Ayacucho bis Abancay
An einem Samstagnachmittag schwingen wir uns wieder auf die Räder, um die letzte Etappe bis nach Cusco anzugehen. Erklommen werden wollen noch so einige hohe Andenpässe. Ganze fünf Mal geht es auf den folgenden fast 600km hinauf auf 4000m, um dann sogleich auf 2000m abzufallen, einen Fluss zu queren und dann den nächsten Anstieg in Angriff zu nehmen. Bergauf fahren wir zwischen 30 und 50km am Stück.
Im Höhenprofil, dass wir von Manu und Phil von ihrer website radausflug.de klauten, ist die Strecke von Huanuco bis nach Cusco zu sehen (ab km 350 beginnt unser derzeitiger Abschnitt).
Auf dem ersten Abschnitt zwischen Ayacucho und Abancay wird zur Zeit gebaut. Noch 30% der Strecke bestehen aus Schotter. Wir füttern unsere Staublungen, warten an Absperrungen und umkreisen Baufahrzeuge. Von den freundlich grüßenden Bauarbeitern erfahren wir, dass im Jahre 2018 die komplette Strecke bis nach Cusco fertig asphaltiert sein soll.
Der zweite Abschnitt, von Abancay nach Cusco, ist bereits seit längerem asphaltiert worden. Das heißt jedoch, dass sich bereits Löcher, Risse und Schotterabschnitte eingeschlichen haben und nun die Bauarbeiten theoretisch hier wieder von neuem beginnen könnten.
Hut ab vor all den Radlern, die in vergangenen Tagen hier nur auf Schotter hoch und runter gefahren sind!
Schon während der Ausfahrt aus Ayacucho merken wir beide, dass wir uns nach unserer Erkältung nicht völlig erholt haben. Wir denken kurz darüber nach umzukehren, haben aber Hummeln im Bauch und wollen endlich weiter. So kämpfen wir uns deutlich schwach und schwitzend voran. Der 40km lange Anstieg zu den ersten Pässen Abra de Toccto (4240m) und Abra Huamina (4400m) zieht sich. Zum Glück rollen wir auf neuem Asphalt hinauf. Es ist kaum Verkehr unterwegs. Wir kommen immer höher, die Landschaft wird karg, nachdem wir die landwirtschaftliche Zone hinter uns gelassen haben. Auf 4000m sehen wir wieder Büschelgras. Unsere Blicke schweifen über weite, hügelige Berge. Felsen bilden tolle Formationen.
An einer Abbruchkante hängen dicke Eiszapfen. Es ist bereits 15h, wir sind sehr, sehr geschafft. Ein Rinnsal spendet uns Wasser. Wir finden schnell einem kleinen Pfad folgend einen wunderschönen Platz für unser Zelt. Noch wärmen die Sonnenstrahlen, doch mit Einbruch der Dunkelheit wird es richtig kalt. Wir befinden uns zwischen den beiden Pässen. Nach dem Abwaschen gefrieren sofort verbliebene Wassertröpfchen am Geschirr. Hardy klagt auch gleich über schmerzende Hände…
Auch der Morgen ist kühl. Ich teste meine neu erworbenen Alpaka-Handschuhe und -mütze. Sie sind weich und wärmen super!
In der morgendlichen Frische erwartet uns eine 60km lange Abfahrt. Wir freuen uns schon darauf … nur leider beginnt just an dieser Stelle eine super lange Baustelle. Der Untergrund wandelt sich in Schotter, Matsch und Sand. Wir haben Glück im Unglück, denn am Sonntag wird nicht gebaut. All die erstaunlich sauberen Maschinen stehen in Reih und Glied geparkt am Straßenrand, bewacht von einem Security-Typen. Auch wird die Piste heute nicht gesperrt. So holpern wir ungehindert hinab ins Dorf Ocros, um dort Mittag zu essen. Im Fernsehen läuft plärrend laut ein amerikanischer Surffilm.
Bis zum Río Pampa geht es weiter hinab. Der schmale Fluss windet sich in einem schönen Tal dahin. In der Regenzeit muss er gewaltige Ausmaße annehmen. Bananen und Mangos werden hier angebaut. Auch entdecken wir Zuckerrohr. Es ist heiß. Die black flies würden uns am Liebsten auffressen. Schotter wechselt sich ab der Brücke mit einem bereits fertig gestellten Asphaltabschnitt ab. Wir erkennen einfach keine Logik in diesem Straßenbau.
Im staubigen, leicht herunter gekommenen Ort Callebamba dürfen wir in der Schule schlafen. Wir bekommen einen Raum zugewiesen, indem Kinderfahrräder, Helme und Warnwesten herumstehen. Die Direktorin hat ein Projekt ins Leben gerufen, indem an die Kinder aus weiter entfernten Dörfern Fahrräder verliehen werden, mit denen sie zur Schule und zurück fahren dürfen. Im Dorf selbst gibt es keine Wasser, da eine Pumpe seit ewigen Zeiten kaputt sei. Gut, das wir bereits im Ort zuvor (keine 10km entfernt) die Wasserflaschen gefüllt hatten.
In der Nacht bekomme ich leichte Temperatur und am Morgen fühle ich mich schlapp und nicht fit. Wir schaffen 25km bergauf auf einem Mix aus Asphalt und Schottermatsch. Ich bin schweißgebadet und kriege auch noch Schüttelfrost. In Uripa beschließe ich, dass es keinen Sinn mehr hat mich weiter bergauf zu quälen. Super fix findet Hardy schnell ein gutes Hotelzimmer und ich verbringe den Rest des Tages unter der warmen Bettdecke. Das hilft.
Am Morgen nehmen wir die fehlenden 30km Steigung unter die Räder, es geht mir etwas besser. Der Pass auf 4200m ist mittags nach diversen kleinen Pausen erreicht. Dick angezogen sausen wir hinab ins nicht all zu schöne Örtchen Andahuaylas. Hier beenden wir gemütlich den Tag und landen zum Auskurieren wieder in einem Hotel. Bei einem kleinen Dorfspaziergang entdecken wir auf der plaza die Statue eines Bullen, der von einem drauf gebundenen Anden-Kondor zerfleischt wird. Dieses „Schauspiel“ wird auch heute noch in abgelegenen Andendörfern als Symbol für die Befreiung von den spanischen conquistadoren gezeigt … das nenne ich mal brutal.
Auch der nächste Tag beginnt mit einem fröhlichen Anstieg, Pass Nummer drei. Mir geht es heute besser – na‘ da macht die olle Schinderei doch gleich doppelt so viel Spaß!
Wir bleiben unserem alten Rhythmus treu, immer 10km am Stück bergauf arbeiten und dann pausieren und eine Kleinigkeit essen. Als wir gerade neben einem kleinen Wasserlauf in der Sonne sitzen, kommt ein Radler sich von einem fetten LKW mitziehen lassend den Hang hinauf. Es ist Hardy! Ihn hatten wir neulich in Ayacucho getroffen. Lena und Loic folgend tretend, schwitzend, keuchend. Es ist schön die drei wieder zu sehen. Die Freude ist groß, bietet sich nun doch die Gelegenheit Loic und unsere Namensvetter intensiver kennenzulernen. Der Franzose Loic ist seit zwei Jahren um die ganze Welt unterwegs. Hardy und Lena radelten von Deutschland nach Rumänien, um dann ihre Reise von Yucatan in Richtung Argentinien fortzusetzen.
Wir radeln die folgenden 1 1/2 Tage bis nach Abancay gemeinsam in einer grossen Gruppe. Natürlich wird in solch einer Konstellation mehr geredet und andauernd angehalten, was unsere Tempo ziemlich mindert.
Als nach dem Pass pünktlich der Asphalt aufhört und uns 70km Schotter erwarten, sehen wir am späten Nachmittag das Dorf Kishuara unter uns. Wir fahren hinab und stürmen hungrig ein Restaurant und die kleinen Läden an der plaza.
Eine Gruppe aus Kindern und zwei jugendlichen, kichernden Mädchen scharrt sich um uns. Auch zwei Frauen mit Babys in den Wickeltüchern auf ihrem Rücken sind interessiert. Die eine möchte, dass Loic ihr Baby mitnimmt und meint, er könne es doch einfach in eine der Radtaschen packen. Auch eine der Jugendlichen will nach Argentinien mitfahren und auf dem Gepäckträger sitzen. Sie sei auch ganz leicht. Wir scherzen mit ihnen und verabschieden uns, um auf dem weitläufigen Schulgelände unsere kleine Zeltstadt aufzubauen.
Unsere Anwesenheit hat sich längst herumgesprochen. Viele Jungen kommen und sehen uns zu. Loic schnappt sie sich, um Fußball zu spielen. Drei von ihnen bleiben noch bis zur Dunkelheit bei uns.
Früh am kühlen Morgen noch vor Schulbeginn bekommen wir erneut Besuch von Anderson. Als wir uns von dem Jungen verabschieden fragt er nach einer propina. Hardy fragt zurück wofür er denn das Trinkgeld haben will, für die nette Unterhaltung, für’s Fußballspielen oder dafür, dass wir ihm unser Equipment erklärt haben? In den folgenden Tagen hören wir vom Wegesrand immer wieder „propina, propina“. Ein Mann fällt fast von Hang, um uns noch zu erwischen. Bei uns kommt es so an, als ob viele Peruaner denken, sie seien arm dran und müssten nichts dagegen tun, da es einfach so sei und von uns reichen Ausländern erwartet würde in unsere prall gefüllten Hosentaschen zu greifen und wild unser Geld in alle hingehaltenen Hände zu verteilen.
Aber manchmal kommt es ganz anders. Als wir eine Pause machen, hält ein vollbeladener, alter Lastwagen neben uns. Ehrlich gesagt erwarten wir alle fünf wieder nach Geld gefragt zu werden. Aber das ältere Ehepaar schenkt uns eine Tüte mit gekochten Kartoffeln, damit wir uns stärken können. Auch das ist Peru!
Heute ist es bedeckt, die Wolken hängen tief. Am gegenüberliegenden Hang können wir die Stadt Abancay ausmachen. Das ist unser vorläufiges Ziel. Es wirkt zum greifen nah, nur ist es noch mindestens 60km entfernt. Lange brauchen wir, um auf dem rutschigen Schotter die vielen Serpentinen in Richtung Fluss hinunterzuradeln. Am Ende erwartet uns natürlich wieder eine Baustelle.
Es ist bereits später Nachmittag, als wir die Brücke queren und uns über Asphalt auf der anderen Seite freuen. Nun sind es „nur noch“ 12km Steigung bis hoch nach Abancay. Die werden wir nicht vor Einbruch der Dunkelheit schaffen. Auch haben wir gar keine Lust mehr. Die Idee kommt auf einen Lastwagen aufzusteigen. Es klappt erstaunlich schnell!
Gemeinsam wuchten wir die Räder auf die Ladefläche und verbringen die folgende Dreiviertelstunde (!) neben ihnen auf der wackeligen Ladefläche.
Eine heiße Dusche weckt dann müde Glieder und wir lassen den Abend gemütlich in einem kleinen Restaurant mit dem üblichen Essen ausklingen. Es gibt Reis mit labrigen Pommes und Fleisch. Die Mayonnaise wird mir gereicht, als nur noch zwei Pommes übrig sind und der lauwarme Tee kommt (wie immer) Stunden später.
Abancay bis Cusco
In Abancay trennen sich unsere Wege. Lena und Hardy steigen in einen Bus, um in Cusco Freunde zu treffen. Wir radeln mit Loic zu dritt weiter.
„Nur noch zwei Pässe“, sagen wir uns und treten fleißig in die Pedalen. Diese 35km sind wirklich steil. Serpentine für Serpentine kurbeln wir uns über die Stadt in die Höhe. Der erwartete stark aufkommende Verkehr aufgrund des Anschlusses an die Schnellstraße aus Lima bleibt aus. Die Menge an Reisebussen nimmt zu, aber die Fahrer hupen und grüßen freundlich.
Ich bin wieder gesund und habe Power, bin sogar schneller als Hardy (was ja sehr selten vorkommt) und fahre voraus. Loic ist beeindruckt und sagt: „Alena, you are the fastest and strongest cycling girl I ever met!“. Ich bekomme von ihm ein mit diesem Spruch selbst bemaltes Stück Stoff, um die neuesten Löcher in meiner Hose zu flicken (das macht mich doch schon ein bisschen stolz).
Mittags erreichen wir den Pass auf 4000m und sausen blitzschnell auf die Hälfte hinab in den Ort Curahuasi. Nach eine Gruppe tanzender Mädels den Raum geräumt hat, dürfen wir im Saal des Rathauses schlafen. Am Rednerpult machen wir Fotos in diversen Kombinationen.
Weitere 10km rollen wir am folgenden Morgen zum Fluss Apurimac hinab, um sie sogleich wieder zu erradeln. Es gibt tolle, rötliche karge Felsen, an deren Hängen Kakteen wachsen. Ich hänge heute hinter den Jungs her. Sonne in Kombination mit Steigung schafft mich. Dennoch ziehen wir durch, um in Limatambo Mittag zu essen. Als wir gerade ein Eis hinter her schlecken, kommen uns zwei Radlerinnen aus den USA entgegen. Weitere Fahrradfahrer folgen, die Strecke ist gut befahren.
Ein Ende der ewigen Steigungen ist in Sicht, so denken wir. Leider sind es dann 10km mehr als erwartet. Das schlaucht und deprimiert.
Auf dem Weg zum Gipfel läd uns ein lustiger, betrunkener Mann, der auf einer Bank neben einem kleinen Laden sitzt auf eine chicha de chorra ein. Das ist ein Getränk aus fermentiertem, schwarzem Mais mit leichtem Alkoholanteil. Davon sei der Typ aber nicht so knülle, erklärt uns lachend die Verkäuferin. Er trinke bereits die dritte Flasche eines hochprozentigen, selbst gebrannten Alkohols. Am Liebsten möchte er uns gar nicht gehen lassen. Zum Abschied fragt er dann nach Geld, um weiter saufen zu können.
Wir schwingen uns auf die Sättel und nehmen die letzten Kilometer unter die Räder. Es wird kalt, als wir den Gipfel erreichen. Puh, geschafft! Das war Anstieg Nummer fünf mit 48 km. Fix suchen wir uns einen versteckten Platz zum Zelten. Schnell wird es dunkel. Wir essen bereits dick angezogen in der Kälte.
Cusco
Im Endspurt nehmen wir in der morgendlichen Affenkälte die fehlenden 50km nach Cusco in Angriff. Wir wollen nur noch ankommen und rasen durch tiefen, dichten Nebel. Füße und Hände sind kalt. Nichts desto trotz zieht sich Hardy bereits nach kurzer Zeit all die Schichten aus. Wieder ist Loic beeindruckt und meint: „Hardy, you are the warmest cyclist I ever met!“ Schläft Hardy ja auch auf über 4000 Höhenmetern mit offenem Schlafsack.
Und dann liegt die Stadt plötzlich unter uns! Vom wirklich letzten (kleinen) Pass haben wir einen tollen Überblick über das Häusermeer und sind erstaunt, dass Cusco gar nicht so groß ist. Die Einfahrt ist erstaunlich unkompliziert und stressfrei.
Hungrig schlingen wir im Zentrum ¼ Huhn mit Pommes und Salat in uns hinein und fahren dann zu all den anderen tausend Touristen auf den grossen Platz, um ein Foto mit den Rädern vor der Kathedrale zu schießen.
Im gemütlichen Hotel La Estrellita checken wir ein. Unter Reiseradlern ist es berühmt, alle kehren hier ein. Wir sind insgesamt 10 Radler und treffen auf alte Bekannte. Das gibt ein großes „Hallo“, vieles ist zu bereden!
Cusco ist voller Geschichte, voller Kultur, Restaurants, Hotels und Souvenirhändler und voller erstaunlich großer, weißhäutiger Touristen. Die Plaza de Armas ist von den Besucherscharen so abgelaufen, dass die grossen Kopfsteinpflastersteine blank poliert und ganz rutschiig sind. Wir wissen nicht was wir zuerst machen oder wo wir zuerst hinschauen sollen. Bestimmt eine Woche bleiben wir hier und wollen auch die Ruinen von Machu Pichu besuchen.
Fotos zum Text gibt es in der Galerie.