Feuerland – von Porvenir bis nach Ushuaia (Chile/ Argentinien/ Februar 2014)

An einem frühen Februarmorgen sagen wir mit einer Träne im Augenwinkel dem Festland Südamerikas ade, als wir mit der Fähre über die Magellanstraße zur Insel Feuerland übersetzen. Seitdem wir im September 2012 kolumbianischen und damit südamerikanischen Boden erreichten, haben wir eine tolle, facettenreiche und spannende Zeit erlebt.

On Board treffen wir eine alte Bekannte wieder. Die brasilianische Radlerin Carol hatten wir vor einigen Wochen in El Chaltén kennengelernt. Wir haben ähnliche Routenpläne auf unserem wirklich letzten Schotterpistenabschnitt und treffen uns in den folgenden Tagen immer wieder.
Vom Hafen in Porvenir wollen wir 320km Rüttelei durch feinste Pampa angehen, um bei Río Grande in Argentinien auf die starkbefahrene Ruta 3 einzubiegen, die uns nach Ushuaia führen wird.

Von Porvenir auf kleinen Schotterpisten in Richtung Südost
Schnell radeln wir durch das alte, urige Porvenir mit all seinen verwitterten Holzhäusern. In dem hatten sich rasch im kurz anhaltenden Goldrausch Kroaten und Chilenen der Insel Chiloé angesiedelt und ihr langfristiges Auskommen schließlich in der Schafzucht gefunden.

Schafzucht auf immens großen Estancias wird nach wie vor betrieben, wie wir hautnah miterleben. Eines Morgens treiben vier Gauchos in traditioneller Kluft und hölzernen Steigbügeln eine Schafherde mit 6000 Tieren mit Hilfe von 16 Hunden vor uns her. Laut blökend blockieren die Wollknäule die ganze Piste. Wir kommen ins Gespräch mit den Gauchos und fragen, ob wir passieren dürfen. Die Schafe vor uns hertreibend radeln wir mitten hindurch. Was für ein Spaß!

Auf recht gutem Schotter fahren wir über hügeliges Gelände entlang der in der Sonne hellblau leuchtenden Bahía Inútil bis die Sonne sich neigt und der kalte Wind am Nachmittag zunimmt.
An einer Straßenkreuzung finden wir in einer der engen türmchenartigen Bushaltestellen Unterschlupf. Als Carol später angeradelt kommt, schlafen wir drinnen nebeneinander aufgereiht wie in einer Sardinenbüchse, während sich unser Gepäckberg vor der fehlenden Tür draußen auftürmt.

 

Leider weicht die Sonne starkem Wind und tiefen Wolken, als wir unseren Weg am nächsten Tag durch weite Pampa fortsetzen. Hier und da grasen verstreut ein paar Schafe, Kühe oder Pferde. Aber vor allem sehen wir Guanaco-Herden, die, sobald sie uns erspähen reißaus nehmen und gazellenähnlich über das goldgelbe Gras wetzen, während sie lustige Geräusche machen. Es klingt, als ob sie uns auslachen.

Die Weite wird unterbrochen von kleinen Wäldern der im Dauersturm stehenden urig gebogenen, knochigen Bäume, an deren Stämmen wir uns pausierend niederlassen. Nur einmal müssen wir für 50km gegen den Wind im Schrittempo strampeln und denken abends geschafft an die vielen dauerkämpfenen Nordwärtsradelnden.

Bei einem Besuch der kostspieligen Pinguinskolonie Parque Natural Pinguino Rey auf Privatgrund am späten Nachmittag bestaunen wir die im inzwischen tosenden Sturm majestätisch dastehenden Königspinguine. Nur ein kleiner Bach trennt uns von ihnen. Wir dürfen im Windschutz der Besucheranlage zelten und hören das Schnattern der Viecher beim Einschlafen.

Nach einem halben Tag Dauerregen sind wir trotz Regenklamotten völlig durchnässt. Es ist bitter kalt und macht keinen Spaß auf der aufgeschwemmten Piste sich mühsam voran zu kämpfen. Auch knirscht der feine Sand mittlerweile in den Ketten.
In Camerón, dem einzigen Dorf der Gegend, finden wir im sogenannten Busbahnhof Zuflucht und brechen nach schlappen 33km ab. Das kleine, neu gebaute Haus verfügt über Wasser, Strom und Licht. Es gibt weiche Bänke und sogar wifi. Wir sind die einzigen Gäste und bleiben gleich über Nacht. Was will man mehr?

Die Entscheidung war gut: Geschwind rollen wir tags darauf voran. Der Wind ist mit uns. Es hat aufgehört zu regnen und die Sonne scheint zögerlich. Interessante Wolkenformationen, die alles bedeuten können, rasen über den Himmel. Wir erleben in diesen Tagen einmal wieder alle sich rasch ändernden Register des patagonischen Wetters: tiefe Wolken, krassen Wind, Regen, Hagel, aber auch Sonnenschein. Es ist ein sehr schöner Abschnitt der Pampa, er lässt uns die rauen Naturgewalten einmal wieder bewusst werden.

Unsere allerletzte Nacht auf chilenischem Boden verbringen wir im Zelt unter dem Vordach einer hölzernen Kirche in der Pampa Guanaco. Dieser Punkt in unserer Karte stellt sich als eine Straßenkreuzung mit einem Carabinieriposten und einer Gesundheitsstation dar. Vor dem Gotteshaus biegen sich die Margeriten im Wind der warm leuchtenden Abendsonne, unter dem Vordach auf einer Holzbank sitzend ist es super gemütlich.

Die chilenisch-argentinische Grenze überrollen wir ein letztes Mal am Grenzposten Bella Vista. Hier ist nichts los. Den freundlichen Grenzbeamten müssen wir erst aus dem Nachbarhaus holen.
Dann heißt es Augen zu und durch, denn ein weiteres „letztes Mal“ steht an: Ein eiskalter Fluss will durchwatet werden, um auf argentinisches Staatsgebiet zu gelangen. Das Wasser reicht fast bis zum Knie und ist prickelnd kühl.

 

Am letzten Schotterpistentag werden wir vom deftigen Wind ganze 100km vorangeschoben. Den Lenker fest in der Hand haltend fliegen wir nur so über die Steinchen und das Wellblech vorbei an weit verstreuten, uralten Gutshäusern. Das sich im Wind biegende Gras leuchtet gelb. An Zäunen hängend werden frisch geschorene Schafsfelle getrocknet.

 

Bis nach Ushuaia ist es nicht mehr weit, ganz plötzlich steht es weiß auf grün vor uns. Nur noch 266km!

Aus Chile sind wir in dieser Reise heute zum letzten Mal ausgereist.
Dieses schmale, langgezogene Land hat uns gut gefallen. Insbesondere die sehr vielfältige, atemberaubende Natur hat uns begeistert! Die Chilenen sind nett und immer für ein Schwätzchen zu haben. Wenn auch ihr Dialekt und ihre Aussprache uns des öfteren Rätsel aufgegeben hat.

Die Mehrheit des Landes besteht aus eingezäunten Parzellen, die mit einer Nationalflagge bestückt sind. An Stacheldraht gibt es keinen Mangel, an wilden Zeltmöglichkeiten schon.
In fetten Jeeps, den neusten Handys, engen Klamotten und Fastfood-Kultur spiegelt sich ein leidenschaftlicher Konsum und die Nachahmung des nordamerikanischen Lebensstils wieder, dessen Folgen unübersehbar sind.

Das Fahrradfahren wird durch den meist sehr Radlerfreundlichen Fahrstil der Chilenen fast so angenehm wie in Kolumbien (Schotterpisten ausgenommen!). Ebenso die reichlich vorhandenen Strassenköter verhalten sich ungewöhnlich freundlich und passiv.

Endspurt auf der Ruta 3 bis nach Ushuaia
Die Ruhe und Einsamkeit ist schlagartig vorbei, als wir auf die vielbefahrene Ruta 3 einbiegen. Verrückte, argentinische Autofahrer, düsen mit wenig Abstand an uns auf der schmalen Fahrbahn vorbei.
Wir rollen noch ein Wenig und fragen am Nachmittag bei der Estancia Punta María direkt am Meer nach einer Schlafmöglichkeit. Einen windgeschützten Zeltplatz bietet uns eine Wand der Gebäude mit Blick auf die sich kräuselnden Wellen. In zwei Tagen sind wir vom Pazifik zum Atlantik gekreuzt!

Im Ort Tolhuín besuchen wir die berühmte Bäckerei La Unión. Am Sonntag ist diese brechend voll. Das Ziel der vielen Tagesausflügler aus Río Grande ist gleichzusetzen des Besuches eines Hardrock Cafés. Wild werden Sternchen auf diversen Fotos an den Wänden fotografiert. In einem Raum, geschmückt mit Brunnen fliegen Vögel frei herum. Neben sehr leckeren Backwaren hat der Besitzer Emilio eine Leidenschaft für’s Fahrradfahren und öffnet seine Türen gerne für Radler.

Von dieser casa de ciclistas wissen wir bereits seit unseren Zeiten in Zentralamerika. In einem kleinen abgetrennten Raum in der großen mit tausend Mehlsäcken gefüllten Lagerhalle wird Reiseradlern eine Unterkunft bereitgestellt und des öfteren werden diese auch mit süßen Teilchen oder leckeren empanadas gefüttert. Unglaublich ist, dass alle Wände des Kabuffs mit Grüßen, Zeichnungen und Danksagungen von Leuten aus aller Welt voll geschrieben sind. Wir entdecken alte Bekannte wieder und finden immer wieder neue Sprüche. Unser heutiger Mitbewohner ist Jun, ein junger japanischer Radler. Der holt dann doch glatt ein paar Blätter heraus und faltet ganz gekonnt Origami-Vögel zurecht für eine Deckengirlande. Wir sind schwer beeindruckt und müssen wegen der lustigen Geräusche, die Jun dazu macht, grinsen.

Jeder von uns beiden setzt sich ganz anders mit dem sich rasch nähernden Ende unserer Reise auseinander. Ich bleibe lieber allein nachdenklich in unserem Raum und nehme innerlich Abschied davon nur noch kurze Zeit ein Teil der Reiseradler-Gemeinde zu sein und dann ein ganz anderes Leben zu führen, während Hardy wild quatschend bis spät in die Nacht hinein einer rundlichen Bäckersfrau hilft empanadas zu formen und dabei seinen nie abreißenden Wissensdurst stillt.

Unsere allerletzten 105km bis in die südlichste Stadt der Welt, teilen wir uns ganz gemütlich auf zwei Tagesetappen auf. Wir haben keine Eile.
Ab Tolhuín dominieren schief gewachsene, lange Südbuchen das Bild. Wer hätte das gedacht bei den letzten Tagen in der weiten Steppe? Schroffe, dunkelgraue Berge dominieren das Bild, kontrastreich mit Schneetupfen bemustert. Die Anden fallen hier steil ins Meer ab und sind zu Ende. Seit langem begleiten sie uns, bis auf den letzten Kilometer, während es auf und ab gegen den Wind bei Mistwetter vorangeht. Nieselregen wechselt sich ab mit Hagelschauern, deren scharfkantige Körner im Gesicht zecken. Wir radeln mit Regenjacke, Mütze und dicken Handschuhen.

Am Lago Escondido füllen wir im gleichnamigen Dorf noch einmal die Wasserflaschen auf und erfahren, dass nach der Schließung der Holzfabrik am Seeufer vor ein paar Jahren 60 Familien des Umkreises arbeitslos wurden. Die Mehrheit von ihnen sei abgewandert, so dass hier bis auf die Polizei und der Defensa Civil niemand mehr lebe, erzählt uns ein Mann Mitte 60 traurig.

Wir treten noch ein paar Mal rein und biegen dann auf einem Schotterpfad ab, um in den Wald ans Seeufer zu gelangen. Hier bauen wir in einem kurzen Moment strahlender Nachmittagssonne, welche die Szenerie in wunderschönes Licht taucht, unser Zelt zum letzten Mal wild auf. Wir setzen uns unter die Buchen mit Blick auf das klare Wasser. Landschaftlich fühlen wir uns nach Kanada zurückversetzt. Während wir einen Wein mit Oliven genießen, kommen wir ins Grübeln und sinnieren lange über das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben und was wohl kommen wird.

Ushuaia
Zum Frühstück gehen wir den allerletzten Pass auf diesem Kontinent an. Ganze 600m ist der Paso Garibaldi hoch. Wir kurbeln gemächlich hinauf. Oben werden wir begrüßt und behupt von Lastwagenfahrern und diversen Ausflugstouren mit Fotoapparaten wild bewaffneter Touristen. Wir nehmen flink reiß aus und düsen hinab, die Aufregung und Bejubelung finden wir ein Wenig übertrieben.

Nach weiteren Stunden im grauen Nieselregen, weiterer Auf’s und Ab’s und vorbei an braunen Mooren erreichen wir schließlich die letzte Kurve. Das Ende der Welt ist nicht ganz einfach zu erreichen.

Plötzlich stehen sie da, die Stadteingangstürme Ushuaias. Wow, wir sind angekommen am Ziel unserer langen Reise. Wir können es nicht glauben und brauchen dann Tatsache Tage, um dies zu realisieren…

Vorbei an all den Containern führt uns unser Weg hinab zum Hafen, wo uns das berühmte Schild Ushuaias – Fin del Mundo erwartet.

Zwei Jahre, acht Monate und acht Tage lang ist unser Weg seit unserem Start in Anchorage/Alaska gewesen. Auf vielen Kurven haben wir in 34.811km die amerikanischen Kontinente von Nord nach Süd durchquert und kennengelernt. Unsere Reise per Fahrrad ist zu einem intensiven, wichtigen Teil unseres Lebens geworden und ist unbeschreiblich gewesen.

Acht Tage haben wir nun Zeit Abschied zu nehmen, die Gegend zu erkunden, die Räder zu verpacken und uns zu erholen.

Wir checken auf dem am Hang liegenden Campingplatz La Pista del Andino ein und zelten zwischen lilafarbenen und weinroten Lupinen neben dem alten Skilift. Es wird voll hier. Ferienstimmung kommt auf. Grillgeruch liegt in der Luft. Das Gras auf der Piste wird nicht von den Skiern, sondern den Hosenböden der herumtollenden Kinder kurz geschoren – der Sommer hat endlich Einzug gehalten! Wir haben Glück.

In der Baude unseres Skipisten-Campingplatzes sitzen wir stundenlang während schlechte Popmusik aus den 90ern aus den Lautsprechern plärrt. Manchmal durchstreift ein Gedanke unsere Köpfe und wir singen, uns im Takt wiegend: „Bald sind wir zu Hause!“ Dabei schauen wir durch die Panoramafenster auf das sich unter uns ausbreitende Häusermeer Ushuaias hinab. Im Mittelblau des Beagle-Kanals kräuseln sich die Wellen, dahinter zeichnet sich die Bergmasse der Isla Navarino gen“ Himmel ab.

Im Kanal liegt ein Flughafen auf der beigen, kargen Halbinsel. Von dem heben in regelmäßigen Abständen Flugzeuge ab, drehen eine Schleife und verschwinden in den Wolken. „In einem von denen sitzen wir auch in ein paar Tagen.“, sage ich, „Bald ist unser einfaches Leben vorbei. In Berlin werden ganz andere Probleme zu bewältigen sein und es wird mit Sicherheit viel stressiger.“ 99% der getroffenen Reiseradler waren entspannte Personen, wir hoffen die auch uns innewohnende Entspannung noch ein gutes Weilchen beizubehalten…

Durch die nicht all zu schöne, sich breit ausdehnende Stadt schlendern wir viel. Zwischen neuen Bauten sind alte, zerfurchte Gebäude aus der Gründungszeit zu entdecken. Im damaligen Hotel Casa Belém besuchen wir eine Ausstellung. Um sie herum befindet sich der Militärbezirk in dem Soldaten residieren, die für fünf Jahre herkommen. Es schwillt ein immer noch nicht gelöster Konflikt mit Großbritannien um die Falklandinseln, die Argentinien ganz klar als Teil seines Staatsgebietes begreift. Auf dieses Thema wird hier an jeder Ecke hingewiesen!

Lapataia – Fin del Mundo
Eines Morgens schwingen wir uns noch einmal auf die Drahtesel, um den nahen Nationalpark Tierra del Fuego zu besuchen. Wunderhübsch zieht sich ein Netz aus Fjorden und schmalen Bächen zwischen schattigen Waldes aus Südbuchen hindurch. Lichtungen werden von einem weichen Flaum hellen Grases überzogen.

Hier haben sie also gelebt, die Yámana, die Ureinwohner dieser Gegend. Als wir in der Bucht Lapataia sitzen, am Muschel überwucherten Strand, und aufs Meer hinausblicken, versuchen wir uns vorstellen, wie sie einst mit ihren Kanus aus Rinde und dem ständig darin brennenden Feuer am Ufer paddelten und sich im Nu Hütten aus Ästen bauten. Für die Yámana war hier nicht die Welt zu Ende.

Wir können das angesichts der Inselchen am Horizont nur bestätigen, genauso wie wir es erst vor kurzem auf einer Kinderzeichnung lasen: „No hay fin del mundo“ – Hier ist nicht das Ende der Welt.


Nach unserer geruhsamen Woche werden schließlich die Räder in Pappkartons verstaut. Schnell ist die Zeit hier vergangen. Krass, nun beginnt unsere Rückreise. Morgen steigen wir in den Flieger, der uns schwups-di-wups in Buenos Aires für eine Stippvisite wieder ausspucken wird.

Mehr Fotos findet ihr wie immer in der Galerie.

Argentinien, ChilePermalink

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