fluss. Auf der anderen Seite bietet er uns eine Mitfahrgelegenheit auf der Ladefläche des Pick Ups bis zu seiner Arbeitsstelle, dem örtlichen milchverarbeitenden Betrieb, an. Wir sausen nur so über die Hügel, er hat uns einiges an Arbeit erspart. Pünktlich zum Ortseingang Spanish Lokouts beginnt der surrende Asphalt. Nicht die Regierung des Landes hat ihn gesponsert, sondern die Mennoniten haben selbst Hand angelegt.
In Wendys Dairies gibt es neben Milch, Käse oder Fastfood auch das beste Eis der Welt, erklärt uns Ronny. Er läd uns auf einen großen Becher ein. Vier verschiedenen Sorten dürfen wir uns aussuchen. Dann schlemmen wir Kiwi-, Cheesecake-, Joghurt- und Oreo-Eis in uns hinein. Wir können ihm zustimmen, es schmeckt wahnsinnig lecker!
Ein Wifi-Zeichen und Facebook-Werbung ziert das Fenster des Verkaufsbereiches. Was‘ n hier los? Unter einer mennonitischen Gemeinde hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Wir lernen, dass es in der Gegend die modernen und die traditionellen Mennoniten gäbe, die jeglichen Gebrauch von moderner Technik ablehnen. Die Menschen in Spanish Lokout gehören zu ersteren.
Wir ziehen uns trotz der Hitze lange Hosen an, wissen nicht recht, wie hier so die Sitten sind und wollen niemand auf den Schlips treten.
Dann radeln wir weiter zum erstaunlich großen, amerikanisch aussehenden Supermarkt. Vom Stil der Gebäude, den ordentlichen Vorgärten mit adrett geschnittenem Rasen könnten wir uns gut in einer amerikanischen Vorstadt befinden.
Aber die Menschen sehen aus, als hätten sie deutsche, holländische, dänische oder irische Vorfahren. Wir müssen schmunzeln, als wir nach langer Zeit einmal wieder in strahlend, neugierig schauende blaue Augen blicken. Helle, leicht rötliche Haut und blonde Haare mit einem Rotstich zieren die Leute. Wir werden neugierig angesehen und schauen genauso neugierig zurück. Besonders fasziniert uns der altmodische Kleidungsstil. Männer tragen Stiefel, lange, dicke Hosen mit Hosenträgern und ein kariertes Hemd, die Ärmel ordentlich hochgekrempelt. Die Frauen und Mädchen sind oftmals in rot-weiß oder blau-weiß karierte Kleidern, die bis zu den Unterschenkeln reichen und lustige Puffärmel haben, gekleidet. Manchmal tragen sie auch Hauben.
Gegrüßt wird mit „Guten Tach!“. Man redet hier Plattditch! Mensch, das hört sich ja an wie im Ort meiner Großeltern! Ich bin begeistert und verstehe sogar auch ein wenig, Hardy leider nichts. Neben dem Plattditch wird sich in Englisch und teilweise auf Hochdeutsch, das wie eine Mischung aus Plattditch und Englisch ausgesprochen wird, unterhalten.
Im Supermarkt gibt eine große Auswahl. Hardy braucht lange, bis er mit einer Kokosnuss, Joghurt, Toastbrot, richtigem Käse und Erdnussbutter wieder heraus kommt. Die Kokosnuss schlachten wir erst einmal mit der neuen Machete. Ein allround-Werkzeug. Wir essen und warten darauf, dass sich Gespräche entwickeln. Der Plan ist, eine mennonitische Familie dazu zu bringen uns einzuladen.
Lange passiert nichts, nur gegrüßt werden wir. Unsere Idee scheint nicht so richtig aufzugehen. Ich will schon weiter, als uns eine alte Frau im urigen Kleid anspricht. Wir sprechen in Englisch und erzählen von unserer Reise. Bei ihnen zu Hause sprechen sie wohl Platt. Sie berichtet, dass sie vor Jahren einmal slowenische Backpacker als Gäste bei sich hatte. Wir wittern unsere Chance und fragen sie ganz frei heraus. Aber sie scheint nicht so begeistert und muss erst mal ihren Einkauf erledigen. Dann fährt sie in ihrem Auto von dannen. Gut, weiter Leute ins Gespräch verwickeln. Ein Priester ist sehr nett, lebt aber weit entfernt auf einer Insel. Eine Frau, die in einem Hardwareshop arbeitet bietet uns an nebenan zu übernachten. Sie hat aber eine noch bessere Idee. Drei Häuser weiter wohnen ihre Freunde Bertha und Frank, die haben bestimmt gern Gäste. Ein Anruf genügt und sie macht uns einen Übernachtungsplatz klar. Prima!
Als wir schon auf Berthas und Franks Grundstück eingebogen sind, hält plötzlich ein Auto. Die Frau im urigen Kleid ist extra zurück gekommen, um uns Bescheid zu geben. Sie musste ihrem Mann fragen und hat nun das OK. Es tut uns unheimlich leid ihr abzusagen. Sie ist deutlich geknickt. Mensch, hätte sie doch nur was gesagt.
Als wir eintreffen, stoppt Bertha ihre Arbeit an der Nähmaschine. Sie arbeitet an einer neuen Badgarnitur, Vorhänge für ihre Badewanne, einen Halter fürs Klopapier und einen Überzieher für den Toilettendeckel, alles passend in blau mit vielen Rüschen und Herzchen. Frank kommt völlig verstaubt aus dem Schuppen herangeschlurft, wo er gerade an neuen Zaunpfosten schleift. Beide beteuern eigentlich gar keine Zeit zu haben, setzen sich aber doch mit uns zu einem Glas Mangosaft und einem Schwätzchen über uns und unsere Reise zusammen.
Ohne große Worte verständigen wir uns darauf, ein sehr einfaches Deutsch zu verwenden, die Wörter langsam auszusprechen. So verstehen wir uns ganz gut. Wir versuchen moderne Wörter, wie „toll“ und „super“ zu vermeiden und mit „sehr gern“ zu antworten. Die beiden spreche ein uriges Deutsch, dass von Generation zu Generation weiter gegeben wurde. Sie wurden in Kanada geboren, zogen dann mit ihren Familien nach Mexiko und schließlich nach Belize. Es wurde nach Land gesucht und dieses hier gefunden. Einziehung in den Militärdienst sowie die Verwehrung von eigenen Schulen für die Mennoniten waren Gründe für die Wanderung. Sie wollten ihre Kinder nicht in staatliche Schulen schicken. Hier in Belize, welches nach wie vor British Honduras genannt wird, können sie ihren Glauben frei ausleben und betreiben eigene Schulen.
Während Hardy im Haus mit Frank den nicht funktionierenden Internetzugang repariert, nutze ich die Gelegenheit, um mehr von Bertha über die hiesige Gemeinde und ihre Sitten zu erfahren. Ich streife die für mich brennend interessanten Themen wie Heirat und Scheidung.
Die beiden sind schon ewig verheiratet, meint Bertha. Damals war es anders als heute. Sie kannten sich nur vier Monate vor ihrer Hochzeit. Da keine Zeit blieb, konnten sie sich nur sonntags treffen, um sich kennen zu lernen und das auch nicht jede Woche. „Wir kannten uns nicht gut, haben uns erst nach der Heirat richtig kennengelernt. Nach der Hochzeit wurde zusammengezogen und Kinder bekommen.“ Bertha hat fünf Kinder.
Heutzutage lernen sich die Paare vor der Hochzeit besser kennen. Nach wie vor ist es ein Tabu zuvor zusammen zu ziehen oder eine intime Beziehung zu führen. Wenn ein junger Mann an einer Frau interessiert ist, fängt er an des öfteren bei ihrem Vater vorbeizuschauen, um erst ihn und dann sie zu fragen, ob sie ihn heiraten möchte. Männer heiraten im Alter von 26-29, Frauen wenn sie Anfang 20 sind.
„Alle Gemeindemitglieder wissen, wenn sie ein gutes Leben haben wollen, müssen sie zusammen leben“, vertraut mir Bertha zum Thema Scheidung an. Wer sich trennt, wird aus der Gemeinde ausgeschlossen. Es sei nicht Gott gewollt. Bei Problemen reden die Paare miteinander, dann wird ein Gespräch mit dem Priester gesucht. In all den ganzen Jahren gab es in Spanish Lokout nur zwei oder drei Scheidungen. Ebenso wenig sei es vorgekommen, dass Männer, welche nicht mehr mit ihrem Frauen zusammenleben wollten, sie verließen. Etwa zwei gingen ins nahe San Ignacio, um dort mit einer andren Frau zusammen zu leben und dort eine neue Familie aufzubauen. Einer von ihnen kehrte in die Gemeinde zurück. Seine erste Frau, die jahrelang dafür betete, musste und wollte ihn auch zurück nehmen. Ebenso musste sie die Kinder, die er mit der neuen Frau gezeugt hatte, aufnehmen. Ich meine, dass die Kinder ja nichts dafür könnten. „Ja“, stimmt mir Bertha zu, „Aber ich weiß nicht, was ich machen würde, wenn mein Mann das täte. Ich weiß das einfach nicht.“
Aber auch Frank beschäftigt eine Frage dringend, die er uns ganze zweimal stellt: „Aber die Mauer in Deutschland, gibt es die denn nicht mehr?“ Kurzzeitig sind wir perplex, mit dieser Frage hatten wir nicht gerechnet. Dann erzählen wir vom Fall der Mauer, der Vereinigung der BRD und der DDR. Dazu zeigen wir Fotos von mir als kleines Kind beim Picken der Mauersteine. Zudem erläutern wir, das Berlin eine Stadt sei und die Mauer sowie einstige Teilung für die jüngere Generation gar kein Thema mehr wären.
Das Internet funktioniert wieder! Hardy hat einen Stein bei Frank und Bertha im Brett. Endlich können sie wieder mit ihrer Tochter im weit entfernten Kanada skypen. Sie wollen sich revanchieren und uns Spanish Lokout zeigen.
Los geht’s im Auto. Wir bekommen als erstes ein schickes, neues Autohaus gezeigt. Große, sich spiegelnde Glasflächen zieren das moderne Gebäude. Dann geht es weiter, wir wollen Berthas und Franks Tochter auf ihrem Grundstück besuchen. In ihrer direkten, sehr sympathischen Art zeigt uns Bertha die Umgebung. „Da ist eine Schule. Dort ist eine Kirche und da noch eine, auf dem Hügel da hinten. Diese dort haben Scharfe. Oh, was macht dieser? Der gräbt mit einer großen Maschine einen Graben. Das ist doch gefährlich! Das kann ich nicht versteh’n.“
Auch zu unserer Fahrradreise sagt Bertha oftmals: „Nein, das kann ich nicht versteh’n!“ Ich glaube Frank findet die Idee gut. Er fragt: „Aber ich bin schon zu alt zu einer solchen Reise?“
Die Tochter wohnt so weit weg, dass die beiden dort nicht oft hinfahren. Etwa 40 Minuten benötigen wir auf Schotterpiste. Wir fahren vorbei an ausgestrecktem Weideland und unzähligen Äckern. Mehr und mehr Land wird aufgekauft, weiterer Urwald gerodet. Die Mennoniten haben den Markt auf Milchprodukte, Gemüse und Geflügel in ganz Belize fest in ihrer Hand, was so langsam zum Brodeln führt, so hören wir später von Bianca, einer deutschen Auswanderin. „Sie arbeiten hart von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, kein Rumhängen. Kein Wunder, dass das Geschäft boomt.“
Die Farmen befinden sich zumeist auf den Kuppen der Hügel. An allen Ecken wird fleißig an Gräben gewerkelt, damit die Massen des baldigen Regens abfließen können.
Auch das Haus der Familie der Tochter steht auf einem Hügel. Sie haben einen Betrieb mit 10 000 Hühnern und betreiben zudem Landwirtschaft. Der älteste Enkelsohn, etwa 19 Jahre alt, ist erst schüchtern, stellt uns aber nach und nach Fragen zum Radel-Alltag. Die jüngeren Enkeltöchter tragen lange Kleider mit hoch geschnittenem Kragen und Puffärmeln. Sie sagen nichts. Ein schüchternes Lächeln kommt uns aus ihren Gesichtern, welche rosarote Wangen und blondes Haar umgeben, entgegen.
Auf dem Rückweg Richtung Spanish Lokout halten wir an einem Park an, in dessen Planungskomitee Frank eifrig mitgewirkt hat. Fünf Jahre lang pflanzte er in dessen Ausführung Bäume, stieß Zaunpfosten in die Erde und baute Klohäuschen. Ein kleiner Fluss wurde angestaut, nun gibt es einen großen See. Der Park wurde einst gebaut, da die Gemeinde einen Ort brauchte an dem alle Platz fänden, um das große Jubiläum des Ortes zu feiern. Wir ziehen den Hut vor dieser Leistung und sind wahrlich beeindruckt!
Abends gibt es Pizza von Wendys Dairies, dunkles Brot, selbstgemachte Marmelade und Käse. Besser kann ein Abendbrot nicht sein! Frank führt uns auf seinem Grundstück herum. Kühe grasen. In einem Teich hinterm Haus tummeln sich unzählige kleine Fische zum baldigen Verzehr. Wir bekommen auch welche mit, tiefgefroren. Es gibt einen Pavillon mit Lichtinstallation, einer Leinwand und einem Beamer. Für die Zusammenkünfte ihrer Familie oder wenn sie mal Freunde einladen, um einen Film anzusehen, erklärt uns Frank.
In einem Schuppen entdeckt Hardy ein altes Fahrrad mit einem sehr großen Hinter- und einem sehr kleinen Vorderrad. Frank hat es selbst gebaut. Früher sei er damit gefahren, aber heute erlaube es Bertha nicht mehr. Hardys Augen bekommen dieses typische Leuchten … er will es unbedingt auch einmal ausprobieren! Elegant sieht es aus, als Hardy sich auf das urige Hochrad schwingt und für eine kurze Zeit auf dem Ross sitzt und ein paar Meter fährt. Weniger elegant ist dagegen seine Landung. Da dieses Gefährt keine Bremsen hat und die Einfahrt ein leichtes Gefälle aufweist, muss sich Hardy zur Seite fallen lassen, um das Rad zum Stoppen zu bringen. Dies geschieht wie in Zeitlupe. Die Landung auf dem Kies ist dennoch hart.
Der Abend klingt sehr nett aus. Wir werden ins Gästezimmer mit eigenem Bad gebeten. Auf dem sehr bequemen Bett direkt am Fenster, welches uns nur durch ein Moskitonetz vom fallenden, kühlen Regen trennt, fühlt es sich fast an wie in unserem Bett zu Hause direkt an unserem Fenster zu liegen.
Blue Hole und Hermanns Cave
Belize ist grün, einfach grün! Es ist ein intensives Mittelgrün, welches hier vorherrscht. Alles ist feucht warm. Es regnet viel. Die Pflanzen wachsen wie verrückt! Sanft hügelig schlänget sich der Humingbird Hyway mit seinem lustigen Namen dahin. Wirklich schön ist es hier! Der Dschungel reicht bis an die Straße hinan. Oft nieselt es leicht. Alles ist feucht, Hose, Hemden, Haut und Haare. Ein Film, gemischt aus Schweiß und Regen legt sich auf unsere Haut. Auf den Brillengläsern bildet sich ein undurchsichtiger Film. Alles fühlt sich klebrig und schleimig an.
Wir besuchen die Hermanns Cave, eine Höhle mit einem unterirdischen Fluss. Wir sind die einzigen Gäste. Mit den Kopflampen bewaffnet laufen wir langsam voran. Nur die ersten paar Hundert Meter sind beleuchtet, es ist ganz still, eine sehr angenehme, ruhige Stimmung.
Danach springen wir ins nahe Blue Hole. Wir brauchen dringend eine Abkühlung. Die Zenote ist aber leider momentan nicht tief blau, sonder eher tief braun. Der Regenfall der letzten Tagen hat Sedimente aufgewirbelt. Schade, aber erfrischend ist das kühle Nass dennoch.
Als wir uns wieder auf die Bikes schwingen treffen wir zwei Radler. Es sind Rob und seine Freundin Regula. Rob hatten wir vor etlichen Monaten hoch oben im Norden in Dawson City (Kanada) kennen gelernt. Er ist auf dem Weg nach Peru. Für acht Wochen kann Regula ihn begleiten. Zusammen wollen sie bis nach Managua radeln. Wie wir haben sie vor im nahen Guatemala einige Runden auf Nebenstraßen zu drehen, vielleicht sieht man sich mal wieder.
Wir durchfahren kleine Dörfer und winken den Kindern in Schuluniformen zu. Bunte Schulbusse bahnen sich laut hupend ihren Weg an uns vorbei.
Wir passieren viele Orangen- und Zitronenplantagen. An einer Juicefabrik kaufen wir den Saft direkt vor Ort. Es gibt viele verschiedene Sorten. Hardy wählt ganz klassisch Orangensaft und ich Multifrucht. Eine Energiebombe!
Hopkins
Nach einer 10 km langen, roten Lehmpiste kommen wir in Hopkins an. Hier, im kleinen Karibikort, wollen wir ein paar Tage ausspannen.
Unser Zelt steht im Garten des bunten Hostels Funky DoDo. Hostelfeeling kommt auf. Zusammen mit anderen Travellern sitzen wir am Tisch unter dem schattenspendeden Palmendach, tauschen interessante Geschichten und Infos aus, während uns die fiesen, zahlreichen Moskitos und Sandfliegen gern aussaugen würden. Hier in Hopkins startet der Regen pünktlich am Mittag und dauert bis etwa 16 Uhr an. In dieser Zeit fällt er in Strömen. Bei einer solchen Regenpause lernen wir Ian kennen. Er kommt aus New York und ist Patternmaker. Es ist lustig Hardy und Ian nebeneinander zu sehen. Was für ein Gegensatz, Hardy, der sich keinen Deut um Kleidung schert und Ian, dem Klamotten so unheimlich wichtig sind.
Hardy will ein Loch in seine Machete bohren lassen, um sie besser am Rahmen seines Fahrrads befestigen zu können. So läuft er selbstbewusst, erhobenen Hauptes mit ihr in der Hand durch den kleinen Ort, auf der Suche nach einer Werkstatt. Die Leute schauen ihn merkwürdig an. Ian, der hinter Hardy läuft, fragen sie, ob er diesen Typen kenne. „Da es ja manchmal Leute gäbe, die verrückt seien, aber dann auch so aussähen würden. Aber der da sähe doch ganz normal aus.“, sagen sie.
Uns gefällt Hopkins mittel-gut. Müll liegt herum, heruntergekommen sind die Häuser. Der Strand ist dreckig und schmal. Mit der Garifuna-Mentalität kommen wir auch nicht so ganz klar. Laut, oftmals schreiend wird sich hier im Slang unterhalten. Uns er scheint dies grob, voller verbaler Gewalt und wenig herzlich. Dennoch bleiben wir drei Tage und spannen ein wenig aus…
Cooksgomb Jaguar Sanctuary
Mit dem Plan eine ganztägige Wanderung zu unternehmen, besuchen wir das Cooksgomb Jaguar Sanctuary. Neben tollem Dschungel, soll es hier natürlich Jaguare, aber auch Wasserfälle und Pools, in denen man baden kann, geben.
Wir sehen die tiefen Wolken bereits herannahen, als wir einen Aussichtspunkt auf einem Hügel erreichen. Zum Glück steht ein Picknicktisch unter einem Wellblechdach wie für uns bereit. Es wird unser Plätzchen für die folgenden Stunden. Erst machen wir Mittag, dann legen wir uns auf den Tisch, um ein Nickerchen einzulegen. Dann regnet es durch und der Wind weht den Regen auf uns.
Am Fuße des Wasserfalls treffen wir später auf den völlig durchnässten Ian. Er hatte sich im nahen Mayan Center ein Fahrrad ausgeliehen und war uns gefolgt. Uns ist allen nicht nach baden im sprudelnden Pool direkt unter dem tosenden Wasserfall oder weiterem Wandern zumute. So treten wir den Rückweg an.
Mit den Rädern geht’s über eine hügelige, schlammige, völlig überflutete Sandpiste zurück zum Mayan Center. Wir finden es lustig, Ian weniger. Er ist die körperliche Anstrengung nicht gewohnt und schiebt oft sein unbepacktes Rad die Hügel empor. Zudem ist er völlig besprenkelt, denn sein Drahtesel hat kein Schutzblech. An einem sich gebildeten See müssen wir absteigen und die Räder hindurch schieben. Hardy ist vor mir. Da sehe ich eine Schlage, sich schnell schlängelnd Hardy nähern. Ich rufe ihm zu, er solle aus dem Nass verschwinden, hier gibt es auch Giftschlangen. Hardy sprintet zum Ufer in einem lustig anzusehenden Stand, nichts passiert.
Zusammen mit Ian verbringen wir einen schönen Abend im Mayan Center, einem Hotel mit Naturheilpraxis. Der Betreiber ist Schamane. Wir sitzen mit einem urigen Franzosen zusammen, der von Google eine mail bekommen hat. Diese besagt, dass er eine Million Dollar gewonnen hätte. Sie hätten wohl auch versucht bei ihm anzurufen, aber seine Frau habe nichts verstanden. Stolz zeigt er uns den ausgedruckten Text. Nun will er nach Amerika reisen, um zur Zentrale von Google zu gehen, ihnen den Text zu zeigen und zu schauen was passiere. Nur sind die Vereinigten Staaten weit, weit weg und er hat auch keinen Reisepass passend fuer die USA. Ian erklärt sich bereit für ihn in New York zur Zentrale von Google zu gehen, um sehen was er erreichen kann. Wir sind alle gespannt und drücken natürlich die Daumen!
Ian macht es vor scharf zu essen. Erst zwei Teller Nudeln mit viel scharfer Sause, Salsa Habanera. Hechelnd und schwitzend sitzt er uns gegenüber. Dann löffelt er die Chileoße pur! Er meint, dies sei wie ein Kick, ein natürlicher Weg high zu werden, ohne Drogen. Und das Beste danach sei, na, was wohl? Die Zigarette danach!
Nun beradeln wir die Mayagemeinden des kleinen Landes. Ulkig fühlt es sich für uns an, die Mayas, die für uns optisch den Mayas jenseits der Grenze Guatemalas gleichen, auf Englisch anzureden und nicht auf Spanisch.
Wir befinden uns auf dem Southern Hyway. Die Landschaft ist nett, aber auf die Dauer langweilig. Es wiederholt sich. Nadelbäume, Bananen- und Orangenplantagen ziehen an uns vorbei. Heute Vormittag müssen wir beide unsere Vordermäntel austauschen. Hardy bekommt mal wieder eine Beule, die explodiert. Mein Mantel ist nach insgesamt vier Jahren und etwa 18.000 km auch einfach durch.
Abends zelten wir im Garten einer kleinen Familie, den ein kühler Bach kreuzt. Sie ist maya, er ketchi. Vor fünf Jahren hat er angefangen von einem Missionar Englisch zu lernen, neben der Sprache natürlich auch den Inhalt der Bibel. Er ist Christ geworden, Englisch lernt er weiterhin. Spanisch wird hier nicht gesprochen. Wir bekommen einen warmen Cacao angeboten. Der kommt direkt von den eigenen Pflanzen im Garten. Schmeckt total intensiv.
Earth Ship
Zum Projekt des Earth Ships unternehmen wir einen kleinen Abstecher. Wir haben gehört, dass man hier gegen Kost und Logie mithelfen kann. Dieses „Erdenschiff“ wird mithilfe von recycelten Materialien gebaut. Unzählige Plastik- und Glasflaschen werden in den Wänden verbaut. Die massiven Wände bestehen aus alten, mit Erde gefüllten Autoreifen und Beton.
Hier leben Richard und seine Frau mit ihren drei Kindern. Sie sind aus England ausgewandert, um hier zu leben und haben sich ein Wahnsinns-Grundstück gleich neben den Ruinen von Lubaantum gekauft. Richard, heute mal gesprächiger, läuft mit uns über das Gelände und zeigt uns Bananen-, Kaffee- und Cacaopflanzungen. Riesig ist es, es nimmt kein Ende. Er hat Jaguarspuren entdeckt. Von einer Mutter mit ihrem Jungen. „Das ist schlecht“, sagt er, „die Mutter ist nun sehr hungrig.“ Der schräge, oftmals grummelige Richard läuft permanent mit Lederstiefeln und seiner Machete herum. Das ist wirklich lustig anzusehen. Hier in Belize gilt englisches Recht, lernen wir. Sobald jemand ungefragt einen Fuß auf sein Grundstück setzt, darf er ihn theoretisch ohne Warnung erschießen. Einst war er Soldat in der englischen Armee und ist jederzeit bereit zu schießen, sagt Richard. Gleich zu Beginn, als die Familie herzog kaufte er sich drei große Hunde sowie Waffen. Er ließ diese Kunde im Dorf streuen und hatte seitdem nie Probleme, wurde weder beraubt, noch überfallen.
Neben Kinderzimmer-, Lagerraum- und Volunteerhaus aufräumen, putzen wir entzwei geschnittene Flaschen, lassen diese in der Sonne trocknen und kleben mit Klebeband die trockenen Hälften wieder zusammen. Total spannend. Irgendwie ist dieses Projekt nicht das wahre für uns. Entweder sind wir zu individuell und unabhängig unterwegs oder das ist einfach nicht das Richtige. Es erfüllt uns nicht.
Als Richard hört, dass vier neue Woofer in Anmarsch sind, ist er wenig begeistert. Er meint, er will hier leben und nicht andauernd fremde Leute um sich herum haben. Kann ich verstehen. Aber anders bekämen sie nicht so viele helfende Hände für den Bau ihres Hauses.
Des Abends sitzen wir dann mit den vier Neuen am Abendbrottisch zusammen. Australier und Engländer erzählen wild durcheinander. Jeder schiebt seinen eigenen Film und lässt niemanden ausreden. Sei es der Akzent oder die späte Stunde, wir verstehen nur rhrhrhrhrrh und gehen ins Bett.
Froh weiter radeln zu können, schwingen wir uns am frühen Morgen auf die Sättel. Schnell brausen wir über die Hügel ins nahe Punta Gorda. Hier bringt uns eine kleine Fähre hinüber über’s Meer, zurück nach Guatemala. Schoen, interessant und wichtig war fuer uns der Belize-Aufenthalt. Gut hier gewesen zu sein!
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