Landschaftsvielfalt auf engstem Raum – Von der Mündung des Itatas bis nach Futalefu (Chile-Argentinien/ November-Dezember 2013)

Unser Aufenthalt im schönen Sommerhäuschen zu Gast bei Alex im verschlafenen Dorf an der Mündung des Itatas am Meer vergeht viel zu schnell.
Gern wären wir noch ein paar Tage länger geblieben, doch seit des Kaufs unseres Rückflugtickets nach Europa vor einigen Wochen wollen die uns noch verbleibende Zeit sowie die bis dahin abzuarbeitenden Kilometer und was wir nicht noch alles vor unserer Ankunft in Ushuaia erleben und besichtigen wollen einfach nicht aus unserem Hinterköpfchen verschwinden. Ein günstiges Flugticket, d.h. einen feststehenden Rückreisetermin, haben wir eingetauscht gegen unsere Freiheit, gegen Spontanität, gegen das Gefühl uns einfach treiben lassen zu können. Nun müssen wir überlegen, ob wir die Zeit haben zu verweilen und Einladungen annehmen zu können. Aber nicht nur unser Abreisetermin ist ausschlaggebend für unser voranschreitendes Reisetempo, auch die kurze Sommerperiode auf dem untersten Zipfel der Südhalbkugel, in der das Wetter erträglich sein kann, lässt uns einen raschen Kurs in Richtung Feuerland aufnehmen.
Wir spüren Druck, richtigen Zeitdruck. Seit dem Beginn Südamerikas spielen wir mit den uns noch verbleibenden Monaten und bedenken unser Zeitfenster der Ankunft an unserem Ziel, aber so krass haben wir den Druck nie erlebt. Hochrechnungen werden angelegt: Wie viele Kilometer sind noch zu erradeln? Wie lange brauchen wir dafür bei unserem bisherigen Durchschnitt der geschafften Kilometer pro Tag? Wie viele freie Tage haben wir noch? Wie viel Zeit bleibt zum Wandern? Alles ist durchkalkuliert und bedacht. Wir haben einen kleinen Zeitpuffer und können mit ihm jonglieren. Jeden zweiten Abend im Zelt im Schlafsack liegend verkündet mir Hardy, wie ihr wisst Tabellen-liebend, unseren aktuellen Stand an offenen Radel- und möglichen Pausen-Tagen.
Gut jedoch ist, dass wir uns bereits so weit südlich befinden. Wir können uns nur schwer vorstellen, wie so einige andere Reiseradler, die erst im Norden von Argentinien sind, all die Kilometer bis Ende der Sommerzeit, also Ende Februar nach Ushuaia entspannt schaffen wollen.

Also werden an einem frühen Morgen nach einer fröhlichen durchzechten Nacht die Räder beladen. Wir schwingen uns mit einem leichten Kater auf die Sättel, um wackelig auf der holperigen Schotterpiste hinwegzujuckeln.
Wir wollen zur Mündung des Flusses, der boca de Itata, denn genau da sind wir mit dem jungen, wortkargen Fischer Alejandro verabredet. Die Piste verwandelt sich fix in feinen Sand. Alsbald ziehen und zerren wir mehr an den Rädern am Strand entlang, bis wir nach einer Ewigkeit zu Alejandros Schiffchen gelangen.
Er ist bereits seit den frühen Morgenstunden in seinem hölzernen Ruderboot und pendelt von Ufer zu Ufer. Die Ausbeute ist sehr mager. „Seit Jahren werden es immer weniger Fische. Sie werden auch immer kleiner.“, berichtet er uns.

Das Gepäck sowie die Räder werden in den kleinen, wackeligen Kahn geladen und Alejandro beginnt uns gemächlich ans andere Ufer zu rudern. Mit dieser Abkürzung sparen wir uns mindestens 40km auf Schotterbelag hinauf zur Brücke und zurück. Die Flusslandschaft ist wunderschön und es ist toll sie aus dieser Perspektive erleben zu können.

“Hey, das ist ja ein richtiges kleines Abenteuer”, denken wir uns, als wir drüben angekommen sind und die Räder ein zweites Mal angestrengt durch tiefen Sand schieben. Bald können wir aufsteigen und fahren langsam über Pfade der Straße entgegen, die uns in Richtung des hektischen Concepcións führt. Diese Stadt, die zweit wichtigste Chiles, nutzen wir nur zum Einkaufen im großen Supermarkt und verschwinden so schnell wie möglich.
Der nun stressigen, verkehrsreichen Straße folgen wir weiterhin entlang der Küste. Ort folgen auf Orte. In Coronel fragen wir in der Bibliothek, ob wir das Internet nutzen dürfen und stoßen auf einen ganz lieben Menschen. Eduardo, der Direktor der Bibliothek ist ganz entzückt uns als Gäste bei sich zu haben. Er hat in den USA gelebt und hat dort große Gastfreundschaft erfahren. Nun will er etwas zurückgeben. Wir dürfen auch während der Mittagspause das Internet nutzen. Sogleich werden wir zu ihm nach Hause zum Mittag bei seiner Mutter eingeladen und herzlich bequatscht. Stunden über Stunden verbringen wir in dieser Bibliothek. Es ist bereits später Nachmittag, als wir zum Weiterfahren kommen.

Auf ins Landesinnere
Kurz darauf verabschieden wir uns von der wunderschönen Küste, wir haben eine tolle Zeit hier erlebt, und biegen auf der Höhe von Cañete ins Inland ab.
Durch Orte wie Traiguén und Victoria arbeiten wir uns hinweg von der Forstwirtschaft hinein in ein Weide- und Agrikulturlandschaft. Ein Meer aus Parzellen und Stacheldrahtzäunen umgibt uns. Keine Chance für einen versteckten Zeltplatz.
Am Nachmittag fragen wir bei einer Familie am Gartenzaun, ob wir nicht auf ihrer 1ha großen Parzelle campen dürfen. Die alte Yeiya lebt hier ganz allein. Gerade sind ihr Sohn mit Freundin samt Enkelin zu Besuch. Der Sohn flüstert seiner alten Mutter ins Ohr, ”lad die doch ins Gästezimmer ein, diese gringitos, das sind welche von den Guten”. Und so werden wir fix, trotz der gerade stattfindenden Diebeswelle ins Haus gebeten, dürfen duschen und bekommen ein eigenes Zimmer. Yeiya lebt auf ihrer Parzelle, hat x-Hunde, Katzen, Schafe, Schweine, Enten, Gänse und Truthähne. Lange quatschen wir mit der lustigen und bereits schwerhörigen Frau. Sie scheint Gesellschaft zu genießen und holt Wein heraus. Wir kochen Reis mit Gemüse und einer Käsesoße. Dazu gibt es sopaipillas, eine chilenische Spezialität. Stücken des gerade frisch durchgekneteten Brotteiges werden in Schmalz frittiert und heiß und fettig gegessen. Schmeckt super lecker!

Besuch des Nationalparks Conguillio
Und schwups sind wir mitten im Landesinneren, im Nationalpark Conguillio. Chile ist ja so furchtbar schmal! Es gibt Stellen, da kann man gleichzeitig die Kordillere der Anden, welche die Grenze zu Argentinien markiert, sowie den Ozean auf der anderen Seite sehen.

Immer den wunderschönen Kegel des schneebedeckten Vulkans Llaima im Blick fahren wir durch Wald, gurgelnden Bächlein folgend, vorbei an beeindruckenden Lavafeldern in den Nationalpark hinein. Es heißt, wenn der Vulkan raucht, dann ist alles gut, hört er auf, ist er verstopft, dann wird es gefährlich.

Langsam rollen wir auf der sandigen Schotterpiste dahin. Es ist atemberaubend! Der Wald verdichtet sich. Wir fahren durch einen schattigen Tunnel unter den Ästen der riesigen Araukarien hinweg. Diese wunderschönen Bäume sind die „Urwald-Gewächse“ Chiles. Sie haben eine faszinierende Wuchsform. Hinter ihnen blitzt immer mal wieder der Llaima hervor.
An der großen Lagune quartieren wir uns auf einem Campingplatz ein. Eine heiße Dusche lockt, aber vor allem wollen wir unseren Kram hier sicher stehen lassen können, da wir morgen wandern gehen möchten. Schön ist es hier. Unser Platz befindet sich im Mischwald, die Sonne kommt hindurch und wärmt uns in der einsetzenden Kühle des hereinbrechenden Abends. Als wir gerade einen Tee fertig gekocht haben, kommt Kai angeradelt und belegt den Platz neben uns. Er hat fünf Monate Zeit und will Runden drehen durch Chile und Argentinien, einen genauen Plan hat er noch nicht.

Am Folgetag verlässt uns leider unser Glück. Die Wolken hängen tief. Nebel erhebt sich gerade von der Lagune, als wir uns auf unseren Weg den Berghang hinauf zu ein paar Aussichtspunkten machen. Oder ist es gerade wegen der gespenstischen Stimmung so beeindruckend?! Gerade erhaschen wir noch einen Blick auf die Lagune unter uns, doch der Vulkan versteckt sich hinter einer starren, grauen Wand. Egal, wir wandern weiter. Schwarz heben sich die Silhouetten der Baumkronen der Araukarien vorm aufsteigenden Nebel ab. Toll sieht das aus. Wir kommen immer höher. Es wird windig und kalt. Am gegenüberliegenden Hang fallen drei Wasserfälle in die Tiefe, auch sie verschwinden, als rasch ein neuer Wolkenvorhang aufzieht. Wir kämpfen uns etwas weiter, drehen aber bald um, da tiefe Schneefelder auf den schiefen Hängen ohne Ausrüstung uns zu gefährlich erscheinen. Tja, da haben wir einfach mal Pech mit dem Wetter gehabt.
Der Rest des Tages vergeht mit Tee trinken und mit Kai quatschen. Kurz vor dem Sonnenuntergang wagen wir uns noch einmal an den nahen See und siehe da, es ist aufgeklärt. Sogar der Vulkan zeigt sich von seiner feinsten Seite. Toll!

Am nächsten Morgen erleben wir natürlich wieder strahlenden Sonnenschein, wie soll es auch anders sein? Wir setzen unsern Weg fort, vorbei an beeindruckenden, riesigen Lavafeldern und Lagunen und tauchen ein ins großartige Seengebiet Chile und Argentiniens.

Seen, Seen und nochmals Seen
Diese Etappe beginnt mal wieder auf feinstem, losen Schotter und lässt uns in den kleinsten Gängen tretend schwitzen. Fleißig wellt sich die Landschaft dahin.
Kurz nachdem wir die Kleinstadt Cunco passiert haben, befinden wir uns in einem Gebiet, indem auf riesigen Feldern Getreide angebaut wird. Alles ist wunderhübsch, penibelst umzäunt. Ein Markenzeichen Chiles. Es wird später und später. Endlich sehen wir mal Jemanden an einem der Höfe und fragen sogleich nach einem Plätzchen für unser Zelt. Herr Hettich, der Großgrundbesitzer ist gerade vor Ort. Er bietet uns einen Platz am Rande seines Getreidefeldes an. Wir kommen ins Gespräch. Er erzählt uns die Geschichte seines Vaters, der deutsche Einwanderer, der einst hier das Land urbar machte und eine Getreidemühle baute. Er ist begeisterter Angler und als ihm Hardy nach Rat zu seiner wieder aufgeflammten Leidenschaft, die damals in Kanada für ihn unzufrieden ausgegangenen war, befragt, hat er gleich einen Stein im Brett und bekommt Kniffe erklärt. „Vielleicht gibt es ja hier Fische, denn in Kanada, das kann ich bestätigen, gibt es keine.“, sagt Hardy verschmitzt lachend.

Unser Weg führt uns ins touristische, aber sehr beschauliche Villarica, am Fuß des gleichnamigen Vulkans sowie Sees gelegen. Bei Alex finden wir in seiner kleinen Pension einen Ort zum Verweilen und bleiben drei Nächte. Wie immer gibt es einiges zu waschen und reparieren. Wir nehmen uns jedoch auch die Zeit gemütlich am gerade neu und sehr nett angelegten Seeufer entlang zu schlendern, uns ins Gras zu setzen, den See und Vulkankegel anzuschauen und einen Wein zu trinken.

Vorbei geht es dann auf kleinen Pisten an weiteren Seen. Meistens haben wir blauen Himmel. Die Sonne ist heiß. Wir schwitzen uns all die Hügel hinaufkurbelnd einen ab. Es könnte zu schön sein, wenn sich da nicht schon wieder ein Problem ankündigen würde. “Unsere Fahrräder sind einfach alt und super gebraucht!”, ruft Hardy empört aus. Wie vor Salta machen beide Freiläufe mal wieder besorgniserregende Knackgeräusche. Das gleichmäßige Klicken beim Einsetzen des Freilaufs ist verstummt. Bei mir beginnt das gleiche Spiel wie nur vor 3000km, die Sperrklinken greifen nicht zuverlässig, oft trete ich ins Leere, bevor die Übertragung meines Tritts greift und ich vorankomme. Meine Nerven liegen blank. Hoffentlich schaffen wir es noch bis San Martín de los Andes! Das Spiel mit dem Feuer beginnt…

Schließlich landen wir im verschlafenen Neltume. Morgen wollen wir im Nachbarort Puerto Fuy am Mittag auf eine Fähre steigen und per Schifffahrt den langgezogenen See Pirihuenco queren. Ziel ist es, über den sich anschließenden Paso Huahum nach Argentinien zurück zu radeln. Aber erstmals bleiben wir heute hier. Im Laden haben wir Teo und Sebastian kennengelernt und eine Empfehlung für den nahen Campingplatz bekommen. Das Argument “wifi” am Fluss ist unschlagbar!
Am Abend schauen Teo, Sebastian und Anna bepackt mit Bier und Wein auf einen Besuch vorbei. Das freut uns sehr! Wir erfahren so einiges über diese Gegend. All das Land rund herum um den Ort Neltume gehört einer Familie, den Pettermanns. Früher haben die rigoros abgeholzt, sind jedoch seit etwa 15 Jahren auf nachhaltige Forstwirtschaft umgestiegen, haben in Tourismus investiert und nebenbei eine Stiftung für den Naturschutz gegründet. Zum Beispiel gibt es ein Schutzgebiet für das Huemul (ein Reh). Das ist eines der Nationaltiere Chiles, welches in dieser Gegend bedroht ist. Bisher ist es geschafft, dass der Bestand sich vermehrt, bald soll mit der Schrittweisen Auswilderung begonnen werden. Bei dieser Stiftung, immer nur als “la fundación” bezeichnet, arbeiten Teo und Sebastian. Teo ist als guide und Skilehrer angestellt und Sebastian macht hier ein Praktikum. Anna, aus Hannover, arbeitet im nahen Hotel gegen Kost und Logie. Bis nach 12 Uhr sitzen wir am Fluss zusammen und tauschen Geschichten aus.

Die, ja wir müssen es zugeben, unerwartet große und moderne Fähre, bringt uns mit vielen Rentnern, sowie einer Menge Autos und auch einen Lastwagen am Mittag per sanfter Fahrt hinüber auf die andere Seite des Sees nach Puerto Pirihueico. Natürlich mal wieder Pech mit dem Wetter, begleiten uns dicke Wolken. Dennoch ist die Landschaft wunderschön! Schroff fallen die Felskanten der Berge rings herum ins Wasser. Ihre Hänge sind über und über mit einem Teppich aus Tupfen aller Grüntönen überzogen. Manchmal lichtet sich das Dickicht und ein schmaler Sandstrand kommt zum Vorschein.

Weit ist es nicht mehr bis zur chilenischen und dann argentinischen Grenzkontrolle. Wir arbeiten uns weiterhin auf Schotterbelag voran. Ganz toll ist es hier! Dichter Mischwald umgibt uns. In den Bächen gurgelt das Wasser. Es gibt viele Blumen. Ab und zu erhaschen wir einen Blick auf den Lago Lacár. Es geht hoch und runter, den 659m hohen Paso Huamhum meken wir nicht einmal. Das ist ja mal ne‘ Andenüberquerung! Wir befinden uns inzwischen in Patagonien. Das bemerken wir überrascht an den Schildern in Argentinien, die wir bereits seit dem Norden kennen und die die verschiedenen Regionen des Landes ankündigen.

Der Zustand, bzw. die Zuverlässigkeit meines Freilaufes verschlechtert sich rapide. Oftmals geht gar nichts mehr, dann halten wir an, kurbeln mit der Hand und schalten ein paar Mal, bis ich wieder Druck auf die Pedale ausüben kann. Wir schaffen es heute noch bis zu unserem Zeltplatz, aber am folgenden Morgen kann ich mit diversen Unterbrechungen nur noch 9km radeln bevor nichts mehr geht. Scheiße! Glück im Unglück gehabt, kommt von hinten just in dem Moment ein Jeep mit viel Platz auf der Ladefläche an. Es ist Horacio, der gerade Fahrräder an eine nahe Schule ausgeliefert hat. Ein prüfender Blick und er sagt: “Alles klar, ich nehme euch mit, ich habe einen Fahrradladen in San Martín, da übergeben wir das Hinterrad an meinen Mechaniker Fabián”. Gesagt getan. Die folgenden 25km tollster Landschaft verbringen wir mal wieder indoor und landen fix beim Radladen.
IDer junge Mechaniker öffnet und reinigt meinen Freilauf und ersetzt das erst in Salta ausgetauschte “Haar“ (pelo). Ein Drahtring, der schon wieder zerrissen ist. Bei mir läuft und schnurrt wieder alles. Wenn das jetzige pelo auch 3000km halten wird, dann ist ja alles gut. Aber zur Not haben wir noch einen Ersatz dabei … (den tauschen wir bereits fünf Tage später mit dem super schnell zerbrochenen „neuen“ Drahtring am Straßenrand aus). Für Hardys Freilauf kann der Mechaniker jedoch nichts tun. Genau den Durchmesser des benötigten Modells gibt es in ganz San Martín nicht. Wir werden mit diesem Problem ins größere Bariloche geschickt. Der Import nach Argentinien ist schwierig. Doch Hardy schwört nicht nur einmal: “Ohne einen neuen Freilauf verlasse ich Bariloche nicht!”

Ruta de los 7 Lagos
Diese Sorge so gut es geht beiseite geschoben, gehen wir ein ganz besonderes Tortenstück an. Der kurze Abschnitt zwischen San Martín und Bariloche ist bekannt als die Route der sieben Seen. Es sind bei weitem nicht nur sieben wunderschöne Seen und Lagunen, an denen sich die Straße vorbei an Bergen, Flüssen und durch den Wald dahin schlängelt.
Große, kleine und schmal langgezogene Seen, je nach Sonneneinfall in einer anderen Farbe schimmernd, lassen uns anhalten und verweilen. Manchmal befinden wir uns direkt an ihrem Ufer, manchmal blicken wir auf sie hinab. Dazu genießen wir feinsten Sonnenschein und eine enorme Blumenvielfalt, dominiert von gelb oder rosa-lila.
Am Lago Espejo, der See, indem sich bei spiegelglatter Oberfläche die Kuppe des dahinter, aber sich bereits in Chile befindenen Vulkans Puyehue spiegelt, gibt es einen Gratis-Campingplatz. Das Zelt wird am Rande des Sandstrandes aufgebaut. Hardy macht es vor und springt ohne lange zu fackeln ins kalte Wasser. Ich stehe in Daunenjacke und mit Kamera in der Hand daneben. Zwei im Sand sitzende Argentinierinnen können es nicht glauben und rufen: ”Está loco!” Als ich dann es Hardy gleich tue, verstehen sie die Welt nicht mehr. Ich muss mal anmerken, so kalt war das gar nicht, wir hatten bei weiterem schon eisigeres Wasser.
Um 21h kommt noch Francisco angeradelt. Wir befinden uns inzwischen so weit südlich, dass die Tage super lang geworden sind. Um 21h ist es zu meiner persönlichen Verdrießlichkeit, wenn ich schlafen will, immer noch hell.
Der Spanier hat sich etwa drei Jahre Zeit genommen, will erst nach Ushuaia runter und dann nach oben, nach Alaska radeln. Am nächsten Tag treffen wir uns immer wieder, bis wir einen Trampelpfad zum tollen See Nahuel Huapi folgen und er einfach weiterdüst.

Wir stehen auf dem beigen Sandstrand dieses super großen Sees, Steine liegen am Ufer herum, dazwischen liegen ausgewaschen Baumstämme. Von der Straße trennt uns eine Wand aus dunkelgrünen Bäumen, denen kräftig gelb blühender Ginster vorgelagert ist. Es duftet. Unser Blick wandert über den hellblauen See. Am anderen Ende liegt sich eine von Bäumen überzogene grau-grün erscheinende Insel. Dahinter befindet sich ein Gebirgszug, dessen dunkelgraue, karge Bergrücken sich klar vom strahlend blauen Himmel abheben. Unglaublich schön ist es hier! Und vor allem, wir sind ganz allein. Nur hinter uns ist das störende Geräusch der Autos zu vernehmen. Zwei Doofe, ein Gedanke – wir werfen unseren Plan für heute über Bord und schieben die Räder auf den weichen Sand. Es ist 13 Uhr, wir bleiben hier. Unser kühner Plan, ein gemeinsames Bad zu nehmen, erübrigt sich sofort ob der arktisch kühlen Temperatur dieses Sees. Hardy springt einmal kurz rein. Ich lege mir Wasserflaschen in die Sonne für eine spätere Dusche. Wir genießen den Blick, bauen das Zelt auf, reinigen den Kocher und schreiben Blog. Das alles können wir doch auch hier in feinster Kulisse machen, dann sparen wir uns einen stressigen Stadttag in Bariloche.

Bariloche
Zackig rasen wir die fehlenden 65km in die Hauptstadt dieser Region ab. Bariloche ist voller Leute, hektisch und nicht sonderlich schön. Wir bleiben so kurz wie nötig. Im vermeintlich professionellen Fahrradladen an der Hauptstraße wird Hardys Hinterrad eine neue Narbe eingebaut. Sie ist qualitativ wesentlich schlechter als die vorherige, aber das einzige Modell, welches wir finden können. Der halbwegs unsympathische Besitzer vergurgt das Einspeichen und Zentrieren des Rades.
Das fällt uns erst am Nachmittag auf, als Hardy an unserem Zeltplatz selber an seinem gerade neu eingestellten Hinterrad basteln muss. Er stellt eine Acht fest. Der Typ hat zudem eine Stellschraube am Ausfallende zur Achslage falsch verstellt, so dass das Rad nicht in einer Linie mit dem Rahmen liegt und die Bremsen schleifen. Volldepp! In El Bolsón, unserem nächsten Stopp, werden wir das Rad erneut perfekt zentrieren…

Bis dahin radeln wir hoch und runter in einer nach wie vor seenreichen Landschaft. Die Berge zu unserer rechten und linken werden höher, karger und haben Schneetupfen auf ihren Gipfeln. Neben uns ziehen sich Büsche dahin, durchzogen von Inseln aus buckeligem Gras, die zum Zelten einladen.

El Bolsón
Die Kleinstadt El Bolsón ist bekannt für bio-Obst und -Gemüse, aber vor allem für all die Hippies, die sich hier angesiedelt haben sollten. El Bolsón wurde von ihnen als die Stadt des Friedens benannt. Ausflugsziele locken viele viele Touris hier her. Uns auch, aber nicht deswegen. Wir wollen uns mit unserem Radelfreund Lukas treffen. Mit dem haben wir bereits in Peru und dann in La Paz Zeit verbracht. Er ist von Mexiko bis hier her geradelt und bleibt nun bei seiner Tante und seinem Onkel auf dem Bio-Hof Adrion, um hier eine Weile zu leben und zu arbeiten. Es wird ein schönes Wiedersehen!

Nationalpark los Alerces
Weiter geht es in Richtung Süd durch tollste patagonische Landschaft. Schneebedeckte Gipfel stehen hinter umzäunten Weideflächen. Tja, wenn da nur der Wind nicht wäre … der setzt täglich pünktlich zum Mittag ein, natürlich gegen uns, so dass wir am Nachmittag erschöpft sind. Diesmal kommen wir müde im Örtlein Cholila an und fragen bei der katholische Kirche nach einem Platz für unser Zelt. Der nette, polnische Pfarrer Adam bittet uns sogleich herein. Es gibt einen Kaffee, dann eine heiße Dusche und schließlich eine Rundfahrt im Jeep, bei der wir den unkonventionellen Padre, ein begeisterter Solo-Bergsteiger, besser kennenlernen und er uns typische patagonische Seen, Flüsse und Berge zeigt. Nun völlig müde sitzen wir dann um 23h am Abendbrottisch. Die argentinische Zeit ist einfach nicht die unsrige. Der Essenstisch steht übrigens im Kirchensaal, gleich neben dem Altar, denn ein Pfarrhaus gibt es nicht. Auch hier breiten wir kurze Zeit später unsere Matratzen aus. Lustig!

Einmal quer radeln wir am nächsten Tag auf feinstem Schotter durch den Nationalpark. Vor allem wachsen hier große, uralte Bäume, die Alercen. Die sind in den übrigen Teilen des Landes wegen der langen Widerstandskraft ihres Holzes rigoros abgeholzt worden. Im Park wächst auch eine bambusartige Pflanze, die alle 60 Jahre, natürlich erst vor kurzem geblüht hat. Ihre Samen sind eine Delikatesse für Mäuse, die nun in Massen von den Bergen herunterkommen. Leider übertragen zwei dieser Mäusearten den auch für Menschen gefährlichen Hanta Virus. Um alle Einrichtungen des Parks sind Metallzäune aufgebaut, damit die Nager nicht hineinlaufen. Besucher sollen aufpassen den Virus, übertragen durch die Exkremente der Tiere nicht durch Staubpartikel einzuatmen.

Ohne Zwischenfall setzen wir unseren Weg fort und erreichen Trevelín. Dieser Ort wurde von walisischen Einwanderern gegründet. Wir begegnen ungewohnt vielen blonden Leuten mit grau-grünen Augen.
Und weil es so schön ist, besuchen wir einmal wieder einen Fahrradladen. Es ist der vierte innerhalb von 10 Tagen. Das haarsträubende, laute Knacken meines Tretlagers lässt es uns austauschen. Das haben wir das letzte Mal auch in Salta vor 3000km getan. Besonders ins Herz schließen wir Julian, den siebenjährigen, sehr aufgeweckten Sohn des Mechanikers. Der stellt von selber fest das wir kaum noch Wasser haben und füllt uns fix die Flaschen auf!

Nun geht es los mit Schotter – kein Ende ist in Sicht, denn wir brechen auf in Richtung Paso Futaleufu zur chilenischen Grenze. Morgen werden wir drüben sein, um kurz danach auf die unter Radlern berühmte Carretera Austral abzubiegen. Um die 1000km steinige Rüttelei, Weite, Einsamkeit und atemberaubende Natur mit Wäldern, Seen und Fjorden werden wir in den folgenden Wochen erleben dürfen. Wir freuen uns riesig auf diese wohl letzte harte Etappe dieser Tour!

Die Fotos zu diesem Abschnitt sind in der Galerie.

Argentinien, ChilePermalink

Comments are closed.