Sierra Nevada del Cocuy (Kolumbien/Oktober 2012)

Ausflug in die Sierra Nevada del Cucuy

An einem schönen Sonntag Morgen starten Rasmus und ich (Hardy) unsere Wandertour. PNN Sierra Nevada del Cocuy ist das Ziel. Es ist ein schroffes Gebirge mit Lagunen, Gletschern und Gipfeln über 5000 m.

Es geht erst per busseta nach Tunja, wo langweilige 5 Stunden abgesessen werden müssen, bis es dann um 22 Uhr eigentlich weitergehen soll. Die Zeit verstreicht, so auch 22 Uhr. Erst um halb 11 kommt die Nachricht, dass der Bus auf dem Weg von Bogota nach Tunja in einen Unfall verwickelt wurde und ein Ersatzbus organisiert wird. Der Traum vom komfortablen Reisen ist dahin. Der Ersatzbus ist tatsächlich eng und an Schlafen ist in den folgenden 7 Stunden nicht zu denken.

Entsprechend gerädert kommen wir im Dorf El Cocuy an und wollen vom gleich angespurtetem Schlepper, der einen schnellen Privat-Transport bis zum Anfang des Weges verkaufen will, nichts wissen. Es ist 6 Uhr 30.

Wir verziehen uns in eine kleine Kneipe, die gleichzeitig auch Laden und Telefonzelle ist. Beim Pissen steht man frei mit dem Rücken zur Ladenzeile rechts neben dem Eingang. Wie wir hören ist der Milchtransporter schon weg. Das wäre die billige Variante gewesen, um hoch in die Berge zu kommen.

Noch während wir an unseren an unseren tintos (kleinem Kaffee) nippen und überlegen wann wir starten sollten (vielleicht erst Morgen früh?), kommt ein Wanderer mit einem dicken Rucksack in die Kneipe geschneit. Wir kommen schnell ins Gespräch. Juan Carlos will auch in die Berge und hat sich schon einen privaten Transport organisiert. Kurzentschlossen und von seiner Abenteuerlust angesteckt, werfen wir alles Knausereien über Bord und teilen uns mit ihm das Taxi. Es soll heute schon losgehen!

Eine Stunde geht es groben Schotter bergauf, dann sind wir bei den Cabañas Hermanos Herreras (3890m). Rasmus uns ich verdrücken schnell noch ’ne Schale Haferflocken mit kalten Wasser und los geht’s. Ein bisschen neidisch sind wir auf Juan Carlos Wanderstoecker, zweifeln aber gleichzeitig an der Wettertauglichkeit seiner Ausrüstung. Juan Carlos erzählt uns schon viele Male hier oben gewesen zu sein und macht uns Mut trotz der eher schlechten Bedingungen zu dieser Jahreszeit eine Wanderung in den Bergen zu versuchen. Er selbst will, sofern das Wetter es zulässt, den Pan de Azucar (5250 m) besteigen.

Wir durchschreiten ein Tal und bekommen die ersten Lagunen zu Gesicht. Noch halte ich mich mit dem Fotografieren zurück, hab doch nur zwei Akkublöcke mit und möchte unbedingt später, wenn wir weiter oben sind, noch tolle Fotos schießen können. Das Tal ist feucht, zauberhafte frailejones (Schopfrosetten) besiedeln über weite Flächen die baumlose Ebene. Der Boden ist durchtränkt. Teilweise waten wir durch den Matsch und sind froh unsere Bergstiefel mitgenommen zu haben.

Schon beim Loslaufen fallen uns dichten dunkle Wolken auf, die die Wetterprognosen anscheinend nur bestätigen wollen. Wir steigen höher und sind dann auch gleich beim ersten Pass Alto de Cusiri (4411 m) im dichten Nebel. Hinter einem großen Stein setzen wir uns in den Wind-und-Regen-Schatten und verdrücken Erdnüsse und etwas Brot. Mittlerweile sind wir auch alleine unterwegs. Juan Carlos, hatte sich vor ’ner Weile, noch beim Aufstieg, mit der Ansage, dass er gleich nachkommen würde und nur noch eine Dose Hühnchenfleisch verputzen müsse, hingesetzt. Wir sehen ihn in den nächsten Tagen nicht wieder und hoffen nur, dass er nach dem einsetzenden Regen einsah mit seiner für diese Verhältnisse unzulänglichen Ausrüstung vielleicht besser nicht mehrere Tage hier hoch oben in den Bergen verbringen sollte. Wir ziehen Regenjacke, Regenhose und Gamaschen über und schwitzen beim Steigen alles von innen voll.

Weit laufen wir heute nicht mehr. 15:30h, nach einem steilem Abstieg, überzeugt mich Rasmus meinen Tatendrang zu zügeln und es langsam anzugehen. Er hat Recht, es ist unser erster Tag in den Bergen und in der Höhe. Außerdem steht für heute Abend noch eine besondere Aufgabe an.

Cleverer Weise habe ich nämlich kurz vor unser Abreise aus Villa de Leyva unsern Benzinkocher zerstört. Jedem und Jeder mit ’nem MSR Dragonfly sei an dieser Stelle ans Herz gelegt, dass das Innengewinde zum Einschrauben des Düseneinsatzes auf Grund seine Weichheit eine im Verhältnis zur härteren Düse geringere Lebensdauer hat. Im vollen Reinigungseifer habe ich es irgendwann durchgedreht. Natürlich verwendet MSR an dieser Stelle ein eigenes Gewindemaß, so dass auch ein Nachschneiden ausgeschlossen ist … Alena und ich brauchen einen neuen Kocher. Alternativ wandern wir nun mit Rasmus‘ Trangia Alkoholkocher, der aber leider auch nicht richtig funktioniert.

Im Endeffekt bedeutete dieser Umstand für unseren Ausflug eine strenge Diät. „It’s not a gourmet-trip“ ist unsere Devise und solch‘ einer wird es wahrhaftig auch nicht werden: Trotz größter Wartungsbemühungen lässt sich aus dem Kocher nach 1,5 h Koch-, nee, Wärmzeit für jeden nur ein Schüsselchen nicht ganz weicher Nudeln zaubern. Wir nehmen’s gelassen hin, haben wir doch schon beschlossen die klassische 5-6-Tage-Umrundung des Gebirges aufgrund der Witterungsbedingungen sein zu lassen. Das war erst geplant und entsprechende Essesvorräte, auch Brot und genügend Kekse, haben wir dabei. Unsere Rucksäcke sind echt schwer.

Wir platzieren unser Zelt neben einem gurgelnden Bach und genießen, wartend auf das Ansteigen der Wassertemperatur im Top auf wenige Grad, den gigantischen Ausblick in das Tal.

Am nächsten Morgen geht es wieder steil bergauf, wir erklimmen den Pass Alto de Patio Bolas (4380 m) und erreichen schon nach 3,5 Stunden Wanderung die Laguna Grande de la Plaza (4314 m). Ganz kurz noch, bevor wir das Ufer erreichen, reißt die Wolkendecke auf und ein atemberaubender Blick lässt für einige Sekunden die Schönheit unseres Standortes begreifen. Mit dem Wolkenschluss setzt Regen ein und wir verbringen die folgenden 1,5 Stunden unter der Plane.

Heute soll es nicht mehr weitergehen. Die große Runde ist abgeblasen, stattdessen haben wir die Idee, oder besser gesagt den Wunsch, Morgen einen Pass (Alto de Bellavista) mit 4780 m zu überschreiten und wollen den Zugang und die Bedingungen heute noch auskundschaften.

In einer Regenpause stellen wir das Zelt auf und machen uns, nachdem der Regen tatsächlich endgültig nachlässt auf den Weg die Westseite der Lagune zu entdecken. Ergebnis: „Let’s try it.“

Ein gemütliches Warten im Schlafsack auf die Kocherschnecke füllt den Abend und tatsächlich gelingt es Rasmus am Ende sogar neben dem obligatorischen Schählchen Nudelsuppe noch für jeden eine Tasse Kakao zu erwärmen. Nach einem Gespräch über Höhenkrankheit schlafen wir ein.

Am nächsten Morgen berichte ich Rasmus von dem starken Steinschlag, den ich nachts von der Westseite, unserer Passseite, hörte und erkläre meine Zweifel an unserem heutigen Unterfangen. Rasmus stattdessen berichtet mir von seinen in der Nacht eingesetzte starken Kopfschmerzen und seinem Unvermögen sich auch nur einen Schritt zu bewegen. Schnell ist klar: Wir bleiben heute hier. Ich selbst bin erstaunt, wie wenig mir die Höhe zu schaffen macht. Ich bemerke nur leichte Kopfschmerzen.

Dafür ist heute blauester Himmel und das, was wir gestern nur in Sekundenschnelle erfassen mussten, offenbart sich nun in voller Pracht. Wir sind in mitten einer der schönsten Landschaften, die ich während der bisherigen Reise bewundern durfte. Schroffe Wände umrahmen die spiegelnde blaue Lagune. Failejones (Espeletia spec.), hier Aufgrund der Höhe im Vergleich zu ihren tiefer lebenden Artgenossen in einem früheren Abschnitt ihres Vegetationszyklus, stehen kleingewachsen und in voller Blüte, als immerhin doch höchste Vegetationsstruktur, wie eine sich versammelnde Bevölkerung dieser Region am seichten Ufer.

Rasmus will heute mit Aspirin den Tag im Zelt verbringen. Da will ich die Zwei nicht stören und unternehme eine Wanderung zur Ostseite der Lagune. Leider breche ich etwas spät auf, so dass mein geplanter Aufstieg zu einem schneefreien Gipfel nicht möglich ist. Gegen 12h ziehen die Wolken hoch und versperren die Sicht auf wenige Meter. Unbeschreibliche Ausblicke auf einen kleinen Teil des westlichen Gebirgszug der Sierra Nevada del Cucuy lohnen diesen Ausflug aber doch.

Kurz bevor mich die Nebelwand vollständig umhüllt kehre ich zu Rasmus, Asperin und unserem Zelt zurück. Wir schmeißen den Kocher an, auf dass wir in gefühlten 2h was Brauchbares zu Futtern haben und vertreiben uns die Zeit mit Rätselraten und dem Erzählen von Geschichten aus unserem jeweiligen Leben. Es ist schön mit Rasmus unterwegs zu sein. Wir verstehen uns blendend. Er teilt meinen Sarkasmus und lässt sich von meinen trockenen nüchternen Bemerkungen nicht unterkriegen…

Am Abend verzieht sich der Nebel und wir unternehmen einen kleinen Spaziergang zu einem nahen Wasserfall, dem Ausfluss der Lagune. Auch scheinen sich Rasmus‘ Symtome der Höhenkrankheit gebessert zu haben. Dennoch blasen wir entschieden unsere geplante Passüberschreitung ab. Bei Steinschlag und den Schneemassen, die ich hoch oben beim Pass entdeckte, wollen wir mit unserer für diese Verhältnisse unzulängliche Ausrüstung kein Risiko eingehen. Rasmus‘ will noch andere Berge besteigen und ich natürlich auch, aber will auch heil zurück zu Alena kommen und auf jeden Fall radelnd Ushuaia erreichen!

Am nächsten Morgen ist unser Zelt eingeschneit. Wir haben uns entschieden den Rückweg anzutreten. Es besteht noch die Option später in ein Seitental abzubiegen, aber so ganz sicher sind wir uns nicht. Irgendwie zieht es uns zurück zu den Rädern und Hunger haben wir auch … is‘ schon Scheiße ohne funktionierenden Kocher!

Entsprechend motiviert wandern wir die bekannte Route zurück und schaffen tatsächlich an diesem Tag die gesamte Strecke des Hinwegs, der uns zwei Tage gekostet hatte. Leider versperrt uns wieder Nebel und ab und zu auch Regen jegliche Sicht auf das umliegende Bergland. Morgen soll es dann zurückgehen, in einem Rutsch nach Villa de Levya. Die Nacht wird kalt. Etwas exponiert platziert ist unser Zelt am nächsten Morgen gefroren.

Um sieben stehen wir an der Kreuzung zur Parkeinfahrt und warten auf den Milchtransporter. Wie das so ist bei schönstem Sonnenschein…. Der Milchtransporter kommt und wir dürfen zu der Gruppe Menschen mit auf die Ladefläche steigen. Lange schaue ich mir die Gewänder der Campesinos an und frage mich, ob ich nicht auch dringend so ’nen Poncho, wie sie ihn hier alle tragen, brauche. Leider stellt Rasmus die Dringlichkeit der Sache in Frage…

Die Fahrt dauert vier Stunden und irgendwann sind auch fast alle anderen Mitfahrer ausgestiegen. Wir ergreifen die Gelegenheit. Schon gestern haben wir geplant, wie wir Milch verladen werden, um so unseren Transport noch spannender zu machen. Jetzt hilft dem lechero keiner mehr, da müssen wir ran!

In den Stunden vom Park nach Cuican hält der LKW ungefähr alle 100m an. An der Straße haben die Bauern ihre vollen Milchkannen gestellt. Diese werden nun vom lechero durch einen groben Filter in diverse große Behältnisse gekippt. Am Ende der Fahrt kommen so sage und schreibe fast zweitausend Kubikmeter Milch zusammen. Der lechero erzählt uns, dass nur an insgesamt acht Tagen im Jahr kein Transport stattfindet.

Unsere Aufgabe ist es von der Landefläche zu springen und die Milchkannen dem lechero zu reichen. Stundenlang geht das so und wir wagen tatsächlich darüber nachzudenken, ob wir damit nicht vielleicht unsere Fahrt bezahlen… Große Hoffnungen mache ich mir nicht und tatsächlich dürfen wir am Ende noch ein wenig blechen. Naja, wir haben ja damit gerechnet. Spannend war’s trotzdem mit dem lechero!

In Cuican stürmen wir als erstes die nächste Kneipe. Ein almuerzo (Mittagessen) muss her! Dieses besteht hier zu Lande aus einer Suppe, einem Hauptgericht wie z.B. einem Stück gebratenen Fleisches oder Huhn, Reis und einer Gemuesematsche. Dazu gibt es immer ein Getränk, meistens einen Saft. Und manchmal, wenn man Glück hat kommt man beim Bezahlen in den Genuss eines Nachtisches in Form eines Bonbons. Insbesondere die jugos haben es Alena und mir angetan. Dazu werden einfach ein paar Früchte, Wasser, Eis, etwas Milch und ganz viel Zucker in den Mixer getan, kurz zerschreddert und fertig ist der kolumbianische Saft.

Das Mittagessen bekommt uns gut und wir merken wie ausgehungert wir waren. Wenige Stunden später bestellt Rasmus gleich noch eine Portion. Mir ist das zu teuer und ich zehre von unseren immer noch reichlich vorhandenen Vorräten.

Wir verbringen die restliche Tageshälfte in Cuican – mal in der Kneipe, mal auf dem Platz. Wir beobachten das Mädchen, das mit dem Polizisten flirtet, der gelangweilte Opa, der die beiden betrachtet, die drei Kinder, die sich fotografieren lassen möchten und denen ich nun ihre Fotos per Post senden will, der Reiter, der uns mit breitem Grinsen ständig als Gringos anredet, die Traube Männer, die mitfiebernd vier andere beim Kartenspiel beobachtet, ‚zig leere Tintobecher türmen sich um sie herum und die Schulmädchen, die schwatzend Runde um Runde um den Platz drehen.

Wir warten so lange, da wir den Nachtbus nach Tunja nehmen wollen. So sind wir früh Morgens letztendlich in Villa de Leyva und haben eine Nacht gespart.

So passiert es dann auch, ganz unspektakulär, ohne Abenteuer stehen wir um sieben Uhr morgens vorm Casa Vienna wieder in Villa de Leyva.

Es war ein schöner Ausflug, etwas kurz, etwas regnerisch aber dafür intensiv und mit kurzen Momenten herrlichster Bergpracht!

Fotos zu diesem Ausflug findet Ihr in der Galerie.

KolumbienPermalink

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