Buenos Aires (Argentinien/ Februar 2014)

Von Ushuaia nach Buenos Aires

An einem kühlen Februarmorgen fährt uns Fernando, der Besitzer unseres Campingplatzes, in der Frühe mit seinem Pick-Up raus auf die Ushuaia vorliegende Halbinsel zum Flughafen. Er drückt ordentlich auf die Tube, denn rasant zieht sich der Himmel zu. Es wird dunkel. Vereinzelt klatschen dicke Tropfen bereits hinab. Wir bangen um die offen auf der Ladefläche liegenden Pappboxen mit den Fahrrädern.
Als wir endlich ankommen, stürmt es bereits orkanmäßig. „Hoffentlich kann unsere Maschine starten“, denken wir. Aber so fix wie das Tosen gekommen ist, zieht es nach einer Stunde wieder von dannen und es wird recht ruhig. Das patagonische Wetterchen hat es sich nicht nehmen lassen, uns gelungen zu verabschieden!
In einer kleinen Maschine heben wir wenig später leicht wackelnd ab, drehen eine Schleife über dem Beagle-Kanal und verschwinden in der Wolkendecke, genauso, wie wir es seit Tagen bei anderen Flugzeugen beobachtet hatten. Ciao Feuerland!

Nach gefühlt viel zu kurzer Zeit in den Lüften und einigen tausend überwundener Kilometer weiter nordöstlich, spuckt uns der Flieger im innerstädtischen Flughafen in Buenos Aires wieder raus. Das war’s: Weite, Natur und Einsamkeit sind nun definitiv vorbei. Uns überrollt die Großstadt: Menschenmassen, Verkehr, Hektik. Der Lautstärkepegel und die Reizüberflutung verwirren uns. Dazu ist es ungewohnt heiß. Temperaturen um die 30 Grad und eine enorme Luftfeuchtigkeit machen uns schwer zu schaffen.
Zum Glück erwartet uns Christian, unser letzter warmshowers-Gastgeber auf diesem Kontinent, mit einem Lächeln am Ausgang des Flughafens. Er ist extra von der Arbeit gekommen, um uns abzuholen! Die Jungs kreuzen mit je einem Radkarton die vielbefahrene Straße rüber zu Christians Auto. Erstaunlich ist, das er den ersten Radkarton auf dem Autodach auch nicht nur für einen klitzekleinen Moment alleinlassen will. Bevor der Nächste geholt wird, bindet er den Ersten am Gepäckträger fest. Wir lernen, passe hier doppelt doll auf deine Sachen auf! Die Gerüchte um schnell zugreifende Diebe in dieser Stadt scheinen zu stimmen.

In flotter Fahrt scheren wir uns ein in den nicht abreißenden Stadtverkehr in Richtung Norden. “Herzlich willkommen in der Hauptstadt des Betons”, sagt Christian trocken, als wir über die Autobahn heizen, die sechs Spuren allein in eine Richtung zählt.
Christian wohnt geradeso außerhalb der formalen Stadtgrenzen Buenos Aires, die unmerklich in den Vorort Vicente López übergehen. Es ist ein ruhiges, schönes Viertel mit kleinen Läden und grünen Straßenzügen voller Platanen. Seine Wohnung teilt er mit seinem niedlichen, jungen Kater Atu, der nach Lust und Laune in den Garten spaziert und am Liebsten mit Wasser spielt. Türen und Fenster stehen offen, um einen leichten Luftzug zu erzeugen. Die Ventilatoren laufen im Dauereinsatz, um die Temperaturen erträglicher zu machen und die Moskitos zu verscheuchen. Dabei haben wir Glück, so hören wir, letzte Woche soll es um die 45 Grad heiß gewesen sein. Wir hängen trotzdem durch und brauchen den ganzen Tag, um uns an die Hitze zu gewöhnen. Auch fällt uns verdammt schwer innerlich hier anzukommen. Der Sprung im Flieger vom kleinen Ushuaia und unserer Einsamkeit in der rauen patagonischen Weite ins riesige, pulsierende Buenos Aires war zu schnell.

Im Kajak durch den Tigre
Um langsam anzukommen und uns nicht sogleich am Folgetag in den Beton-Dschungel zu stürzen, unternehmen wir zusammen mit Christian einen Paddelausflug auf den Tigre und seine Nebenflüsse im Süden der Stadt. Zudem merken wir einmal wieder die Sättigung all der gesehenen Dinge der letzten Jahre, so dass uns ein relaxten Ausflug ins Grüne viel mehr lockt, als uns sofort die Hacken mit einer Sightseeingtour wundzulaufen.
In den Seitenflüssen des Tigre ist es ruhig. Das letzte Mal saßen wir an der Baja California in einem Kajak neben springenden Delfinen. Ist schon lange her. Total toll ist es, das altbekannte Geräusch des eintauchenden Paddels ins Wasser zu hören. Wir verlassen den Tigre und treten ein in ein Gewirr aus kleinen Flüssen. Wild bewachsene Grundstücke mit kleinen Häusern umgeben uns. Die Inseln entstanden aus angespülten Sedimenten des Tigre, die sich hier vor seiner Mündung ablagerten. Vieles erinnert uns an den Spreewald bei Berlin. Fehlt nur der Gurkenverkauf!

Letztes argentinisches asado
Den Tag lassen wir im Garten Christians zusammen mit einem Freund und seiner Mutter ausklingen. Hardys größter Wunsch ist es zum Abschluss noch einmal ein asado zu machen, einen richtigen argentinischen Grillabend. Christian sucht eine Vielfalt an Fleisch aus und beeindruckt uns mit komisch aussehenden Ringen. Es ist Kuhdarm, wohl eine Delikatesse. Für vier Personen haben wir fast drei Kilo Fleisch beisammen. Damit es nicht zu tierisch wird, machen Hardy und ich noch Salat und kochen Kartoffeln. Kaum kündigt sich Christians zierliche Mutti an, schnellt der noch einmal los, und kauft weitere 500g Fleisch. Was für eine Platte! Wir essen aber tatsächlich fast alles weg (bis auf den gummiartigen Kuhdarm).

Sightseeingtour durch Buenos Aires
Drei Tage haben wir Zeit, um diese vielfältige Stadt kennen zu lernen. Natürlich führt unser erster Gang durch die Innenstadt. Ein bummelnder Vorstadtzug bringt uns zum Kopfbahnhof Retiro ins Zentrum.
Unser Weg führt durch elegant angelegte Parks und Plätze. Vorbei an Obelisken und sehr engen Straßenzügen gelangen wir nach stundenlangem Gelatsche zur Casa Rosada, von deren Balkon damals Evita ihre berühmte Rede geschmettert hatte. Buenos Aires ist eine Mischung aus moderner Architektur und alten, mit kunstvollen Steinmetzarbeiten verzierter Gebäude.

Am Nachmittag landen wir in San Telmo. Dieser Stadtbezirk ist sehr nett und erinnert uns an das Berliner Friedrichshain. Viele Graffiti, Straßenkunst und kleinen Läden lassen ein gemütliches Ambiente aufkommen. Auf dem heutigen Straßen-Markt drängeln sich die Leute. Es gibt jede Menge Kunst und Trödel zu kaufen. Mate-Becher in allen Größen und Ausführungen sind zu erwerben. Auch wir schlagen zu und erstehen einen getöpferten Mate-Becher für zu Hause.

Als die Sonne schon fast untergeht, zieht uns Musik auf einen Platz vor einer Ruine, auf dem jeden Sonntags Samba getanzt wird. Es gibt Livemusik, Kuchen, asado und Bier. Hier sitzen wir lange und beobachten fasziniert wie die Tänzer elegant ihre Arme in die Luft heben, kleine Tücher schwenken und gleichzeitig mit den Füssen schnelle, verzwickte Schrittfolgen absolvieren und dabei lustig rumhüpfen.

Christian schaut extra vorbei, um uns abzuholen und als ich denke, es gehe „endlich“ nach Hause, fährt er uns zum Stadtbezirk La Boca. Wir bleiben im Verkehrstau, erzeugt durch feiernde, bunt angemalte Fans des nahen, Fußballstadions stecken. Nix geht mehr. Endlich angekommen, wirkt der arme Bezirk eher unheimlich. Wie wir schon zuvor beobachtet hatten, wechseln kleine Scheine wahnsinnig oft den Besitzer. Hier, um einen selbsternannten Parkplatzwächter freundlich zu stimmen. Christian sagt, es sei praktischer sich Freunde als Feinde zu machen…

Von den bunten Holzhäusern bekommen wir bei Dunkelheit recht wenig mit. Lautstark findet ein kleiner Straßenumzug statt. Paraden für den Karneval werden geprobt. Sehr junge Mädels wackeln mit einem Hauch von pajettenbehangenen Bikinis rhythmisch ihre Pobacken während lautstark die Trommeln geschlagen werden. Es geht vor allem darum andere Gruppen zu übertönen, lernen wir. Christian will noch eine Runde drehen. Wir schlendern durch einen „belebteren“ Straßenzug, bis ein alter Mann sagt, wir sollten hier besser nicht weiter gehen um Probleme zu vermeiden, sogar die Polizei sei hier nicht unterwegs. Hardy und ich schauen uns an und sind etwas entsetzt über die Unbedarftheit unseres Gastgebers, der selber blond ist und wie wir aussieht wie ein Gringo.

Nun geht es aber „endlich“ nach Hause, denke ich. Jedoch drehen wir eine weitere Runde diesmal in einen total gegenteiligen Bezirk, in dem ehemalige Hafenanlagen nun schick hergerichtet zum Flanieren einladen. Es geht vorbei an beleuchteten Wasserbecken, einer schnieken Brücke und einem alten Museumsschiff. Wir essen noch ein nächtliches Eis. Danach setzen Hardy und ich uns durch, sind nach dem tollen, vielseitigen Tag müde und wollen ins Bett. Der argentinische Lebensrhythmus passt nach wie vor nicht mit unseren überein.

Am nächsten Tag spazieren wir durch viele Parks und Straßenzüge des Bezirks Palermo entlang kleiner Läden und Cafés. Heute ist uns eher nach Relaxen zu mute. Mit einem Bier setzen wir uns auf eine Wiese, beobachten lange das Treiben auf einem Spielplatz und sprechen über unsere Zeit in Argentinien und Lateinamerika.

Argentinien, dieses riesige Land mit seinen vielfältigen Klimazonen, fanden wir spannend. Wir haben nette Menschen getroffen, die gemütliche mate-Kultur kennen gelernt und zu schätzen wissen.
Leider müssen wir verkehrstechnisch Argentinien als eines der gefährlichsten Länder für Radler benennen. Die Straßen sind meist nur zweispurig und total schmal gebaut. Einen Seitenstreifen gibt es so gut wie nie, obwohl genug Platz vorhanden wäre. Neben dem Asphalt befindet sich ein grobes Schotterbett, auf das wir so manches Mal ausweichen mussten. Die Autofahrer rasen wie bekloppt und das sehr risikofreudig. Im internationalen Vergleich gibt es hier die meisten Verkehrstoten. In Patagonien können einen Windstöße schon mal mitten auf die Fahrbahn wehen. Helm und Spiegel sind absolute Pflicht!

Unsere Reise durch Lateinamerika ist ein ganz eigener Abschnitt für sich geworden. Hier haben wir die meiste Zeit verbracht. Über zwei Jahre sind wir hier hin und her geradelt. Die Menschen auf diesem Kontinent sind natürlich sehr verschieden, der Kulturreichtum ist enorm. Wir können verallgemeinernd sagen, dass uns meistens sehr offen, herzlich und hilfsbereit begegnet wurde. An jeder Ecke kann man zu einem Schwätzchen anhalten. Besonders Hardy hat das Spanischsprechen und Schnacken zu schätzen wissen.

Die unbeschreibliche Vielfalt der Natur in ihren gigantischen Ausmaßen hat das Radfahren insbesondere in den Anden super hart werden lassen. Jedoch hat sich jegliche Anstrengung gelohnt!!

Wir haben uns hier wohl gefühlt und sehr wenige kritische Situationen erlebt. Uns wurde weder eine Sache geklaut, noch wurden wir überfallen. Vielleicht liegt es daran, dass insbesondere ich sehr darauf bedacht war aufzupassen und nicht eine Gelegenheit für Taschendiebstahl entstehen zu lassen, dass wir nicht allein unterwegs waren und/oder eine ordentliche Portion Glück mit dabei hatten. Wir haben uns beständig vorgesehen, die Einheimischen nach Gefahrenzonen befragt und sind so gut wie nie nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs gewesen, womit man in einem gewissen Grade Gefahrsituationen vorbeugen kann. Zudem entwickelten wir, so wie viele Radler ein Gefühl welchen Menschen man vertrauen kann und welchen nicht.

Eine Radtour durch Lateinamerika mit genügend Zeit im Gepäck können wir nur empfehlen!

Abschied vom amerikanischen Kontinent
Buenos Aires stimmt uns recht gut auf das städtische Leben in Europa ein. Ein zu großer Schock wird es wohl nicht werden, wenn wir bald in Belgien landen, um uns ab Brüssel noch einmal auf unsere Räder zu setzen und unsere allerletzte Etappe auf dieser Reise bis nach Berlin anzugehen. Wir sind bereit zurück nach Hause zu kommen. Bereit unserer nomadisches Leben zu beenden und einen festen Ort für uns ganz allein zu haben, der gern größer sein kann als unser Zelt.
Mit uns im Reinen zu sein an diesem Punkt Schluss zu machen, das war nicht immer so. Bei mir setzte dieses Gefühl früher ein. Für Hardy stand lange fest noch nach Afrika zu fliegen und von dort nach Europa hoch zu radeln. Aber ganz zu meiner Freude und zu seinem Erstaunen hat sich dies im letzten halben Jahr verändert. Es ist schön gemeinsam bald einen Schlussstrich unter diese gewaltige wunderschöne Reise ziehen zu wollen und neu anderes durchzustarten.

IMG_620Recht zufrieden verabschieden wir uns von unserem neuen Freund Christian, von Buenos Aires, von Argentinien und Amerika am Morgen des 26. Februars. Aber dennoch, ein klitzekleines flaues Gefühl im Bauch bleibt. Die amerikanischen Kontinente zu bereisen, uns immer fort zu bewegen und ständig draußen zu sein, Menschen und Kulturen kennen zu lernen, das war unser Leben für fast die letzten drei Jahre. Es war toll, hart, vielfältig, anstrengend, interessant und vor allem abenteuerlich. Bisher die beste Zeit meines Lebens, ich war noch nie so glücklich wie auf unserer Reise mit dem Fahrrad. Wie wird es wohl weiter gehen? Spannend wird’s auf jeden Fall.

Weitere Fotos gibt es in der Galerie.

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