In Schlängellinien von Quito nach Ambato (Ecuador/ März 2013)

Bei Santiago und seiner netten Familie verbringen wir in Tumbaco nach dem Besuch der Galápagos Inseln ein paar geruhsame Tage. Natürlich müssen wir von unserem Kurzurlaub und all den Begegnungen mit den Tieren berichten.

Wir bringen die Bikes auf Vordermann und organisieren uns. Hardy putzt emsig, angesteckt von Santiagos Arbeitsweise in seinem Bikeshop, sein Fahrrad, bis es überall glänzt. Ich spare mir das. Wird ja eh wieder dreckig.

An einem Samstagmorgen kann Hardy einem befreundeten Imkers Santiagos bei seiner Arbeit zusehen. Kopfschüttelnd kommt er zurück. Ach wenn er nur Zeit hätte und keine Allergie, man könnte den hiesigen Imkern soviel beibringen und dabei selbst viel über die Arbeitsweise mit den Bienen in den Tropen lernen.

Sightseen in Quito

Im Instituto Geografico Militar in der Neustadt Quitos erstehen wir topografische Karten für kommende Wanderungen. In der Casa de Cultura besuchen wir eine tolle Ausstellung über vergangene Kulturen des Landes und bewundern die gut erhaltenen, sehr filigranen, wunderschönen Keramiken. Wenn ich das sehe, juckt es mich sehnsüchtig in den Fingern.

Hardy freut sich wie ein kleiner Junge, als er sich sein langersehntes neues Spielzeug kauft: einen Höhenmesser. Kichernd und mit seinem breitesten Grinsen holt er ihn von nun an immerzu hervor und verkündet stolz auf welcher Höhe wir uns gerade befinden und wie viel Grad Celsius es ist. Leider funktioniert die Wetterprognose nicht so prächtig, denn sie zeigt beständigen Sonnenschein an, auch wenn wir miesestes Regenwetter haben.

Auch schaffen wir es endlich uns die Altstadt der 2,5 Millionen Metropole anzusehen. Leider ist es kühl und regnerisch an diesem Tag. Dennoch besteigen wir den steilen Turm der Basilika del Voto Nacional. Von dort haben wir einen guten Überblick über die sich großflächig ausbreitende Stadt. Wir laufen fröstelnd durch die kolonialen Gassen und lassen uns bei einer Führung die prunkvolle Kirchenkunst des großen, alten Franziskaner Klosters Monasterio de San Fancisco erläutern. In der berühmten Escuela Quiteña spielt vor allem die Erleuchtung aber auch schwere Symbolik eine große Rolle. Hardys Interesse weckt eine besonders blutige Jesusfigur, natürlich an einem Kreuz hängend. Hinter den Rippen klafft dort ein Loch. Schaltet der guide das Licht in der Vitrine an und wackelt an dieser, kann ein sich bewegendes, „schlagendes“ Herz im Inneren Jesus beobachtet werden.

Die casa de ciclistas ist gut besucht. Immer wieder kehren Radler ein. James und Sarah aus England sind im hohen Norden zu einer ähnlichen Zeit gestartet wie wir. Und dann rollen rasend Glen und Ali ein. Nun ist es soweit, wir haben ja schon damit gerechnet, dass es irgendwann passieren würde, dennoch trifft es uns unvorbereitet. Das kanadische Radlerpaar ist ein Jahr nach uns in Anchorage gestartet. Wir sind Tatsache von der nächsten Generation überholt worden.

An einem gemütlichen Sonntagnachmittag, nachdem Santiagos Familie sowie einige Freunde geschafft von ihrer Fahrradtour heimgekehrt sind, lassen wir unsere gemeinsame Zeit bei einem Bierchen und Radlergeschichten ausklingen. Denn morgen früh werden wir uns verabschieden, um endlich wieder loszurollen.

Nationalpark Cotopaxi

Endlich sind wir wieder on tour! Wir freuen uns sehr. Durch den Cotopaxi Nationalpark haben uns gleich zu Beginn eine anstrengende Route ausgesucht. Zunächst einmal müssen wir hinkommen. Auf unseren so heiß geliebten Kopfsteinpflaster ab Sangolqui, welches hier aus großen Steinen mit noch größeren Rillen dazwischen besteht, geht es kilometerlang steil bergauf direkt von Norden auf den Vulkan zu. Wir bewegen uns im Schneckentempo. Schiebeeinlagen folgen.

Am Nachmittag zieht es sich zu, Wind kommt auf. Den nahenden Regen können wir bereits fühlen. Im Miniort Rumipamba fragen wir in einem kleinen Laden nach einer Möglichkeit unser Zelt irgendwo aufzubauen. Nach längerem Beratschlagen bringt uns die nette Familie zwei Ecken weiter auf ihre Kuhwiese, auf der gleichzeitig auch das Versammlungshaus der Gemeinde platziert ist. Prima, wir haben einen tollen Ausblick und noch lange fröhliche Unterhaltungen mit den Vieren.

Am folgenden Tag zeigt sich in der Morgensonne das verschneite Haupt des majestätisch aussehenden Cotopaxis in der Ferne. Uns zieht es wie magisch an, wir machen los. Am Mittag haben wir nach mühsamer Arbeit endlich das Kopfsteinpflaster hinter uns gelassen. Es folgt eine sandige Schotterpiste. Das ist allemal besser. Wir legen an Höhe zu und verlassen Felder und Wald. Auf der eine baumlosen, kargen Hochebene weht ein kühler Wind. Weite umgibt uns. Neben dem Cotopaxi sehen wir den Pasocha (4200m), Sincholagua (4893m) und den Rumiñahui (4712m) in dem Himmel ragen. Mit seinen 5897m und seiner fantastischen Kegelform übertrifft der Cotopaxi bei weitem alle.

Mittags haben wir es geschafft. Angekommen am nördlichen Eingang des Nationalparks sind wir jedoch etwas irritiert. Der wortkarge und unwissende Ranger kann uns Null Auskunft über Wanderwege geben. Es gibt noch nicht einmal eine Karte. Wasser müssen wir am nahen Bach auffüllen. Zur Sicherheit machen wir alle Flaschen voll.

Eine Herde wilder Pferde mit sehr langen Mähnen läuft vor davon, als wir uns mühsam durch die sandige Piste voran arbeiten. Auf diesem weichen Untergrund kommen wir in Schlängellinien nur langsam voran. Es ist anstrengend. Immer wieder bricht das Rad aus. Zudem spüren wir die Höhe. Uns bleibt nun auf fast 4000m die Luft weg.

Der Cotopaxi steht wolkenverhangen wegweisend schräg links vor uns. Manchmal lichten sich die Fetzen und wir können felsige Berghänge erblicken. Ein Gewitter tut sich auf, es stürmt bereits. Wir sind fertig, haben keine Lust mehr auf diese Schinderei. Der offizielle Campingplatz soll sich in 5-10km befinden. Das ist zu weit. Klammheimlich wählen wir einen Nebenpfad und bauen unser Zelt lieber versteckt genau gegenüber des gigantischen Berges auf. Heute schlafen wir auf 3842m – ein Rekord mit Zelt und Bike. Ein wahnsinniger Platz ist das! Schnell wird es mit Einbruch der Dunkelheit bitterkalt. Die Daunenjacken müssen her. Wir wissen in diesem Moment den Luxus unseres heißen Tees des surrenden Kochers besonders zu schätzen. Die Wolken reißen auf, wir haben einen Blick auf den Gipfel. Wahnsinn! Das Gewitter zieht vorbei, der Wind lässt nach. Die Sturmleinen am Zelt haben wir umsonst aufgespannt.

Mit einem sanftem Licht beginnt der neue Tag. Morgens um 6 Uhr ist der Gipfel völlig wolkenfrei. Der funkelnde, strahlend weiße Schnee vor blauem Himmel tut in den Augen weh. Man ist das schön!

Mit dem Besuch der Lagune (wohl eher einem Tümpel) radeln wir dem Ende des Nationalparks entgegen. Der Sand geht in Schotter und dann in funkelnagelneuen Asphalt mit Fahrradspur über. Wir sausen wie schon lange nicht mehr hinab nach Lasso.

Besteigung des Iliniza Norte

Nachmittags arbeiten wir uns im Regen auf der ungewohnt stark befahrenen Panamericana kurz nach Norden. Auf dem Seitenstreifen fühlen wir uns nach den kleinen Wegen nicht wohl und wollen so bald es geht wieder von der Schnellstraße abbiegen und diese so wenig wie möglich nutzen.

Um den nahen Berg Iliniza Norte zu besteigen, wollen wir den kleinen Ort Chaupi als Basispunkt nehmen. Nachdem wir durchnässt auf Schotter- und Lehmpisten dahin geschlittert sind, landen wir im netten, familiären Hotel La Lluvizna. Entgegen unserer sonstigen Art zu reisen, buchen wir ein Paket bestehend aus Übernachtung, Verpflegung, Equipment und guide. Ein neues Gesetz in Ecuador verlangt, dass alle Wanderungen über 5000 Meter Höhe nur mit Führer begangen werden dürfen. Erst vor fünf Monaten starb hier eine Wanderin, die sich allein aufmachte und in Nebelschwaden in den Abgrund geriet. Zudem habe ich Null Klettererfahrung. Wir haben gehört, das bei unserem Unterfangen der Fels des öfteren angefasst werden muss. Sicher ist sicher.

Wir lernen Jaime, unseren guide kennen und auch Jeff, einen jungen Amerikaner, mit dem wir Morgen früh zusammen wandern werden. Es werden Sitzgurte und Helme ausgesucht. Jaime wird ein Seil mitbringen sowie die Lunchbox für jeden.

Früh am Morgen um 4 Uhr soll es losgehen. Zu Jaimes großer Freude bestehen wir darauf eine Stunde früher als normalerweise loszugehen, denn wir wollen auf dem Gipfel nicht bei dichtesten Wolken ankommen.

Es ist feucht kalt und stockdunkel, als wir auf einer halbstündigen Fahrt bis hoch auf 3900 Meter zum Parkplatz gebracht werden. Am liebsten würde ich im warmen kuscheligen Auto bleiben und nicht auf dem Berg steigen. Auf was habe ich mich da bloß eingelassen? Und warum besteigt man eigentlich Berge? Diese Gedanken kreisen mir durch den Kopf, während wir im Gänsemarsch hinter unseren guide im Schein der Kopflampen her marschieren. Im Nachhinein erfahre ich, dass es sowohl Hardy, als auch Jeff in dieser ersten Stunde nicht gut ging. Sie schnauften ganz schön mit der Höhe kämpfend und fragten sich, warum sie nicht im warmen Hotelbett geblieben wären…

Die Morgen-Dämmerung bricht herein, schemenhaft werden Umrisse von Pflanzen und Felsen sichtbar. Nach jedem begangenen Kilometer hält Jaime an und fragt uns wie wir mit der Höhe klarkommen. Es ist alles in Ordnung. Er hält uns an viel zu trinken.

Nach bereits zwei Stunden Wanderung treffen wir um 6:30h beim Refugio auf 4700m ein. Es ist eine kleine Hütte mit Klo und Kochnische, in der etwa zwölf Betten stehen. In Schlafsäcken eingemummelt liegen da noch einige Kletterer rum. Jaime bereitet uns einen warmen Tee zu und wir essen Kekse.

In den folgenden zwei Stunden bis zum Gipfel geht es richtig los. Es ist kalt und zugig, dennoch ziehen wir die Handschuhe aus, Sitzgurte und Helme an, denn nun steigen wir über Felsen und schmale Grade und müssen uns am eisigen Fels festhalten und hochziehen. Beim Überqueren des Paso del Muerto geht es zu beiden Seiten steil bergab. Er ist mit Fixseilen gesichert. Teilweise geht es ganz schön abenteuerlich zu. Die Sicht klärt auf. Wir können den schneebedeckten Nachbargipfel des Iliniza Sur bestaunen. Dieser ist etwas höher als der unsrige und ist mit einem Gletscher und Schnee bedeckt und technisch anspruchsvoll zu begehen. In der Ferne sehen wir die Gipfel von Cotopaxi, Corazón und Chimborazo aufragen. Die Aussichten hier oben sind gewaltig und unbeschreiblich. Wild ziehen sich dünne Wolkenfetzen am kargen Fels und Schotterwänden entlang. Die Stimmung ist atemberaubend.

Langsam, mit einigen Pausen setzen wir unseren beschwerlichen Weg fort. Noch eine Stunde trennt uns vom Gipfel. Ich merke die Höhe und bekomme leichte Kopfschmerzen im Hinterkopf. Den anderen geht es gut. An einer steilen und bröckelnden Wand bedeutet Jaime uns anzuseilen. Er und Jeff gehen voran. Jetzt macht sich meine absolute Kletterunerfahrenheit bemerkbar. Ich bin langsam, unsicher und habe Mühe den beiden hinterher zu kommen. Es ist mehr, als nur den Fels anfassen, richtiges Klettern. Trotz unserer Recherchen haben wir diese Stufe nicht erwartet. Nach sächsischen Klettermaßstäben entspräche dies etwa einer 3, sagt Hardy. Zum Glück habe ich gar keine Zeit mir Gedanken zu machen oder Angst zu bekommen, so sehr muss ich mich konzentrieren über meine nächsten Handgriffe und Schritte. Zum Glück Hilft mir Hardy mit seiner Erfahrung. Der Berg bröckelt. Viele Steine sind lose.

Endlich erreichen wir um 9h dann den Gipfel mitsamt seinem Gipfelkreuz auf 5126m. Geschafft! Mein Kopf pocht, ich bin froh zu sitzen, und eine Pause zu machen. Ist ganz schön hoch und steil hier oben. Krasse Ausblicke! Leider sitzen wir in den Wolken. Nur manchmal öffnen sich Sichtfenster.

Zur Freude es geschafft zu haben gesellt sich nun die Angst, ich frage mich, wie ich hier denn nu‘ wieder runter kommen soll. Hardy beruhigt mich, er wird beim Abstieg dicht vor mir gehen.

Langsam und vorsichtig seilen wir uns ab. An einer Stelle warnt Hardy, dass alle Steine locker seien. Er wählt einen anderen Weg. Jaime, der Depp, turnt fröhlich darauf herum. Die Steine kommen ins rutschen und rollen krachen den Hang hinunter. Nun bedeutet uns unser guide uns zu entsichern und zur Seite zu gehen. Er will den Hang „aufräumen“, damit nicht nachfolgende Wanderer hier wegrutschen. Das ist ja nett, jedoch kann er sich nicht ganz sicher sein, ob uns andere Menschen von unten folgen. Denn unter uns verläuft die Route, auf der wir aufgestiegen sind. Viele große und kleine Steine kullern mit viel Kraft den Hang hinab. Hardy und ich schauen uns nur an.

Dann geht es ungesichert weiter, auf rutschendem Untergrund im Zickzack nach unten. Ich falle ein paar Mal hin, es ist in den Knien so anstrengend und meine Kräfte lassen nach. Ich plumpse manchmal wie ein Sack auf den Boden.

Endlich ist es nicht mehr so steil. Bizarr aussehende Pflanzen gesellen sich dem steinigen Untergrund hinzu. Es ist wunderschön. Agaven wachsen neben bunten Blumen im hohen Gras. Leider fängt es an zu regnen. Durchnässt stapfen wir zum Parkplatz und sind froh heute Morgen eine Stunde früher aufgebrochen zu sein. Unser Fahrer wartet bereits und um 11h haben wir es geschafft und steigen ins warme Auto. Inzwischen habe ich wahnsinnige Kopfschmerzen. Mir ist schlecht. Es wird Zeit nach unten zu kommen.

Den Nachmittag lassen wir gemeinsam mit Jeff ausklingen. Wir sind fertig und glücklich unsere erste gemeinsame Bergbesteigung geschafft zu haben.

Quilotoa Loop

Und weil’s so schön ist, streben wir am nächsten Morgen sogleich den nächsten Schmankerl an. Auf Kopfsteinpflaster, Sandpfaden und Waldwegen, die zwar auf unserer Karte eingezeichnet sind, aber so nicht in der Wirklichkeit existieren peilen wir die Richtung des Ortes Toacazo an. Für schlappe 30km benötigen wir heute fast vier Stunden. Dabei wird des öfteren bei Bauern nach dem Weg gefragt und verfahren tun wir uns auch mal. Leider hat ein Großgrundbesitzer einen Weg, der sein Grundstück kreuzt mit zwei recht gut gebauten Gattern versperrt. Wir müssen da aber lang, denken wir uns und zwirbel die Holz-Stachel-Drahtkonstruktion behutsam auf, wuchten die Räder dreist hindurch und schließen sie anschließen wieder. Hoffentlich kommt jetzt niemand vorbei. Die Daumen gedrückt kreuzen wir im Sand versinkend die schöne Hochebene. Es geht alles gut.

Der Sand wird zu einem erdigen Weg, der auch von alten, runzeligen Schäferinnen genutzt wird, die ihre Herden bergab treiben. Am Nachmittag, endlich, erreichen wir auch das Örtchen Toacazo. Es sieht stark nach Regen aus. Nach einigem Fragen landen wir bei Marina, unter dem Vordach der Begegnungsstätte Casa de Simón. Wir werden hereingebeten und bekommen eine Führung des gewaltigen, riesigen Holzhauses und dürfen später auf der Terrasse zelten.

Die folgenden 50km bis nach Sigchos sind netterweise fast vollkommen asphaltiert. Trotz endlosen auf und ab geht es bedeutend schneller voran als gestern. An Kühen, Schafen und vielen Feldern fahren wir vorbei. Hier ist die Kartoffelanbauregion. Die Pflanzen blühen gerade. Wir nehmen uns den Nachmittag frei, stellen alles in einem Hotelzimmer ab und bummeln durch den Bergort. Die Leute sind nett hier. Sie haben lustige rote Wangen. Das kommt von der Höhe, bzw. den vielen roten Blutkörperchen, die diese erzeugen lässt und dem ständigen Ausgesetztsein dieser exponierten Stelle in der Witterung.

Im urigen Örtchen Chugchilán will ich bereits Schluss machen, ich habe keine Lust mehr und der Mittagsnebel zieht schon wieder auf. Hier ist viel los. Auf der Dorfstraße wimmelt es von Menschen und Hunden. Busse schlängeln sich hupend durch die Menge. Die Frauen, auf dem Kopf einen dunklen Filzhut, haben schwarze Röcke an. Farblich passt ihre Strumpfhose zur Strickjacke oder dem Wickeltuch auf dem Rücken, indem meist ein Baby getragen wird. Auch sehr junge Mädels haben bereits Kinder. Sie grüßen und fragen wo wir hinfahren.

Nach einer Pause setzt sich Hardy durch und wir rocken weiter. Natürlich bergauf. Die Lehmpiste bekommt Pfützen, es regnet los. Immer wieder stellen wir uns unter Hauseingängen oder Bäumen unter, radeln ein Stück und machen wieder Pause. Nebel kommt auf, wir sehen fast nichts mehr. Kühl ist es, aber wir fahren in Kurzehnhosen, denn es ist sauanstrengend und wir schwitzen. Das Tolle ist, das bei diesem Klima der Duft der sich uns umgebenen Eukalyptusbäume so richtig intensiv ausbreitet. Ein Jeep kommt vorbei, auf der Ladefläche unter der Plane in dicken Klamotten gemummelt sitzen zwei Franzosen. Die sagen: „Oh my Good“, als sie uns erblicken und wünschen uns „bon voyage!“

Eigentlich wollten wir es heute bis nach Quilotoa schaffen, aber 10km davor sind wir fix und alle. In Vorbereitung auf’s Asphaltieren der Straße wurde grober, sich unter den Rädern wegbewegender Schotter auf der steilen Piste aufgetragen. Wir schieben mal wieder. In einem Ort, bestehend aus fünf Häusern fragen wir nach Wasser und einer Schlafmöglichkeit. Vom freundlichen Ladenbesitzer bekommen wir die Küche des Kindergartens angeboten. Hier hatte er vor Wochen bereits einen anderen Fahrradfahrer einquartiert. Super, es ist trocken und windstill. Sein 10-jähriger Sohn steht lange stumm neben uns. Hardy zeigt ihm unsere Räder und die Länder auf der Weltkugel. Dann zeigt uns der Junge etwas. Er holt doch tatsächlich einen kleinen Vogel aus seiner Jackentasche. Nun sind wir überrascht. Das mit den Flügeln gestutzte Tier ist sein Maskottchen, dass er überall mit hinnimmt. Nur nicht in die Schule, dann wartet der Vogel in einer Schachtel. Auf die Frage wie denn das Tier heiße, antwortet der wortkarge Junge: „Vogel“. Später überlegen wir, wie wir unseren permanenten Gast wieder loswerden könnten. Auf Anspielungen, das wir müde seien, reagiert er nicht. Dann gehen wir einfach mit ihm vor die Tür und sagen: „tschüss bis morgen“, das hilft. Andere Kinder haben inzwischen Wind von uns bekommen, aber wir wollen kochen und allein sein. Eine Weile lassen wir sie durchs dreckige Fenster hineinschauen, als es uns zu bunt wird, hängt wir Hardy Jacke davor. Irgendwann bei Einbruch der Dunkelheit trollen sie sich von dannen.

Dachte ich gestern schlimmer geht der Straßenbelag nicht, lag ich wohl falsch, denn schlimmer geht es immer. Heute haben wir mal Erde, die sich nach dem Regen in klebrigen Schlamm verwandelt hat unter uns. Viel Kraft muss angewendet werden, um im kleinsten Gang überhaupt vorwärts zu kommen. Permanent begleiten uns große Lastwagen, die auf der Straßenbaustelle Erde hin und her transportieren. Überholen sie uns in der Enge, fahren wir lieber an den Rand und halten an. In den Kurven ist von deren dicken Rädern die Erde völlig aufgeraut und locker. Schieben ist notwendig. Wir brauchen 2 ½ Stunden bis ins zehn Kilometer entfernte Quilotoa.

Der touristische, sehr heruntergekommene Ort an der gleichnamigen Lagune macht im frühen Nebel und in dieser Affenkälte einen sehr trostlosen Eindruck. Wir sind auf 3800 Metern. Auf dem gepflasterten Platz trinken wir einen heißen Kaffee und ziehen uns wärmer an. Dabei beobachten wir zwei junge Frauen, die in schwarzen Stöckelschuhen, weißen Strumpfhosen, knielangen schwarzen Röcken, dünnem Pullover und Tuch mit Baby auf dem Rücken den selbigen fegen. Man, die müssen doch auch frieren, denken wir uns.

Lang längerer Hotelrecherche meinerseits in den verschiedenen kalten, trostlosen Löchern, in denen für diesen Nicht-Komfort horrende Preise verlangt werden, landen wir schließlich nach guter Verhandlungstaktik im besten Hotel des Ortes (8$ pro Nase). Den großen Saal heizen zwei gusseiserne Kamine, auf denen ein großer Kessel mit heißem Wasser für Tee oder Café warm gemacht wird. In unserem wirklich großen Zimmer gibt es zwei Betten mit lustig gefalteten Handtuchblumen und weißer, richtiger, dicker Bettwäsche. Zur Krönung hat jedes Zimmer seinen eigenen Kamin mit Holzscheiten nebenbei. Den machen wir später an. Es lebe der Luxus (ab und an jedenfalls)!

Wir stürzen auf den Sofas neben dem warmen Kamin sitzend tassenweise heißen Tee in uns hinein und trocken die nassen Klamotten. Dann stellen wir fest, dass es im ganzen Ort keinen Strom sowie kein Wasser gibt. Aha, soviel zur angepriesenen heißen Dusche. Wir machen es den beiden jungen Hotelangestellten nach und fangen in großen Töpfen das Regenwasser von der Dachrinne auf, um es auf dem Kamin für eine Dusche zu erwärmen. Im Gegensatz zur Schweizer Touristin Marion nehmen wir damit ein heißes Bad.

Als es am Nachmittag leicht aufklärt unternehmen wir in Regenjacken zu dritt eine 10km lange Wanderung auf dem Kraterrand um die Krater-Lagune herum.

Abends wird wieder Tee getrunken und unser privater Kamin angeheizt. Voll gemütlich, ich will gar nicht mehr aus unserem Bett raus.

Eigentlich geht’s bis nach Latacunga nur noch runter, hatte die Schweizerin gesagt. Aber sie war ja auch im Bus hergekommen. Bis ins 12km entfernte Zumbahua hat sie recht, danach nicht mehr. Lange Anstiege sowie lange Abfahrten bespaßen uns diesen Tag. Nach Zumbahua hält uns eine Baustelle über eine Stunde auf. Die Straße ist gesperrt, denn oberhalb im felsigen Steilhang wird dieser durch einen Bagger abgetragen. Wahrscheinlich um die Piste zu verbreitern. So prasseln Steinbrocken nur so herunter, die von einer zweiten Maschine auf Lastwagen verteilt und weggefahren werden. Hardy unterhält sich mit Alex, der ist 18 Jahre alt und hat mit seiner 23-jährigen Freundin eine Tochter. Da die Freundin bei der Geburt fast gestorben wäre, wird er wohl nur eines anstatt zehn Kinder haben. Bis vor sechs Jahren besuchte er die Schule und kann leider gar nichts mit dem aufgeblasenen Globus anfangen, den Hardy ihn zeigt. Das das die Welt ist auf der wir leben, kann er sich nicht vorstellen. Hardy klärt ihn auf. Alex hört interessiert zu. So vergeht die Wartezeit schnell.

Irgendwann, es heißt immer „media hora“, wird alles platt gefahren und der Verkehr, inzwischen eine lange Schlange auf beiden Seiten, darf passieren. Wir kämpfen uns Steigungen empor. Regen setzt ein, der in Hagel mündet. Was sind wir auch zur Regenzeit in den Bergen unterwegs?

Nachmittags um drei sind wir auf einer wunderschönen Hochebene, Schlafplätze gibt es zu Hauf. Aber wir haben noch kein Wasser. Natürlich wohnt hier niemand. Wir suchen lange, bis wir ein für uns zum Filtern akzeptables Rinnsal gefunden haben. Danach suchen wir dann lange nach einem versteckten Platz. Inzwischen geht die Straße bereits hinab, unter uns sehen wir das sich ausbreitende Ballungsgebiet von Latacunga, da wollen wir aber heute noch nicht hin. Es dämmert bereits, als wir einfach ein Gatter öffnen und im feinsten Hagelsturm die Räder hinauf auf eine kleine Anhöhe neben ein verlassenes Haus schieben. So, es ist spät, kalt und zu rutschig zum Weiterfahren, hier wenigstens etwas vorm Wind geschützt bleiben wir einfach. Wir kochen und liegen bereits gegen 21h beim Vorlesen in den warmen Schlafsäcken, als wir sich ein Auto nähern hören. „Oh nein!“, denke ich. Es ist nicht nur ein Auto sondern zwei, insgesamt acht Erwachsene, plus zwei Kinder, inklusive zwei Polizisten steigen aus. Anscheinend waren wir mit unseren Taschenlampen nicht vorsichtig genug. Man hatte uns gesehen und uns für Viehdiebe gehalten, die hier in der Gegen ihr Unwesen treiben. Hardy begrüßt alle Anwesenden mit freundlichen Händedruck. Als alle beruhigt feststellen, dass wir nicht die befürchteten Banditen sind und auch gar kein Interesse an irgendwelchen Tieren haben, entspannt sich die Lage deutlich. „Wir wollten auch gar keine Probleme machen und niemanden stören“, versichern wir immer wieder. Aber wir dürfen hier nicht campen, denn aufgrund der Stiere und Pferde auf der Weide sei es viel zu gefährlich, hören wir. Uns wird angeboten im Auto mit auf die nahe Polizeistelle zu fahren und da zu campen. Auf so einen großen Umzug haben wir so spät am Abend jetzt im Dunkeln echt keinen Bock mehr. Hardy kommt auf die glorreiche Idee, dass wir doch in der leerstehenden Hütte schlafen könnten. Die Besitzer inspizieren das Haus und fragen dann doch glatt die Polizei, ob das ginge. „Na wenn die Besitzer damit einverstanden sind, ginge das in Ordnung…“ So tragen wir all unser Hab und Gut in den Schuppen und bauen das Zelt ab. Endlich ziehen sie ab und wir werden wieder allein gelassen. Was für‘ n Schrecken zur der späten Stunde. Jetzt haben wir es auf jeden Fall windstill und noch wärmer.

Am Morgen sehen wir nur ein paar Pferde, die neugierig näher kommen. Von den gefährlichen Stieren keine Spur. Zwei, drei Kilometer weiter bergab wären zaunlose versteckte Zeltplätze gewesen, aber das ist ja immer so. Der beste Zeltplatz ist 100m weiter…

Casa de ciclistas, Ambato

Im netten Örtchen Pijilí schauen wir uns die plaza an und radeln dann zu Hardys bedauern sowie unter seinem lauten und andauernden Protest den Rest des Tages auf dem Seitenstreifen der Panamericana durch Latacunga und Salcedo nach Ambato. Unterwegs schlecken wir das köstliche Eis dieser Gegend, jeder gleich zwei.

In der casa de ciclistas von Leonardo und seiner Familie gibt es dann am Nachmittag ein großes Hallo. Wir treffen ganz unerwartet auf Jan und Karina. Mit den beiden hatten wir Silvester in der casa de ciclistas in Medellín verbracht. Und dann sind da noch zwei Kanadier, Vater und Sohn. Die beiden sind vor neuen Monaten gestartet und haben bereits 18000 km auf dem Buckel. So kann es also auch gehen. Es wird wild erzählt und natürlich groß gekocht, Kartoffeln müssen her und abends speisen wir alle zusammen. Leonardo ist ein sehr interessanter und sehr liebenswuerdiger Gastgeber. Fünf Jahre lang war er der Rad-Champion Ecuadors. Nach der Geburt seiner kleinen Tochter hat er damit aufgehört und einen Fahrradladen aufgemacht. Momentan trainiert er, um am kommenden Wochenende wieder an einem Rennen teilzunehmen.

Bilder zu diesem Artikel gibt es in der Galerie.

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