Südwest Bolivien: Sand und Wellblech – von Sajama über die Salzseen Coipasa und Uyuni nach San Juan de Rosario (Bolivien / September 2013)

Von Sajama bis Sabaya

Ausgeruht verlassen wir den Miniort Sajama am frühen Morgen und radeln über die schmale Sandpiste zurück zur Fernverkehrsstraße. Noch ist der Boden gefroren, die Reifen rollen besser als erwartet über den feinen Sand. Für die 11km, die uns auf dem Hinweg aufreibende Nerven beschert haben, benötigen wir heute „nur“ eine Stunde.
Viele neugierig schauende Alpakas kreuzen unseren Weg, der durch ihre Weide verläuft. Ich bleibe oft stehen und finde die Nähe zu ihnen unheimlich toll. Sie sind meine Lieblingstiere geworden mit ihren lustigen Ohren und dem Grashalm, der immer aus dem Mundwinkel hängt.

Auf der Hauptstraße fahren wir nah an Tambo Quemado heran, um kurz zuvor Richtung Sabaya erneut auf Schotter abzubiegen. Es holpert anfangs erstaunlich gut. Flott kommen wir heute voran und finden einen schönen Zeltplatz mit Blick auf die Laguna Macaya. Zu unserer Freude stehen malerisch rosa rote Flamingos im flachen Wasser.

Am nächsten Tag wird fleißig durch tiefen, hellen Sand geschoben. Das erinnert an Wüstenlandschaft. Die Wasserflaschen werden im kleinen Negrillos alle gefüllt, um mit dem zusätzlichen Gewicht nachmittags noch einen Pass zu erarbeiten. Das ist anstrengend. Auf dem letzten Stückchen des losen Schotters wird geschoben.
Auf der planen Ebene erleben wir Weite und Stille. Langsam naht der Abend heran. Wir biegen einfach nach links ab, schieben ein paar hundert Meter und haben einen tollen, einsamen Campingplatz ganz ohne Suchen! Das hatten wir lange nicht mehr.

Dreieinhalb Tage harte Tretarbeit benötigen wir, um uns hinweg durch weichen Sand, über tiefes und flaches Wellblech und diverse Steinchen zu arbeiten, durch eiskalte Flüsslein zu waten und nach 153km am Mittag das größte all der Dörfer, Sabaya, zu erreichen. Es ist ebenso wenig los wie in den Örtchen zuvor. Unser großes highlight ist das Sichten zweier wilder Sträuße mitten im Nirgendwo auf der Hochebene.
Hier gönnen wir uns eine Unterkunft mit heißer Dusche bei Don Julian und seiner netten Frau und verbringen den Rest des Tages mit Waschen sowie dem Auffüllen unserer Vorräte. Brot kaufen wir bei der netten señora auf der avenida aus der Schubkarre. Wir benötigen einen ganzen Batzen, der soll bis nach San Juan reichen.

Salar de Coipasa
Zum Salar ist es nicht mehr weit. Wir erreichen das Nest Vita Vitalina und sehen ein Ehepaar auf einer Decke stehend vorsichtig Samen auf den Boden rieseln. Sie winken uns herbei. Walter und seine Frau nutzen den sanften Wind um so die Hüllen von den Samen ihres Quinoas zu trennen. Beide kommen aus El Alto, bauen aber hier Quinoa an, welches gutes Geld bringe, so hören wir. Wir sind erstaunt, dass Quinoa hier in der salzigen Umgebung wächst. Schnell werden wir auf eine Limonade eingeladen und halten einen netten Plausch. Walter will mit uns in Kontakt bleiben, um Importgeschäfte aufzubauen. Nur durch den Import von Waren und deren Verkauf könne man in Bolivien gutes Geld verdienen, meint er. Zusammen mit seinen zwei Söhnen verkaufe er bereits Reifen aus China. Er will hier in Villa Vitalina eine Brauerei aufziehen und ist sehr an deutschem Bier interessiert…

Wir machen uns auf, endlich wollen wir auf den Salzsee. Ganz gespannt sind wir. Wie wird es sich wohl anfühlen auf Salz zu radeln? Es ist ein völlig neue Erfahrung. Ein weiterer Meilenstein unserer Reise ist erreicht, als wir zunächst langsam und vorsichtig auf dem am Rande des Salares noch feuchten Untergrund. Das ist Salz! Es sieht aus wie Eis und hört sich an wie Eis, aber schmeckt wie Salz. Unglaublich! „Ist das toll, Hardy!“, rufe ich immer wieder begeistert aus. Auch der zunächst aus Sorge um die Fahrräder aufgrund von schnell entstehendem Rost in der salzigen Umgebung grummelige Hardy lässt sich von meiner Begeisterung anstecken.
Bald kommen wir im Ort Coipasa, auf der gleichnamigen Insel im See an. Wieder ein Nest, in dem der Hund begraben ist. Auf klopfen an der Tür öffnen zwei Tante Emma Läden, man muss sie nur von außen erst mal als solche identifizieren, das ist die Kunst. Wir setzen uns auf die karge plaza, um ein zweites Frühstück zu essen. Da kommen aus entgegengesetzter Richtung zwei Reiseradler aus Tschechien angefahren. Joseph und Daniel sind vor fünf Monaten in Patagonien gestartet und wollen hoch bis nach Alaska reisen. Wir unterhalten uns lange und berichten von Routen und Erfahrungen.
Am frühen Nachmittag verabschieden uns und setzen unseren Weg über den größeren und trockeneren Teil des Salzsees fort. Trotz Gegenwindes rollt es sich auf einer ausgefahrenen Spur glatt und gut. Das Radeln auf dem Salz ist nach wie vor toll. Wir halten oft an, um den Boden zu befühlen, der so nass scheint, aber trockenes, kaltes Salz ist.
Natürlich müssen die ein oder anderen Spaßfotos sein. Mit der Perspektive lässt sich ganz wunderbar spielen. Uns umgibt blendendes Weiß, das einen tollen Kontrast mit dem strahlend blauen Himmel erzeugt. Die Sonnenstrahlen werden vom Weiß reflektiert. Setzen wir die Sonnenbrillen ab, flimmert es in den Augen. Das Ufer scheint so weit weg, in der Ferne sehen wir die Silhouetten der Berge blau erscheinen.
Zum Abschluss des Tages setzen wir etwas um, das ich mir schon lange vorgenommen hatte: Einmal mitten auf einem Salzsee zelten! Wir biegen von der Spur ab und fahren 2km nach Osten.
Das Zelt steht fix. Wie wird es mit den Heringen gehen? Wir hörten, das Salz sei super hart und andere Radler benutzten Packtaschen für die Zeltbefestigung. Dies sei kein Problem, da der Wind nach dem Sonnenuntergang immer nachlasse. Pustekuchen, der Wind flammt erst richtig auf! Wir müssen sogar drei Sturmleinen spannen. Zum Glück haben wir große Nägel dabei (die, plus weitere Sturmleinen sollen uns in den patagonischen Stürmen weiterhelfen). Mit Hilfe unserer Zange bekommen wir sie erstaunlich gut ins harte Salz rein und wieder raus!

Llica
Gerade das Morgen- und Abendlicht auf dem Salar erzeugt eine wunderbare, warme Stimmung. Gut gelaunt setzen wir am frühen Morgen unseren Weg nach Llica fort. Uns bleiben 22km auf dem Salz, bevor wir wieder zu unserem so geliebten Sand-schlittern und Wellblech-hüpfen übergehen werden.
Das Finden der richtigen Spur auf dem Festland ist nicht ganz eindeutig. Wir fahren zunächst falsch, bis Hardy einen Bauern auf einem Feld fragt. Also umkehren und wieder durch den Sand schieben. Es wird ein harter Tag. Die folgenden 46km buckeln wir voran, mal auf Sand im kleinsten Gang, Passagen schieben und zerren, mal hüpfen unsere geschundenen Hintern auf dem Wellblech auf und nieder, mal fahren wir flott auf harter Erde.
Llica erreichen wir am Nachmittag. Von anderen Reiseradlern hatten wir gehört, dass man im Rathaus nächtigen könne. Aber der Preis für ein ekliges Bad mit schlechten super durchgelegenen Betten ist uns zu horrend. Nach einer langen Diskussion und Hardys störrischem Durchsetzungsvermögen dürfen wir für einen Euro pro Nase auf unserem eigenen Equipment auf der Theaterbühne schlafen. Fahren auf dieser Route einfach zu viele Radler?
Während Hardy auf der Straße die Fahrräder putzt und so mit vielen Leuten ins Gespräch kommt, klappere ich all die Minilädchen ab, um Essen für die folgenden Tage zu kaufen. Brot ist allerdings ein Problem, das gibt es zu so später Stunde nicht mehr.
„Y la basura?“, fragen wir, als wir uns am Morgen von der Hausmeisterin verabschieden – „Se lo come el viento!“ („Und der Müll?“ – „Den isst der Wind!“). Leider scheint diese Ansicht weit verbreitet zu sein. Denn seit Tagen fahren wir in der Umgebung vieler Orte durch Müllfelder, in denen insbesondere die Plastiktüten, verfangen in den kleinen Sträuchern, dominieren.

Salar de Uyuni
Über üble Pisten, auf denen anfangs das Salz-Erd-Gemisch braun und dreckig aussieht, gelangen wir auf einer ehemals asphaltierte Rampe auf den großen Salzsee hinaus. Woow, wir fahren auf dem Salar de Uyuni! Hier rollt es sich ruckeliger als auf dem glatten Salar de Coipasa. Salzschollen, die an Bienenwaben erinnern befinden sich zu beiden Seiten der festgefahrenen Piste.
Schon an diesem Punkt können wir erbsenklein in der Ferne die Umrisse der Isla del Pescado ausmachen. Das ist unser Tagesziel. Auf einer ausgefahrenen Spur fahren wir den ganzen Tag auf die immer größer werdende Insel zu. Es ist nach wie vor ein unglaubliches Erlebnis. Wir fahren 50km auf dem Salz.
Mit müden Gliedern erreichen wir schließlich die Isla. Zwischen vulkanischem Gestein erheben sich viele Kakteen in den Himmel. Dazwischen finden wir knochige Krautgewächse. Vögel zwitschern, Chinchillas springen von Stein zu Stein. Auch einen Skorpion entdecken wir. Hardy will sogleich hoch auf den Berg steigen. Im Schneckentempo schlurfen wir herauf. Oben belohnt ein glorreicher Blick auf kleine Nachbarinseln im gleißend weißen Untergrund. Bergen in der Ferne umrahmen das Panorama. Wir bauen das Zelt am Strand auf. Die Heringe versinken wie in Butter im weichen Sand. Wir haben die ganze Insel für uns allein.

Im Morgenlicht setzt Hardy wiederum sein langes Vorhaben um: Einmal nackig auf dem Salar radeln. Käsebleich hebt er sich kaum vom weißen Untergrund ab.

Pünktlich zum zweiten Frühstück erreichen wir dann die zweite große Insel im Salar de Uyuni. Vor der Isla Incahuasi sitzen zwei Gestalten. Einer winkt uns heran. Es ist der Reiseradler Adrian aus den Niederlanden. Er hatte hier gezeltet. Mit ihm verbringen wir die folgenden zwei Tage bis nach San Juan.
Die Isla Incahuasi ist ähnlich unserer Insel der letzten Nacht, nur ist sie bewohnt und touristisch hergerichtet. Sie wird von einer Menge Jeeps, gefüllt mit Touristen, angesteuert. Auch jetzt geht es zu wie in einem Taubenschlag. Eine Eintrittsgebühr von drei Euro schreckt uns vor dem Betreten ab. Glücklicherweise dürfen Hardy und Adrian auch ohne zu bezahlen die Wasserflaschen unter den Hahn halten und auffüllen.

Zu dritt radeln wir voran. Immer in Richtung Süd dem Ufer des Salars entgegen. Eine super holprige Rampe befördert uns schließlich ans Ufer. Wir radeln noch weitere 8km auf einer unerwartet guten, neuen Schotterpiste zum Dorf Villa Candelaria und dürfen dort im Festsaal der Schule übernachten. Es gibt sogar einen funktionierenden Wasserhahn.

San Juan de Rosario
Nur noch 40km trennen uns von einem Pausentag in San Juan de Rosario, den wir nach neun Tagen auf Sand, Salz und Wellblech herbeisehnen. Zuvor heißt es noch einmal Rätselraten welche der kleinen, vielen Pisten wir wohl nehmen müssen. Wir halten uns an die Angaben des Kompasses, Adrian schwört auf Abweichungen und nimmt eher den Stand der Sonne zur Hilfe. An jeder Minikreuzung hat dies eine Diskussion zur Folge. Nach dem Abzweig ins Dorf Colcha sind wir unschlüssig. Zum Glück hören wir lautstark singend ein Gruppe Soldaten herantraben. Hardy geht auf das Regiment zu, um sie nach dem Weg zu fragen, ist sich jedoch unschlüssig, ob die geballte Gruppe anhalten wird. Um so lustiger anzusehen ist es jedoch, dass sie sofort zappelnd aus Reih und Glied brechen und wild durcheinander redend seine Frage beantworten. Viele Arme zeigen in viele Richtungen. Wir entscheiden uns für eine übel aussehende Piste.
Auf den folgenden 7km kämpfen wir uns durch tiefen, feinsten Sand. Oft rutschen die Reifen weg. Passagen müssen wir schieben und zerren. Dabei frage ich mich jedes Mal, wie Hardys es schafft so schnell auf weichem Sand zu fahren. Ich hänge schiebend weit hinter her.
Endlich, nach einem Abzweig in Richtung Westen wird die Piste hart. Wir kommen gut voran. Später verwandelt sie sich wieder in schönstes Wellblech, gespickt mit Sand, aber der Untergrund ist in Ordnung. Wir werden ordentlich durchgeschüttelt, aber das sind wir ja bereits gewohnt.

In San Juan steppt der Bär – alles ist geschlossen, Läden sowie Unterkünfte. Wir erfahren, dass momentan das Quinoa auf den Feldern im Umland ausgesäht wird und dabei jeder im Einsatz ist. Sogar Brot wird zur Zeit nicht gebacken. Ich bin enttäuscht. Nach einer ernüchternden Hotelrecherche setzten wir uns erst mal in den Schatten auf den Platz und kochen einen Kaffee, denn niemand ist da. Nur im teuersten, höchsten Hotel des Ortes haben wir einen jungen Spund angetroffen, aber 30 Euro wollen wir nicht für ein Zimmer blechen.
Später macht Hardy einen super Deal in einem der Salzhotels. Wir kommen in der cabaña de sal von doña Silvia unter. Dies ist eine völlig unerwartete, tolle Krönung des Abschlusses unserer Runde über die Salzseen. Ich hätte nie erwartet mal in einem Salzhotel übernachten zu können! In dem runden Gebäude sind die Wände und auch die Sitzgelegenheiten aus dicken Salzblöcken. Sogar aus dem Boden ist Salz ausgestreut. Wir unterhalten uns lange mit der netten, überarbeiteten Besitzerin. Die hat vier Kinder und ist erst 28. Sie erzählt uns, dass es recht teuer ist ein Haus aus Salz zu bauen. Ein Stein kostet 0,4 Euro, hinzu kommen die Transportkosten sowie die Kosten der Konstruktion. Wir sehen sie von morgens bis abends schuften, aber immer offen ein paar Worte mit uns zu wechseln. Erst von 22-23 Uhr hat sie Zeit für sich. Dann schaut sie eine Telenovela und schläft meistens dabei ein. Hardy hilft ihr beim Brotbacken, wir bekommen Quinoa geschenkt.
Als wir ausgeruht sind und alle Packtaschen prall gefüllt mit Lebensmittelvorräten sowie Wasser für die zwei folgenden Tage sind, machen wir uns mit den nun sehr schweren Rädern auf ins nächste Abenteuer: die Lagunenrute bis nach Chile.

(Gute Infos zu diesem Abschnitt findet ihr bei andesbybike).

Weitere Fotos zu dieser Etappe koennt ihr hier ansehen.

BolivienPermalink

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