Von Salta bis nach Mendoza (Argentinien/ Oktober 2013)

Dieser Abschnitt unserer Reise, von Salta bis nach Mendoza, stellt sich leider als einer der ätzendsten seit langem heraus. Die nördliche ruta 40 ist öde! Langweilig!

Auf zweispuriger, sehr enger Fahrbahn ohne Seitenstreifen brausen die LKWs nur so an uns vorbei. Kommen zwei gleichzeitig, müssen wir von der Straße ins extra angelegte Schotterbett weichen. Warum können die denn keinen Seitenstreifen anlegen? Ist doch genug Platz! Einer von uns fährt vorne, beschäftigt damit gegen den stetigen Wind anzukämpfen. Der Andere hat die Augen permanent im Rückspiegel, um „Lastwagen, runter!“ zu brüllen. Es ist gefährlich hier.

Wir befinden uns immer noch in einer kargen, wüstenartigen Landschaft, die hier als cuyo (sandiger Boden) bezeichnet wird. Und wir dachten Argentinien wäre Grün! Großer Fehler. Zu dieser langweiligen Tristes permanent an Sand, Schutt, Staub und Dornengewächsen vorbeizuradeln kommen große Distanzen zwischen den Örtchen hinzu. Nur um diese herum grünt es aufgrund künstlicher Bewässerung.
Monoton treten wir täglich stur in die Pedalen und fahren und fahren. In 17 Tagen überwinden wir 1400km! Es ist lange hell, wir können bis spät in den Nachmittag fahren. Abends sind wir dementsprechend gerädert. Unterkommen können wir oftmals auf camping municipales. Diese sehr einfachen Campingplätze gibt es hier in jedem Dorf. Sie sind der Lichtblick eines jeden Abends.
Im folgenden Text werden die paar Highlights aufgezählt, vergessen darf man dabei wirklich nicht die langen, langen öden Strecken zwischen den Stätten.

Radeln durch die Quebrada de Cafayate
An unserem zweiten Tag nach dem Verlassen Saltas rollen wir an einem frühen Morgen am Dorf Alemanía vorbei. Gerade in Salta unsere Rückflugtickets nach Europa gekauft, ist es doch sehr lustig schon „da“ zu sein.

Kurz darauf treffen wir drei Reiseradler, die gerade im Schatten eines Baumes ihre Frühstückspause einlegen. Es sind Tea und Lukas aus Mexiko/Argentinien, die seit La Paz mit seinem Vater unterwegs sind. Irgendwoher kommen wir uns bekannt vor, denken wir alle. Aber erst als wir unsere emailadressen Austauschen klingelt es bei Hardy. „Hey wir kennen uns doch!“ ruft er aus. Tea und Lukas hatten wir vor Ewigkeiten in Costa Rica kennengelernt! Das Gelächter ist groß.

Auf einem 75km langen Abschnitt windet sich der Río Guachipas, auch Río de las Conchas genannt, in einem teilweise sehr engen Tal dahin. Buntsandstein in den verschiedensten Rottönen weisen an riesen Wänden irre Formationen auf, die wir die Hälse reckend bestaunen, als wir uns schwitzend im knallen Sonnenschein über die Steigungen nach Cafayate voran arbeiten. Dieser kurze Abschnitt ist schon beeindruckend.

Cafayate selbst ist ein ruhiger, touristischer Ort, um den herum sich große, alte Weingüter ausdehnen. Der Kontrast zwischen knochentrockener Wüste und den voller Leben steckender Weinreben ist sehr skurril anzusehen. Neben den hellgrün austreibenden und gerade in der Blüte stehenden Pflanzen stehen große Kakteen im hellen Sandboden.

Besuch der Ruinen von Quilmes
In Richtung Santa María führt uns unser Weg an den Ruinen von Quilmes vorbei. Bisher ist nur ein kleiner Teil der großzügigen Anlage freigelegt. Wir können die Grundmauern bestaunen, die einst 5000 Menschen beherbergten. Dank der Befestigungsanlage, strategisch gut an einem Hang gelegen, konnten die Quilmes den Inkas Stand bieten, den Spaniern jedoch nicht, die einfach ihre Felder rund herum anzündeten und die Bewohner hungern ließen, bis sie schließlich aufgaben.
Heute, nach vielen Jahren der Enteignung und Vertreibung haben die Nachkommen der Quilmes zumindest hier ihr Land zurück erlangen können und verwalten es autonom.

Diese Nacht verbringen wir auf dem camping municipal in Santa María. Es ist Wochenende, das hatten wir nicht bedacht. Der argentinische Lebensrhythmus ist so ganz anders als der unsrige. Bis bei uns im Morgengrauen der Wecker klingelt werden wir mit Musik, Gelächter und lautem Moppetgehäul beschallt. Wir sind gerädert.

Immer noch langweilig!

Auf nach Chilecito
Jeden Tag wird es heißer, trotz mehrmaligem Eincremen verbrennen wir uns tierisch. Seit Tagen sehen wir in der Ferne prall gefüllte Wolken. Es will regnen, kann aber nicht. Die Luft knistert bereits. Wir befinden uns mal wieder mitten in der Wüste zwischen zwei Orten, als wir am frühen Nachmittag eine Hütte passieren, die einem der vielen Heiligen gewidmet ist. Es gibt einen geschlossenen Raum mit Fenster und Feuerstelle und eine überdachte Terrasse. Wir fackeln nicht lange, brechen hier ab und vertreiben uns die Zeit mit Fahrradwartung und Blogschreiben. Als ich dann gerade koche, hat es die Gewitterfront von zwei Seiten heran geschafft. Es ist schlagartig abgekühlt. Durch die schwarzen Wolken zucken Blitze nur so aufeinander. Ich finde es wahnsinnig faszinierend, Hardy dagegen hat Muffensausen. Es donnert gewaltig und schüttet und hagelt dann los. Wow, welch Naturschauspiel! Zum Glück sitzen wir jetzt nicht im Zelt.

Wir fahren und fahren und passieren nette, kleine Orte wie Belén, San Blas und Chilecito.
In letzterem machen wir bei dem warmshowers-Gastgeber Angél und seiner Schwester einen Tag Pause.
Wir schlemmen Eis und besuchen das Museum der alten Drahtseilbahn der Mine Mejicana, einst erbaut von einer Leipziger Firma. Ab 1905 wird für ein Viertel Jahrhundert von Engländern aus einer Mine im Berg Famatina Gold, Silber und Kobalt abgebaut. Mit dieser imposanten Förderanlage werden ganze 3510 Höhenmeter überwunden. Damals ist sie die längste und höchste der Welt gewesen und gilt als ein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Wir können noch ein paar der alten, nun verrosteten Hängeloren bestaunen. Jede einzelne beladen 500kg schwer. Da die Arbeiter der Mine meist aus Chile stammen, wird der Ort damals von Santa Rita nach Chilecito umbenannt, was so viel wie kleines Chile bedeutet. Nach der Aufgabe der Mine steigen die Menschen dieser Region auf Landwirtschaft um. Heute werden Wein, Nüsse, Früchte und Oliven produziert.
Der Abbau der Mineralien ist lange eingestellt, die ökologische Katastrophe der Vergiftung des Wassers besteht jedoch bis in die Gegenwart. Der nach Chilecito hinein fließende Fluss ist übersäuert.
Aktuell schwillt ein Konflikt in Bezug auf eine neue Mine. Die argentinische Regierung hat bereits vor Jahren Verträge mit einer kanadischen Firma unterzeichnet, die den Abbau der Mineralien am Berg Famatina wieder aufnehmen will. Die Bewohner der zwei sich anschließenden Täler sind strikt dagegen, befürchten weitere Umweltverschmutzung und machen sich Sorgen über Wasserreserven, von denen sie für die landwirtschaftliche Nutzung der Felder abhängig sind. Der Zugang zum Gebiet der neu entstehenden Mine ist besetzt, die Firma momentan an ihren Vermessungsarbeiten gehindert. Überall drücken Grafitis an den Hauswänden die Protesthaltung der Menschen aus.

 – ruta 40…

Gauchito Gil
Kurz hinter dem Ort Nonogasta, am Beginn der Steigung zur Cuesta de Miranda, die uns bis auf 2000 Meter hinauf führen wird, winkt uns ein älterer, dicker Man heran. Er ist begeistert, genau vor einem Jahr hatte er an dieser Stelle bereits zwei andere Reiseradler aus Deutschland kennengelernt. Er schwärmt uns vor von der Landschaft, läd‘ uns (wenn wir zurück kommen) zu sich in seinen wunderschönen Garten ein und und schmettert uns selbst gedichtete Liebesgedichte um die Ohren. Dabei steigen ihm Tränen in die Augen.
Kurz danach bekommt Hardy von einem anderen Mann, am Straßenrand an sein Auto gelehnt, als wenn er auf uns warten würde eine Palette Kuchen geschenkt. Die Leute hier sind unglaublich nett!
Den süßen Kuchen verdrücken wir sogleich auf einer Bank im Schatten unter Bäumen, an einem der vielen Heiligenschreine, die hier nur so aufeinander folgen. Da gibt es u.a. San Expedito (der für Notfälle und dringend anstehende Wunder verantwortlich ist), die Difunta Correa und den Gauchito Gil. Letzteren finden wir am sympathischsten. Von der katholischen Kirche nie anerkannt, sind insbesondere diese drei ein großer Bestandteil der Frömmigkeit vieler Argentinier.
Laut Legende gerät der kleine Gaucho Gil aufgrund eines Verhältnisses mit einer reichen Witwe in Schwierigkeiten. Daraufhin schließt er sich der Armee an und kämpft gegen Paraguay. Als sich in Argentinien die Umstände zu einem Bürgerkrieg entwickeln, desertiert er, da er nicht eigene Landsleute umbringen möchte und flieht. In dieser Zeit wird er zu so etwas wie der Robin Hood Südamerikas. Er klaut Vieh der Großgrundbesitzer und gibt es den Armen. Gewitzt kann er sich immer wieder seinen Verfolgern entziehen, bis er doch gefasst und umgebracht wird. Seinem eigenen Henker empfiehlt er noch vor seinem Tod für die Genesung seines sterbenskranken Sohnes zu ihm zu beten. Das tut der Henker dann auch, sein Sohn wird gesund. Dem Gauchito Gil wird der erste Altar gebaut und die Kunde seiner wundersamen Heilkräfte machen sich selbstständig.
An den Rändern der Landstraßen treffen wir immer wieder auf seine Heiligenschreine in allen Größen. Sei es nur eine kleine Figur mit Kerze daneben, reichen die Ausmaße bis hin zu richtigen Häusern. Bäume sind mit roten Fahnen geschmückt. Die Statue vom Gil oft daneben. Ein Gaucho mit rotem Umhang oder rotem Halstuch. Immer wird ihm eine Zigarette in die Hand gedrückt. Gefüllte Wasserflaschen oder Wein wird für ihn hinterlassen. Aber nicht nur das. Manche heilige Orte sehen aus wie Müllkippen. Wir sehen gestandene Männer anhalten und beflissentlich zu ihm beten.

Cuesta de Miranda
In schönster Landschaft schrauben wir uns die vielen Serpentinen hinauf zur cuesta. In der Schlucht unter uns zwängt sich ein Fluss durch die Enge. Große Kakteen stehen wie stumme Wächter auf den Hängen. Bei diesen Felsformationen sorgt Eisen-Oxid für die vorherrschende purpurrote Farbe der Felsen. Es ist schön hier.
Leider sorgen Straßenbauarbeiten für eine mehrstündige Zwangspause. Der Hang wird gesprengt, Staub, Gestein und Kakteen fliegen nur so durch die Gegend nach jedem ohrenbetäubenden Knall. Bis nach 18h hängen wir abseits im Sand herum und warten, bis wir kurz vor Einsetzen der Dunkelheit den Pass hinter uns bringen können und einen Zeltplatz finden.

Im 50km entfernten Villa Unión leisten wir uns eine cabaña, denn ist mein 30. Geburtstag. Jeder gönnen wir uns in der Hitze des Nachmittags 1/4kg Eis in der heladeria am Platz, danach gibt’s noch Torte!

Parque Nacional Talampaya
Im Nationalpark Talampaya kommen wir bereits am Mittag an. Der zonda, ein sehr heftiger Föhnwind von den Anden kommend hat uns an diesem Tag zuschaffen gemacht. Hin und her werden wir über die kaum befahrene Straße gefegt. Dann folgt eine heftige Sandböe. Die Körner peitschen auf der Haut. Insbesondere in den Ohren finden wir noch Tage später den roten, feinen Sand wieder.

Der Nationalpark ist aufgrund des Sturmes geschlossen. Wir müssen hier bleiben, das ist schnell klar. Es gibt auch einen Campingplatz, der aber leider überhaupt nicht windgeschützt ist. Es folgen lange Diskussionen, da die absurden Nationalparkregeln bei uns gewaltig anecken, bzw. wir bei den regelorientierten Mitarbeitern. Der nach x-Stunden erscheinende Ranger macht für uns eine gewaltige Ausnahme und wir dürfen das Zelt im Hof des Restaurants aufbauen. Leider dreht der Sturm in der Nacht. Im Zelt steht der feine Sand. Wir können fast nichts mehr sehen, alles ist voller rotem Staub. Nicht schon wieder, wir haben doch gerade in Salta alles gereinigt! So schnell wie möglich brechen wir das Zelt ab und ziehen um ins Toilettenhäuschen. Das bekommt um 1h nachts niemand mit, wir verstoßen bestimmt schon wieder gegen alle möglichen Regeln.
Am Folgetag ereilt uns wieder schönster Sonnenschein. Der Nationalpark ist geöffnet und wir machen zusammen mit einer Gruppe eine geführte Wanderung mit. Man darf sich hier natürlich nicht allein bewegen. Der Eintrittspreis ist gesalzen, der guide eine uninteressierte Schlaftablette. Wir vergnügen uns mit zwei sehr netten Argentinierinnen aus Buenos Aires, während wir durch das ausgetrocknete Flussbett an riesigen roten ausgewaschenen Felswänden vorbeilaufen.

Die Difunta Correa in Vallecito
Maria Antonia Correa folgt im Jahr 1841 im Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanier ihrem verhafteten Mann, der von seinen Wärtern hinaus in die Wüste getrieben wird. Ihrem kaum geborenen Säugling im Arm haltend bricht sie jedoch bald zusammen und verdurstet. Ein paar Tage später wird sie aufgefunden. Durch ein Wunder überlebt ihr Kind, immer noch an der Brust saugend. Die Männer begraben sie genau an dieser Stelle und errichten einen Schrein für die sich aufopfernde Ehefrau und Mutter.
Wie ein Wallfahrtsort wirkt das heutige, künstlich anmutende und recht herunter gerockte Dorf Vallecito, um das Grab der Difunta, der Toten, Correa platziert. Sie gilt als Heilige, die Scharen von Pilgern anreisen lässt. Auf dem Hügel ihres Grabes werden Gegenstände zur Danksagung des Erhalts von Häusern oder Autos, gelungenen Geburten oder Operationen oder dem Erlangen von Universitätstiteln hinterlassen. Es wimmelt von Autokennzeichen, kleinen Modellhäusern, Kerzen und Plastikflaschen gefüllt mit Wasser. Wirklich skurril!

 – Wie langweilig ist das denn!

Mendoza

Bis nach Mendoza brettern wir noch einmal durch und erreichen die Stadt nach zwei Tagen. Mendoza gefällt uns gut. Nach dem verheerenden Erdbeben von 1861 musste die Stadt neu aufgebaut werden. Pappelalleen erwecken unser Interesse. Es gibt viele Parks. Großzügig ist alles angelegt.
Im familiären Hostal del Parque fühlen wir uns sehr wohl. Gabriel, einer der Mitverantwortlichen ist auch Fahrradfahrer und gibt uns einen Extrapreis. Wir bleiben gleich ein paar Tage. Wir sind wirklich müde und ausgelaugt. Zu unserer Freude treffen wir einmal wieder auf die Düsseldorfer Radler Hardy und Lena. Mit weiteren Wein wird unser Wiedersehen und das Knacken unserer heute erradelten 30.000km gefeiert.

Von den Ergebnissen der gerade stattgefundenen Wahlen haben wir sowohl im Vorfeld, als auch danach fast nichts mitbekommen. Weder sehen wir groß angelegte Wahlwerbung, noch ist das Ergebnis Thema. Wir hören einmal, es sei egal welche Partei gewinnen würde. Sie seien eh alle korrupt und es würde sich nichts ändern. Aufgrund der ansteigenden Inflation und zunehmender Gewalt sind viele Menschen unzufrieden. Die Partei der ehemaligen Präsidentin Kirchner muss eine Schlappe verkraften. Sie hat nach vorläufigen Ergebnisse zwar die Mehrheit, jedoch diesmal deutlich weniger Stimmen abbekommen.

Wir freuen uns der Hitze wieder entfliehen und uns hinauf in die Berge arbeiten zu können. So schwingen wir uns auf die Sättel, um den Bermejo Pass zu überradeln und wieder nach Chile zurückzukehren. Küstenradeln steht an, mal etwas ganz anderes als diese ätzende Wüste!

Fotos zum Text sind in der Galerie.

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