Von Bogotá nach Medellín (Kolumbien/Dezember 2012)

Hundebiss – erneute Krankenhausodyssee

Endlich, endlich – können wir Bogotá nach über fünf Wochen verlassen. Hardy hat nach seinem Unfall acht Physiotherapieeinheiten absolviert, extra Tipps bekommen und ist nun soweit fit, dass er seinen Arm wieder belasten kann.

Alles ist gepackt, letzte Fotos werden geschossen und los geht’s. Es fühlt sich an, wie ein Neubeginn, als wir den Hang aus San Luís hinab in die Stadt brausen. Einmal müssen wir quer durch Bogotá, um Honda erreichen zu können.

Bogotá hat viele Radwege und wird nicht umsonst als die Radelhauptstadt Südamerikas bezeichnet. Wir haben es beinahe geschafft, sind fast draußen aus dieser immensen Stadt und radeln vergnügt durch ein Stadtgebiet, dass uns an Berlin-Hellersdorf erinnert, als auf einem Radweg am Kanal eine Meute von fünf übellaunig kläffenden Hunden angerannt kommt. Kennen wir ja eigentlich schon. Diese Bestien verfolgen uns lauthals. Aber dass dann tatsächlich eines und auch noch das größte und fieseste dieser Mistviecher in meinen Unterschenkel beißt, damit hätte ich nicht gerechnet. Ich bemerke es anfangs auch gar nicht. Sehe es nur zufällig, als ich hinunter schaue und merke, dass da ja ’ne Bisswunde ist und mich dieser Terrorstressköter immer noch mit seiner Schnauze recht nah, zähnefletschend an meinem Bein verfolgt. Ich bekomme Panik, trete ihm ins Gesicht, schreie laut und fahre so schnell es eben geht. Warum auch immer verschwindet die Meute. Wahrscheinlich sind wir einfach nur aus ihrem Revier raus.

Ich setze mich erst mal auf eine Bank, um die Wunde in Augenschein zu nehmen. Wir desinfizieren sie. Der Biss ist zum Glück nicht groß. Aber wir können den Abdruck der beiden Eckzähne tief in meinem Fleisch sehen. Eher größer ist der Schock. Zu doof, da habe ich im Laufe unsere Reise meine Angst vor Hunden so etwa überwunden, bin selbstbewusster geworden und da passiert so was. Das schlägt mich ganz schön zurück.

Uns ist schnell klar, dass wir Bogotá heute doch nicht verlassen werden – tja wäre auch zu schön gewesen! Um auf Nummer sicher zu gehen, will ich gegen Tollwut geimpft werden. Bei einer so aggressiven Straßntöle weiß man ja nie.

Natürlich musste das Ganze ja in schönster Gegend passieren. Uns umgeben jetzt schiefe Hütten, aus Brettern gebaut. Aus den Türspalten luken Gesichter hervor. Wir sehen all die großen Holzhandkarren, mit denen Männer durch die Straßen Bogotas ziehen, um Müll zu sammeln. Hier wohnen sie also.

Schnell kommen zwei Männer an. Sie fragen, was passiert sei und erzählen, dass hier in letzter Zeit bereits drei Kinder von Hunden gebissen wurden. Ein anderer Mann führt uns zu einem nahen Gesundheitszentrum. Dort wird nicht geimpft, wir müssen zum Krankenhaus gehen. So radeln wir ein paar Blocks weiter und landen beim Hospital de Engativo. Die in der Notaufnahme schicken mich weg, zum Impfzentrum. Die Schwester an der Rezeption wundert sich, dass meine Wunde noch nicht behandelt wurde, kann mir aber auch nicht helfen, da die Frau, die für die Impfungen zuständig ist, frühestens um zwei Uhr nachmittags wieder kommen wird. Jetzt haben wir es elf.

Wir rufen bei unseren Freunden Juan Carlos und Carolina an, die in Bogotás Zentrum in Palermo wohnen und überfallen sie mit der Bitte um Unterkunft für diese Nacht. Dabei haben wir ein schlechtes Gewissen und fühlen uns mies. Wir wissen, dass die beiden, insbesondere Carolina, gern allein ist und ihr Zweisamkeits-Ehedasein führt. Wir würden da eher mit unserer Anwesenheit stören. Natürlich können wir kommen, versichert uns Juan Carlos besorgt und zu unserer Erleichterung am Telefon. So treten wir nochmal rund 1 1/2 Stunden zurück in Richtung Stadtmitte und schaffen heute ganze 32 bogotanische Kilometer.

Bei Carolina angekommen, bringen wir die Bikes und das Gepäck hoch in ihre Wohnung und laufen schnell in die nahe Klinik Palermo. Diese kennen wir schon von Hardys Unfallbetreuung. Sie hat bei uns einen guten Eindruck hinterlassen. Nun sitzen wir also auch einmal wegen mir im Wartezimmer. An Krankenhausaufenthalten in dieser Reise steht es jetzt 3:1.

Recht fix wird meine Wunde gewaschen und ich bekomme eine Impfung gegen Tetanus sowie ein Antibiotikum verschrieben. Meinen Impfausweis will niemand sehen. Gegen Tollwut kann mich hier auch nicht impfen, da das nur in staatlichen Einrichtungen und nicht in privaten Kliniken gehe. Ein Hundebiss von einem Straßenköter sei ein Anliegen der öffentlichen Gesundheit und müsse dokumentiert werden, wird mir vom Arzt versichert. Er verweist uns an ein öffentliches Krankenhaus, dem Hospital Chapinero.

Wir düsen mit dem Taxi hin, denn mittlerweile ist es später Nachmittag und kommen tatsächlich eine halbe Stunde zu spät. Die Öffnungszeiten der Impfpraxis sind überschritten, der Raum ist abgeschlossen. Niemand ist gewillt uns zu helfen, denn hier hält man sich stur an Regeln und Obrigkeit. Keiner versteht den Stress, den wir machen, damit ich heute noch geimpft werden kann. Wir sollen doch morgen früh in den normalen Öffnungszeiten wieder kommen. Ein herbeigerufener Arzt versichert uns, dass ich nach einem Biss 24 bis 48 Stunden Zeit zum Impfen hätte. Wir fahren geknickt zurück zu Carolina und Juan Carlos.

Am folgenden Morgen fahren wir früh um acht Uhr zurück zur Klinik Chapinero. Im heruntergekommenen Impfraum erklärt uns die Krankenschwester, dass ja alles schön und gut sei und ich auch theoretisch geimpft werden könnte. Da aber das nötige Papier vom Arzt von gestern fehle, welches besagt, dass ich in den verschiedenen Dosen an verschiedenen Daten gegen Tollwut geimpft werden muss, würde hier gar nichts gehen. Denn ohne dieses Papier dürfe sie nichts tun. Der gestrige Arzt hatte diesen Wisch einfach nicht ausgestellt.

So fahren wir ins nächste Krankenhaus. Im Hospital San José gehen wir in die Notaufnahme, erklären der jungen Ärztin den Sachverhalt und meinen das Problem sei nur der Papierkram. Sie stimmt uns zu, meint aber, dass ich aufgrund meiner Vorimpfung gegen Tollwut in Deutschland gar keine weitere Impfung mehr bräuchte. Wir sind da anderer Meinung. Sie geht eine Spezialistin fragen und kommt mit deren Impforder wieder. Gut, wir gehen also nach nebenan zur Impfstation.

Die Krankenschwester dort ist sehr nett und für uns die kompetenteste Ansprechpartnerin bisher. Sie füllt ein neues Formblatt aus, bestimmt inzwischen das Fünfte. Außerdem gibt sie uns ein Schreiben mit auf den Weg, welches besagt, dass ich in gewissen Abständen insgesamt fünf Mal in weiteren Dosen gegen Tollwut geimpft werden muss. Endlich.

Nach einem späteren Telefonat mit einem Tollwutspezialisten in Österreich, dem wir meine Impfgeschichte und den Biss erzählen, stell sich heraus zum Glück, dass ich aufgrund der vorherigen Tollwutimpfungen nur zwei weitere Impfungen statt den Fünfen benötige.

Aber jetzt hier im Krankenhaus kann ich auch nicht geimpft werden, denn die besagte Mitarbeiterin ist im Außendienst um Babys zu piksen.

Wir gehen noch einmal um eine Ecke in eine UPA, wohl eine Impfstation. Und Tatsache, endlich ist es möglich mich zu impfen! Das geschieht auch recht professionell und ich bekomme volle zwei Stunden vor Ablauf der 24 Stundenfrist meine erste Tollwutspritze. Was für ein hin und her!

Erleichtert über unseren späten Erfolg kehren wir zu Juan und Carolina zurück und bleiben eine weitere Nacht, da es zum Losradeln bereits zu spät ist.

Auf nach Honda

Heute kommen wir aber wirklich los und das ohne Komplikationen. Nach 16 km Stadtverkehr ist Bogotá hinter uns gelassen. Diesmal haben wir es über andere Radwege versucht. Wir merken, dass wir aus dem Training sind und treten keuchend die Berge hinauf. “Pura bajada” – “Nur Abfahrten” bis nach Honda, wie uns versichert wurde, das stimmt wohl nicht so ganz. Und obwohl wir uns von Bogotá 2400 Höhenmeter hinab bewegen, gibt es doch die eine oder andere saftige Steigung.

Wir schaffen es an unserem ersten Tag wieder on tour sogar bis nach Villeta und radeln fast 100km. Im netten Örtchen ist die gesamt plaza weihnachtlich geschmückt. Jeder Baum hat ein anderes Design. Weihnachts- und Schneemannfiguren hängen herum. Eine große Krippe mit verschiedenen Strohfiguren beeindruckt uns sehr. Der Pfarrer ist sehr nett, aber leider ist die Kirche aufgrund von Weihnachtsfeierlichkeiten voll. Er verweist uns an den parqueador público. Das ist ein Parkplatz, auf dem gegen Geld Autos bewacht werden. Auch gut, mal was Neues. So schlagen wir unser Zelt am Rand der mülligen Parkfläche auf.

Gleich nach Villeta erwartet uns am Morgen eine 18km lange, ätzende Steigung. Serpentine um Serpentine winden wir uns zusammen mit etlichen LKWs den Berg hinauf. Und dann geht es wirklich nur noch hinab. Bis auf etwa 200 Meter über dem Meeresniveau sausen wir hinunter. Tolle Aussichten auf dem sich im Tal entlang schlängelnden Río Magdalena tun sich auf. Wir radeln an einem der beiden größten Flüsse Kolumbiens entlang.

Honda

Nachdem wir den Fluss Magdalena überquert haben, landen wir am Nachmittag im heißen Honda. Die Stadt ist sehr alt. Sie wurde zu Zeiten gegründet, als Raddampfer den Río entlangfuhren. Momentan scheint sie vom Tourismusboom etwas in Vergessenheit geraten zu sein, erzählt uns Luís, der Besitzer eines sehr schicken alten Hotels. Er spricht deutsch mit uns, hatte einst in Gießen studiert und mag Berlin sehr gern. Die Preise seines Hotels können wir nicht bezahlen. Er bietet uns an in seiner halbfertigen cabaña kostenlos zu übernachten. Die befindet sich etwa 2km außerhalb Hondas am alten Hafen direkt am Sandstrand des Río Magdalena. So ein tolles Angebot nehmen wir doch gern an und fahren mit ihm dorthin.

Die cabaña würde ich eher als ein gigantisch großes Baumhaus in Konstruktion beschreiben. Nebenan in einem alten Haus gibt es eine Dusche sowie ein Klo. Der Nachbar bewacht das Areal und baut die Hütte aus. Luís will das ganze als Hostal mit einer Bar direkt am Fluss ausbauen. Aber für uns, für uns ist es perfekt. Wir bauen unser Moskitoinnenzelt auf der Holzplattform mit Blick auf große Bäume, Bananenpflanzen und natürlich den Fluss auf. Hier oben weht eine frische Brise. Es dämmert bereits, schnell ist geduscht und es wird gekocht. Toll, unglaublich schön ist es hier. Und was am tollsten ist, wir haben das alles für uns. Wir sind allein. Kein Mensch ist hier, wir müssen mit niemandem reden. Das tut doch nach so einem anstrengenden Tag gut.

Nachdem wir am folgenden Morgen nach etlichen Telefonaten erst einmal herausgefunden haben, dass es im Nachbarort La Dorada eine Impfstation gibt, geht es im Bustaxi dorthin. In der Impfstation bekomme ich erstaunlich schnell und komplikationslos meine zweite Tollwutimpfung. So kann es also auch gehen.

Den Rest des Tages verbringen wir mit dem Schlendern durch die alten Gassen Hondas und freuen uns in unsere cabaña zu kommen.

Río Magdalena

Die Straße, die sich mal mehr, mal weniger entfernt am Fluss entlang windet, ist wirklich fast eben. Sie wird vierspurig ausgebaut und ist an den bereits fertigen Stellen ein Vergnügen. Die alten Abschnitte sind dagegen sehr eng. Wir haben Glück, denn heute ist ein bewölkter Tag mit einer leichten Brise. Ansonsten ist es hier in der Tiefebene auf nur 200 Metern über dem Meeresspielgel, welche zu beiden Seiten von Bergzügen umgeben wird unerträglich heiß. So kommen wir gut voran und schrubben Kilometer.

In Doradal schickt uns bei der Schlafplatzsuche der Pfarrer zur Polizeiwache und die auf eine Ranch hinter dem Ort. Dort haben wir Glück und dürfen bleiben. Das Zelt wird auf der Wiese eines Vorgartens von vermieteten Apartments aufgeschlagen. Bis spät in die Nacht sitzen wir zusammen mit dem Verwalter, seiner Freundin und zwei Mietern vor unserem Zelt und werden bei unseren Kochausübungen bestaunt. Da unser vegetarisches Abendessen dem dicklichen Verwalter zu schlaff erscheint, bekommen wir noch vier Eier geschenkt. In einem Apartment bietet er uns auch an zu duschen. Yuppie!

Wir erfahren, dass die Reihenhäuser gleich nebenan dem sogenannten Escobar Barrio angehören. Der Entführer, Lösegelderpresser und Drogenbaron Pablo Escobar (1949-1993) des Medellín-Kartels hatte einst mit seinem Privatvermögen aus dem Drogengeschäft diesen Bezirk errichtet, um armen Leuten eine Dach über dem Kopf zu bauen. Auch heute noch sind viele arme Menschen ihm dankbar für seine Almosen und er erfreut sich großer Beliebtheit in dieser Gegend.

Im Allgemeinen ist Pablo Escobar unter den Kolumbianern eher positiv als negativ behaftet. Er ist so etwas wie ein Volksheld. Wir hören einmal einen Jungen fragen, als er die Silhouette von Che Guevara auf einem Motorrad sieht, ob dieser Escobar sei. Die lustige Antwort lautet: „So ähnlich, nur von der anderen Seite.“

Die einstige Villa Escobars, die Hacienda Napoles, liegt ganz in der Nähe. Berühmt ist das Feriendomizil und Privatkönigreich für wilde und brutale fiestas. Übernachtungsmöglichkeiten für über 100 Gäste, eine Stierkampfarena und diverse Pools bildeten eine Bühne des kranken Schauspiels in denen sich unterwerfende Gäste einer komplett Rasur unterzogen oder nackt um die Wette auf Bäume kletterten. Schönheitsköniginnen zogen sich aus und nicht Loyale wurden öffentlich hingerichtet. Nach ihrer Blütezeit ist die Villa, die sogar einen eigenen Zoo beherbergte, verfallen und überwuchert. Nur die Nilpferdpopulation hatte als einzige der vielen exotischen Tierarten überlebt und sich auf über 25 Exemplare hinauf gearbeitet, so hören wir. Heute ist der Ort ein Freizeitpark, unser Verwalter verkauft dort Eintrittskarten und empfiehlt uns begeistert einen Besuch.

Ab Río Claro beginnt die saftige Steigung nach Medellín, die uns eineinhalb Tage schwitzen lässt. Am Straßenrad werden Bohnen in der Sonne auf Plastikplanen getrocknet. Schläuche, aus denen unablässig Wasser fließt preisen Autowäschereien an. Große LKWs parken auf Schotterflächen und werden fleißig von Männern gewaschen. Wenn keine Kunde da ist, planschen Kinder im Wasser, das aus den Schläuchen spritzt.

Auf dem langen Abschnitt zwischen der Kreuzung nach San Luis und Sanctuario erstellen wir unseren neuen Rekord in Sachen auf dem Sattel sitzen. An diesem Tag verbringen wir 7:36 Stunden tretend auf den Rädern, während wir uns recht anstrengend die Berge Serpentine um Serpentine hinaufarbeiten. Abends muss ein Hotel her, wir fallen wie ein Stein ins Bett.

Medellín

Nach Guarne erwartet uns endlich die ersehnte 20km lange Abfahrt hinunter nach Medellín. Wir sehen die Großstadt bereits sich zu unseren Füssen im Tal ausbreiten. Wie Zungen lecken sich Viertel an den Berghängen hinauf.

Nach ätzendem Stadtverkehr machen wir eine Pause auf der Plaza Botero vor dem Museo de Antioquia. Ganze 23 große, dicke Monumentalstatuen des berühmten Bildhauers Fernando Botero rühmen den Platz. Touristen lassen sich fotografieren, Verkäufer sind unterwegs aber auch viele, viele komische Gestalten. In solch einer geballten unangenehmen sowie stinkenden Fülle ist dies uns in Bogotá nicht aufgefallen. Viele Menschen hängen betrunken oder aus Tüten nach Kleber schniefend auf dem Platz herum oder schlafen auf der Straße. Hier ist es wärmer als im kalten Bogotá, hier ist das auf der Straßeleben eher möglich, denken wir.

Casa de Ciclistas in San Antonio de Prado

Um zur casa de ciclistas zu gelangen schrubben wir weitere 20km, passieren Itagui und biegen wieder in die Berge ab. Wir müssen nach San Antonio de Prado gelangen, was ganz oben liegt und noch ganz weit entfernt, wie uns kopfschüttelnd versichert wird. Es wird bereits dunkel. Weiterhin windet sich die Straße bergauf. Kleinbusse schieben sich an uns vorbei. Wir halten andauernd an und fragen nach dem Weg. Da kommt ein anderer Fahrradfahrer und fragt uns, ob wir zu Manuel oder dem Radladen ciclocampeón wollen. Ja klar wollen wir! So fährt er voran und zeigt uns den beschwerlichen Weg.

Endlich in San Antonio de Prado angekommen, sind wir total erschöpft und nassgeschwitzt. Herzlich begrüßt uns Manuel, der zusammen mit seiner Frau Martha einen Fahrradladen im Ort betreibt. Hier herrscht in diesen Tagen kurz vor Weihnachten Hochbetrieb, denn alle wollen ihren Kindern ein Rad schenken. Das meistverkaufte Modell ist das billige rosarote Prinzessinenrad. Manuel und Martha sowie deren 15-jaehrige Tochter Manuela arbeiten momentan zusammen mit ihren Mitarbeitern rund um die Uhr von 7 Uhr morgens bis 10 Uhr Nachts.

Zur Zeit sind zwei weitere Gäste zu Besuch. Adrian und Matt stiegen einst vom Fahrrad aufs Motorrad um. Mit den Beiden teilen wir uns die casa de ciclistas. Das ist in diesem Fall ein unaufgeräumter Schuppen mit Hängeboden. Fahrräder stehen und hängen herum. Ein richtiges Chaos. Man darf sich jedoch von den eher nicht sehr privaten, vollgestaubten Schlafangelegenheiten abschrecken lassen, denn der Rest ist Oberspitze. Wir dürfen das Haus der Familie mitbenutzen, hängen zusammen ‚rum und essen gemeinsam. Irgendwann, wenn er einmal Zeit hat, will Manuel die casa de ciclistas ausbauen, dann wird es wohl der Mercedes unter den casas. Wir drücken ihm, bzw. allen folgenden Radlern die Daumen.

Wir backen einen Haufen Weihnachtskekse und bringen sie im Fahrradshop vorbei. Dort geht es zu wie im Taubenschlag. Für uns ein undurchsichtiges Chaos. Wir können nicht helfen und stehen eher im Weg herum.

San Antonio de Prado ist hübsch weihnachtlich geschmückt. Auf der plaza hängen Lichtgirlanden in den Bäumen. Aus Reissäcken wurden Girlanden über die Straßen gespannt, die sanft im Wind hin und her wehen. Es gibt eine Tanzshow in knappen, pinken Kostümen auf der Bühne, in der die weiblichen Reize wie in amerikanischen Rapvideos zur Schau gestellt werden. Dann spielt eine kolumbianische Band, es gibt Jonglage.

Am Himmel können wir den Flug von globos beobachten. Das sind Kissen mit einer Kerze drin, die um diese Jahreszeit in die Lüfte geschickt werden. Irgendwann stürzen sie ab. Da viele bereits große Brände in der trockenen Gegend verursacht haben, sind sie eigentlich verboten, aber weiterhin halten die Menschen an dieser Tradition fest.

Zusammen mit Luís und Alex, zwei Freunden unserer Gastgeber, besuchen wir den Stadtbezirk Santa Rita. Bis vor einem Jahr soll es hier sehr gewalttätig zugegangen sein. Luís war noch nie hier im “hueco del miedo, hueco de los gritos” – “dem Loch der Angst, dem Loch der Schreie”, wie es die Töchter Luís nennen. Zum ersten Mal organisiert hier Alex eine Weihnachtsshow für die Kinder. Natürlich wird wieder sexy getanzt, diesmal macht auch ein Junge mit. Jüngere Kinder singen Weihnachtslieder in der engen Gasse. Immer mehr Kinder strömen mit ihren jungen Eltern herbei. Coole Jugendliche schauen von den Balkonen herab.

Hardy und ich fragen uns, ob die Kinder, die so geübt kleine Babys auf den Armen halten nun die Geschwister oder tatsächlich die Eltern sind. Luís erzählt, dass hier nicht selten Mädchen bereits mit 10 oder 12 Jahren schwanger sind. Mit 15 Jahren wird gefeiert, dass ein Mädchen zur Frau wird. Da haben schon viele ein Kind. Bei einem bleibt es selten und so kommt es vor, dass hier in den Armenvierteln eine Familie fünf bis sieben Kinder hat. Auch berichtet er uns, dass in manchen Regionen Kolumbiens Väter ihre pubertierenden Töchter an ältere Männer verkaufen oder gegen Vieh eintauschen. Für uns nicht vorzustellen, scheint dies leider Realität zu ein. Wir schauen in die so jung aussehenden Gesichter der Kinder vor uns, die bereits Kinder haben.

Dann kommt natürlich der Weihnachtsmann und bringt kleine Geschenke vorbei. Das Gedränge ist groß. Jeder erhält Süßigkeiten und ein kleines Plastespielzeug. Die Kinder freuen sich.

Wir fahren zu Luís nach Hause und werden zu einem asado, einem Grillabend, eingeladen. Freunde kommen vorbei, auch Manuel und Martha und unsere anderen Mitbewohner. Viel Fleisch wird von den Töchtern Luís gegrillt, dazu gibt es Kartoffeln und Salat. Stolz zeigen Luís und Alex alle ihre Errungenschaften wie Zelt, Schlafsack oder Kocher, denn sie werden ab Anfang Januar auf Fahrradreise gehen. Sie fliegen nach Patagonien und wollen bis nach Peru hinauf radeln. Vielleicht kreuzen sich unsere Wege. Noch lange wird über ihre bevorstehende Reise und ihr Unvermögen bezüglich des Kochens und Waschens diskutiert, insbesondere von ihren schelmisch lachenden Ehefrauen.

Am Heiligabend gehen wir einkaufen und bereiten ein großes Essen zu. Spät abends um zehn sind dann alle geschafft zu Hause und wir können gemeinsam dinieren.

Ins Stadtzentrum Medellíns fahren wir am 25. Dezember. Leider hat alles, aber wirklich alles geschlossen. Wir sind entsetzt, denn es hängen oder schlafen nur betrunkene, heruntergekommen aussehende Menschen auf den Strassen. Die “normalen” Leute fehlen im Stadtbild, denn sie sind wahrscheinlich alle bei ihren Familie. Es ist kein schönes Bild und stinkt unheimlich nach Urin.

Eine modernes Metronetz, welches 1995 eröffnet wurde, führt 30km quer durch die Stadt. Auf hohen Betonstelzen fährt sie zackig dahin. Es ist sauber im Nahverkehr. Aus Lautsprechern wird mit einer netten Stimme andauernd die cultura del metro wiederholt. So wird einem gesagt, man solle sich nett benehmen, den alten und schwangeren Menschen einen Platz anbieten, den Müll in den Mülleimer werfen und erst aussteigen und danach einsteigen lassen. Wir finden’s sehr lustig.

Wir steigen in eines der beiden metrocable um, eine Seilbahn, die hinauf auf einen Berg oberhalb der Stadt führt. Die Stadt zieht sich die Berge hinauf in den Parque Arvi, einem Erholungsgebiet oberhalb Medellíns.

Zum Glück verändert sich unser Bild des ausgestorbenen Medellíns noch einmal, als wir uns den Fluss ansehen uns das dort über Weihnachten angebrachte Lichtermeer, das Ilumbrado Navideño. Denn jedes Jahr leuchtet die Großstadt in einer anderen thematischen fantasievollen Weihnachtsbeleuchtung. Man sagt für diese Zeit lasse der Glanz die Armut und Probleme vergessen. Im Jahre 2008 wurde ein vorläufiger Rekord aufgestellt, als sagenhafte 14,5 Millionen Glühbirnen erstrahlten.

Es ist wirklich sagenhaft, so etwas habe ich noch nicht gesehen. Die Plätze und Parks sind mit bunten Blumen geschmückt. Figuren stehen herum, mit Lichterketten behangen. Alles wird in blau oder grün angestrahlt. Auf den Plätzen spielen Bands. Natürlich gibt es hier auch meine Lieblings-Plastikbäume, die hier in rot und violett leuchten. Aber der Hammer, das ist die Uferpromenade am Fluss! Auf Lichtpfosten werden Pflanzen und Bäume der verschiedenen Vegetationszonen Kolumbiens dargestellt. Es blitzt und blinkt und ist voll voller Menschen.

Kurz vor Silvester trudeln Karina und Jan in der casa de ciclistas ein. Die Beiden sind gerade auf Weltreise per Fahrrad unterwegs.

Silvester

Zusammen schmieden wir wilde Pläne für unser großes Silvesterdinner. Fondue soll es werden, kombiniert mit vielen Salaten, zum Nachtisch gibt es Kaiserschmarn. Wir gehen einkaufen und verbringen den ganzen Tag in der Küche. Es hat sich gelohnt. Als Martha und Manuel abends heimkehren, ist der Tisch brechend voll. Mit unserem Kocher wird das Öl für das Fondue heiß gemacht. Klappt prima. Wir schlagen uns die Bäuche voll.

Um zwanzig nach elf quetschen wir uns zu acht in den kleinen Jeep Marthas. Manuel setzt sich ans Steuer uns fährt schwungvoll die Berge hinauf, erst auf Schotter, dann auf Pfaden, dann auf Grasland. Wir wollen noch vor zwölf Uhr ein großes Kreuz erreichen, das auf dem Berg über Medellín thront.

Den restlichen Weg laufen wir und haben kurz vor Mitternacht einen tollen Ausblick auf die Lichter unter uns. Und dann ist es soweit, das Feuerwerk geht los. Wir umarmen uns und freuen uns auf ein tolles neues Reisejahr 2013. Auch Hardy wünschen wir alles Gute zu seinem Geburtstag.

Wir fahren wieder zurück, laden in das überfüllte Auto noch drei weitere Passagiere ein und lassen den Abend mit etwas Rum ausklingen. Am ersten Tag des neuen Jahres soll es weitergehen – zusammen mit den beiden Radlern Matt und Susi in Richtung Süden.

Fotos zu diesem Artikel befinden sich in der Galerie.

Posted in Kolumbien

Ein Sturz und seine Folgen (Kolumbien/November-Dezember 2012)

Hoch motiviert brechen wir nach unserer Pause aus dem verschlafenen Ort Villa de Leyva auf. Über Tunja und Sogamoso wollen wir in die Llanos, in den Dschungel hinabfahren. Bevor es soweit ist, müssen wir jedoch erst beschwerlich die vor uns liegende Bergkette überwinden.

Schon kurz nach Villa de Leyva geht es bei strahlendem Sonnenschein zur Sache, 30km bergauf, auf 2800m Höhe. Ich steige sogar mal ab und kontrolliere, ob ich einen Platten habe, so schwer geht es. Hardy lacht, die Pause macht sich bemerkbar. Wir sind die Anstrengung einfach nicht mehr gewohnt.

Bald treffen wir auf einem Rennradler, den Betreiber des örtlichen Fahrradladens, in dem wir gestern noch einige Ersatzteile gekauft hatten. Henry freut sich unsere Räder in Augenschein nehmen zu können. In unserem kurzem Gespräch am Straßenrand unterhalten wir uns über Kolumbien und unsere Routenpläne. Er bekräftigt unsere Entscheidung die Berge zugunsten eines Besuchs der östlichen Tiefebene zu verlassen, um dann später wieder alles hinaufzustrampeln. Ihm liegt es besonders am Herzen, dass wir auch dem Rest der Welt die Kunde verbreiten, dass Kolumbien nicht mehr gefährlich sei, sondern super lindo und dass die Menschen sehr freundlich seien, super bueno. Wir können dies bisher nur bestätigen.

Sogamoso

Zwischen der hektischen Stadt Tunja und Sogamoso gibt es fast durchgängige einen breiten Seitenstreifen. Die Landstraße ist vierspurig ausgebaut. Hügelig schlängelt sich das Terrain dahin. In die Berghängen hineingebaut sehen wir kleine Steinhütten, aus denen es raucht. Davor liegt weißer Staub herum, der von Männern in Säcke geschaufelt wird. Das sind wohl Kalkbrennereien. Ab uns zu sehen wir auch Arbeiter mit Mundschutz…

Auf dem Platz in Sogamoso essen wir zu Mittag. Heute ist Samstag, die plaza ist voller Menschen. Auf einer Bühne wird animierend bei lauter Musik wild vorgetanzt. Die Masse macht es nach.

Wir werden dauernd angestarrt und angequatscht. Ich habe da gerade gar keinen Bock drauf. Ich habe Hunger und will doch nur in Ruhe Essen. Mal sind es die örtlichen Politiker mit ihren kleinen Söhnen, dann ein Radler und ein Makler. Letzterer heißt Edgar. Er wohnt in Sogamoso und gibt uns seine Telefonnummer. Für den Fall, dass wir uns entscheiden sollten heute hier zu bleiben, meint er. Edgar bietet uns sein Grundstück oberhalb des Ortes an. Dort gäbe es Wasser und eine kleine Hütte.

Wir überlegen und nehmen schließlich das Angebot an. Nach einem Mittagessen bei seiner Familie, bei dem seine Frau ganz betrübt ist, da wir das nicht so leckere Hühnchen nicht bis auf die Knochenhaut richtig runterknabbern, fahren wir mit ihm den Hang hinauf. Mensch, ist das schön hier! Einen tollen Blick auf die Stadt hat er da. Lustig pflanzt sich Edgar mit einem Joint in den schiefen Sessel aus dem Sperrmüll in seine Hütte, bestehend aus Brettern und Planen und fühlt sich wie der König über Sogamoso.

Wir bauen das Zelt auf dem schrägen Hanggrundstück auf und betrachten das Tal. Die Pastelltöne des sanften Sonnenuntergangs wechseln über in die Dunkelheit. Es breitet sich ein Lichtmeer aus. Ich sage zu Hardy: „Mensch, genau das ist einer dieser magischen Momente, in denen es sich besonders lohnt diese Reise zu machen.“ Nur das Gebell der dämlichen Hunde nervt.

Berge im Regenwetter

Heute ist Sonntag. So kämpfen sich mit uns diverse Rennradler in den buntesten Rennradkostümen die Steigungen hinauf. Sie sind natürlich viel schneller als wir und sagen mir, die stark hinter Hardy her hinkt, ich solle mich doch mehr anstrengen und mitziehen. Pah, die mit ihren schmalen Reifen und ultraleicht Rädern haben doch keine Ahnung. Aber uns wird auch zugejubelt und ich werde von einem sogar gefragt, ob er ein Foto von mir machen darf.

Es geht 20km hinauf, bis wir am Punkt El Cruzero ankommen. Hier kreuzt sich die Straße. Erstmal fahren wir ein Wenig hinab, um auf einer Wiese mit Blick auf die Laguna de Tota Mittag zu essen. Es ist frisch hier oben.

Und dann geht es weiter, das Bergauffahren wird uns heute wohl nicht mehr loslassen. Langsam arbeiten wir uns in der Region Boyacá voran. Es geht hoch und runter, eine Kurve nach der andern und wieder hoch. Soviel Steigung um eigentlich hinab in den Dschungel zu gelangen, haben wir nicht erwartet. Man darf diesem „es geht nur hinab“ einfach nie Glauben schenken.

An einem Bretterstand am Rande des Weges kaufen wir Lauch und eine Art milder Radieschen. Die wachsen nur hier oben in der Kälte, wird uns berichtet. Schön ist es hier, die Landschaft wird immer karger. Aus den Häusern mit ihren Wänden aus Brettern steigt Rauch empor. Auf Feldern wird gearbeitet. Kühe laufen umher. Tiefe Wolken ziehen heran. Die freundliche Verkäuferin sagt, es wird heute nicht regnen, aber sie behält unrecht. Nach 30km Steigung für heute geht es endlich bergab. Und genau da fängt es an zu schiffen. Wir sind im nichts, keine Hütten, nur super karge Mondlandschaft, ohne jegliche Bäume.

In diesem Moment kann ich meine neue Regenjacke ausprobieren. Und sie hält! Yeah! So wie es sein muss, perlt das Wasser ab und rinnt nicht hinein.

Weiterfahrend blicken wir uns erstaunt in dieser wunderschönen Natur um. Kleine Seen, Felsen und blühende Schopfrosetten in Ockertönen sind auszumachen.

Heute kommen wir nicht recht voran, aber das stört uns nicht. Wir sind beide relaxt und verspüren keine Eile. Die Pause in Villa de Leyva scheint uns gut getan zu haben.

Bei einem kleinen Restaurant trinken wir einen heißen tinto und wärmen uns auf. Hardy kauft etwas Fleisch fürs Abendessen. Wir füllen unsere Flaschen mit Wasser auf und beschließen etwas später das erste Mal in Kolumbien wild zu zelten. Die Straße, auf der fast keine Verkehr ist, führt durch eine Schlucht. Gegenüber fällt die Felswand steil ab. Wir finden einen schmalen Pfad, auf dem es recht anstrengend ist die Räder hochzuwuchten. Mit der Machete macht Hardy Platz fürs Zelt. Es steht schnell und der Kocher wird angeworfen. Wir haben die Benzindüse gegen eine andere ausgetauscht und so funktioniert er schlecht als recht, aber immerhin. Es dauert, aber es gibt schließlich eine warme Mahlzeit! Wir freuen uns sehr mal wieder allein zelten zu können, in der Natur zu schlafen und all die abgefahrenen Pflanzen der Bergwelt um uns herum bewundern zu können. Abends schauen zwei Ziegen vorbei, ansonsten ist es ruhig. Es wird kalt hier, wir verziehen uns schnell in die Schlafsäcke.

Stürzen muss gelernt sein

Die ganze Nacht sowie am folgenden Morgen regnet es in Strömen. Wir bleiben bis zum frühen Vormittag im Zelt, entscheiden uns aber dafür trotz der Nässe weiterzufahren. Wir haben zu wenig Benzin, um einen weiteren Tag zu kochen. Ein kleine Bach fließt anbei, für Wasser wäre gesorgt. Also rein in die Regenklamotten, Zelt abbauen. Nass ist alles, feucht und kalt, nicht besonders angenehm, aber wir ziehen’s durch.

Wir rollen los, ganz vorsichtig. Wenn die Wolken und der Nebel nicht so tief hängen würden, wäre es wunderschön hier. Aber wir können nichts erkennen. Die Berge bleiben hinter einer grauen Masse verborgen. Es regnet immer noch. Ist ganz schön dumm und gefährlich bei dieser nassen Straße zu fahren. Die Kaputzen sind weit ins Gesicht gezogen uns schränken die Sicht schon stark ein. Kaum Autos sind unterwegs.

Zur einen Seite fällt der Hang steil zum tosenden Fluss unter uns ab, zur Anderen wurde die Piste in die Felswand gehauen. Ein Team aus Männern, in gelben Regenjacken gehüllt repariert hier die Straße. Der Belag besteht nur aus aufgeweichtem Lehm und Steinbrocken. Vorsichtig schieben wir uns an dieser Engstelle entlang. Unter einem Zelt aus Planen warten wir lange auf eine Regenpause und fahren dann auf nassem Asphalt weiter.

Und dann passiert es, was passieren muss. In einer Rechtskurve kreuzt Hardy einen kleinen Wasserlauf. Dieser hat Matsch auf die Straße geschwemmt und es ist schmierig. Hardys Fahrrad rutscht weg. Er fällt auf seinen linken Arm, trennt sich vom Fahrrad und kugelt noch eine Weile den Hang hinunter. Der Schreck ist groß. Ich halte vorsichtig hinter ihm an und laufe herbei. Gut, er steht auf den Beinen und beguckt sich. Die Regenhose sowie der Handschuh sind aufgescheuert. Sein Arm tut weh. Das Rad hat den Sturz erstaunlich gut überstanden. Die Plastikbox auf dem Vorderradgepäckträger ist kaputt gegangen. Sie hat die Wucht des Sturzes abgefangen. Hardy setzt sich erst mal ruhig hin und verarbeitet den Schock. Etwas stimmt nun mit seinem Ellenbogen und Handgelenk nicht, das ist uns schnell klar. Zum Glück ist nicht mehr passiert. Wir sind mitten im Nirgendwo. Kein Fahrzeug kommt vorbei. Es regnet.

Als es Hardy wieder besser geht, steig er vorsichtig auf und rollt ganz langsam, den Arm nicht belastend weiter. Es schmerzt sehr er kann links nicht bremsen. Nach 8km taucht ein kleines Hotel am Straßenrand auf. Wir beschließen anzuhalten und aufzuhören. Es regnet schon wieder stark und Hardys Schmerzen nehmen zu. Wir mieten ein Zimmer und beschließen an dieser Stelle die Reise zugunsten eines Arztbesuchs abzubrechen.

Heute ist Feiertag, da fährt kein Bus. Auf seinen Transport in ein Krankenhaus muss Hardy bis morgen warten. Es ist 12 Uhr. Er haut sich ins Bett und schmeißt ein paar Schmerztabletten ein. Der Arm wird mit einem Tuch ruhig gestellt. Ich trage das Gepäck und die Räder hin und her. Baue das nasse Zelt im Hotelwohnzimmer auf und trockne die Sachen. Hardy hat Schmerzen. Er tut mir sehr leid.

Die Familie des Hotels ist freundlich. Sie leihen mir ihre Küche. Im gusseisernen Herd wird extra das Feuer wieder angeworfen. Alle stehen um mich herum, als ich darauf koche und bestaunen, was ich denn merkwürdiges tue. Das ich die Radieschen ins Essen schnibble finden sie sehr lustig. Sie fragen mich welche Tiere und welches Gemüse es in Deutschland gäbe und sind erstaunt, dass es dort auch Kühe und Kartoffeln, Lauch und Zwiebeln gibt. Wir klären dieses Phänomen mit der Begründung, dass es in Deutschland ein ähnlich kühles Klima vorherrsche wie hier.

Krankenhausodyssee in Bogotá

Früh am folgenden Morgen um sechs Uhr stehen wir mit unserem Kram am Straßenrand. Die nette Hotelmami bringt uns noch einen tinto herbei. Bereits der zweite Bus nimmt uns mit. Obwohl es kein Großer ist, passen die Räder erstaunlicherweise in den Kofferraum. Heute ist das Wetter gut, bei Sonnenschein verlassen wir die schöne Berglandschaft. Wir sind beide traurig in dieser nun nicht radeln zu können. Wir verpassen 50 km schönste Abfahrt.

Zurück in Sogamoso entscheiden wir uns in einen weiteren Bus zu steigen, um nach einer vierstündigen Fahrt in der Großstadt Bogotá eine bessere ärztliche Versorgung anstreben zu können. Außerdem haben wir dort schon eine Unterkunft und erwarten auch leider eine größere Geschichte mit Hardys Arm… Vom zentralen Busbahnhof schieben wir eine geschlagene Stunde die Räder durch das Straßengewirr, bis wir in der casa de ciclistas im Viertel Modelia ankommen. Claudio und Angélica hatten wir bereits zuvor über unser kurzfristiges Kommen informiert, es ist kein Problem. Angélica empfiehlt uns die Privatklinik Palermo.

Gegen fünf am Nachmittag sind wir dann endlich im Krankenhaus. Nachdem die Aufnahmeformalitäten geregelt sind und wir Geld vorschießen, wird Hardy behandelt. Der Arm wird geröntgt und per Gips stillgelegt. Es ist bereits 21 Uhr. Ein Orthopäde wird herbeigerufen. Es ist ein sehr netter, ruhiger Arzt mit einem gewaltigen Bauch, der sich sehr viel Zeit für uns nimmt und alles in einem englisch-spanisch Mix erklärt. Doktor Triana ist ein Spezialist, der in diversen medizinischen Clubs der Welt verkehrt und seine vielen Abzeichen am Band seiner Krankenhaus-Schlüsselkarte präsentiert und Vorträge hält. Wir fühlen uns bei ihm in guten Händen. Er ahnt schon, dass es sich bei Hardys Unfall um eine kompliziertere Angelegenheit handelt, will aber noch das Ergebnis einer Computertomografie abwarten.

Und wirklich, Hardy hat eine ungünstige Fraktur im Ellenbogen, die in den folgenden Tagen ambulant operiert werden muss. Ein Teilstück der Gelenkpfanne hat sich nach innen verlagert und muss fixiert werden.

Für uns beginnt nun eine nervenaufreibende Odyssee in dem Versuch die Kommunikation zwischen unserer Auslandskrankenversicherung und der Krankenhausverwaltung herzustellen. Wir wollen und können nicht auf die Schnelle die nun anfallenden Kosten im Voraus bar zahlen. Bei dieser Härteprobe stellt sich unsere Krankenkasse als verlässlich heraus. Leider ist die Verwaltung der Clínica Palermo alles andere als kooperativ. Wir verbringen Stunden und Tage mit hin und her rennen, haben Audienzen mit den verschiedensten Leuten in der Krankenhausleitung sowie dem Finanzwesen, Schreiben zig Emails und Führen ’ne Menge Telefonate, um einen Kontakt zwischen den beiden herzustellen. Noch am Tag der angesetzten Operation kämpfen wir sechs Stunden lang um deren tatsächliche Umsetzung. Noch immer hat die Krankenhausleitung die OP nicht genehmigt. Irgendwann kommt unsere Krankenversicherung auf die glorreiche Idee mit ihrer kolumbianischen Partnerkrankenkasse einen Deal zu machen und denen das geforderte Geld zu überweisen. So erhält Hardy eine Nummer einer kolumbianischen Krankenkasse mit der das Krankenhaus Palermo nun direkt abrechnet. Dann geht alles plötzlich ganz schnell. Das Okay für die anstehende Operation wird gegeben und Hardy kommt mit nur einer Stunde Verspätung unters Messer.

Alles verläuft gut. Hardy hat nun zwei Schrauben im Ellenbogen stecken. In den folgenden drei Wochen soll er den Arm schonen und danach mit Physiotherapie beginnen. Wir werden also ’ne Weile in Bogota bleiben müssen.

Ich denke ernsthaft darüber nach die „Chance“ zu nutzen, um für drei Wochen nach Berlin zu fliegen und einen Besuch bei den Lieben daheim zu machen. Ich habe schon seit Honduras Heimweh und Gedanken daran.

Ich überlege mit gemischten Gefühlen. Einerseits brennt es mich meine Familie und all die Leute wieder treffen zu können und Zeit mit ihnen zu verbringen, andererseits fühle ich mich nicht gut dabei Hardy hier allein zu lassen. In der casa de ciclistas wohnen wir momentan in einem Zimmer ohne Tür im Türrahmen und schlafen mit unseren Isomatten auf dem kalten, harten Fliesenboden direkt vor der Eingangstür. Nicht der beste Ort zum Gesund werden. Zudem steht ein Umzugs Hardys an, denn bald wird die casa geschlossen, da Claudio und Angélica für ein Jahr an die Küste Kolumbiens ziehen werden.

Besuch in Berlin

Für Hardy ist es Ok und ich vertraue auf seine Organisationskunst. Er wird schon was finden. Ich buche also und befinde mich bereits drei Tage später im Flieger über Paris nach Berlin. Was für eine Freude! Welch Aufregung! Ich bin völlig aus dem Häuschen als mich meine Eltern und meinen Bruder vom Flughafen abholen. Toll ist es zu Hause zu sein. Es fühlt sich an wie im Kino. Alles ist so anders in Europa, aber doch vertraut. U-Bahn- und S-Bahnfahren ist echt abgefahren. In Supermärkten könnte ich Stunden verbringen. Überrascht bin ich darüber, dass sich der erwartete Preisschock nicht einstellt. So einige Sachen wie Milch, Schokolade, Tee oder Shampoo sind hier sogar preiswerter als in Kolumbien.

Ich genieße die Zeit mit meiner Familie und mit meinen Freunden in der Kita und unserer WG sehr. Mir war vorher nicht bewusst, wie toll ich doch Berlin finde. Auch ist es wahnsinnig beruhigend und entlastend an einem Ort zu sein, in dem ich mich auskenne und an dem ich weiß, wie der Hase läuft. Ein zu Hause zu haben und an unserem Küchentisch in der WG kaffeetrinkend sich miteinander und vor allem sich mit so vielen verschiedenen Personen auszutauschen genieße ich total.

Die drei Wochen rinnen wie Sand durch meine Finger. Schon naht mein Abflugdatum. Aber es ist auch gut wieder zu fahren. Wäre ich länger geblieben, wäre mir der Abschied immer schwerer gefallen. So ist es eine definierte Zeitspanne gewesen, die ich wie einen Urlaub genossen habe.

Zurück in Bogotá

Hardy holt mich freudestrahlend vom Flughafen ab. Endlich bin ich wieder da, er hat es lang herbeigesehnt. In all der Zeit ist er insgesamt zweimal umgezogen, von Gastgeber zu Gastgeber und immer mit dem kompletten Gepäckberg im Taxi – und mit Gipsarm.

Nun wohnen wir in San Luis auf 2900m, einem Bezirk der am Rande Bogotas an dessen Ostseite bereits in den Bergen liegt. Mit Bussen brauchen wir eine Stunde ins Stadtzentrum. Wir haben ein eigenes Zimmer im Haus von Diana und ihrem Bruder Andrés und dürfen auch Hardys verbleibende Physiotherapiezeit bleiben. Diana und Andrés sind begeitesterte Motoroller-Fans. Es darf nur die Vespa sein. Andrés führt ein Vespa-Shop und erklärt uns begeistert seine Leidenschaft. Beide haben vor mit der Vespa in naher Zukunft eine lange Reise zu unternehmen.

Ich lasse Hardy meinen prall gefüllten Rucksack auspacken. Er freut sich und freut sich. Zum Vorscheinen kommen neben unseren neuen Radtaschen sowie Sattelstützen einen Haufen an Lebensmitteln, der Folge meines wild um mich schlagenden Einkaufes in Netto und Lidl. Unter anderem gibt es Weihnachtssüßigkeiten, Schokolade, Gewürze, Puddingpulver, Rotkohl und Klosmischungen.

Wir schlendern durch die Fußgängerzone, die weihnachtlich beleuchtete Stadt und den Weihnachtsmarkt. Hier gibt es Plastikbäume, die in irrem blauem, rotem oder weissem Licht strahlen. Hardy berichtet mir von seinen mehren Couchsurfing-Bekanntschaften, so auch von den Venezulanern Carolina und Juan-Carlos bei denen er ein paar Tage wohnte. Ihr gemeinsames zufaelliges Thanksgiving-Essen stellte sich als Kartoffeln mit Quark und Bouletten heraus. Wir besuchen sie noch ein paar Mal.

Diese Stadt ist riesig. Ihr Strassengewirr zu durchblicken fällt mir unheimlich schwer. Hardy versteht das System aus calles, carreras, diagonales und transversales nach seinem bisherigen 3-woechigen Aufenthalt relativ gut. Das oeffentliche Verkehrssystem besteht aus Kleinbussen, den busetas und dem transmilenio. Das sind sehr lange Busse, die eigene Haltestellen haben und auf eigenen Spuren fahren. Das transmilenio-Netz umspannt einen Grossteil der Innenstadt. Sie halten nicht an jeder Haltestelle, so dass man flott voran kommt, schafft man es denn hinein zu kommen. In den Stationen, die von mehreren Linien angefahren werden, wartet rund um die Uhr eine Menschentraube. Diejenigen, die es bis an die gläsernen Schiebetueren geschafft haben, sind natuerlich nicht bereit ihren Platz aufzugeben und warten dort bis ihre Linie kommt. Von hinten drängen sich Diejenigen, die in den gerade ankommenden Bus hinein wollen nach vorne. Es ist ein wildes Geschiebe und Geschubse. Natuerlich sind da auch noch die Passagiere, die aus dem transmilenio aussteigen moechten. Eine Kultur des erst Aussteigen- und danach Einsteigenlassen gibt es nicht. Das Chaos ist perfekt.

Die busetas haben dagegen wenig gekennzeichnete Haltestellen, bzw. gar keine. Man winkt sie irgendwo vom Strassenrand heran. Meist halten sie auch, seien sie noch so voll. Diese Kleinbusse werden praktisch gemietet. Der Fahrer muss sie am Ende des Tages geputzt zurueckgeben zurueck in die Firma bringen und den Soll entrichten. Sein Verdienst hängt von der Summe der Passagiere ab, die er transportiert. An manchen Punkten stehen Männer (Selbststaendige) mit Klappbrettern am Strassenrand und notieren sich eifrig Zahlen und Uhrzeiten. Sie geben den Bus-Fahrer durch wann der letzte Kleinbus die Stelle passiert hat. Dem zu Folge weiss der Fahrer, ob er Gas geben muss oder sich Zeit lassen kann, um moeglichst viele Passagiere im folgenden Abschnitt einsammeln zu koennen.

Bogota ist in einem Tal zwischen den Bergen gelegen. Ueber der Stadt hängt oft eine undurchlässige Smogglocke. Der Himmel ist diessig. Mich ueberrascht, dass es so viele Parks gibt. Auch erstaunt mich die grosse Anzahl an Hochhäusern, die eine Ziegelfassade haben. 

Auf den Strassen sind unheimlich viele Leute jeglichen Couleurs unterwegs. Es schwirrt nur so. Besonders in der Stadtmitte, an den wichtigen Plätzen und in der Fussgängerzone ist dann auch die Polizeipräsens sehr hoch.

Die Altstadt, die candelaria, erinnert uns etwas an Friedrichshain. Schiefe, bunt angemalte Häuser umrahmen Plätze und Gassen. Ihre Fassaden sind mit tollen Gaffities verziert, viele haben ein politisches Statement. Auch einige Universitaeten haben sich hier angesiedelt. Junge Leute sitzen schwatzend, Bier trinkend auf Bänken und Stufen. Hier und dort wird jongliert. Dann rueckt die Polizei an und verscheucht die Trinkenden. Als sie anfangen sich Ausweise zeigen zu lassen, verstreut sich die Menge. Der Platz ist leer.

Des nachts sind dann die Strassen Bogotas wie ausgestorben. Auch wir benutzen eines der fast einzig verkehrenden Verkehrsmittel – zur Sicherheit also abends oft ein Taxi. Dies wird uns von vielen Seiten angeraten. Taxifahren ist hier recht guenstig und wir kommen nach etlichen Fahrten zu dem Schluss, dass zum nicht alle Taxifahrer Piraten sind. Nachts stehen wenige Polizisten in kleinen Grueppchen herum. Hier und da koennen wir Prostituierte ausmachen. Die Mehrheit der Leute, die nun unterwegs sind, stellen Muellsammler dar. Diese ziehen ihre grossen, hoelzernen Handkarren hinter sich her. Manchmal wird der auch von einem mageren Pferd gezogen. Auf der Ladefläche befinden sich grosse Säcke mit Muell. Es wird spaeter von Hand getrennt. Die Szenerie wirkt irgendwie unheimlich.

Wir unternehmen einen Tagesausflug ins nahe Zipaquirá, um die Salzkathedrale zu besichtigen. Das ist ein sehr großes Salzbergwerk, indem immer noch abgebaut wird. Ein Teil davon kann gegen einen horrenden Eintrittspreis besichtigt werden. Wir spazieren durch die Gänge und Säle und sind etwas enttäuscht, denn wir hatten riesige Räume mit weißen Salzwänden erwartet. Aber jene sind nur grau, denn das Salz wurde entfernt. In den großen Kammern befinden sich massive Steinkreuze, die in rot, blau und Grüntönen angestrahlt werden. Davon gibt es 14 Stationen. Schon nach dem dritten Kreuz reicht es uns. Dann gibt es den espejo de agua, den Wasserpiegel, ein Pool, indem sich die steinerne Decke spiegelt und eine grauenvolle, kitschige Lightshow mit leuchtenden Rentieren, Weihnachtskugeln, Sternen und lauter Musik.

Hardy ist inzwischen mit seiner Physiotherapeutin dicke befreundet. Zum Abschied schenkt sie ihm ein Terraband. Sie und auch Doktor Triana geben grünes Licht für unsere Weiterreise. Hardy soll jedoch noch in den folgenden sechs Wochen seine Übungen fortsetzen.

Also sind wir super froh, Mitte Dezember endlich weiter zu können. Aufgeregt packen wir die Räder. Es fühlt sich wie ein Neubeginn an. Auch kommen unsere neuen frisch aus Europa mitgebrachten Radtaschen zum Einsatz. Die letzten Fotos werden geschossen und der Muell rausgebracht. Gleich geht es los.

Fotos zum Text gibt es in der Galerie.

Posted in Kolumbien

Sierra Nevada del Cocuy (Kolumbien/Oktober 2012)

Ausflug in die Sierra Nevada del Cucuy

An einem schönen Sonntag Morgen starten Rasmus und ich (Hardy) unsere Wandertour. PNN Sierra Nevada del Cocuy ist das Ziel. Es ist ein schroffes Gebirge mit Lagunen, Gletschern und Gipfeln über 5000 m.

Es geht erst per busseta nach Tunja, wo langweilige 5 Stunden abgesessen werden müssen, bis es dann um 22 Uhr eigentlich weitergehen soll. Die Zeit verstreicht, so auch 22 Uhr. Erst um halb 11 kommt die Nachricht, dass der Bus auf dem Weg von Bogota nach Tunja in einen Unfall verwickelt wurde und ein Ersatzbus organisiert wird. Der Traum vom komfortablen Reisen ist dahin. Der Ersatzbus ist tatsächlich eng und an Schlafen ist in den folgenden 7 Stunden nicht zu denken.

Entsprechend gerädert kommen wir im Dorf El Cocuy an und wollen vom gleich angespurtetem Schlepper, der einen schnellen Privat-Transport bis zum Anfang des Weges verkaufen will, nichts wissen. Es ist 6 Uhr 30.

Wir verziehen uns in eine kleine Kneipe, die gleichzeitig auch Laden und Telefonzelle ist. Beim Pissen steht man frei mit dem Rücken zur Ladenzeile rechts neben dem Eingang. Wie wir hören ist der Milchtransporter schon weg. Das wäre die billige Variante gewesen, um hoch in die Berge zu kommen.

Noch während wir an unseren an unseren tintos (kleinem Kaffee) nippen und überlegen wann wir starten sollten (vielleicht erst Morgen früh?), kommt ein Wanderer mit einem dicken Rucksack in die Kneipe geschneit. Wir kommen schnell ins Gespräch. Juan Carlos will auch in die Berge und hat sich schon einen privaten Transport organisiert. Kurzentschlossen und von seiner Abenteuerlust angesteckt, werfen wir alles Knausereien über Bord und teilen uns mit ihm das Taxi. Es soll heute schon losgehen!

Eine Stunde geht es groben Schotter bergauf, dann sind wir bei den Cabañas Hermanos Herreras (3890m). Rasmus uns ich verdrücken schnell noch ’ne Schale Haferflocken mit kalten Wasser und los geht’s. Ein bisschen neidisch sind wir auf Juan Carlos Wanderstoecker, zweifeln aber gleichzeitig an der Wettertauglichkeit seiner Ausrüstung. Juan Carlos erzählt uns schon viele Male hier oben gewesen zu sein und macht uns Mut trotz der eher schlechten Bedingungen zu dieser Jahreszeit eine Wanderung in den Bergen zu versuchen. Er selbst will, sofern das Wetter es zulässt, den Pan de Azucar (5250 m) besteigen.

Wir durchschreiten ein Tal und bekommen die ersten Lagunen zu Gesicht. Noch halte ich mich mit dem Fotografieren zurück, hab doch nur zwei Akkublöcke mit und möchte unbedingt später, wenn wir weiter oben sind, noch tolle Fotos schießen können. Das Tal ist feucht, zauberhafte frailejones (Schopfrosetten) besiedeln über weite Flächen die baumlose Ebene. Der Boden ist durchtränkt. Teilweise waten wir durch den Matsch und sind froh unsere Bergstiefel mitgenommen zu haben.

Schon beim Loslaufen fallen uns dichten dunkle Wolken auf, die die Wetterprognosen anscheinend nur bestätigen wollen. Wir steigen höher und sind dann auch gleich beim ersten Pass Alto de Cusiri (4411 m) im dichten Nebel. Hinter einem großen Stein setzen wir uns in den Wind-und-Regen-Schatten und verdrücken Erdnüsse und etwas Brot. Mittlerweile sind wir auch alleine unterwegs. Juan Carlos, hatte sich vor ’ner Weile, noch beim Aufstieg, mit der Ansage, dass er gleich nachkommen würde und nur noch eine Dose Hühnchenfleisch verputzen müsse, hingesetzt. Wir sehen ihn in den nächsten Tagen nicht wieder und hoffen nur, dass er nach dem einsetzenden Regen einsah mit seiner für diese Verhältnisse unzulänglichen Ausrüstung vielleicht besser nicht mehrere Tage hier hoch oben in den Bergen verbringen sollte. Wir ziehen Regenjacke, Regenhose und Gamaschen über und schwitzen beim Steigen alles von innen voll.

Weit laufen wir heute nicht mehr. 15:30h, nach einem steilem Abstieg, überzeugt mich Rasmus meinen Tatendrang zu zügeln und es langsam anzugehen. Er hat Recht, es ist unser erster Tag in den Bergen und in der Höhe. Außerdem steht für heute Abend noch eine besondere Aufgabe an.

Cleverer Weise habe ich nämlich kurz vor unser Abreise aus Villa de Leyva unsern Benzinkocher zerstört. Jedem und Jeder mit ’nem MSR Dragonfly sei an dieser Stelle ans Herz gelegt, dass das Innengewinde zum Einschrauben des Düseneinsatzes auf Grund seine Weichheit eine im Verhältnis zur härteren Düse geringere Lebensdauer hat. Im vollen Reinigungseifer habe ich es irgendwann durchgedreht. Natürlich verwendet MSR an dieser Stelle ein eigenes Gewindemaß, so dass auch ein Nachschneiden ausgeschlossen ist … Alena und ich brauchen einen neuen Kocher. Alternativ wandern wir nun mit Rasmus‘ Trangia Alkoholkocher, der aber leider auch nicht richtig funktioniert.

Im Endeffekt bedeutete dieser Umstand für unseren Ausflug eine strenge Diät. „It’s not a gourmet-trip“ ist unsere Devise und solch‘ einer wird es wahrhaftig auch nicht werden: Trotz größter Wartungsbemühungen lässt sich aus dem Kocher nach 1,5 h Koch-, nee, Wärmzeit für jeden nur ein Schüsselchen nicht ganz weicher Nudeln zaubern. Wir nehmen’s gelassen hin, haben wir doch schon beschlossen die klassische 5-6-Tage-Umrundung des Gebirges aufgrund der Witterungsbedingungen sein zu lassen. Das war erst geplant und entsprechende Essesvorräte, auch Brot und genügend Kekse, haben wir dabei. Unsere Rucksäcke sind echt schwer.

Wir platzieren unser Zelt neben einem gurgelnden Bach und genießen, wartend auf das Ansteigen der Wassertemperatur im Top auf wenige Grad, den gigantischen Ausblick in das Tal.

Am nächsten Morgen geht es wieder steil bergauf, wir erklimmen den Pass Alto de Patio Bolas (4380 m) und erreichen schon nach 3,5 Stunden Wanderung die Laguna Grande de la Plaza (4314 m). Ganz kurz noch, bevor wir das Ufer erreichen, reißt die Wolkendecke auf und ein atemberaubender Blick lässt für einige Sekunden die Schönheit unseres Standortes begreifen. Mit dem Wolkenschluss setzt Regen ein und wir verbringen die folgenden 1,5 Stunden unter der Plane.

Heute soll es nicht mehr weitergehen. Die große Runde ist abgeblasen, stattdessen haben wir die Idee, oder besser gesagt den Wunsch, Morgen einen Pass (Alto de Bellavista) mit 4780 m zu überschreiten und wollen den Zugang und die Bedingungen heute noch auskundschaften.

In einer Regenpause stellen wir das Zelt auf und machen uns, nachdem der Regen tatsächlich endgültig nachlässt auf den Weg die Westseite der Lagune zu entdecken. Ergebnis: „Let’s try it.“

Ein gemütliches Warten im Schlafsack auf die Kocherschnecke füllt den Abend und tatsächlich gelingt es Rasmus am Ende sogar neben dem obligatorischen Schählchen Nudelsuppe noch für jeden eine Tasse Kakao zu erwärmen. Nach einem Gespräch über Höhenkrankheit schlafen wir ein.

Am nächsten Morgen berichte ich Rasmus von dem starken Steinschlag, den ich nachts von der Westseite, unserer Passseite, hörte und erkläre meine Zweifel an unserem heutigen Unterfangen. Rasmus stattdessen berichtet mir von seinen in der Nacht eingesetzte starken Kopfschmerzen und seinem Unvermögen sich auch nur einen Schritt zu bewegen. Schnell ist klar: Wir bleiben heute hier. Ich selbst bin erstaunt, wie wenig mir die Höhe zu schaffen macht. Ich bemerke nur leichte Kopfschmerzen.

Dafür ist heute blauester Himmel und das, was wir gestern nur in Sekundenschnelle erfassen mussten, offenbart sich nun in voller Pracht. Wir sind in mitten einer der schönsten Landschaften, die ich während der bisherigen Reise bewundern durfte. Schroffe Wände umrahmen die spiegelnde blaue Lagune. Failejones (Espeletia spec.), hier Aufgrund der Höhe im Vergleich zu ihren tiefer lebenden Artgenossen in einem früheren Abschnitt ihres Vegetationszyklus, stehen kleingewachsen und in voller Blüte, als immerhin doch höchste Vegetationsstruktur, wie eine sich versammelnde Bevölkerung dieser Region am seichten Ufer.

Rasmus will heute mit Aspirin den Tag im Zelt verbringen. Da will ich die Zwei nicht stören und unternehme eine Wanderung zur Ostseite der Lagune. Leider breche ich etwas spät auf, so dass mein geplanter Aufstieg zu einem schneefreien Gipfel nicht möglich ist. Gegen 12h ziehen die Wolken hoch und versperren die Sicht auf wenige Meter. Unbeschreibliche Ausblicke auf einen kleinen Teil des westlichen Gebirgszug der Sierra Nevada del Cucuy lohnen diesen Ausflug aber doch.

Kurz bevor mich die Nebelwand vollständig umhüllt kehre ich zu Rasmus, Asperin und unserem Zelt zurück. Wir schmeißen den Kocher an, auf dass wir in gefühlten 2h was Brauchbares zu Futtern haben und vertreiben uns die Zeit mit Rätselraten und dem Erzählen von Geschichten aus unserem jeweiligen Leben. Es ist schön mit Rasmus unterwegs zu sein. Wir verstehen uns blendend. Er teilt meinen Sarkasmus und lässt sich von meinen trockenen nüchternen Bemerkungen nicht unterkriegen…

Am Abend verzieht sich der Nebel und wir unternehmen einen kleinen Spaziergang zu einem nahen Wasserfall, dem Ausfluss der Lagune. Auch scheinen sich Rasmus‘ Symtome der Höhenkrankheit gebessert zu haben. Dennoch blasen wir entschieden unsere geplante Passüberschreitung ab. Bei Steinschlag und den Schneemassen, die ich hoch oben beim Pass entdeckte, wollen wir mit unserer für diese Verhältnisse unzulängliche Ausrüstung kein Risiko eingehen. Rasmus‘ will noch andere Berge besteigen und ich natürlich auch, aber will auch heil zurück zu Alena kommen und auf jeden Fall radelnd Ushuaia erreichen!

Am nächsten Morgen ist unser Zelt eingeschneit. Wir haben uns entschieden den Rückweg anzutreten. Es besteht noch die Option später in ein Seitental abzubiegen, aber so ganz sicher sind wir uns nicht. Irgendwie zieht es uns zurück zu den Rädern und Hunger haben wir auch … is‘ schon Scheiße ohne funktionierenden Kocher!

Entsprechend motiviert wandern wir die bekannte Route zurück und schaffen tatsächlich an diesem Tag die gesamte Strecke des Hinwegs, der uns zwei Tage gekostet hatte. Leider versperrt uns wieder Nebel und ab und zu auch Regen jegliche Sicht auf das umliegende Bergland. Morgen soll es dann zurückgehen, in einem Rutsch nach Villa de Levya. Die Nacht wird kalt. Etwas exponiert platziert ist unser Zelt am nächsten Morgen gefroren.

Um sieben stehen wir an der Kreuzung zur Parkeinfahrt und warten auf den Milchtransporter. Wie das so ist bei schönstem Sonnenschein…. Der Milchtransporter kommt und wir dürfen zu der Gruppe Menschen mit auf die Ladefläche steigen. Lange schaue ich mir die Gewänder der Campesinos an und frage mich, ob ich nicht auch dringend so ’nen Poncho, wie sie ihn hier alle tragen, brauche. Leider stellt Rasmus die Dringlichkeit der Sache in Frage…

Die Fahrt dauert vier Stunden und irgendwann sind auch fast alle anderen Mitfahrer ausgestiegen. Wir ergreifen die Gelegenheit. Schon gestern haben wir geplant, wie wir Milch verladen werden, um so unseren Transport noch spannender zu machen. Jetzt hilft dem lechero keiner mehr, da müssen wir ran!

In den Stunden vom Park nach Cuican hält der LKW ungefähr alle 100m an. An der Straße haben die Bauern ihre vollen Milchkannen gestellt. Diese werden nun vom lechero durch einen groben Filter in diverse große Behältnisse gekippt. Am Ende der Fahrt kommen so sage und schreibe fast zweitausend Kubikmeter Milch zusammen. Der lechero erzählt uns, dass nur an insgesamt acht Tagen im Jahr kein Transport stattfindet.

Unsere Aufgabe ist es von der Landefläche zu springen und die Milchkannen dem lechero zu reichen. Stundenlang geht das so und wir wagen tatsächlich darüber nachzudenken, ob wir damit nicht vielleicht unsere Fahrt bezahlen… Große Hoffnungen mache ich mir nicht und tatsächlich dürfen wir am Ende noch ein wenig blechen. Naja, wir haben ja damit gerechnet. Spannend war’s trotzdem mit dem lechero!

In Cuican stürmen wir als erstes die nächste Kneipe. Ein almuerzo (Mittagessen) muss her! Dieses besteht hier zu Lande aus einer Suppe, einem Hauptgericht wie z.B. einem Stück gebratenen Fleisches oder Huhn, Reis und einer Gemuesematsche. Dazu gibt es immer ein Getränk, meistens einen Saft. Und manchmal, wenn man Glück hat kommt man beim Bezahlen in den Genuss eines Nachtisches in Form eines Bonbons. Insbesondere die jugos haben es Alena und mir angetan. Dazu werden einfach ein paar Früchte, Wasser, Eis, etwas Milch und ganz viel Zucker in den Mixer getan, kurz zerschreddert und fertig ist der kolumbianische Saft.

Das Mittagessen bekommt uns gut und wir merken wie ausgehungert wir waren. Wenige Stunden später bestellt Rasmus gleich noch eine Portion. Mir ist das zu teuer und ich zehre von unseren immer noch reichlich vorhandenen Vorräten.

Wir verbringen die restliche Tageshälfte in Cuican – mal in der Kneipe, mal auf dem Platz. Wir beobachten das Mädchen, das mit dem Polizisten flirtet, der gelangweilte Opa, der die beiden betrachtet, die drei Kinder, die sich fotografieren lassen möchten und denen ich nun ihre Fotos per Post senden will, der Reiter, der uns mit breitem Grinsen ständig als Gringos anredet, die Traube Männer, die mitfiebernd vier andere beim Kartenspiel beobachtet, ‚zig leere Tintobecher türmen sich um sie herum und die Schulmädchen, die schwatzend Runde um Runde um den Platz drehen.

Wir warten so lange, da wir den Nachtbus nach Tunja nehmen wollen. So sind wir früh Morgens letztendlich in Villa de Leyva und haben eine Nacht gespart.

So passiert es dann auch, ganz unspektakulär, ohne Abenteuer stehen wir um sieben Uhr morgens vorm Casa Vienna wieder in Villa de Leyva.

Es war ein schöner Ausflug, etwas kurz, etwas regnerisch aber dafür intensiv und mit kurzen Momenten herrlichster Bergpracht!

Fotos zu diesem Ausflug findet Ihr in der Galerie.

Posted in Kolumbien

Auf in die Anden – von Santa Marta nach Villa de Leyva (Kolumbien/Oktober 2012)

Auf gutem Asphalt, mit mal breitem, mal mit gar keinem vorhandenem Seitenstreifen, fahren wir zusammen mit sehr vielen Lastwagen ‚gen Süden. Die Sonne brutzelt unbarmherzig auf uns herab. Uns umgibt Weideland, welches durchzogen wird von Tümpeln und kleinen Höfen. Bäume am Wegesrand spenden auch mal wohltuenden Schatten.

Ich bin noch nicht wieder ganz fit und quäle mich voran. Mein Dickkopf lässt jedoch keinen weiteren Pausentag zu. So bin ich heilfroh, als wir die 70-80km Tagespensum geschafft haben und in ein Hotelzimmer einkehren. Duschen und liegen. So landen wir beispielsweise in Aracataca, einer lebendigen kleinen Stadt, in der der Schriftsteller Gabriel GarcÍa Marquéz einst lebte, wo bzw. das Haus seiner Großmutter steht, das heutzutage ein Museum ist.

An einem Straßenstand probieren wir unseren ersten jugo. Die werden hier überall zubereitet und getrunken. Früchte werden püriert und mit Zucker und Milch oder Wasser gemixt. Dazu kommt noch crushed ice und fertig ist der leckere, sehr erfrischende Saft.

 

 

 

Vor der Hitze flüchtend, verbringen wir eine Mittagspause im kargen Halbschatten von Eukalyptusbäumen am Rande des Weges. Unheimlich gut riecht es hier. An den Stämmen der hohen Bäume ist so einiges los. Wir beobachten eine zierliche Echse sich in der Wärme sonnend und zwei sich paarende Stabheuschrecken.

 

Heute radeln wir unsere 1000 Kilometer zum Zwanzigsten und freuen uns wie Bolle. Und dann sind da auch plötzlich die die Anden. Hardy hält auf der Anhöhe einer Brücke an. Wir müssen die Augen zusammenkneifen und können die Umrisse dieser gigantischen Berge in der Ferne leicht sich gegen den strahlend blauen Himmel abzeichnen sehen.

Bald werden wir in sie eintauchen, sie befahren, sie erklimmen. Monatelang werden sie uns wohl so einiges abverlangen. Dieses Bergmassiv wird uns bis nach Argentinien begleiten. Mit Ehrfurcht schauen wir voran und freuen uns gleichzeitig auf die Anstrengungen und die kargen und weiten Landschaften, die wir bereisen werden.

Schon bald befinden wir uns in den ersten Anhöhen. Schön ist es hier, nicht mehr karg und trocken, sondern grün. Gras und Büsche waschen bunt blühend neben der Straße.

Heute habe mal zur Abwechslung mal ich die merkwürdigen rosafarbenen Punkte am ganzen Körper. Ist das eine Allergie? Mensch, was kommt denn nach Pilzen, Pusteln oder Schweißblasen am Nächsten?!

Nach längerem Suchen landen wir im geschäftigen Aguachica in der katholischen Kirche. Der Pfarrer ist sehr nett. Er lebte lange in Florenz und war auch schon in Berlin. Wir bekommen einen eigenen Raum mit Bett und Bad und er lässt es sich nicht nehmen für uns Pizza zu bestellen. Als vegetarische wird für mich eine Pizza mit getrockneten Früchten darauf gebracht. Diese Mischung schmeckt mir leider überhaupt nicht. Aber was soll ich machen, ich esse sie einfach trotzdem auf. Alle, der Pfarrer, der junge Pfarrschüler, der Hausmeister und die Haushälterin nebst Ehemann und Sohn, sind sehr um uns bemüht und wollen mit uns reden. Vor drei Monaten waren schon einmal zwei Radler zu Besuch, berichten sie.

So einige Baustellen halten uns auf. Auf langen Abschnitten wir die carretera vierspurig ausgebaut. Eine Fahrbahn ist noch nicht fertig, aber bereits asphaltiert. Zusammen mit so einigen Motorradfahrern nutzen wir die Piste ganz allein für uns. Ansonsten gibt es meistens einen breiten Seitenstreifen.

In Curmani und San Alberto bleiben wir gleich je zwei Nächte. Ich bin wieder fit, aber Hardy scheint das Fleisch eines almuerzos (Mittagsessens) wohl doch nicht so gut bekommen zu sein.

San Alberto ist ein heißer, trister Durchgangsort. Bis auf den Gang zum Einkaufen gehen wir nicht auf die Straße. Die Zeit vertreiben wir uns im Hotelzimmer ohne Fenster. Der Stromausfall legt den Ventilator und das Licht lahm. Gerade noch sehe ich einen sich merkwürdig bewegenden Schatten in Hardys Hinterradtaschen verschwinden. Es ist eine Schlange. Da wir nicht wissen, ob es hier Giftschlangen gibt, holen wir den Hotelangestellten. Der tötet sie beherzt doch gleich mit einem Plastikrohr. Ob es hier giftige Reptilien gäbe, könne er auch nicht sagen.

Zum Gipfel des Abends gibt unser Netbook den Geist auf. Es geht einfach nicht mehr an. Schon in den Tagen zuvor hatte es Macken gezeigt, aber nun ist nichts mehr zu machen. So ’ne Scheiße! Niedergeschlagenheit macht sich breit.

Ich will jetzt so schnell es geht in die nahe gelegene Stadt Bucaramanga, um einen Computerfachgeschäft aufzusuchen und zu wissen, ob wir uns im Notfall ein neues Gerät kaufen müssen. Auch ist bei mir die Luft raus. Die Hitze, die Einode, der ätzende Ort, ich will weg hier und so schnell wie möglich in die Berge und einen Klimawechsel. So setze ich mich durch und wir kürzen die folgenden 80km per Bus ab. Für Hardy ist so eine Busetappe immer ein starker Schritt und sehnsüchtig schaut er dann aus dem Bus auf die Landschaft und Steigung unserer ersten Andenetappe, die wir nun per Bus absolvieren.

Bucaramanga

Im Hostel Kasa Guane treffen wir auf die beiden Reiseradler Jens (Deutschland) und Rasmus (Schweden) und beschließen trotz horrender Preise für zwei Nächte zu bleiben. Es ist schön eine Küche zu haben und sich mit den anderen Travellern, besonders mit den beiden Radlern auszutauschen. Wir müssen herzlich lachen, als wir erfahren trotz unseres eher langsameren Reisens einen Schwung Reiseradler überholt zu haben. Jens startete bereits ein Jahr vor uns in Anchorage/Alaska.

Das Netbook geben wir im Reparaturladen ab und bekommen es mit der empörten Ansage, es sei doch gar nicht kaputt, zurück. Scheinbar gäbe es nur ein Problem beim Starten, es fahre nicht regelmäßig hoch, sagt der Mechaniker. Wir bekommen Tipps und befolgen von nun an eine ganze Prozedur von Tastendrücken, um es anzubekommen.

Bucaramanga ist eine sehr saubere, geordnete Stadt mit vielen Parks und Plätzen auf denen dicke Statuen herumstehen. Ansonsten hat die Großstadt mit ihren 600 000 Einwohnern für uns nicht viel interessantes zu bieten.

Einen Ausflug unternehmen wir in den nahen, kolonialen Ort San Juan de Girón. Schauen uns die alten Häuser, die plaza und die Kirche an.

Auf jeden Fall ist es hier oben anders als in der Hitze der Tiefebene des Rios Magdalenas. Wir freuen uns endlich wieder Berglandschaft erkunden zu können.

Cañon de la Chicamocha

Schon kurz nah Bucaramanga beginnt es mal hier, mal dort deftig, aber noch recht kurz zu steigen. Irgendwie will sich Hardys neu aufgezogene Kette nicht treten lassen und rutscht immer vom kleinsten Kettenblatt ab. So fährt er also heute sowie in den folgenden Tagen im mittleren Kettenblatt. Vor dieser starken Leistung ziehe ich meinen Hut. Ich quäle mich dagegen im aller kleinsten Gang mühsam die Berge hoch.

Ein Rennradfahrer überzeugt uns an einer Kreuzung in Curos von der Schönheit der Hochebene Mesa de los Santos, kurz bevor es hinab in den Canyon geht. Wir schmeißen unsere heutigen Pläne über Bord und strampeln weitere 6km hinauf, um die Hochebene zu erkunden.

Beim Aufstieg ergeben sich uns tolle Aussichten auf das sich uns nun zu Füssen liegende Bucaramanga. Oben angekommen, sammeln wir bei einer langen Mittagspause im Schatten eines Immobilienmarklerhauses neue Kräfte. Die Hochebene ist voller schicker Villen, Parzelle an Parzelle. Kein Wunder, denn es ist wirklich nett hier. Leicht hügelig zieht sich das Terrain dahin, die gewaltigen Drei- bis Viertausender im Hintergrund. Weite umgibt uns.

Wir radeln bis zu einem Aussichtspunkt und sehen ein Seitental des gewaltig tiefen Canyons unter uns. Schroff fallen die Hänge ab. Gegenüber liegt el Pescadero, die Straße, die wir morgen wieder hochkurbeln werden. Sie zieht sich in langen Serpentinen den Berg hinauf. Das wird anstrengend werden.

Geschwind brausen wir zurück zum kleinen Laden, indem wir vorhin eingekauft hatten. Der junge Mann war so nett, wir wollen fragen, ob wir nicht gleich daneben unser Zelt aufbauen dürfen. Ersteinmal muss der dueño, der Besitzer, angerufen werden, aber auch er gibt sein okay. Unter einem Vordach, neben Stühlen und Tischen des dazugehörigen Restaurants dürfen wir unser Nachtlager aufschlagen. Der kleine Sohn des dueños verbringt mit uns den Abend. Er zeigt uns sein schnittiges Mountainbike und holt den jungen Schäferhund hervor. Wie nicht anders zu erwarten, heißt dieser natürlich Rex. Belustigt erzählen wir ihm von der deutschen Krimiserie mit Kommissar Rex, auch er muss lachen. Wir fühlen uns gut und ausgelaugt. Des Abends wird es frisch auf etwa tausend Metern Höhe. Wir ziehen uns ’ne lange Hose und ’nen Pullover an und freuen uns darüber wir kleine Kinder. Endlich mal sind wir von der Hitze nicht beduselt. Zur Feier des Tages gibt es einen heißen Kakao.

Schnell brausen wir am frühen Morgen in den Canyon hinab. Zusammen mit recht viel Verkehr und vielen LKWs. Auf diese müssen wir aufpassen, denn es gibt keinen Seitenstreifen. Hardy braust vorneweg, ich bin langsamer unterwegs.

Und dann geht’s die folgenden Stunden zur Sache. Wir arbeiten uns um die 1500 Höhenmeter wieder hinauf. Tritt für Tritt. Die Steigung ist nicht all zu schlimm, dafür kontinuierlich lang. Manchmal fordern kurze, steile Abschnitte, insbesondere in den Kurven, höchsten Muskeleinsatz. Der Schweiß rinnt. Cola-Gelüste machen sich breit.

Nach 13km haben wir unsere erste Etappe erreicht. Hier wollen wir Pause machen. Unter dem Sonnenschirm eines Restaurants am Vergnügungspark oben am Rande des Parque Nacional de la Chicamocha finden wir etwas Kühle. Viele Besucher sind da. Per Seilbahn, dem teleférico, kann in den Canyon hinunter und wieder hinauf gefahren werden. Wohl ein riesen Spaß.

Auf den nächsten 13km Steigung werden wir so einige Male beim Keuchen abfotografiert, schön ist das. Zur Linken fällt die Straße steil ab. Zerklüftet schieben sich die Berge aneinander. Dazwischen gibt es kleine Täler und Ebenen auf denen wir Häuser ausmachen können. Ein kühler Wind weht. Wir sind in den Anden. Toll fühlt sich das an.

In Arcatoca erliegen wir dem nächsten großen Hunger. Mit Brot und süßen Teilen aus der Bäckerei sowie einer 3l Big-Cola stärken wir uns und füllen den Zuckerhaushalt auf. Aber nicht lange, denn wir wollen es heute noch bis San Gil schaffen.

Gleich nach Arcatoca geht’s noch einmal steil zur Sache, bis wir den Rand eines Hochplateaus erreichen. Glücksgefühle machen sich breit.

Kontinuierlich wellig zieht sich die schmale Piste dahin. Es geht rauf und runter und macht unheimlich Spaß, auch wenn es körperlich sehr anstrengend ist. Die Sonne scheint auf große, alte Bäume, die mit wehenden Hängepflanzen an ihren verzweigten Ästen neben kleinen Seen stehend sich märchenhaft hin und her winden. Diese hängenden, blau-grauen Pflanzen werden hier lustigerweise als Bart von Sankt Joseph bezeichnet. Gut ernährte Kühe weiden auf den Wiesen. Kleine Häuser stehen am Straßenrand. In ihnen wird so allerlei verkauft. Es gibt Honig, selbstgemachten Likör und eine Spezialität dieser Gegend, gegrillte Riesenameisen. Hardy möchte sie unbedingt probieren, wird aber von mir aufgrund des horrenden Preises für eine mini-Tüte auf später vertröstet. Natürlich kommt er dann nicht mehr zu seinem Genuss, was mir sehr leid tut.

Dafür verbringt er eine gefühlte Ewigkeit im Haus und Hof einer Fadenherstellerin. Am Wegesrand sehen wir vor einem Haus weiße und pinkfarbene Haare in der Sonne hängen. Ist das gefärbtes Pferdehaar? Hardy will es wissen und fragt nach. Es stellt sich heraus, dass dies Rindenfasern sind, also Teil einer Pflanze. Die alte Frau pflückt diese, schneidet sie zurecht und färbt sie ein, um daraus per Spindel Fäden für die Kunststickerei zu machen. Hardy ist völlig aus dem Häuschen, als sie ihm zur Verabschiedung eine Hand voll knatsch pink gefärbter Fäden schenkt.

San Gil

Im kolonialen San Gil kommen wir nach den heutigen 70km Bergarbeit entsprechend gerädert an. Wir pflanzen uns auf eine Bank auf dem großen, belebten Platz und einer von uns geht auf Hotelsuche. Das nette, gemütliche Örtchen San Gil war uns bereits wärmstens von Martha in Cartagena empfohlen worden. Nun bin ich enttäuscht, da ich etwas kleineres mit mehr Ruhe erwartet habe. Genau an diesem Wochenende findet hier das Sommerfest statt, der Ort quirlt nur so über von Menschen. So fällt die Hotelsuche eher schwierig aus. Das Meiste ist belegt oder reserviert. Im geschäftigen Hostel Macondo bleiben wir trotz Fensterlosigkeit und hohem Preis die erste Nacht. Wir wollen fertig werden für heute, schnell kochen und duschen. Morgen gehen wir in aller Ruhe auf Hostelsuche, denn eigentlich wollten wir hier ein paar Tage Pause einlegen.

Unsere Ruhe finden wir bereits am Mittag, als alles Gepäck umgezogen ist. Wir wohnen nun, zusammen mit Rasmus, der schwedische Radler, den wir auch hierher schleppen, im kleinen, familiären Hostel Le Papillon. Es ist etwas abseits des Trubels in einer steilen Seitengasse gelegen. Geführt wird es von einer Kolumbianerin und ihrem schweizer Mann, der auch begeisterter Radler ist. Na, das ist doch klar, um welches Thema sich die Gespräche drehen. Wir bekommen ein super gemütliches Zimmer, dass sich in diesen Tagen nicht nur wie ein Hostelzimmer, sondern wie „unser“ Zimmer anfühlt. Es ist wie eine kleine Maisonnettewohnung geschnitten. Unten stapeln wir auf und neben der Couch unsere sieben Dinge und oben schlafen wir unter’m schiefen Dachgewölbe.

Viel und vor allem günstiges Obst und Gemüse kauft besonders Hardy gern in der geschäftigen Markthalle ein. Auch stoesst er auf ein Auto, auf dessen Ladefläche getrockneter Tabak gestapelt ist. Sowas haben wir noch nicht gesehen.

San Gil ist bekannt für den Extremsport, der in seiner Umgebung für teures Geld ausgeübt werden kann. An diesem Wochenende finden Wettbewerbe in den verschiedensten Kategorien statt, an denen kostenlos teilgenommen werden kann.

Da sehe ich doch dieses gewisse Funkeln in Hardys Augen aufflackern … voller Tatendrang nimmt er am Canopying Teil. Adventure X nennt sich die Geschichte, bei der Hardy auf Zeit ein Kletterturm erklimmt, auf verschiedenen Drahtseilen und wackligen Stegkonstruktionen hoch oben in den Bäumen balanciert, einmal neben und einmal im Wasserfall abgeseilt und zum Höhepunkt ca. 150 m an einer Seilrutsche hängen über den Fluss saust. „Endlich Abenteuer!“ scherzt er dann und wird am Ende sogar mit dem dritten Platz belohnt. Wir wollten es nicht glauben, aber tatsächlich wird das Preisgeld von 50.000 Pesos sogar ausgezahlt!

Noch nicht genug bekommen, überredet er dann Rasmus mit ihm zusammen am Radrennen sin cadena teilzunehmen. Dabei wird ohne Kette eine kleine Steigung hinuntergerollt und versucht mit dem gewonnenen Schwung soweit wie möglich voran zu kommen. Hier ist die Stimmung aufgeheizter als beim Canopying und so manch anderer Teilnehmer gönnt uns nicht den Spaß mit unseren schweren Reiseraeder am Rennen teilnehmen zu wollen. Eine johlende Menschenmenge, inklusive Meinerwenigkeit, begleitet die einzelnen Radler. Leider haben Hardy und Rasmus hier nicht die leiseste Chance gegen die lang geübten Spezialisten und bleiben weit zurück.

Irgendwann trudelt auch Jens im Ort ein. Wir kochen zusammen eine Gemüsepfanne und verbringen einen netten Abend miteinander.

Zusammen machen Hardy und Rasmus eine kleine Wanderung zwischen den kolonialen Orten Guane und Barichara und beschließen gemeinsam eine größere Bergwanderung im Nationalpark El Cocuy anzugehen. Mich können sie nicht begeistern, denn ich habe andere Pläne. Ich möchte seit Wochen eine längere Pause machen, ausspannen, relaxen und Nichtstun.

Von San Gil nach Villa de Leyva

Zusammen mit Rasmus radeln wir bis nach Villa de Levya zu dritt, bzw. wir treffen immer wieder aufeinander, da er zügiger fährt als wir und nicht so viele Zwischenstopps einlegt. Rasmus meint trocken, wenn er fährt, dann fährt er.

Wunderschön windet sich der Weg in den Bergen entlang. In den Bergen regnet es viel. Wir suchen Unterschlupf unter den verschiedensten Dächern und warten ab.

In Moniquirá halten wir an einem kleinen Laden, an dessen Fassade fábrica de bocadillos steht. Wir sind neugierig, können damit so gar nichts anfangen. In Spanien sind bocadillos, doch geschmierte Brote, oder nicht? Hier ist eine eine Süßigkeit, eine Spezialität. Die quietsche süße Masse ist eine pure Energiequelle. Es gibt sie mit Cocos- oder Guavengeschmack, oder mit arrequipe. Das ist gekochte Milch mit Palmenzucker, die durch das Verkochen zu einer süßen, zähen Masse wird. Wir sehen zu, wie die noch recht flüssige Masse in rechteckige Formen gegossen wird oder wie die bereits Erstarrte aus ihnen wieder herausgeholt und in die gewünschten Portionen geschnitten wird. Die freundliche Verkäuferin lässt und probieren. Wir entscheiden uns für die Variante mit Guave.

Des Nachmittags treffen wir Rasmus wieder und beschließen gemeinsam nach einem Zeltplatz zu fragen. Auf den hügeligen, großen Grundstück einer Familie dürfen wir bleiben. Hardy freundet sich sogleich mit der örtlichen Katze an. Es wird bald kühl. Wir befinden uns nun auf etwa 2300m. Wir ziehen uns warme Sachen an und kochen mit tollem Ausblick auf die unter uns liegenden Berge.

Villa de Leyva

Auf den letzten 20km hat Rasmus, wie auch schon in den letzten Tagen, andauernd einen Platten. Irgendwie ist der Wurm drin. Wir helfen mit Kleber und Flicken aus aber es hilft nicht viel weiter. Dann fängt es auch noch an zu gießen.

Schließlich finden wir Unterstand unter dem Vordach einer Bar, die sich im Nichts an einer Kreuzung befindet. Da stehen schon so Einige drunter, unter anderem auch Salva, den spanischen Langzeitreiseradler, den wir bereits hier und da trafen. Die Wiedersehensfreude ist groß! Viel haben wir zu bequatschen. Wie auch bei den letzten Begegnungen ist Salva in gegensätzlicher Richtung unterwegs. Er kommt gerade aus Villa de Leyva und will erst einmal nach Venezuela hochradeln.

Nachdem sich der Schauer gelegt hat, packen wir den letzten Endspurt an auf holperiger Straße ins Tal hinab. Uns ist kalt, die Sachen sind durchgeweicht.

Im Hostal Casa Viena gibt es dann die langsersehnte heiße Dusche. Dieses auch sehr nette, familiäre Hostel liegt am Rand des Ortes und wird von einer Kolumbianerin und einem Österreicher sowie deren Tochter geführt. Die kleine Enkeltochter Emma mag lila und ist fast immer in dieser Farbe gekleidet.


Villa de Leyva ist ein wunderschöner, kleiner, aber auch sehr touristischer Ort. Hier ist es ruhiger als in San Gil. Genau so etwas habe ich mir für meinen „Urlaub“ vorgestellt.

Eine grosse Kirche steht am wohl groessten Platz Kolumbiens.

Lange streifen Hardy und ich durch die kopfsteingepflasterten Gassen, die eingefasst von windschiefen, weiß getünchten Häusern, über deren Hofmauern in der strahlenden Sonne die buntesten Blumen ragen in der Vergangenheit stehen geblieben zu sein scheinen. Es ist so ruhig hier. Auch die vielen Restaurants, Souvenirläden und Hotels ändern nichts daran.

Leider beide etwas an einer Erkältung kränkelnd verbringen wir meinen 29. Geburtstag mit einer kleinen Wanderung hinter dem Ort. Zu einer strahlend weißen Heiligenfigur geht es steil hinauf. Wir haben einen tollen Ausblick auf Villa de Leyva. Eine herannahende, dunkle Wolkenfront lässt uns jedoch flink wieder hinab steigen.

Auf dem samstäglichen Markt kaufen wir wild um uns. Unter provisorischen Zeltplanen versuchen die Bauern aus der Gegend ihre Produkte an den Mann zu bringen. Wir schauen in von der Sonne gegerbte Gesichter, die unter schwarzen Filzhüten versteckt sind. Warme Ponchos werden viel getragen. Dann zieht sich der Himmel zu und es gießt lange wie aus Eimern. Alle suchen unter den Planen Schutz.


Einige Tage später brechen Hardy und Rasmus zu ihrer einwöchigen Wanderung in den Parque Nacional Sierra Nevada del Cocuy auf. Ich freue mich auf’s Alleinsein und Relaxen. So eine „Trennung“ tut auch mal ganz gut.

Fotos zum Text gibt es in der Galerie.

Posted in Kolumbien

Kolumbiens Karibikseite – von Turbo über Cartagena nach Santa Marta (September-Oktober 2012)

Juchu, wir sind in Südamerika! Wir befinden uns nun auf einem neuen Kontinent und damit kann der zweite Teil unserer Reise beginnen!

Erste Eindrücke

Es ist so anders hier. Mal wirklich wieder eine neue Welt, die wir noch nicht kennen oder begreifen. Seit Mexiko hatten wir so ein Gefühl nicht mehr. Wir befinden uns auf Neuland.

Der Verkehr fließt stetig. Ordnet man sich in ihn ein, wird man ein Teil vom nicht abnehmenden Strom. Er nimmt einen auf und zusammen mit knatternden Mopeds und großen Lastern schieben wir uns voran. Wir sind positiv überrascht, wie rücksichtsvoll alle aufeinander acht geben. Um uns wird, wenn möglich, ein großer Bogen gefahren.

Unheimlich viele Motorräder sind unterwegs. Uns fallen mototaxis auf. Motorradfahrer transportieren hinter sich auf der kleinen Sitzfläche Passagiere, mal ein Schulkind, mal einen Geschäftsmann. Fast alle tragen einen Helm oder auch Warnwesten. Private PKWs scheint es kaum zu geben, dafür um so mehr Busse.

Prompt endet die Asphaltstraße in einer Lehmpiste, die von Schlaglöchern und gossen Schlammgruben gespickt ist.

Laute Musik schallt aus den Läden, deren Boxen vor den Häusern in Richtung Straße stehen. Wer schafft es am Lautesten? Ein Nachbar beschallt den Nächsten, man kann nichts mehr verstehen.

Die Kolumbianer sind unheimlich nett, offen, kontaktfreudig und sympathisch. Noch nie auf dieser Reise habe ich derart herzliche und fröhliche Menschen getroffen. Die meisten haben immer ein Lachen und ein nettes Wort auf den Lippen. Keine Wunder, dass Kolumbien auf Platz drei des Happy Planet Index steht.

Ich empfinde es als sehr positiv, dass ich hier, im Gegensatz zu Mittelamerika, nicht andauernd in irgendeiner Form sexuell angemacht werde.

Negativ für mich dagegen ist die hohe Menschendichte, bzw. die vielen Zäune und Felder Wegesrand, die meine Suche nach geeigneten Pinkelplätzen ziemlich in die Länge ziehen lassen.

In Kolumbien ist das Land mit den uns am meisten unbekannten Früchten. Gerade Hardy ist begeistert und kauft auf den Märkten und in de kleinen Laden wild um sich. Da gibt es zum Beispiel die Baumtomate, tomate de árbol. Eine Frucht, die wie eine Tomate ausschaut, jedoch ein Obst ist. Sie hat einen sauren Geschmack, der manche Leute an Kiwi erinnert. Hardy schwärmt von der Drachenfrucht, fruta de dragón oder auch pitaya, die einen sehr süßen Geschmack hat. Im Gegensatz zum asiatischen Raum ist sie hier gelb. Die orangenen Marakujas mögen wir beide sehr gern. Guaven sind sehr erfrischend. Sie haben ein rosafarbenes Fruchtfleisch. Aber am dollsten sieht die riesige Guanabana aus, mit ihren lustigen Stacheln. Sie hat ein weißes Fruchtfleisch und schmeckt am Besten, wenn sie patschen weich, also super reif ist.

Trinkwasser gibt es in riesigen 5l Säcken zu kaufen. Den schnallt sich Hardy einfach hinten aufs Fahrrad. Dann gibt es da auch noch ein neues Verkehrsschild. Es besagt nicht etwa, dass die mueden Autofahrer ihre Lieder nicht senken sollen, sondern „Licht an!“.

Eine andere Neuheit für uns sind die minutos. Das sind Stände in allen Variationen, mal als Plastetisch mit Plastehocker davor, mal als Rollwagen, mal als richtiger Laden, an denen Minuten zum Telefonieren ins Handy- oder Festnetz verkauft werden. Ein Schild mit minutos und den Zahlen 100, 150 oder 200 kündigt den Festpreis pro Minute an. In kleinen Orten bekommt man das Handy direkt in die Hand gedrückt, in Städten ist es dagegen mit einer Schnur am Stand festgebunden. Es scheint ein rentables Geschäft zu sein, den ständig sehen wir Leute mit angebundenen Handys in der Hand um die Stände herumstehend telefonieren. Auch wir nutzen diesen Service das ein oder andere Mal.

Von fahrenden Händlern wird tinto verkauft. Das ist Kaffee, der aus Thermoskannen in kleine Plastikbecher geschenkt wird. Erinnert uns an Espresso.

Sonntag ist Radeltag. Und nicht nur an jenem Wochentag werden wir häufig von Rennradlern in bunten Trikots und Helm auf ihren super schicke Rennrädern freundlich grüßen und überholt.

Die peajes, die Mautstationen, sind für Motorrad- sowie Fahrradfahrer kostenlos. Für uns gibt es einen Seitenstreifen auf der rechten Seite um die Schranke herum. Die Autofahrer müssen tief in die Tasche greifen. Straßen ohne peajes gibt es fast nicht mehr. Erst modernisiert der Staat sie und gibt sie dann in die Verwaltung von privaten Firmen, die für die Erhaltung der Abschnitte sorgen sollen. Fast jeden Tag passieren wir mindesten eine Mautstelle. Meist befinden sie sich in der Mitte zwischen den Orten. In Cartagena gibt es aber auch eine in mitten in der Stadt.

Auf Nebenstraßen in Richtung Cartagena

Unsere Sandpiste verwandelt sich bald in eine Schotterstraße, die unregelmäßig von Asphaltabschnitten unterbrochen wird. Wir passieren viele Felder, die von Drahtzäunen umgeben sind. Wir streifen kleine Häuser und Bananenplantagen sowie Unterstände, unter denen die Früchte abgewogen und in Kisten verpackt werden.

Am Nachmittag kommen uns zwei bepackte Reiseradler mit Ortlieb-Taschen entgegen. Wir freuen uns sehr, sind es doch unsere ersten in Kolumbien. Zu einem Plausch halten wir extra im Schatten an. Aber uns kommt nur ein cooles „Hi! “ entgegen und schon rollen die einfach weiter. Wir sind hoch empört! So etwas macht man doch als Reiseradler nicht. Da hält man an und quatscht ’ne Weile! Hardy brummt noch lange vor sich hin.

Am späten Nachmittag reicht es mir für heute. Ich habe keine Lust mehr auf weitere anstrengende Schotterfahrerei, in der wir nur im gefühltem Schneckentempo voran kommen. Ich sehe eine Finca neben der Straße, in deren Garten ein sympathisch aussehender Mann harkt. Wir fragen, ob wir hier heute nach zelten dürfen. Es ist kein Problem und sogleich macht uns Joaquín das hölzerne Tor auf. Des öfteren sehe er hier vollgepackte Radler vorbeifahren. Aber noch niemand habe gefragt, ob er hier schlafen dürfe, meint er.

Seit Jahren lebt er hier mit seiner Frau und den zwei Kindern, verwaltet und bewirtschaftet das Areal, auf welchem Wandertouren und Seminare zum Thema Aufforstung angeboten werden. Leider scheint die Finca nicht so gut zu laufen und bereits bessere Jahre gesehen zu haben. Die Seminarräume stehen voller Sperrmüll und sind dreckig. Die Zimmer, die einst an Gäste vermietet wurden, werden nun von seiner Familie genutzt. In einem davon betreibt seine Frau einen Kindergarten. Die Finca steht zum Verkauf.

Joaquín erzählt uns viel von seinen beiden Kindern Catarina (10) und Piri (16). Außerdem berichtet uns Joaquín von einem für ihn traurigen Phänomen in dieser Gegend, das er nicht verstehen kann. Immer häufiger brechen Mädchen aufgrund von Schwangerschaften bereits mit 13 Jahren die Schule ab. Mit einem Mann zusammenleben und einen eigenen Haushalt sowie eine eigene Familie zu haben sei in diesem Alter ein großer Traum von Vielen. Meistens sind sie mit Kerlen um die 30 zusammen. Für diese Mädchen steht dann der Haushalt und das Kinderversorgen an erster Stelle. Bildung soll später irgendwann wieder erfolgen. Mit 18 Jahren hätten die meisten Mädels dann bereits drei Kinder und werden oft von ihrem Mann verlassen. Dann stünden sie da und müssten den ganzen Tag arbeiten, um sich und ihre Kinder über die Runden zu bringen. Prostitution sei eine häufige Folge in dieser Not. Joaquín meint, Bildung sei das Wichtigste überhaupt.

Joaquín erklärt, dass Hardy mit seinen 28 Jahren hier in Kolumbien gut mit 15 bereits ein Kind habe bekommen können. Wäre dies eine Tochter gewesen, wäre jene nun 13 und sehr wahrscheinlich bereits Mutter. Dann wäre Hardy nun ein Opa. Für uns kaum vorzustellen, scheint dies Realität zu sein.

Joaquíns Kinder sowie deren Mutter kommen etwas später nach Hause. Joaquíns Frau scheint von unserer Anwesenheit weniger begeistert zu sein und zieht sich nach einem kurzen smalltalk zurück. Die beiden Kinder erfreut es umso mehr.

Lange sitzen wir gemeinsam am Tisch unterm Pavillon und reden und reden. Piri, der Sohn, holt sein Geographiebuch raus, denn er will wissen, wo nochmal Deutschland liege. Dann fragen uns die beiden Kinder nach der deutschen Übersetzung von vielen Wörten wie Haus, Tisch, Eimer oder Besen. Wir schreiben sie zusammen auf.

Als Joaquín sich verabschiedet, um Fußball zu gucken, erfahren wir von Piri, dass es da noch ein Kind in der Familie gibt. Seine 13-jährige Schwester habe sich in den ehemaligen 31-jährigen Gärtner der Finca verguckt, der schon lange hinter ihr her war. Die Eltern sind strikt gegen diese Verbindung. Die Schwester ist ausgezogen, um mit diesem Mann zusammenzuleben. Der Kontakt zu ihr sei fast abgerissen. Nun wissen wir vielleicht, warum Joaquín uns vorhin so emotional betroffen von der ganzen Problematik berichtet hatte.

Irgendwann sind wir so müde, dass wir die interessante und lustige Konversation mit den beiden Kindern abbrechen und zum Zelt trotten. Natürlich auf Schritt und Tritt von den Beiden begleitet. Sie sind sehr am Zelt und an allem was wir so tun interessiert (gar nicht so leicht sie los zu werden…).

Wir liegen unter den Sommerschlafsäcken, denn immer noch ist es recht warm und lassen den Tag Revue passieren. Von unseren für heute Abend vorgenommenen Aufgaben haben wir nichts geschafft. Dafür hatten wir tolle Gespräche und haben eine Menge über Kolumbien gelernt – an unserem ersten Tag in Südamerika!

San Juan de Urubá

Nach einem deftigen Frühstück, das uns Joaquín extra zubereitet, geht’s weiter auf feinstem Schotter. Schon bald sind wir eingestaubt.

Bald sind wir im Ort Necoclí. Das ist unser erstes kolumbianisches Nest nach Turbo, für Hardy sehr spannend. Obst uns Gemüse ist billig. Für Käse muss man zum Fleischer. Brot ist relativ teuer. Wir kaufen es trotzdem, denn jetzt liegen fast 30km Schotterpiste vor uns. Die machen uns bestimmt hungrig.

Als wir eine Pause machen, um eine kalte Brause zu zischen, kommen wieder zwei Reiseradler vorbei. Obwohl Hardy laut ruft, schauen sie nicht von ihren sturer auf den Boden gerichteten Blicken auf. Komisch, was ist denn hier nur mit den Reiseradlern los?

Vielleicht sind sie von dem Befahren einer langen Baustelle gestresst gewesen, denn aus dieser Richtung kommen sie. Die Piste ist eng, schlecht passen zwei Autos aneinander vorbei. Zudem ist der Schlamm-Schotter vom Regen aufgeweicht und total matschig. Ein paar LKWs haben sich festgefahren. Der Verkehr versucht sich an ihnen vorbeizuschlängeln. Ein langer Stau hat sich gebildet. Ein paar Polizisten versuchen das Verkehrswirrwarr zu entknoten. Wir schlängeln und mal links, mal rechts vorsichtig durch die Lücken und kommen mit ein paar Schiebeeinlagen durch den Matsch hindurch. Yuppie! Für eine lange Zeit haben wir die ganze Straße für uns allein. Ein paar Mal geht es noch runter und anstrengend durch den Schotter hinauf, bis wir endlich den nagelneuen Asphalt in Mulatos erreichen. Unser Jubelschrei bringt den uns entgegenlaufenden jungen Mann zum Lachen.

Wir merken, dass wir erschöpft sind und wollen nur noch schnell die fehlenden 20km bis nach San Juan de Urubá abstrampeln. Der Po tut weh und die Beine sind müde, als wir endlich ankommen. In der Bruchbude des Nebengebäudes der Kirche am großen Platz des Ortes dürfen wir schlafen. Wir haben zwei Räume für uns. Wasser gibt es aus einer Zisterne im Hof. An einem großen Baum hängen Guaven, die dürfen wir Pflücken. Der Pfarrer und sein junger Gehilfe sind sehr nett. Zusammen werfen wir einen Blick auf die Kolumbienkarte. Sie schwärmen von der sogenannten Kaffeeregion, aus der sie kommen, berichten von der Freundlichkeit der Menschen in diesem Land, warnen uns aber gleichzeitig vor Kriminalität und Gefahren.

Hardy putzt die völlig verschlammten Bikes und ich koche. Heute gibt es Reis mit Linsen und einer Tomaten-Käse-Sauce. Im Moskitonetz aus Schutz vor den Mücken liegend empfangen wir sogar ein wifi-Signal vom Platz. So einen Luxus hätte ich in Südamerika nicht erwartet.

Cereté

Obwohl der Asphalt löchrig ist und immer wieder ganze Abschnitte fehlen und mit schlechtem Schotter oder Matsch belegt sind, machen wir Strecke. Neben zwei Hügelketten dominiert heute Weideland das Bild. Kühe und Wasserbüffel stehen gelangweilt im Schatten der Bäume oder in den kleinen Seen. Das Thermometer klettert auf 42 Grad.

Heute ist uns vor allen Dingen die Radfahrkultur in Kolumbien aufgefallen. Ich weiß nicht wann wir zum letzten Mal einen Fahrradweg gesehen, bzw. befahren haben. Vielleicht in den USA? Ein schöner langer, zweispuriger Radweg präsentiert sich uns bei Montería. Wirklich viele Radfahrer sind unterwegs, vielmehr als wir je in Panama gesehen haben. Bikeshops gibt’s auch wieder.

Im größeren Cereté wollten wir schlafen. Ich bin heute dran und fragte erst in der Kirche, aber der Pfarrer ist nicht da. Auch die bomberos wollen nicht so richtig und senden uns an ein städtisches Gebäude gleich gegenüber. Hier nimmt sich schließlich die nette Bibliothekarin unseres Falles an an. Sie läuft zur Chefin und kommt später mit einem OK zurück. Nur müssen wir einen Zettel schreiben mit unseren Daten und ganz wichtig, den Telefonnummern unserer Eltern. Nur für den Fall, dass wir plötzlich sterben oder sonst was heute Nacht mit uns im abgeschlossenen Gebäude passieren sollte.

Wieder erwarten passiert nichts und nach einer Fotosession mit den neugierigen, kichernden Putzfrauen am Morgen düsen wir los.

Tolu

Wir fahren an Maisfeldern und nicht aufhörendem Weideland für die vielen Rinder vorbei. Alte Männer reiten auf zerbrechlich aussehenden Eseln im Straßengraben. An den Tieren baumeln dicke metallene Milchkannen hin und her.

Eine chronische Müdigkeit macht sich bei uns den ganzen Tag bemerkbar. Wahrscheinlich liegt es an dem dauernden Powern seit Panama City.

Wir beschließen heute nicht mehr weit zu fahren und uns ein Hotel zu nehmen. Tolu ist nah, am Strand gelegen und soll nen‘ Touriort sein. Das wollen wir. Da wird es doch wohl ein nettes Hotel geben.

Fix ist es gefunden und der Gepäckberg hoch ins Zimmer gewuchtet. Wir ziehen uns die Badesachen an und springen ins Meer. Schön warm ist es, wie Badewanne. Lange lassen wir uns in den seichten Wellen hin und her schaukeln.

An der Promenade reiht sich ein Hotel ans andere. Wir spazieren hier gemütlich entlang an Souvenirständen hoch zum Supermarkt. Danach wird nur noch unterm Ventilator gefaulenzt.

Cartagena

In Cartagena wollen wir endlich eine kleine Pause einlegen. Wir dürfen bei Marthas Familie wohnen. Martha ist mit Jan verheiratet und sie haben zusammen ein Kind. Jan wiederum ist mit Hardys Vater lange Zeit von Indonesien in Richtung Venedig auf einer chinesischen Djunke gesegelt. Martha lebt mit ihrer kleinen, sehr niedlichen Tochter Sophie und ihrem Bruder bei ihren Eltern. Überall im Haus laufen Ventilatoren, denn es ist super schwül und heiß. Wir bekommen ein eigenes Zimmer mit Klimaanlage und sind glücklich. Die Familie ist sehr herzlich. Viel erfahren wir bei den langen Gesprächen über Kolumbien. Nicht ohne Stolz in der Stimme wird uns berichtet, dass Kolumbien das einzige Land auf der Welt sei, in dem Coca Cola nicht Marktführer im Sektor der Erfrischungsgetränke wäre. Es gäbe diverse Brausen, die im eigenen Land hergestellt werden. Eine große Firma ist postobón, die Brausen mit Apfel-, Ananas, Erdbeer- oder Traubengeschmack herstellt. Sogleich geht Marthas Vater los und kommt mit einer colombiana in einer großen 1,5l Glasflasche wieder. Die columbiana hat einen nicht ganz so süßen Geschmack und ist sehr erfrischend.


Wir werden bekocht und nach Strich und Faden verwöhnt. Morgens, mittags und abends steht die Mutter in der Küche am Brutzeln – und morgens, mittags und abends gibt es irgendetwas mit Fleisch … zu meiner persönlichen großen Freude, hatte ich doch gerade beschlossen zu meinem Vegetarierdasein zurückkehren zu wollen. Aber nein sagen kann ich ja schlecht. Und so haben wir innerhalb weniger Tage soviel „Fleischatome“ intus, wie wir sie in den vergangenen Monaten nicht abbekommen haben.
So bereitet beispielsweise Álvaro, Marthas Bruder, einmal arepas con todo zu. Das sind Taschen aus Maismehl, Arepas, in die ganze fünf verschiedene Sorten Fleisch mit verschiedenen Soßen und wenig Gemüse gestopft werden. Lecker und füllend.

Martha möchte uns die Stadt zeigen. So fahren wir mit ihrem Vater und der kleinen Sophie auf den Berg über der Stadt, um ein Kloster anzusehen. Wir haben einen tollen rundum Blick und sind erstaunt ob der großen Ausdehnung Cartagenas. Die Straßen unter uns sehen nun auch aus wie ein ungeplantes Wirrwarr. Dies fühlt man erst recht, bewegt man sie durch sie im dichten Verkehr hindurch.

Abends spazieren wir mit Martha durch die wunderschön renovierte Altstadt, die Perle Cartagenas. Bunte Häuser reihen sich aneinander. Restaurants, Hostels, teure Hotels und Boutiquen geben sich die Klinke in die Hand. Dazwischen befinden sich wunderschöne alte Kirchen und Plätze mit Brunnen und alten Bäumen. Das Viertel wird umringt von der alten, immens dicken Stadtmauer.

Das Cartagena eine passende Kulisse für Hochzeiten ist, erleben wir gleich zwei Mal. Wahnsinnig aufgedresst in den farbenfrohsten, schickesten Kleidern eifern die weiblichen Gäste mit der Braut im weißen Kleid mit Rüschen und haste nicht gesehen um Aufmerksamkeit. Stilecht tragen die Männer hier gegen die Hitze schlichte, feine, weiße Leinenanzüge.

Eine kulinarische Spezialität will uns Martha zeigen, so lädt sie uns zum Fruchtsalat ein. Jener wird hier mit Eis, Haferflocken und Kondensmilch serviert. Darüber kommt eine Schicht Käse gestreut. Hört sich schauerlich an – schmeckt dann aber doch erstaunlich gut!

Wie all ihre Gäste schleppt Martha uns zum Vulkan de lodo el Totumo, einem Schlammvulkan nahe der Stadt. In Badesachen erklimmen Hardy und ich den steilen, kleinen Krater, an dem eine schiefe, wackelige Holzleiter hinaufführt. Im Schlammloch hängen bereits so um die 12 Personen ab, oder sind es Schlammmonstern? So genau erkennen können wir das nicht. Sogleich wagen auch wir uns in die graue Masse zu den Anderen in die Sardinenbüchse hinein.

Das ist eine Erfahrung, der Hammer!!! Der Schlamm ist warm und wahnsinnig zähflüssig. Es gibt einen großen Auftrieb, so dass es sehr schwierig ist in ihm unterzugehen oder auch nur unsere Beine nach unten zu bekommen. Wir können im Schneidersitz sitzen oder auf dem Bauch oder Rücken herumhängen und gehen nicht unter. Ein Vorwärtskommen funktioniert nur unter großen Anstrengungen in Zeitlupe. Fasziniert probieren wir alles aus, für uns eine völlig neue Welt.

Unangenehm empfinden wir beide die aufdringlichen Masseure in der Grube, die einen sofort zu sich heranziehen und massieren wollen. Mit einem Grinsen im Gesicht werden Mann und Frau sogleich betatscht. Erst nach mehrmaligem vehementem „No!“ lassen sie von einem ab und suchen nach einem neuen Opfer.

Wir fühlen uns sehr wohl in dieser warmen Masse und schauen uns um. Einige Erwachsene machen sich einen Spaß daraus ihre Kinder jeglichem Alters in den Schlamm zu zerren oder zu werfen. Diese haben Panik und schreien laut, was die Eltern nur noch mehr zum Lachen bringt.

Beim Aussteigen auf einer kleinen Plattform werden wir von einem anderen Angestellten abgeschlammt. Die wackelige Treppe hinab soll so weniger rutschig werden. Wir sehen aus wie zwei Schlammmonster, als wir unten bei Martha ankommen.

In der nahen Lagune warten schon Frauen, um uns beim Waschen behilflich zu sein. Sie werden wir schnell los. Sogleich stürzen sie sich auf verschlammt ankommende Kinder, die Eltern dürfen dann blechen. Wir waschen uns im lauwarmen Wasser ab. Der Schlamm hat es überall hin geschafft. In den Ohren ist es besonders schwer in heraus zu bekommen. Das war gigantisch! Wir fühlen uns wie nach einer Kur und sind sehr müde.

An unserem letzten Abend bei Marthas Familie gehen wir Essen. Ihre Tante und ihr Onkel sind zu Besuch. Wir landen in einem kleinen Fastfoodrestaurant gleich um die Ecke. Fastfood wird in Kolumbien ganz groß geschrieben und andauernd vertilgt. Meist ist es schwer und fettig. Ich freue mich, denn seit Tagen bietet mir sich nun die Möglichkeit etwas ohne Fleisch zu essen (ich hoffe, Marthas Mutter nimmt mir dies nicht übel).

Es war eine herzliche, schöne und sehr intensive Woche, die wir in Cartagena verbracht haben. Wir haben uns super erholt, jede Menge gelernt und sind bestimmt auch etwas dicker geworden. Uns zieht es jedoch weiter wieder unsere eigenen Wege zu gehen. Mit einer Familie zusammenzuleben ist sehr schön, intensiv und toll, aber auch anstrengend.

Nach einer langen Verabschiedungszeremonie und einem klatschenden Beifall von Marthas Familie sowie diverser Nachbarn schwingen wir uns also eines Morgens wieder auf die Sättel und stürzen uns durch den morgendlichen Berufsverkehr in Richtung Santa Marta.

Santa Marta

In nur einer Stunde haben wir das Straßengewirr der Großstadt hinter uns gelassen und rasen auf dem breiten Seitenstreifen der modernen carretera dahin. Es ist natürlich heiß, aber der Fahrtwind kühlt uns.

Die 240km bis nach Santa Marta schaffen wir in nur zwei Tagen, so ausgeruht sind wir. Die Straße ist gut, es ist nur leicht hügelig und die Landschaft ist eher öde bis auf einen Abschnitt.

Auf guten 50km radeln wir auf einem schmalen Damm. Zu rechter Hand sehen wir Flüsse und Seenketten, die mit Mangroven durchsetzt sind. Teilweise ist es auch wüstenartig. Trockene Flächen mit zerklüfteter Erde bilden kleine Lichtungen auf denen Kakteen wachsen. Zu linker Hand kommt das Meer fast bis an die Straße heran. Nur ein schmaler, weiße Sandstrand trennt uns vom nass. Fantastische Farbkontraste aus strahlendem blau, weißem Sand, rötlicher Erde und grünen Mangroven leuchten uns im krassen Sonnenschein entgegen.

Kurz danach befindet sich zu beiden Seiten des Dammes eine krasse Armensiedlung. Häuser, zusammengeflickt aus Brettern und Planen, stehen trostlos im und am Wasser. Kinder kommen herbei und wollen uns eine kleine Katze verkaufen. Dieses Bild der Armut nimmt mich ganz schön mit.

In Santa Marta kehren wir in der casa de ciclistas ein, unserer ersten. Ähnlich wie beim Netzwerk warmshowers bieten hier Privatpersonen für Reiseradler einen Platz zum Übernachten an. Wir wohnen bei Miguel. Er ist Rechtsanwalt, vermietet Fahrräder und organisiert Touren. Er lebt mit drei anderen jungen Leuten in einer WG in einem großen Haus. Das Haus ist schön, nur leider recht rumpelig. Die Küche scheint gar nicht benutzt zu werden, dem entsprechend sieht sie aus. Es gibt auch keinen Herd. Wenn sie kochen, schmeißen sie den Grill im Hof an. Wir bekommen ein Zimmer, ohne Möbel und ohne Licht.

Leider werde ich sogleich krank. Ich habe mir wahrscheinlich den Magen verdorben. Hier an der Küste ist das Leitungswasser von sehr schlechter Qualität. Allein schon das Abwaschen von Obst und deren anschließender Verzehr kann zu Problemen führen. Ich liege mit Übelkeit und Fieber flach unterm Moskitonetz neben dem kleinen Ventilator im heißen, stickigen Raum.

Hardy schaut sich allein die Stadt an. Er findet sie authentischer, als die eher künstliche Altstadt Cartagenas. Auf den Plätzen hier spielt sich wirkliches Leben ab. Alte sowie junge Leute sitzen auf den Bänken und trinken schwatzend einen tinto. Die Straßen sind von Läden und Menschenmassen gefüllt.

Der Strand ist gut besucht. Viele Menschen sind im Wasser oder auf dem schmalen Sandstreifen. Der Strand hier ist alles andere als schön, eher interessant. Rechts wird er von einer immens großen Hafenanlage eingeengt. Riesige Kräne verladen Container auf noch größere Frachtschiffe und links ist der dagegen klein wirkende Sporthafen angelegt.

Als ich wieder fit bin, beschließen wir sogleich weiterzufahren. Wir fühlen uns in dem Haus nicht wohl und werden auch mit Miguel nicht warm. Zudem lässt uns die trockene Hitze verrückt werden. Wir wollen dieser endlich, endlich entfliehen und nehmen Kurs auf den Beginn der Anden in Richtung Süden.

Fotos zu diesem Artikel findet Ihr in der Galerie.

Posted in Kolumbien

Umfahrung des Darién Gaps (September 2012 / Panama-Kolumbien)

Problem“ Darién Gap

Das Darién Gap, el Tapón de Darién oder auch das Darién-Hindernis liegt nun zum Greifen nah. Zwischen Nord- und Südamerika gibt es keine durchgängige Straßenverbindung. Diese Lücke von „nur“ 110km in der Panamericana hat uns bereits seit Wochen Kopfschmerzen bereitet.

Pläne für einen komplettierenden Straßenbau im Dschungelgebiet gibt es, jedoch wurden jene bisher aus den folgenden Gründen nicht fertig gestellt.

Aufgrund der vielen Sümpfe und Flüsse würde dieses Projekt einen hohen finanziellen Aufwand nach sich ziehen.

Zudem sprechen Umweltgründe dagegen. Die Abholzung des Regenwaldes könnte sodann wesentlich leichter und schneller voranschreiten. Bevölkerungszuzug und eine wirtschaftliche Entwicklung würden rasant zunehmen. Die im Dschungel lebenden Kuna- und Chocó-Indianer lehnen die Konstruktion rigoros ab, da sie befürchten jene könnte ihre traditionelle Lebensweise gefährden.

Außerdem könnte die ausgerottete Maul-und Klauenseuche durch stattfindende Viehtransporte wieder nach Nord- und Mittelamerika gelangen.

Auf kolumbianischer Seite des Urwalds sind Guerillagruppen der ELN und FARC aktiv. Und letzteren Grund hören wir häufig als das ausschlaggebende Argument, warum ein Straßenbau sowie eine Durchradlung, bzw. Durchwanderung des Gebietes strikt verboten und unmöglich sei.

Unser Radelfreund Salva hat es dennoch vor zwei Monaten versucht. Mit Hilfe diverser Genehmigungen kommt er sogar bis nach Yaviza, dem Ende der Panamericana auf panamaischer Seite. Dort wird alles vom Militär kontrolliert. So auch er. Ein jegliches Weiterkommen wird ihm strikt verwehrt.

Was tun?

Es gibt zwei Möglichkeiten den Dschungel zu umfahren: per Luft- oder Seeweg.

Ein Flug sowie den von Vielen genutzten Segeltörn auf einer privaten Yacht mit Zwischenaufenthalt auf den Kuna-Inseln, Schnorcheln und Relaxen scheiden für uns aus. Jene fordern horrende Preise, die für uns beide und die beiden Bikes schnell mal bei 1000$ landen könnten. Solch eine Summe sind wir einfach nicht bereit zu blechen, wo wir doch „nur“ das fehlende Stück Strasse bewältigen wollen.

Als Low-budget-Varianten stellen sich eine tagelange Mitfahrt auf einem kleinen Frachtschiff nach Kolumbien dar oder die Variante mit verschiedenen lanchas, also kleinen Schnellbooten, entlang der Küste zu brausen. 

Theoretisch ist natürlich auch eine Umfahrung auf der Pazifikseite möglich, nur lassen sich dazu sehr wenige Informationen finden. Aktuelles aus diesem Jahr, aber in umgekehrter Richtung, gibt es bei http://twoblindtoride.org nachzulesen.

Erwähnen möchten wir noch die eventuell in ferner Zukunft mal operierende Fähre zwischen Colón (Panama) und Cartagena (Kolumbien). Zum Zeitpunkt unserer Recherche ist diese Option erstens noch nicht verfügbar und zweitens kann auch niemand mit Sicherheit sagen wann.

Aufgrund unserer Recherche, die relativ wenige konkrete, nützliche Informationen zu Tage brachte, wollen wir an dieser Stelle für künftige Radler einen detaillierten Bericht mit genauen Kostenangaben liefern.

1. Tag: Panama Stadt bis Chepos

Regen begleitet uns bis zum Nachmittag, als wir uns durch den ätzenden Stadtverkehr voranarbeiten. Es dauert ewig, bis wir die Stadtgrenzen erreicht haben. Zwei Stunden verbringen wir unter dem Vordach eines schicken Autohauses, aber der Regen hört nicht auf. Dann entscheiden wir uns trotzdem weiter zu fahren, scheiß drauf. Es gibt keinen Seitenstreifen, der Verkehr ist dicht.

Nach 60 km kommen wir in Chepos an und finden eine nagelneue Feuerwehrstation vor. Wir dürfen bleiben, werden jedoch zur alten Wache begleitet. Alles ist eng, schief und uralt. Viele Feuerwehrautoleichen stehen herum. Da können wir den Neubau verstehen. Es soll die modernste Wache ganz Panamas sein, wird uns stolz erzählt. Die Männer sind sehr nett. Wir dürfen die Küche nutzen. Wir können im dormitory schlafen, ich ziehe doch den Zeltaufbau auf der Terrasse mit Ausblick vor. Sehr mückig ist es hier. Ein extra Bonbon gibt es aber. Uns wird per Verlängerungsschnur Strom gebracht und wir haben wifi im Zelt!

2. Tag: Chepos bis Cartí

Früh morgens um sechs bei der Bank wollen wir Geld abholen, inklusive Notpuffer, falls wir auf einer der Inseln festsitzen sollten, will ich 800$ abholen. Scheint auch zu klappen. Jedoch zähle ich das Geld aufgrund der vielen wartenden Menschen nicht nach. Das rächt sich einige Stunden später. Anscheinend ist die maximal Summe der Abhebung 500$. So ein Mist! Ich ärgere mich sehr über meine Naivität und Bloedheit. Nun muss die Summe ausreichen, ändern können wir nichts mehr. Der nächste Geldautomat befindet sich in Turbo in Kolumbien.

Auf den ersten 20km rollt es super dahin. In der kleinen Siedlung El Llano, die nur aus tristen Reihenhäusern besteht, kaufen wir schnell noch ein Toastbrot ein. Mehr gibt es hier nicht.

Wir biegen wir nach Osten ab. Noch haben wir gut lachen, als wir das Straßenschild mit der Ankündigung steilster Steigungen sehen. Schnell rutscht mir ein „ach du scheiße!“ heraus. Ich weiß nicht, wie oft ich es an diesem Tag noch sagen werde.

Denn sogleich beginnt das, was uns die folgenden sieben Stunden beschäftigen wird: Super mega steile, lange Steigungen! Und ich dachte, wir hätten bereits in Guatemala die deftigen Abschnitte hinter uns gelassen. Es ist unglaublich, so etwas haben wir noch nicht gesehen, bzw. gefühlt!

Und so beginnt unsere Tagesodyssee: ein bisschen fahren, im kleinen Gang natürlich, dann absteigen und schieben. Haben wir einen Hügel erklommen, geht es im Affenzahn hinab, um möglichst viel Schwung auszunutzen. Jeder gerollte Zentimeter zählt! Leider befindet sich in so einigen Straßentälern grobkörniger Schotter, der kein Rasen zulässt und unsere Schieberei ziemlich erschwert.

Es ist so beschissen steil, dass wir große Mühen haben mit unserer gemeinsamen Muskelkraft im Schneckentempo auch nur ein Fahrrad hinaufzubuckeln. Das Herz rast, es pocht im Nacken. Der Schweiß tropft von den Ellenbögen hinab. Natürlich lässt sich die Hitze heute nicht lumpen.

Bis nach Cartí sind es von der Kreuzung an schlappe 40km. Am Straßenrand begleiten uns die Kilometersteine. Die Zeit rennt voran, die Kilometer kriechen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir es heute nicht schaffen werden. Dichter Dschungel umgibt uns. Wir hören Tiergeschreie und bunte Vögel fliegen über unsere Köpfe. Es schon idyllisch hier. Leider fehlt uns beiden die Puste, um das richtig zu geniessen.

Bei Kilometerstein 19 befindet sich der Eingang zum Gebiet der Kuna-Indianer. Eine Swastika befindet sich auf ihrer Nationalflagge. Die Kunas nutzten bereits vor den Nazis dieses Symbol. Hier kommen wir 13.30h schon völlig fertig an. Am Schlagbaum muss Eintritt bezahlt werden. Das macht bei uns 1$ pro Rad(!) und 6$ pro Person. Die Kunas an der Schranke sind nett, sie zeigen uns Schildkröten im nahen Teich und helfen uns mit Trinkwasser aus. Die Auskunft, dass der anstrengendere Teil noch vor uns liegt, ist weniger erbauend. „Stopp, das will ich jetzt gar nicht hören“, sagt Hardy.

Weiter geht’s, gleiches Spiel wie zuvor. Es ist eine zermürbende Arbeit. Als mir etwa 10km vor Cartí Hardy von der Kuppel eines Hügels entgegenkommt und beim Hochschieben hilft, sagt er, oben habe er eine Überraschung für mich. Ich überlege was das denn sein könnte, denn die Steigungen werden wohl noch nicht aufhören. Oben befindet sich einfach so in der Natur ein Wasserhahn. Und der funktioniert auch noch! Hoch in den Himmel schießt die Fontäne. Toll, welch Erfrischung! Die Wasserflaschen werden noch einmal aufgefüllt. Es folgen noch vier weitere Wasserhähne, die Abkühlung bringen.

Die Piste, eine Schneise durch den Dschungel erlaubt bisher nur Grün vor unseren Augen. Auf einer Hügelkuppe tritt dann Weitblick ein. Das Meer und die davor liegenden San Blas Inselchen sind auszumachen.

Und dann sind es endlich nur noch 6km, nur noch vier, nur noch zwei. Langsam nimmt es an nach Leben in Form von Hütten auszusehen. Wir passieren eine Polizeikontrolle und müssen unsere Pässe vorzeigen. Der Polizist ist nett und gibt uns die wenige Auskunft, die er hat, über unsere weiteren Reisemöglichkeiten. Wir sollen am Hafen fragen.

Die asphaltierte Straße endet in einem aus schiefen Betonplatten bestehenden Weg. Es ist das Rollfeld des ehemaligen Flughafens. Jenes führt uns bis an den Strand. Wir haben es geschafft! Um 17h kommen wir an, nach insgesamt 60km in geschlagenen 11 Stunden. Weiter hätten wir auch nicht gekönnt, denn mein Hinterreifen ist völlig platt. Flicken verschieben wir auf später, dazu fehlt jegliche Energie.

Das ist also Carti, als Punkt mit Namen dran in unserer Karte eingezeichnet. Es gibt drei Stege, ein Restaurant, ein Klohäuschen und eine Ticketverkaufsstelle. Die Bezeichnung Hafen ist meiner Ansicht nach ganz schön hoch gegriffen.

Auf den Bänken in der Ticketverkaufsstelle lümmeln ein paar Leute herum. Einer von ihnen scheint der Chef zu sein. Wir erkundigen uns nach Preisen sowie Möglichkeiten nach Kolumbien zu kommen. Unsere Freunde Martin und Salva hatten genau diesen Trip vor einigen Wochen unternommen und uns von ihren Erfahrungen berichtet. So haben wir etwaige Preisvorstellungen im Hinterkopf.

Die uns hier genannten Preise scheinen mal eben verdoppelt worden zu sein. Die eher unsympathischen Typen versuchen uns auch zu überreden jetzt gleich mit dem letzten Boot rüber auf die Hauptinsel Cartí Subdok zu kommen, da man anscheinend nur von da nach weiteren Booten recherchieren könne. Diese nicht mal zehnminütige Überfahrt soll uns insgesamt 20$ kosten. Wir wissen, dass es pro Kuna 1$ sind und Martin für 5$ rüber gefahren ist. Geldgierige Geier! Wir lehnen ab und werden gegebenenfalls morgen früh übersetzen.

Drüben auf der Insel können wir nicht wild zelten. Wir möchten Übernachtungskosten sparen. Hier auf dem bewachten Parkplatz geht zelten aber auch nicht. Erst wollen sie 20$ dafür haben, dann ist es verboten. Wir fühlen uns wie eine gefüllte Weihnachtsgans, die nur zu gern ausgenommen werden würde.

Am Wasserhahn füllen wir die Flaschen auf, pumpen meinen Reifen auf und fahren auf dem Rollfeld zurück, bis wir rechts abgebogen, auf einem kleinen Weg zum nächsten Steg gelangen. Die Nachtwächter sind nett, wir dürfen hier kostenlos schlafen. Es ist bereits dunkel. Zackzack wird das Camp aufgeschlagen und geduscht, bevor uns die Mücken auffressen.

3. Tag: Cartí bis Capurganá (Kolumbien)

Pünktlich, kurz nach sechs, stehen wir am Steg unserer Nachtwächter bereit. Das Boot zur Insel soll gleich kommen. Es lässt jedoch auf sich warten. Auch hier wollen sie nicht von ihren 20$ runtergehen.

Also radeln wir zum 1. Steg zurück. Wir können sie auf 15$ runterhandeln, es dauere aber wohl eine Stunde, bis die lancha hier sei. Häh? Der Steg ist doch voll von Booten! Hardy geht geradewegs zu ihnen und findet ein Boot für 8$. Alles wird eingeladen. Wir fahren gerade los, als uns ein Schnellboot entgegenkommt. Es ist Moyo, der Kapitän, der lancha rápida, der uns bis nach Kolumbien bringen wird. Er hat bereits von uns gehört. Die Preise werden schnell gesagt: 100$ bis nach Puerto Obaldía, dem letzten Hafen in Panama oder 115$ bis nach Capurganá in Kolumbien. Um 9 Uhr will er ablegen. Um 13 Uhr sollen wir bereits in Puerto Obaldía sein. Wir sind einverstanden und fahren wieder zum Festland zurück. Die 8$ geben wir den Jungs trotzdem.

Die Überfahrt nach Kolumbien steht also fest: Erst geht es nach Puerto Obaldía, um auf dem letzten panamesischem Zipfelchen auszuchecken. Danach werden wir weiter bis nach Capurganá, dem ersten Ort in Kolumbien fahren, um dort den Einreisestempel zu bekommen und dort zu übernachten. Von dort werden wir mit der regelmässigen „Fähre“ nach Turbo und damit dem Beginn des kolumbianischen Strassennetzes gelangen.

Nun bekommen wir eine Idee davon, warum man in uns einen Berg Dollarnoten sieht. Immer mehr Jeeps kommen angefahren, aus denen recht wohlhabende Leute aussteigen, die schwer bepackt voller Urlaubsgepäck auf den San Blas Inseln ihre freien Tage verbringen werden. Das Geld sitzt locker, fröhlich wird im flotten Hemd oder buntem Kleidchen, den Sonnenschirm in der Hand und das Hündchen an der Leine über die kommenden Tage geplaudert.

Die Wartezeit verbringen wir mit dem Verpacken der Räder und des Gepäcks. Lenker werden quer gestellt und Pedalen abgebaut. Vorder- und Hinterräder sowie der Antrieb werden in große Mülltüten verpackt und mit Fischhaltefolie umwickelt. Die Radtaschen landen ebenso in Tüten.

Als wir mit Hilfe des Angestellten das Gepäck im Boot verstauen, will Moyo Geld für Räder und Gepäck haben. Er veranschlagt 60$. Hardy verhandelt und einigt sich mit ihm auf einen Gesamtpreis von 270$ bis nach Capurganá. Unsere Verhandlungsposition ist heute schlecht, da sich Moyo seines Gewinns sicher sein kann. Neben uns warten etliche weitere Menschen auf die Mitfahrt.

So haben wir Glück, dass Moyo heute fährt, aber auch Pech, da das Boot voll wird. Neben uns zähle ich 18 weitere Passagiere, die sich zu uns quetschen. Die Bänke sind harte Holzbretter. Es gibt immerhin alte Schwimmwesten.

Los geht’s, auf zur großen Fahrt! Erstmal gießt es in Strömen, als wir einen Halt und weitere Passagiere auf der Insel Cartí Subdog einladen. Gegen meine Seekrankheit schmeiße ich Tabletten ein, die mich total müde machen.

Auf unseren Gepäckbergen landen weitere Rucksäcke, Pakete und Plastiktüten. Die Fahrräder stehen, aber wackelig. Bis alles passt, packt Moyos Handlanger noch einige Male um. Zum Schluss setzt er sich auf den ganzen Berg. Hoffentlich geht bei uns nichts kaputt, denken wir, um unseren Kram bangend.

Moyo, welcher sich als übellauniger Kapitän herausstellt, der alle um sich herum von oben herab behandelt, gibt Gas. Die Sonne brutzelt inzwischen unermüdlich vom Himmel. Das kleine Boot düst nur so über die ob ruhige See, doch recht hohen Wellen. Es springt über die Wellenspitzen und kracht hart in die Wellentäler. Das Aufschlagen geht durch und durch, bis in die Wirbelsäule.

Wir steuern eine Kuna-Insel nach der anderen an. Auf den überbevölkerten, kleinen Inseln Iiegt Müll herum. Es gibt Häuser aus Brettern. Klohäuschen stehen auf Stelzen über dem Meer.

Das viele Anlegen hat zur Folge, dass sich unsere Fahrt um zwei Stunden verlängert. Zwischendurch wird voll getankt. Das Benzin müssen die Passagiere mit ihrem Fahrpreis bezahlen. Als erstes sind Hardy und ich dran. Sehr angenehm, wie abfällig uns Moyo behandelt. Mit mir redet er erst gar nicht. Hardy weigert sich blindlinks zu gehorchen und zahlt erstmal nur die Hälfte des Gesamtpreises. Den Rest bekommt Moyo bei Ankunft.

So vergeht der Tag auf dem Meer. Natürlich, so wie es ein muss, streikt dann auch mal einer der beiden Motoren genau dann, als wir uns recht weit vom Festland entfernt haben. Anstatt lautem Getöse macht er nur ein müdes brbbrb, als Moyo ihn unermüdlich zu starten versucht. Wir treiben bestimmt eine Viertelstunde auf den Wellen hin und her, bis der Motor wieder anspringt.

Puerto Obaldía ist ein kleiner, verschlafener Ort, mitten im Nirgendwo, indem die Hitze jegliche Zeit still stehen zu lassen scheint. Wir legen neben der Militärbasis an. Alles Gepäck muss raus, die Räder lassen wir einfach im Boot. Dann sollen wir mit dem Gepäck in die Militärbasis gehen. Wir weigern uns. Das Hin-und Hertragen ist einfach nur aberwitzig. Scheint okay zu sein. In der Militärbasis wird dann der Drogenhund aus seinem Zwinger geholt und das Gepäck unserer Mitreisenden inspiziert. Ich muss mir ein lautes Lachen schwer verkneifen, denn der Hund will spielen und beißt erst ins Bein des Offiziers und dann in die Taschen. Dann müssen wir unsere Pässe im Gebäude abgeben. Diese werden anscheinend gescheckt. Wir warten.

Später geht’s quer durch den Ort zur Migration. Diese ist leer. Nach mehrmaligem Rufen und Klopfen kommt ein Typ. Nachdem wir ihm erklärt haben, was wir wollen, sollen wir doch erst mal zum Internetcafé gehen und dort pro Person zwei Kopien von unseren Pässen machen. Zum Internetcafé, nochmal 1$ blechen und warten. Alles geht hier in Zeitlupe voran.

Zurück zur Migration, der Beamte wird wieder herbeigeklopft. Einen Pass nach dem anderen bearbeitet der verpennte Mann super langsam. Während des Prozesses vergisst er doch tatsächlich was er gerade tut und fragt sich laut, ob er gerade unsere Ein-oder Ausreise bearbeitet. Tja, stempeln und eine Unterschrift setzen kann ja so schwer sein. Mit welchem Boot wir hergekommen, wo wir ins Land eingereist sind und welche Berufe wir haben, interessiert ihn dann doch noch. Er fährt den Computer hoch, um zu überprüfen, ob gegen uns etwas vorläge. Panama, Ein- und Ausreise ist bei dir ja echt kompliziert!

Gegen 16h wieder am Boot angekommen, ist der gute Moyo nun wirklich übellaunig drauf und befiehlt uns allen, vor allem uns Beiden, die Sachen wieder ins Boot zu räumen. Er hat wohl keine Lust mehr und will ankommen. Jedenfalls gibt er nun Gummi. Wir müssen uns krampfhaft festhalten, werden auf den harten Bänken hoch und runter geschleudert. Schrecklich! Unsere Knochen krachen und stauchen aufeinander. Die armen Räder. Zur Sicherheit wurden die zwischendurch mit einem Seil festgebunden. Die Fahrt geht eine geschlagene Stunde so. Vorbei düsen wir an gewaltig hoher Felsküste, über die panamesisch-kolumbianische Grenze auf nach Capurganá.

Capurganá, wir sehen es schon von weitem. Ein malerisches kleines Fleckchen, ein Ort mit Sandstrand, der sich in die Berge hineinschmiegt. Er ist nur vom Seeweg zu erreichen.

Zum Glück, der Tag ist überstanden! Froh, endlich das Boot und vor allem Moyo los zu sein, hieven wir alles auf den Steg. Das ist unser erster Schritt in Kolumbien, in Südamerika!

Im Gegensatz zu den anderen Passagieren wollen die netten Jungs vom Militär unseren Kram nicht filzen. Ich lasse Hardy bei einem Paar aus Frankreich zurück und gehe auf Hotelsuche. Ein nettes, ruhiges Hotel gleich gegenüber der Migration ist schnell gefunden. Das Zimmer kostet uns 30.000 Pesos/18$. Hier gibt es keinen Strom, die Generatoren werden erst bei Dämmerung eingeschaltet. So haben wir noch Zeit, bis die Migration wieder aufmacht. Wir duschen und waschen das Salzwasser von den Rädern. Sie haben diese Tortur erstaunlich gut überstanden. Meine Gangschaltung sowie der Schutzbügel der Schaltung sind zwar verbogen, aber Hardy kann das zum Glück wieder richten. Auch das Netbook geht trotz der krassen Erschütterungen an.

Vom schlaftrunkenen Beamten in der Migration bekommen wir 90 Tage in den Pass gehauen. Bei mir vergisst er doch tatsächlich die Tage einzutragen. Wir geben ihm den Pass zurück. Eigentlich hätten wir ein Anrecht auf 180 Tage gehabt, erfahren wir später. Mist, diese Information ist uns bei der ganzen Vorbereitung rund um das Darién Gap durch die Lappen gegangen.

Heute schon sollen wir die Tickets für die folgende und letzte Bootsfahrt kaufen, da morgen früh der Schalter geschlossen ist. Pro Person gibt es nach Turbo einen Festpreis. Mit dem gerade hereinschauenden Kapitän einigen wir uns auf insgesamt 100$ für uns und die Räder. Langsam fühle ich mich wie ein Goldesel.

Wir kochen noch fix und schlafen fast beim Essen in den Hängematten ein. Was für ein anstrengender Tag!

4. Tag: Capurganá bis Turbo

Morgens wachen wir beide mit Rückenschmerzen auf, Spätfolgen der gestrigen Schüttlerei.

Früh stehen wir bereits auf dem Steg. Alles wird wieder so gut es geht in Frischhaltefolie und Plastesäcke verpackt. Es schüttet erst mal eine kräftige Husche. Der Kapitän kommt, man könnte jenen fast als freundlich bezeichnen. Einmal lässt er sich sogar dazu hinreißen einen Witz zu machen. Der Rest seiner Crew ist nett.

Dieses Boot ist größer, es gibt neue Schwimmwesten, gepolsterte Sitze und sogar ein Regen-bzw. Sonnendach.

Dann will der Kapitän noch Extrakohle für unser Gepäck. Wir sagen ihm, wir hätten doch bereits gestern einen Fixpreis bezahlt. „Ja“, sagt er, „für die Räder, aber nicht für’s Gepäck! Das muss noch abgewogen werden.“ Und Tatsache sehen wir, das jedes einzelne Gepäckstück der anderen Reisenden per Lastenwaage gewogen wird. Eine bestimmte Kiloanzahl ist frei und danach muss bezahlt werden. Wir weigern uns. Noch zweimal kommt der Kapitän an. Wir beharren darauf, das wir bereits bezahlt hätten und dass, reist man per Fahrrad, auch Gepäck dabei sei. „Das ist einfach so!“, meint Hardy. Als er sich dann ganz behilflich beim Fahrradeinladen macht und auch ohne Umschweife unsere Vorderräder ausbaut, sagt der Kapitän nichts mehr. Wir setzen uns durch.

Die zweistündige Fahrt ist recht angenehm. Wir halten das ein oder andere Mal an und tanken nach. Einmal kommt uns eine andere lancha entgegen. Die Crew hievt ein gigantisch großes Fass Benzin zu uns an Bord. Drüben sehen wir zwei andere Reiseräder und sogar einen Anhänger. Die zwei dazugehörigen Gesichter können wir jedoch nicht ausmachen.

Endlich sind wir da! Turbo heißt das Ende der Seestrecke. Nun sind wir wieder unsere eigenen Kapitäns und das fühlt sich gut an!

Turbo ist eine hektische, eher hässliche Stadt. Wir bauen die Räder zusammen und waschen nochmal den Antrieb mit Frischwasser ab. Dann geht’s zum Geldautomaten, Supermarkt, Internetcafé und in einen comedor. Zur Feier des Tages leisten wir uns ein Mittagsessen. Bei Suppe, einen großen Teller mit Fleisch, Reis und Kochbanane sowie einem Saft kommen wir so langsam in Südamerika, dem zweiten Kontinent unserer Reise an.

Fazit:

Die Umfahrung des Darién Gaps per lancha ist durchaus möglich und nicht so schlimm, wie wir erwartet haben. Die Bootsfahrten sind ätzend und man muss sich mit missmutigen Menschen auseinandersetzen, die einen ihre Hoheit über ihre Schiffe deutlich spüren lassen und versuchen soviel wie möglich für sich selbst herauszuschlagen.

Der bedeutend anstrengendste Abschnitt dieser Tage sind für mich die 40km der Steigungen nach Cartí gewesen. Natürlich muss man anmerken, dass wir bei dieser Art des Reisens sehr wenig bis gar nichts des wunderschönen San Blas Archipels mit seinen winzig kleinen, unbewohnten Inselchen mit Sandstrand und drei Palmen gesehen haben.

Am Ende haben wir Beide inklusive Fahrräder sowie Gepäck für das ganze Abenteuer insgesamt 411$ bezahlt. Wir haben von anderen Radlern gehört, die es etwas billiger hinbekommen haben, wir haben das nicht geschafft. Dafür sind wir nun in Kolumbien!!

Posted in Kolumbien, Panama

Von Paso Canoas bis nach Panama Stadt (Panama / September 2012)

Oh wie schön ist Panama“, bei der anstehenden Einreise in unser zehntes Land fällt mir sofort der Titel des bekannten Kinderbuches der langen Reise des kleinen Bären und kleinen Tigers von Janosch ein. Ich bin völlig verdutzt, denn Hardy kennt es nicht … da kommen immer noch Dinge zum Vorschein, die wir nicht voneinander wissen! Hoffentlich bleibt es auch in den folgenden 100 Jahren so … Wir werden in den nächsten Tagen herausfinden, ob Panama wirklich so schön ist.

Grenzübergang in Paso Canoas

Die Einreise in Panama im Grenzort Paso Canoas stellt sich erst einmal als kompliziert heraus. Über eine Stunde stehe ich in der drückenden Hitze in der langen Schlange an. Nichts bewegt sich, denn der Grenzbeamte scheint jedem Einreisenden ganz genau unter die Lupe zu nehmen. Erst wird der Pass geprüft. Dann will er ein Weiterflugticket von mir sehen. Das hatten wir natürlich im Vorfeld präpariert (E-Tickets sein Dank!). Irritiert hole ich dann auch noch meine Kreditkarte hervor, mit der ich anscheinend meiner Zahlungsfähigkeit darlege. Von anderen Reisenden hatte er sich ein Bündel Geldscheine zeigen lassen. Er will wissen, was ich beruflich mache und wo wir in Panama hin wollen. Dann wird auch noch ein Foto von mir geschossen. Hardy durchlebt genau das gleiche Prozedere, denn hier darf ich die Einreiseformalitäten nicht für ihn klären. Panama, so etwas hatten wir schon lange nicht mehr, die USA lassen grüßen.

Panamericana

Sogleich nach den Grenzanlagen schwingen wir uns auf die Sättel und rollen den breiten Seitenstreifen der Panamericana entlang. Hier ist sie eine supergut ausgebaute, vierspurige Schnellstraße. Es surrt. Die Kilometer purzeln. Das tut gut nach den letzten Erfahrungen auf grottig schlechtem Straßenbelag auf costarikanischer Seite. Noch die Tuchfühlung mit den LKWs gewohnt, ist hier erstaunlich wenig Verkehr unterwegs. Hah, so selten, wie die nen‘ Auto durch die Grenze lassen, keine Wunder!

In den folgenden Tagen verbringen wir Stunden auf manchmal vorhandenem und manchmal nicht existentem Seitenstreifen der Panamericana. Auspuffgase und Lärm beschallen uns während wir störrisch immer ‚gen Süden treten. Unsere MP3 Player werden in Dauerbetrieb genommen. Einen Hügel hinauf und wieder hinunter und wieder hinauf und so weiter. Wenn ich so geradeaus schaue, wirken Panamas Straßen auf mich wie ein langer Teppich, der in der Luft ausgeschüttelt wird und dessen wellenartige Wölbungen erstarrt wären. Eigentlich ganz schoen, wenn der nun heftige Verkehr nicht waere. Abends brummt uns der Kopf.

Abseits der Schnellstraße

Ich will nicht nur Autos und die Schneise, die für die Piste in den Urwald gehauen wurde von Panama sehen“, beschwert sich Hardy. So biegen wir, als die Möglichkeit sich endlich bietet, auf einer Nebenstraße Richtung Soná ab. Dies ist nicht so einfach, denn viele Straßen sind in diesem Land nicht vorhanden.

Jene Entscheidung hat anstrengende Abschnitte auf Schotter zur Folge. Die Piste befindet sich gerade im Bau. Sie belohnt uns dafür mit Ruhe sowie Einblicke in abseits liegende Dörfer. Wir sehen ärmliche Bretterhütten und Frauen in Trachten. In langen absolut nicht körperbetonten, weiten Kleidern in leuchtendem orange, hellblau oder dunkellila mit Verzierungen am Kragen und an den Ärmeln laufen die Frauen mit langen, geflochtenen Zöpfen herum. Auch heruntergekommene und von Schnaps gefüllte Trunkenbolde, die nicht mehr geradeaus gehen können und sich auf der Dorfstraße prügeln, begegnen wir. Die umfahren wir lieber im großen Bogen.

Wir können nun, seitdem wir uns bereits seit Guatemala in der Regenzeit befinden, dies auch felsenfest bestätigen. Es regnet jeden Tag. Der Niederschlag setzt zwischen 14 und 17 Uhr ein und ist meist sehr stark. Nur seine Länge kann variieren. Tiefe Wolken, oft in 3er-Lagen in weiß, grau und dunkelgraublau sowie ein leises Donnern läuten den Regen ein. Dann haben wir noch maximal 40 Minuten Zeit ein sicheres Plätzchen zu finden bis es wie auf Knopfdruck losprasselt. Irgendwie tut sich meistens, wenn auch sehr knapp, eine Lösung am Straßenrand nennen wir sie Schule, Überdach der Gemeinde oder Feuerwehrwache auf.

Nur einmal läuft es nicht ganz nach unserem Plan. An einer sehr schön aussehenden Stelle gleich neben einem gurgelndem Bach auf einer Kuhwiese südlich von Chiriquí finden wir eine versteckte Schlafmöglichkeit. Es grummelt bereits gewaltig laut über unseren Köpfen vor sich hin. Das Zelt steht heute in Rekordtempo. Alles wird rein geworfen. Nun wollen wir noch gemütlich im Fluss baden, aber dazu ist es zu spät, denn über uns entleert sich der Himmel. Schnell ziehen wir uns nackig aus und seifen uns ein. Duschen im Regen, das hatte ich auch noch nicht! Sogar das Haarewaschen funktioniert prima. Zum Auswaschen der Kernseife steigen wir dann doch in den Fluss. Dessen Wasser ist nun nicht mehr klar, sondern durch die aufgewirbelten Sedimente gräulich braun getrübt.

Als wir dann im Zelt sitzen und unsere Isomaten voll tropfen, müssen wir herzlich lachen. Die Wiese hat sich in eine reinste Schlammpartie verwandelt. Das Wasser rinnt neben und unterm Zeltboden entlang. Wir haben einen frischen, matschigen Kuhfladen im Vorzelt, dessen sehr angenehmer Geruch uns den ganzen Abend erfreut.

Kurz nach Santiago hat uns die Panamericana wieder. Auf dem Seitenstreifen geht es hoch und runter. Wie gehabt. Durch die ganzen Hügel kommen wir nicht recht voran. Es ist heiß. Der Schwerverkehr braust an uns vorbei.

Wir passieren die eher unspektakulären Städte Aguadulce und Penonomé. Letztere ist eine künstliche Stadt mitten im Nirgendwo, die auch gut in den Staaten platziert sein könnte. Subway und Mc Donald haben am Stadteingang große Werbeschilder platziert. In der Mall im riesen Supermarkt gehe ich einkaufen. Wifi gibt’s vor’m Mc Doof.

Santa Clara

Wir sind heute über 100km gefahren und wollen nicht weiter. So fragt Hardy im kleinen Ferienort Santa Clara gleich am Pazifik bei einem baptistischen Gemeindezentrum nach einem Platz für unser Zelt. Aber, oh Wunder, wir bekommen doch glatt eine ganze cabaña für vier Personen, mit drei Duschen und drei Klos, Wohnzimmer und Küche nur für uns allein! Einen Pool gibt es auch und einen privaten Strandzugang. Wir können es kaum glauben und freuen uns wie die Schneekönige! Aufgeregt laufen wir in unserem heutigen Domizil hin und her.

Schnell gehen wir runter zum weißen Strand, denn ein Gewitter naht. Bedrohlich tief schieben sich die dunkelblauen Wolkenmassen heran. Ne‘ klasse Stimmung! Nach einem kurzen Bad, eher einem Planschen, denn die Wellen sowie Strömung sind sehr stark, spazieren wir noch zum einzigen Hotel vor Ort. Hässlich ragt es hoch neben kleinen, schiefen Fischerhütten gerade in den Himmel empor.

El Valle

Im kleinen Ort Las Uvas machen wir eine scharfe Linkskurve und bieten in die Berge ab. El Valle, also das Tal, liegt im Krater eines ehemaligen Vulkans. Tolle Landschaft und Wanderungen locken, vor allem reizen uns die quadratischen Bäume, wie es im Reiseführer heißt. Die will sich Hardy unbedingt anschauen.

Sehr angenehm windet sich das Sträßchen sehr kurvenreich in die Höhe. Es begleitet uns eine grüne Landschaft. Manchmal passieren wir kleine Orte. Es ist still hier. Wir hören die Vögel zwitschern, anstatt das Brummen der Motoren. Nach einigen Kilometern kommen echt schweißtreibende, anstrengende, sehr steile Abschnitte hinzu. Wir keuchen und schwitzen und schleichen voran.

Hart erarbeitet, erreichen wir endlich nach 24km den höchsten Punkt und können ins Tal herabschauen. Dann geht’s, schnell rollend hinein. El Valle ist eine lang hingezogener, ruhiger Ort mit einem sehr angenehmen, sogar als kühl zu bezeichnendem, Klima. Es gibt kleine Läden, jede Menge Hotels und viele Villen mit großen Grundstücken.

Wir stellen unser Zelt unter dem Vordach des Hostels Casa de Juan auf, einer kramigen, heruntergekommenen Männerwirtschaft von Juan. Der lebt mit seinem Sohn, seiner hochschwangeren Freundin sowie mit drei Hunden im Hostel. Tür an Tür mit den Gästen, teilt sie sich Küche und Aufenthaltsraum mit ihnen.

Hardy freundet sich sogleich mit einem der Hunde an. Er schläft von nun an direkt neben unserem Zelt und will auch nicht von uns weichen, als wir eines Morgens zu unserer Wanderung aufbrechen. Anbrüllen und schubsen hilft nichts, der Hund setzt sich durch. Na‘ dann kommt er eben mit uns. Zu dritt bewandern wir nun die „Schlafende Indianerin“. Einen Berg, der von unten betrachtet wirklich wie eine liegende Frau ausschaut. Auf den Fuessen steigen wir auf, über den Kopf wieder hinab. Wir befinden uns auf einer tollen, kargen Wiesenlandschaft. Hoch weht das Gras im Winde, kleine Pfade schlängeln sich hindurch. Es weht ein angenehmes Lüftchen, die Sonne brutzelt bereits. Wir genießen die Weite. Unsere Blicke schweifen über angrenzende Berge hinweg und ins Tal hinab. Der Ort sieht ganz klein aus.

So toll, wie die Wanderung war, so eine Enttäuschung sind die berühmten quadratischen Bäume. Sie stehen auf dem Gelände eines Hotels. Das heißt Eintritt zahlen. Leider sind wir es bereits gewohnt, als Ausländer durchaus mal das doppelte zu zahlen. Hier wollen sie drei Dollar Eintritt haben. Das ist mir zu viel, zudem ist das Tor abgeschlossen. Ich gehe wieder zu den Rädern zurück, während sich Hardy am Hotel vorbei dreist über eine alte Brücke, durch die Büsche auf den Weg durchschlängelt. So gelangt er doch noch zu seinen Bäumen. Es sind Vertreter ihrer Art (Quararibea asterolepis), die eine besonders ausgepraegte im Profil quadratische Wuchsform des Stammes haben. Ihr Lebensraum befindet sich hier in Panama und in Costa Rica.

Panama Stadt

Wir treten kräftig in die Pedale, denn Panama Stadt steht an. Zuvor übernachten wir in La Chorrera. Es ist angenehmer am Morgen in eine Großstadt einzuradeln, als am Abend. Hier in La Chorrera haben wir Premiere. Wir fragen das erste Mal bei einer Feuerwehrwache, ob wir bleiben dürfen. Gar kein Problem! Sofort wird uns der kramige Aufenthaltsraum zur Verfügung gestellt, mit Bad und Dusche. Wir hören, dass hier des öfteren Radler übernachten. Kein Wunder, denn der Ort liegt auf der Panamericana und kurz vor der Hauptstadt. Alle kommen hier vorbei.

Die 30km von La Chorera bis zum Beginn der Stadtgrenzen ziehen sich hin wie Kaugummi. Es gibt meist keinen Seitenstreifen und der Verkehr ist heftig. Die Sonne burnt, wir sind genervt.

Dann endlich taucht die sagenhafte Puente de las Américas auf. Diese war lange Zeit die einzige nicht schwingende Brücke, die die Landmassen Nord- und Südamerikas über den Panamakanal hinweg verband. Zuvor wird es aufgrund einer Baustelle einspurig. Vorsichtig reihen wir uns in den zähflüssigen Verkehr ein. Nur in kurzen Blicken können wir links und rechts im Wasser die großen Schiffe ausmachen, die den Panamakanal passieren, denn der Verkehr benötigt jegliche Aufmerksamkeit. Die Brücke ist sehr schmal und in einem recht schlechten Zustand. Schlaglöcher geben sich die Klinke in die Hand. Irgendwann taucht ein Baustellenfahrzeug hinter uns auf, dass uns den nachrückenden Verkehr vom Leibe hält und uns bis zum Ende der langen Brücke eskortiert. Super nett! Leider können wir uns nicht einmal bedanken, denn so schnell wie es kam, ist es auch schon wieder weg.

Wir sind auf dem Weg in den Bezirk El Cangrejo. Dort wohnt unser couchsurfing-host Alejandro. Im Gewirr der sich in verschiedenen Ebenen überlappenden Stadtschnellstraßen verfahren wir uns erst einmal. Kein Wunder, denn dauernd gibt es Einbahnstraßen und das Chaos ist für uns recht undurchsichtig. Dies stellt sich jedoch als ganz positiv heraus, denn ohne es zu beabsichtigen landen wir an der Promenade.

Hier gibt es einen parkähnlichen Grünstreifen und sogar einen Radweg! Erinnerungen an Vancouver werden wach, als wir langsam auf die gläserne Front der Hochhäuser des Bankenviertels zurollen. Es ist morgens um zehn, Zeit für ein zweites Frühstück unter einem Baum im Schatten. Wir schlagen uns die Bäuche voll und lassen die Großstadt auf uns wirken.

Alejandro wohnt in eben diesem Banken-, Hotel- und Casinoviertel in einem eher klein wirkendem Hochhaus. Zur Zeit leben zwei Freundinnen mit ihm zusammen. Wie Alejandro kommen auch sie aus Kolumbien und versuchen sich hier ein besseres Leben aufzubauen. Carina hat ihre beiden Kinder (5 und 9) in Bogotá bei ihrer Mutter gelassen. Wenn alles gut geht, möchte sie sie im Dezember nachholen. Die beiden 23-jährigen sind seit zwei Wochen hier und haben versucht mit dem Strassenverkauf von selbstgemachten kolumbianischen empanadas über die Runden zu kommen. Dies sind die Beiden bereits leid. Nun ist ihr Plan hier ein Restaurant aufzumachen. Wir wünschen ihnen alles gute, sind aber recht skeptisch, ob der Organisation und straighten Umsetzung. Sie wirken recht jung auf uns und wenig durchgeplant auf uns.

Es ist Sonntag, Alejandro hat heute frei. Er und die Mädels möchten für uns etwas kolumbianisches zum Mittagessen kochen und danach etwas gemeinsam unternehmen, vielleicht die Altstadt besuchen. Gut, denken wir uns und willigen gerne ein. Wir haben Hummeln im Hintern und beschäftigen uns mit unseren emails. Nichts rührt sich. Die Mädels liegen auf dem Bett vorm Fernseher, der ununterbrochen läuft. Ein Arbeitskollege und Freund kommt zu Besuch. Wir gehen langsam mal einkaufen. Bereits ist Mittag vorbei. Zurückgekehrt gehen die beiden in die Küche und kreieren eine hervorragende Suppe und einen fetten Teller mit Reis, Bohnen, Huhn, süssem Salat und frittierten Bananen. Dazu gibt es ein köstliches selbstgemachtes Erfrischungsgetränk mit Minze. Wir essen alle auf dem Boden, denn bis auf das Bett, den großen Fernseher und einen Schreibtisch gibt es keine Möbel. Der kleine Hund Lulu soll das Sofa zerlegt haben. Niemand scheint hier neue Möbel zu benötigen. Zurzeit teilen sich die drei, plus Hund das Doppelbett.

Hardy und ich übernehmen das Chaos in der Küche. Eine weitere Freundin kommt zu Besuch. Dann soll es eigentlich losgehen. Aber die Damen müssen noch duschen und sich schönmachen. Letzteres scheint eine sehr wichtige Rolle in ihrem Leben einzunehmen. Man, wie viel Zeit die im Bad verbringen! Dauernd sehe ich sie die Kleidung wechseln, sich die Haare machen oder die Fingernägel lackieren. Jede einzelne braucht über ne‘ Stunde im Bad. Heraus kommen sie knapp, hauteng angezogen, die Haare schickie zurecht gemacht und grell geschminkt. Naja, Geschmackssache, sag‘ ich mal.

Es ist bereits dunkel, als wir dann endlich das Apartment verlassen. Schnell sausen wir gequetscht, zu siebt im Auto zum Damm. Der Damm ist ein schmaler, von Palmen gesäumter 2km langer Weg. Er verbindet das Festland mit den kleinen Inseln Naos, Culebra, Peris und Flamenco. Auf dem breiten Fußgängerweg ist zu dieser späten Stunde reges Leben. Eltern fahren mit ihren Kindern Rollschuh oder mieten sich Fahrräder. Wie wir, sind auch viele zu Fuß unterwegs, um die abendliche einsetzende Kühle zu genießen. Der Blick auf die beleuchtete Silhouette der nächtlichen Stadt ist toll!

Panamakanal und Miraflores Schleusen

Bereits im Jahre 1502 wird von Columbus erkannt, dass aus der Landenge Panamas etwas gemacht werden könnte. Er sucht nach einer Möglichkeit von der Karibik nach Indien zu gelangen, wird jedoch nicht fündig. Etwa zehn Jahre später durchwandert der Spanier Vasco Nuñez de Balboa den Isthmus und erreicht so den Pazifik. Ein von den Spaniern daraufhin erstelltes Guthaben über den Bau eines Kanals kommt zu dem Schluss, das jenes Megaprojekt nicht realisierbar sei. Daraufhin wird der Camino Real gebaut, eine Straße für den Transport von Gütern.

Erst im Jahre 1878 bekommt der Erbauer des Suezkanals, Ferdinand de Lesseps aus Frankreich, von Kolumbien, welches zu jener Zeit über das heutige Gebiet herrscht, den Auftrag mit dem Bau eines Kanals. Zwei Jahre später beginnen die langwierigen, harten Arbeiten. Tausende von Arbeitern sterben bei Unfällen, an Tropenkrankheiten und einfach nur an Erschöpfung. 1893 wird das Unterfangen aufgrund von Konkurs aufgegeben.

Die Amerikaner treten auf den Plan. Diese hatten zuvor einen Kanalbau in Nicaragua für möglich gehalten, ändern aber ihre Strategie, als sie die Konzession von den Franzosen bekommen. In der selben Zeit spaltet sich Panama von Kolumbien ab, welches von den USA darin tatkräftig unterstützt wird. Und schon bald hat Amerika die Rechte für den Kanalbau in der Tasche. Es übernimmt zudem politische sowie militärische Kontrolle über den Kanal sowie über eine 16km breite Hoheitszone an dessen Ufern.

Mit Einsatz diverser Chemikalien gegen Gelbfieber und Malaria sowie mit schwerem Gerät wird der Kanalbau erneut angegangen. Elf Jahre dauern die Bauarbeiten,denn man muss sich der schweren Topographie sowie Geologie anpassen. Die nordamerikanische kontinentale Wasserscheide muss überwunden werden. Tausende von Sprengungen sind nötig. Wäre all das Gestein auf einen Güterzug geladen worden, hätte dieser dem vierfachen Erdumfang entsprochen.

Um den enormen Bedarf an Wasser begegnen zu können, wird der Gatún-Stausee angelegt. Seinerseits der grösste künstlich angelegte Stausee der Welt. Er liegt 26 Meter über dem Meeresspiegel. Um ihn zu erreichen führen vom Pazifik her die Miraflores- Schleusen sowie die Schleuse Pedro Miguel auf de See hinauf. Danach führen die Gatún-Schleusen hinab in den Atlantik. Pro Schiffsdurchfahrt werden 236 Mio. Liter Süßwasser ins Meer gespült.

Bereits im Jahr 2006 stimmten die Wähler Panamas in einem Referendum für eine Verbreiterung des Kanals. Dieses Megaprojekt soll 2015 fertig gestellt sein. Dann wird sich wohl der Frachtverkehr verdreifachen, denn die neuen Schleusen werden 60% breiter und 40% länger sein als die alten. Das verwendete Wasser soll in verschiedenen Kammern aufbewahrt und so wiederverwendet werden.

Momentan ist die Grösse der Frachter exakt abgestimmt auf den Kanal. 300 Meter lang und 32 Meter breit dürfen sie sein. Es wird sogar von der Panamaklasse gesprochen. Kaum eine Briefmarke passt zwischen Schiffs- und Schleusenwand. Um Unfälle zu vermeiden, werden diese schwimmenden Giganten aus Metall von starken Elektrolocks, den Donkeys, an Stahlseilen gezogen. Immer noch in Betrieb sind die Originalschleusentoore von 1914, made in den USA. Nur acht Minuten dauert es bis sich ein Kammer gefüllt oder wieder geleert hat.

Eine Durchquerung des Kanals kostet im Durchschnitt 30 000$, der Preis wird in Bezug auf die verdrängten Wassermassen ermittelt. Richard Halliburton bezahlte 1928 nur 0,36$, denn er schwamm durch den Kanal.

Auch uns packt das Kanalfieber. Als wir ankommen fahren eines nach dem anderen drei gigantische Containerschiffe hindurch. Eines von ihnen ist besonders groß, es soll die Masse eines achtstöckigen Hauses haben, so wird es aus den Lautsprechern auf der Aussichtsterrasse verkündet. Eine nette Frauenstimme berichtet live in englisch und spanisch über die Daten des jeweiligen Schiffes und das Vorgehen in den Kammern. Eine Schleusenkammer nach der anderen wird für die Durchfahrt vorbereitet. Dann öffnen sich langsam die fetten Stahltore und das Schiff gleitet hinein. Wie winzig wir und auch der gewaltige Kanal im Gegensatz zu diesen Ozeanriesen ausschaut! Lange stehen wir da und beobachten die Szenerie. Danach besichtigen wir das mehrstöckige Gebäude. Es beinhaltet ein interessantes Museum, indem auch ein sehr patriotischer Film über den Bau des Kanals gezeigt wird. Vielleicht waren es die gleichen Macher, welche auch den Film über die Geschichte des Alcans in Alaska gedreht haben? Wir erinnern uns stark daran und müssen lachen.

Ganze vier Stunden bleiben wir bei den Schleusen!

Altstadt

Unseren Nachmittag lassen wir im Casco Viejo ausklingen. Das charmante alte Viertelchen wird zur Zeit kräftig renoviert. Es war vor Jahren zu einem Slum geworden, der nun schick gemacht werden soll. Es gibt jede Menge Hotels, kleine Boutiquen und Restaurants. Leider hat dieser Prozess einen Gentrifizierungsprozess zur Folge. Bei Renovierung eines Hauses wird den Mietern ein Geldbetrag angeboten, dann müssen sie es freigeben. Die ehemalige Bevölkerung kann die folgenden erhöhten Mieten nicht mehr aufbringen und wird so an den Rand der Großstadt in ärmere Bezirke getrieben, so erzählt uns eine Wachmann vor einem Schmuckladen. Viele Bewohner sind gegen das Großprojekt der Stadt, an dem bereits die Baumaschinen werkeln. Fahnen des Protestes hängen aus den Fenstern.

Unsere Tage in dieser sehr gegensätzlichen Metropole sind sehr interessant und verfliegen wie im Fluge. Für uns ist das Land Panama nicht sonderlich schön, hässlich ist es aber auch nicht. Uns bleibt vor allem die schwüle Hitze, der ständig andauernder Verkehr sowie der gute Asphalt in Erinnerung, wenn wir Revue passieren lassen.

Nun packen wir unsere sieben Sachen, denn eine weitere Etappe steht an. Die Umfahrung des Darien Gaps hat uns bereits so einige graue Haare wachsen lassen. Wir wollen den Dschungel zwischen Panama und Kolumbien mit lanchas, also kleinen Booten, umschiffen. Wie das wohl werden wird? Wir sind gespannt und machen uns leicht unsicher auf den Weg.

Fotos zu Panama und nun auch zu Costa Rica gibt es in der Galerie.

Posted in Panama

Costa Rica, diesmal aus der Radelperspektive (August 2012)

Fast wären wir ohne die Fahrräder in unser 9. Land gekommen! Per lancha wollen wir über den Grenzfluss Río Frío aus dem benachbarten Nicaragua nach Costa Rica einreisen. Als der Motor des kleinen Bootes dann aufheult, springt Hardy auf. Auf dem Steg stehen doch noch unsere Räder! Die sollten als letztes an Bord gehoben werden, der Bootsführer hatte sie glatt vergessen.

Es wird eine tolle, teure einstündige Grenzfahrt, denn für die Drahtesel dürfen wir auf hoher See dann nochmal extra blechen. Langsam tuckert das Boot durch den engen, kurvenreichen Río Frío. Sehr dschungelig ist es hier. Bäume liegen quer im Wasser. Wir sehen jede Menge großer und kleiner Vögel.

Als wir in San Carlos in Costa Rica am Kai unsere Räder gerade fertig beladen haben kommt ein Typ vorbei. Auf dem Rücken trägt er so ein Gerät, wie es die Bauern zum Einsprühen ihrer Pflanzen mit Pestiziden benutzen. Er meint, eigentlich müssten auch unsere Bikes bei Eintritt nach Costa Rica desinfiziert werden, aber diesmal drücke er ein Auge zu, beim Nächsten mal. Dann klettert er ins Boot und fängt an alles zu desinfizieren. Die Frage, ob wir Obst oder Gemüse dabei haben verneinen wir natürlich!

Das Anstehen sowie die Abwicklung in der Migration übernimmt diesmal Hardy. Ich warte in der Affenhitze der heißen Schwüle bei unserem Gepäck. Die junge Beamtin ist super nett und gibt uns auch noch Wasser. Hier in Costa Rica können wir das Leitungswasser trinken. Ein Land ohne das lästige Wasserfiltern steht an. Juchu!

Dann rollen wir auf gutem Asphalt vergnügt durch wunderschöne Landschaft. Leicht hügelig ist es. Links und rechts des Weges sind Weiden, auf denen Kühe grasen. Sie rennen im Galopp verschreckt vor uns davon, je näher wir kommen. Bunte kleine Vögel schwirren herum. Besonders toll ist ein ganz schwarzer mit knall roten Federn auf dem Rücken.

Auf in die Berge in Richtung Nationalpark El Rincón de la Vieja

Als wir in Richtung des Nationalparks auf eine Schotterpiste abbiegen, sieht Hardy langsam ein Schildkröte die Straße überqueren. Nachdem ich mich bei ihr entschuldige in ihr Selbstbestimmungsrecht einzugreifen, setze ich sie vorsichtig an den Straßenrand, denn leider bremsen die Autos auf der Schotterpiste nicht ab. Des öfteren fliegen uns Steine um die Ohren, Staub wird aufgewirbelt.

Im Verlgeich zu Honduras oder Nicaragua liegt hier sehr wenig Müll liegt herum. Es scheint hier auf den ersten Blick kein Chaos und keine Verwahrlosung zu geben. Es ist ruhig, irgendwie geordnet, nicht hektisch und auch nicht laut. Costa Rica, der erste Eindruck aus der Radel- und nicht Backpacker-Perspektive ist toll. Wie sehr sich die einzelnen Länder Mittelamerikas voneinander unterscheiden.

Heute nächtigen wir auf der Wiese eines ehemaligen Maisbauern, der nun Reisbauer geworden ist. “Die Maispreise sind einfach im Keller”, erläutert er uns. Ahäm, wir sind also vorhin die ganze Zeit an Reisfeldern vorbei geradelt … und wir dachten, diese Weiden wären der wahre Traum für eine Kuh, dies saftig grüne Gras, wir Dummchen.

Schotter, Schotter, Schotter auch heute wieder, was für ein Spaß! Anstrengend, aber wir kommen überraschend flott voran. Die Yuccaplantagen werden von nicht endend wollenden Ananasplantagen abgelöst. Ordentlich in Reih und Glied angepflanzt. Uns wurde gesagt, wir sollen bloß keine Ananas essen, die aus Costa Rica kommt. Denn diese Pflanze, inzwischen Exportgut Nummer eins vor Kaffee oder Zucker, verursacht diverse Probleme. Große Firmen kaufen immer mehr Gelände von Kleinbauern auf und betreiben auf diesem Monokultur. Ganze Dörfer verschwinden so. Neben dem immensen Einsatz von Pestiziden wird ein Großteil des Wassers für die Bewässerung der Pflanzen verbraucht.

Heute kreuzt mal eine dicke fette Vogelspinne vor mir die Straße. Die trage ich aber nicht auf die andere Seite! Ein weiteres Tageshighlight sind ein dunkelgrüner Leguan sowie eine sich dahinschlägelnde Schlange. Mensch, hier kreucht und fleucht es nur so!

Ein abkühlendes Bad im reißenden Bergbach kurz nach San Jose Upala lohnt sich nicht wirklich, denn bald bringen uns Schiebeeinlagen ordentlich ins Schwitzen. Steil geht’s es zum Ricon de la Vieja empor. Wieder schieben wir zu zweit an einem Fahrrad, kilometerlang geht das so.

Als wir eine Verschnaufpause machen, fragt uns am späten Nachmittag ein älterer Mann, ob wir Wasser bräuchten. Letztendlich campen wir dann bei Juan, dem Schweinebauern im Garten direkt neben dem etwas stinkenden Stall. Ein Sau ist trächtig. Es kann jeden Moment losgehen. Heute ist Hardy mit Kochen dran, dabei fängt es wie aus Eimern an zu schütten. Wir verziehen uns ins Zelt. Alle steht recht gut, nur um uns herum sammelt sich das Wasser. Im Vorzelt können wir die Bildung eines Sees beobachten. Raus geht’s, geduscht haben wir eh noch nicht. Es blitzt und donnert. Letzteres so laut und nah, das Hardy sich sehr erschrickt. Es riecht wie nach einem Kanonenschuss. Mithilfe einer Harke und einem dicken Stock ziehen wir Gräben um uns herum. Es hilft, das Wasser fliest ab. Dann gießt es die ganze Nacht hindurch.

Gegen Mitternacht hören wir komische Geräusche aus dem Stall. Eine Sau schreit. Passend zum Gewitter bekommt sie ihre Jungen. Juan sitzt daneben und wacht über die Geburt von acht kleinen Schweinchen. Hardy geht zu ihm und schaut fasziniert zu. Juan ist ein Wenig enttäuscht, er hat mindestens mit zehn Jungen gerechnet. Ein Freund wird mitten in der Nacht angerufen, er schlägt vor, zu prüfen, ob noch ein Junges im Mutterschwein verblieben ist. Beherzt greift Juan hinein, die Hand gut schleimig. Er kann aber keines erfühlen. Mit dem Verkauf eines Schweines verdient er 50.000Colones/100$ und hatte sich mehr erhofft.

Für die schlappen sechs Kilometer am Morgen ins nahe Aguas Claras brauchen wir, mal schiebend, mal rollend, über eine Stunde. Endlich ist diese arg kräfteraubende Steigung erklommen. Es rollt von allein auf Asphalt, wir können uns ausruhen.

Im Park des kleinen Ortes legen wir erst mal ein zweites Frühstück ein. Daher kommen zwei Polizisten. Übereifrig, anscheinend nichts zu tun habend, wollen sie doch tatsächlich unsere Pässe kontrollieren! Wir sind dermaßen erstaunt, das ist uns ja auf dieser Reise tatsächlich noch nie passiert. Eifrig durchblättern sie die dunkelroten Heftchen, sehen sich alle Stempel an und können den Einreisestempel von Costa Rica nicht finden. Der eine beschwert sich, dass von den Grenzbeamten die Stempel immer in einer solchen Unordnung in die Pässe gehauen werden. Das finden wir auch. Und dann werden auch noch unsere Daten akribisch in ihr Heft abgeschrieben! Auf meine Frage warum er das tue, antwortet der Polizist, das mache er immer so mit Fremden, wer weiß, ob sie sich gut benähmen.

Wir verlassen den Dschungel, haben Höhe erklommen und finden einen tollen Mittagsplatz auf einer Hochebene. Bäume gibt es kaum mehr. Weite umgibt uns. Kühl und windig ist es. Kein Wunder, dass der heftige Wind für diverse Windkraftanlagen genutzt wird. Neben einem Stromwerk mitten im Nirgendwo steht eine Picknickgarnitur aus Beton neben der Piste wie für uns bereit. Wir fühlen uns ein Wenig wie in den Bergen der Schweiz, nicht wie in den Tropen.

Es geht hoch und runter. Die Steinchen schlittern nur so unter unseren Mänteln weg. Runter geht’s meist auf dem Sattel, hoch zu Fuß. Leider schaffen wir es heute immer noch nicht in den Nationalpark. So muss das Vordach einer Grundschule ausreichen. Hervorragend, denn es regnet sich schon bald wieder ein.

Rincón de La Vieja

Wir haben’s geschafft, wir sind endlich, nach harten Tagen, angekommen im Nationalpark Rincón de la Vieja! Das war mal wieder ne‘ arge Schufterei, aber wir steh’n ja drauf!

Entgegen den Aussagen eines marktführenden Reiseführers, ist die camping area bereits seit sieben Jahren geschlossen. Wir können abends wieder mit den Rädern recht leicht raus fahren, bis wir etwas finden. Zwei andere deutsche Rucksackreisende können dies leider nicht. Schwer beladen treten sie die etwa 10 Kilometer lange Wanderung auf einem kleinen, rutschigen Pfad zum anderen Eingang des Parks mit Camping-Möglichkeit an. Sie tun uns richtig leid.

Leider können wir den Vulkan aufgrund von seismischen Aktivitäten nicht erklimmen. So machen wir uns auf den Weg zu einer Rundtour sowie zu den sieben Kilometern entfernten heißen Quellen. Der Eingangsbereich quillt nur fast so über von Scharen älterer Touristen in den tollsten, buntesten Wanderausrüstungen. Aber es verläuft sich recht bald.

Ich bin wahnsinnig begeistert, für mich ist es das erste Mal diverse vulkanische Aktivität in all ihren Formen zu beobachten. Da zischt eine heiße Dampffontaine aus einem kleinen Loch im Boden, hier brodelt eine nach Schwefel stinkende graue Masse vor sich hin. Blub, blub, zisch, krrrk, pfffff macht es. Blasen bilden sich, die dann aufplatzen. Es gibt weißes und gelbes “Wasser”, das zu kochen scheint. Einen Minivulkan, aus dem kochendes Wasser schießt, steht am Wegesrand.

Dann biegen wir ab auf einen sehr wenig begangenen Wanderweg und haben den Wald für uns allein. Vögel sind zu hören. Große blauschwarze Schmetterlinge fliegen vor uns her. Wir sehen Affen hoch oben in den Bäumen und auch kleine Nasenbären, die uns in Angriffshaltung laut anfauchen. Wir gehen lieber schnell weiter. Dann öffnet sich der Wald zu einer blühenden Wiese. Ein gurgelnder Bach tritt hervor. An dessen Seite befinden sich zwei Becken, in denen sich stinkendes, super warmes, helltürkises Wasser befindet. Über Steine läuft es ab in den kalten Bach. Wir ziehen uns aus und hüpfen hinein. Hardy findet es in den warmen Becken besonders toll. Dieses Wasser hat einen hohen Auftrieb, es kribbelt auf der Haut und fühlt sich merkwürdig an. Mir ist es zu warm. Ich ziehe eindeutig die Stelle im Bach vor, wo sich das heiße mit dem kalten Wasser vermischt. Den Oberkörper im Warmen und die Füße im Kalten, irre gemütlich.

Wieder in der Rangerstation angekommen, füllen wir alle Wasserbehälter auf und rollen etwa zwei Kilometer bergab. Einmal nach links und einmal nach rechts, findet Hardy ein Plätzchen für unser Zelt. Seit über vier Monaten können wir zum ersten mal wieder wild zelten! Hier fühlen wir uns sicher. In der Natur allein sein, unser eigener Herr. Gut fühlt sich das an. Obwohl unser Blick auf eine dicke Rohrleitung und in der Ferne auf Berge sowie auf ein Wärmekraftwerk fällt, finde ich es irre gemütlich. Bei all der vulkanischen Aktivität hier in der Gegend, kein Wunder, dass diese genutzt wird.

Die 20km Schotterdownhill runter nach Liberia vergehen schnell. Uns kommen viele Radler auf Mountainbikes entgegen. Heute ist Sonntag, Radeltag. Hier in Costa Rica gibt es eine große Mountainbikeszene. Alle fahren in schnieken Trikos und natürlich mit Helm.

Richtung Cañas biegen wir auf die 1, die Panamericana ab. Ätzend! Es gibt nur zwei schmale Spuren, keinen Seitenstreifen. Wumm, wumm brausen besonders nah unsere Freunde, die Busfahrer, an uns vorbei. Zum Glück ist Wochenende, sonst muss der Verkehr ja halsbrecherisch sein. Uns umgeben Weideland sowie Savanne. Ganz schön heiß hier!

In einer mall stürme ich den Supermarkt, während Hardy draußen per WIFI unsere emails checkt. Hier gibt es alles: Schokolade, Chips in Hülle und Fülle, sehr ansehnliches Obst und Gemüse, Oliven, Nutella, Erdnussbutter … nur die Preise hauen mich von den Socken. Für meinen kleinen Einkauf bezahle ich mal eben über acht Dollar und frage mich was ich dafür in der Tüte habe.

Leider müssen wir Hardys Continental Mantel schon wieder wechseln. Er hielt nur von Belize bis nach Liberia. Eine Beule hat sich diesmal vorne gebildet. Wir wechseln ihn lieber vor der bald einsetzenden Explosion. Und noch ein Missgeschick passiert. Die Schrauben an Hardys Hinterbauständer brechen durch. Ein Ersatzstock bricht dann leider auch. Laut kracht das Rad zu Boden. Leider hat dies schwerwiegende Folgen, denn die Plastikhalterung seiner Lenkertasche ist nun beschädigt. Völlig im Eimer und nicht mehr zu gebrauchen! So’n Mist! Wir werden uns wohl aus Europa eine neue Halterung ordern müssen, da so etwas hier leider nicht aufzutreiben ist.

Leicht geknickt, werden wir dann doch von der Schönheit unseres heutigen Zeltplatzes bei Canas versöhnt. Wir befinden uns auf einem Hügel mitten in einem Feld schiefen, langen, maigrünen Grases, durch das ein schmaler Weg führt. Zwei große Bäume stehen am Rand dieser kleinen Ebene. Unsere Blicke wandern weit in alle Richtungen. In der Ferne können wir einen weichen, rosalichen Sonnenuntergang beobachten. In Pastelltönen heben sich die Berge im Hintergrund ab. Gleich unter uns befindet sich ein See. Ein rot weiß angestrichener Turm am gegenüberliegenden Hügel schaut aus wie ein Leuchtturm. “Wie schön ist es hier!”, sagen wir immer wieder.

Laguna de Arenal

Neben dem aktiven Vulkan Arenal befindet sich die gleichnamige Lagune. Diese umradeln wir nun. Eigentlich ist es gar keine Lagune, sondern ein Stausee. Auf dessen Grund befindet sich noch das alte Örtchen Arenal. Es wurde kurzerhand nach nach Nuevo Arenal umverlegt. Hügelig geht es kurvenreich um den See. Alles, was wir trinken, schwitzen wir sogleich wieder aus. Hmm …

Nett ist es hier, Grün zu allen Seiten und wenn es mal nicht grün ist, dann ist es blau vom See. Viel Blümchen blühen am Wegesrand. Kühe grasen. Manchmal laufen sie auch auf der Straße und lassen die Autos nicht passieren. Wir schlängeln uns langsam durch eine Herde.

Was uns nicht so gut gefällt, ist die touristische Seite der Gegend. Wir durchradeln einen Schilderwald und könnten uns mit den Dingern Tod werfen. Restaurants hier, Hotels und cabañas dort. Vor allen Dingen kann man hier Grundstücke kaufen. Seeblick, Ruhe und Party, alles ist zu haben. Besonders viele Amis scheint es hier her zu ziehen. Aber auch Werbung auf Deutsch ist auszumachen. So begleitet uns über 15km das Schild einer deutschen Bäckerei, die neben Brot auch mit Schnitzel und Sauerkraut wirbt. Da kann einem schon mal das Wasser im Mund zusammenlaufen. Tagträume von dunklem, leckeren Brot machen sich selbstständig. Ich muss es gestehen, als wir in Nuevo Arenal ankommen, suchen wir die Bäckerei als aller erstes gezielt auf. Ein sündhaft teures Roggenmischbrot soll es endlich mal wieder sein. Beim Mittagsessen entlockt es uns die höchsten Schmatzlaute der Verzückung!

Leider ist das Haupt des Vulkans Arenal fast immer in Wolken verhüllt. Nur einmal, ganz kurz lüften sie sich. Leider zu schnell, um ein Foto zu machen.

Bei einer Abfahrt bleibt eine Biene an meiner Stirn hängen. Naja, besser, sie piekt ihren Stachel in meine, als in Hardys Stirn. Tut mächtig weh. Ich kriege ein Hörnchen. Mein Auge schwillt zum Glück nur leicht an.

Trotz der Aneinanderreihung der vielen Hotels ist unser fester Plan heute wieder wild zu zelten. Wir haben uns vorgenommen in Costa Rica diesmal nix für’s Übernachten zu bezahlen. Es wird vier, dann wird es fünf Uhr. Die Dämmerung setzt bereits ein und es fängt auch noch an zu nieseln. Dennoch kämpfe ich mich mit dem 10l Wassersack beladen die Steigungen empor. Nach einer nicht endend wollenen Suche finden wir dennoch einen Schlafplatz auf einer Weide. Viele Kühe kommen auf der anderen Seite des Zaunes an und schauen uns neugierig beim Zeltaufbau zu.

Über La Fortuna und San Ramón in Richtung San José

Auf Nebenstraßen durchs Bergland trotten wir in Richtung San José. Viele Felder mit Bogenhanf und Zimmerpalmen sind zu beiden Seiten der Strasse zu sehen. Sehr langsam kommen wir voran. Mensch, was haben die hier nur für Straßen gebaut. Es ist ja so steil wie zu unseren Guatemala-Zeiten! Dazu regnet es sich ein und hört den ganzen Tag nicht mehr auf. In La Fortuna überlegen wir kurz, ob wir hier aufgrund des Wetters einen Ruhetag einschieben, entscheiden uns aber dagegen. So sind wir bald völlig durchnässt. Bei sehr starkem Niederschlag machen wir halt und suchen Schutz unter den verschiedensten Bushaltestellen. Viele Kaffeepausen werden es heute.

Lustig anzusehen sind die Schuhverkäufer, die mit ihren auf Stöckern aufgespießten Schuhen oder einem großen Bündel in der Hand die Straßen hoch und runter laufen und versuchen ihre Ware zu vertickern.

Wir haben es bis kurz vor Alajuela und dem nahem Flughafen geschafft. Radeln auf der Autobahn ist hier kein Vergnügen. Der Seitenstreifen ist mal vorhanden, mal fehlt er. Viele Autos und LKWs rasen an uns vorbei.

Bei einem Schauer suchen wir Unterschlupf unter dem Vordach einer Tischlerei. Eine ältere, total verstaubte Frau kommt herbei und fragt Hardy, gerade als wir schon wieder weiter wollen, ob wir einen Platz zum Schlafen suchen. Klar suchen wir den! Schwupps die Wupps werden wir von Niria hineingebeten. Uns wird ein mit Holzplatten abgetrennter Raum im oberen Stock der Tischlerei gezeigt. Eine Matratze kommt hinein, Bettzeug und eine Glühbirne werden geholt. Wir dürfen duschen und werden köstlich von Karin, der Tochter, bekocht. Ihr zwei jähriger, erst schüchterner Sohn taut auch mit der Zeit auf. Später kommt noch weitere Familie zu Besuch, denn heute (15. August) ist in Costa Rica Muttertag.

In der Tischlerei, hier mueblería – Möblerei genannt, werden ein ganze Palette von Betten, Schränken und Kommoden hergestellt. Stolz wird uns der Katalog gezeigt. Hmm, für Hardys und meinen Geschmack sind die Kunstwerke ganz schön kitschig und nicht unser Fall. Es gibt auch eine Serie für Babys, in weiß mit Pastelltönen lackiert.

Als es auf den Abend zugeht verziehen wir uns nicht nur wegen unserer Müdigkeit nach oben in unser Zimmer. Der große, nicht freundlich aussehende Kampfhund wird um diese Uhrzeit aus seinem Kabuff losgelassen, um die Werkstatt vor Eindringlingen zu bewachen. Da ist es besser, wenn wir ihm nicht in die Quere kommen. Ein Blick in den Zwinger und wir sind sofort damit einverstanden. Bei tollem Regengeräusch der prasselnden, dicken Tropfen auf dem Wellblechdach direkt über uns finden wir es wahnsinnig gemütlich. Toll ein breites, weiches Bett zu haben.

San José, Curridabat

Nachdem wir von Niria mit einem reichhaltigen Frühstück für den Tag gestärkt worden sind (Kaffee, selbstgemachte Tortillas, Käse, Spiegelei und Bohnenmatsche), reihen wir uns in den zähen Verkehrsfluss des Großstadtraums ein. Für die 20km bis ins Stadtzentrum benötigen wir Stunden. Es geht mal bergauf, dann bergab, dann gibt es nur eine Spur … und die ganze Zeit müssen wir mit Argusaugen auf die motorisierten Gefährte um uns herum achten. Viele Abgase atmen wir ein. Es ist super anstrengend. Am Nachmittag kommen wir in einem Park im Zentrum San Josés an. Auf einer Bank neben bunten Jongleuren essen wir lange zu Mittag.

Bis wir den Bezirk Curridabat erreichen, wird es bereits dunkel. Wir ziehen die Warnwesten über und holen die blinkenden Rotlichter heraus. Hoffentlich werden wir so gesehen. Hier wohnt unsere warmshower-Gastgeberin Soledad. Sie kannten wir bereits aus unserem ersten Besuch vor fünf Monaten in dieser Stadt. Nachdem wir X-Leute nach dem Weg gefragt haben, erreichen wir doch noch ihr Haus. Sie wohnt in einem ruhigen Randbezirk mit Kirche im Dorfanger. Schön ist es wieder in “unser” Gästezimmer zu kommen. Hardy stiefelt erst einmal los, um zur Feier des Tages Bier zu kaufen. Noch etwas haben wir beide zu feiern, denn wir werden die Bude für die folgenden fünf Tage für uns allein haben. Soledad fährt ins nahe Quepos, um ihren Freund zu besuchen und überlasst uns ihre Wohnung. Juppie! Ein zu Hause und das noch für uns allein. Wir freuen uns riesig! Toll ist es einen Kühlschrank zu haben und so auch Produkte, die kalt gelagert werden müssen, konsumieren zu können. Der Gasherd findet besonders bei mir eine rege Benutzung. Welch ein Luxus, mir jederzeit schnell und einfach einen Kaffee oder Tee zubereiten zu können. In diesen Tagen kochen und schlemmen wir wie wild.

Da kommt uns der sonntägliche Markt im nahen Zapote sehr recht. Eine Hinterradtasche voller Obst und Gemüse erstehen wir. Papaya, Avokado, Salat, Gurke, Zwiebeln, Tomaten, Paprika, Kartoffeln und Blumenkohl, Eier, Käse und Hackfleisch werden wir in den folgenden Tagen verköstigen.

Zapote hat weitere Highlights für uns zu bieten. Hier befindet sich die Post mit angegliederter Zollstation, in der unser langersehntes Paket aus Berlin auf uns wartet. Leider muss Hardy allein reingehen, da ich meinen Pass nicht mit dabei habe und ohne ihn nicht ins Gebäude darf. Aber er managed das prima. Alle Inhalte fein säuberlich aufgelistet, will der Beamte eigentlich eine hohe Summe von Hardy für die Verzollung des gesamten Warenwerts haben. Aber da kennt er Hardy schlecht. Mit seiner “Ich quatsch dich über unsere Reise zu – Taktik” wickelt er den Zöllner um den Finger und muss letztendlich nur umgerechnet 1,50 Euro bezahlen. Das Paket wird als kleines Päckchen mit Geschenkartikeln deklariert. Super, klappt doch mit Hardys Spanisch! Als er dann mit dem Karton herauskommt, bin ich erschrocken über die Ausmaße unseres Paketes. Mit vereinten Kräften schnallen wir das Monstrum auf dem Gepäckträger mit Spanngurten fest.

Zurueck in Soledads Wohnung darf einer nach dem Anderen ein Teil aus dem auf den Tisch stehenden Karton holen. Eifrig wird es von allen Seiten begutachtet. Wir freuen uns wie die kleinen Kinder, ist fast wie Weihnachten. Fotos und Süßigkeiten von unseren Lieben aus Berlin, dicke-weiche Socken für mich, ein neues Inlet und ein gesponsortes Überraschungsset diverser Sportklamotten locken Begeisterungsrufe hervor. Und dann bestaunen wir die tollen Teile unseres Freundes und fleißigen Helfers aus dem kleinen Radladen Merileth in Weißensee, eine neue Felge für Hardy und ein komplett eingespeichtes Hinterrad für mich. Der Wahnsinn! Dann kann ja nichts mehr schief gehen auf den folgenden Kilometern. Zahnkränze, Ketten und eine neue externe Festplatte kommen auch zum Vorschein. Toll!

Damit beschäftigt die neuen Teile für die Räder anzubauen muss Hardy noch mal schnell zum Radladen, um auch die Radnaben warten zu lassen. Den “besten Fahrradladen seit 17.000km” von Radler Carlos Mata findet Hardy dann auch in Zapote. Sogleich freundet sich mit Freddy, einem Mitarbeiter, an und erhält diversen Kleinkram und Hilfe für umme. Zum Lösen seiner widerspenstigen Schraube für den Wiederanbau des Hinterbauständers wird er in eine Präzisionswerkstatt weiterverwiesen. Dort wird der Übeltäter “einfach” mit einer Bohrmaschine aus dem Loch befördert und das Gewinde nachgeschnitten. Problem gelöst. Jetzt fehlen nur noch qualitativ hochwertige 6-mm-Schrauben, die leider nicht aufzutreiben sind. Erst mal muss billiger Ersatz herhalten.

Neben viel Computerei, kochen und essen und natürlich Bike und Equipment pflegen, schaffen wir es nach über einem Jahr mal wieder zum Zahnarzt zu gehen. Leider haben wir beide Karies. Der ewige Zuckerkonsum der ganzen Brausen recht sich. Und, ich muss es zugeben, das nachlässige Zähneputzen am Abend. Wir wollen uns bessern.

Mit Soledad und Javier verbringen wir einen Abend im Kino und sehen uns den neuen Woddy Alllen Film an. Danach geht’s in eine Spelunke zum Biertrinken.

Cerro de la Muerte

Es gibt drei Möglichkeiten, um von San Jose in Richtung Süden nach Panama zu radeln. Eine Straße führt am Pazifik entlang, die andere an der Karibikküste. Die dritte führt über einen Gebirgszug mit Namen Cerro de la Muerte. Wir wählen (Na, was denkt Ihr Euch?) natürlich letztere. So werden wir uns bis auf 3300m hinaufschrauben. Der Gipfel des Todes trägt seinen Namen, da in vergangenen Zeiten hier viele Menschen beim Überqueren aufgrund der kalten Temperaturen gestorben sind. Wir hoffen keine Minusgrade vorzufinden.

Gut gestärkt und ausgeruht treten wir die sogleich beginnenden Steigungen der Hügel in Richtung Cartago an. Diese Woche Nichtstun rächt sich, wir sind nicht mehr in Form und müssen ganz schon schuften. Erstmal geht’s wieder auf die Autobahn. Trotz Fahrradfahren-Verboten-Schilder, kümmert sich niemand darum. Mit uns fahren viele Rennradler. Auch gejoggt wird auf dem Seitenstreifen und der Hund wird hier Gassi geführt.

Gleich hinter Cartago zweigen wir auf eine kurvenreiche, sich die Berge empor windende Piste ab. Wir wurden von Soledad und ihren Freunden aus dem Fahrradclub San Josés eindrücklich gewarnt, dass dieser Abschnitt aufgrund der engen Straßenverhältnisse und des oft aufkommenden Regens sowie Nebels sehr gefährlich sein soll. Wir wollen uns den “Gipfel des Todes” jedoch nicht entgehen lassen und versprechen gut aufzupassen.

Die meisten Autofahrer hupen uns winkend zu. Viele Frauen strecken, besonders mir, den Daumen hoch, als ich schnaufend hinter Hardy her strample. Klar, Ausnahmen gibt es immer. Besonders negativ fallen uns die Busfahrer auf. Eng und schnell rasen sie an uns vorbei.

Tolles Strassenbegleitgrün haben sie hier! Urwald bis an die Straße. Hinter riesige Blüten und enormen Blättern verstecken sich zauberhaft mystische Landschaften, die wie aus einem Land vor unserer Zeit anmuten. So kommen wir neben der anstrengenden Steigung auch aufgrund der vielen Foto pausen nur langsam voran.

Gegen drei Uhr Nachmittag und 47 gefahrenen Kilometern sind wir völlig platt. Hardy wartet auf mich nach einer langen Steigung am Ehrendenkmal eines Helden des Dorfes El Empalme angelehnt. Wir wollen nicht weiter, zudem ziehen recht zügig dunkelgraue, tiefhängende Wolken heran.

Wie gerufen befindet sich eine Kirche mit angegliedertem Gemeindezentrum ein paar hundert Meter den Hang hinab. Wir schieben die Räder vor die Tür und sagen Guten Tag. Es ist gar kein Problem, wir dürfen uns einen Platz für das Zelt im großen Garten aussuchen und werden zum späteren Gottesdienst eingeladen.

Schnell frisst sich der Nebel die Berghänge empor. Dessen Fetzen hüllen uns und unser Zelt ein. Es tröpfelt. Wie gut ist es darin zu sitzen, den Schlafsack wie eine Decke über uns auszubreiten und einen warmen Kakao zu trinken! Seit Monaten haben wir mal wieder unsere Daunenschlafsäcke aus den Tiefen der Packtaschen hevorgekramt. Seit Tagen hatten wir uns bereits auf diese kühlen Temperaturen gefreut, sehr angenehm.

Toll, super in den weichen Daunen geschlafen, müssen wir morgens bei der Frühstückszubereitung sogar eine Mütze aufsetzen. Wir genießen die Kälte. Im Gemeindezentrum bekommen wir pan dulce, süße Brotteilchen, und heißes agua dulce angeboten. Letzteres ist ein heißes Gebräu aus Wasser, das mit Palmzucker aufgekocht wird. Welch Energiebombe! Ein Glas reicht aber völlig aus.

Bis zum Gipfel geht es heute lange, lange hoch. Ca. 45 km bis zum Gipfel mit fast durchgehender Steigung. Aber es ist nicht so steil und anstrengend wie gestern. Teilweise verlieren wir in sehr angenehmen downhills an Höhe. Diese Momente nutzen wir zum Dahinsurren und Ausruhen, denn sogleich müssen wir die verlorenen Meter erneut erarbeiten.

Wir passieren kleine Orte mit Miniläden, kleine Restaurants und Hotels. Nadelwald versperrt uns oft die Sicht ins weite Land. Nur selten können wir in lichten Stellen unsere gewonnene Höhe bestaunen.

Zum Mittagessen wählen wir passenderweise eine überdachte Bushaltestelle aus. Der kalte Wind pfeift, wir sind schon ordentlich hoch. Wir frieren und werden wohl so einige Zeit hier verbringen. An eine Weiterfahrt ist nicht zu denken, es regnet stark. Der tiefe Nebel versperrt jegliche Sicht. Dennoch fahren die Autofahrer sehr schnell, manche sogar ohne Licht. Der Kocher und ein Topf werden herausgeholt und wir kochen einen Tee. Der wärmt uns wieder auf.

Vom Gipfel trennen uns dann “nur” noch 15 Kilometer. Die kurbeln wir langsam ab. Die Landschaft verändert sich. Die Natur um uns herum wir karger. Es regnet immer noch. Ich stelle im kalten Starkregen entsetzt fest, dass meine Regenjacke nicht mehr dicht ist. Durch die meisten Nähte dringt Wasser ein. So ein Mist, ausgerechnet jetzt! Alles ist nass und kalt. Wir müssen an unsere Kanada-Zeiten denken.

Obwohl ich versuche langsam gleichmäßig tief ein und auszuatmen, fühlt es sich an, als bekäme ich nicht genug Sauerstoff. Die Höhe macht sich bemerkbar. Hardy klagt über leichte Kopfschmerzen und fühlt sich matschig. Langsam treten wir mit Pausen weiter.

Irgendwann wellt sich die Piste endgültig hinab. Wir müssen den Gipfel passiert haben, ohne es zu bemerken. Schnell wird ein Foto geschossen.

Vorsichtig fahren wir weiter runter. Wir erreichen das Restaurant Georgina in Villa Mills. Es soll das höchste Restaurant Mittelamerikas sein. Wir fragen wir nach einem Platz fürs Zelt hinterm Haus im Garten. Ohne große Erklärung wird uns sofort das Gartentor aufgeschlossen. Sehen wir so fertig aus? Wir befinden uns nun auf 3100m. Es ist so kalt, wir leisten uns erst mal eine heiße Schokolade im Restaurant. Die Hände aufwärmend sitzen wir an den Fenstern und beobachten die vielen Kolibris, die flink angeflogen kommen, um an den herumhängenden Zuckersaftbehältern zu trinken.

Pünktlich zur Abfahrt ins Tal, kommt am naechsten Tag die Sonne raus. Wir haben Bombenwetter! Mit vielen Fotostopps machen wir uns vorsichtig auf den Weg. Uns erwarten 40km kurvenreicher downhill hinab ins dampfende Tiefland.

Klimawechsel steht an: Die angenehme Kühle der letzten beiden Tage verwandelt sich in eine warm feuchte Sauna. Im Städtchen San Isidro de El General angekommen, ziehen wir uns unter den Sonnenschirm des örtlichen Mc Donalds die Lagen der warmen Klamotten aus. Ich stürme den prallgefüllten Supermarkt für unser Mittagessen. Um die Pazifikküste zu erreichen, müssen wir zuvor noch einen weiteren Gebirgszug überwinden. Er ist bei Weitem nicht so hoch wie der Cerro, aber die Pisten sind wesentlich steiler.

Ein hartes Stück Arbeit liegt hinter uns, als wir am frühen Nachmittag endlich oben angekommen sind. Wieder bietet uns eine Bushaltestelle Unterschlupf vor dem anziehenden Regen. Welch wohl verdiente Mittagspause!

Uvita

Hügelig geht’s dem Meer entgegen. Das letzte Mal waren wir in Mexiko auf der Baja California am Pazifik. Wir freuen uns riesig, als wir dann endlich den Dschungel verlassen und auf den Ozean stoßen. Ganz nah folgt die Straße an der Küste entlang. Einem kleinen Pfad folgend, finden wir einen verlassenen, wilden Strandabschnitt. Neben uns fließt ein Bächlein ins Meer. Die sanften Wellen kommen hoch bis auf den Steinstrand. Es ist gerade Flut. Hardy ist nicht zu halten und springt sogleich jauchzend in die Fluten.

In Uvita verbringen wir zwei Nächte. Victor, unser warmshower-host, stellt uns einen Zeltplatz auf dem großen, dschungeligen Grundstück seiner Familie zur Verfügung. Sie vermieten hier schnieke Cabañas an Urlaubsgäste, Victor managed das kleine Unternehmen.

Richtung Panama

Ausgeruht kommen wir in Richtung der panamesichen Grenze zügig voran. Nach wie vor ist das Gelände sehr wellig. Wir knicken wir vom Meer weg ins Hinterland ab. Der Dschungel kehrt zurück. Aber auch emsige Landwirtschaft wird betrieben. Viele Palmen zur Palmenoelproduktion sind im großen Stil in Reih und Glied angepflanzt. Die verarbeitende Fabrik folgt so gleich.

Die zuvor sehr gute Straße verändert sich ab dem Ort Palmar Norte. Nicht nur kommt hier sehr viel Verkehr hinzu, es gibt nun keinen Seitenstreifen mehr und der Belag ist entweder voller Flicken oder sehr rau. Es erinnert stark an brandenburgische Landstraßen. Der Schwerverkehr nach Süden rast nur so an uns vorbei. Fast jeden Tag sehen wir einen Unfall. Habe ich schon einmal erwähnt, das die Costa Ricaner im Allgemeinen ganz schön verrückt Auto fahren?

In La Guaria verbringen wir unsere letzte Nacht in diesem Land. Bei der abendlichen Suche nach einem sicheren Platz für die Räder und uns werden wir an die Präsidentin des Sportklubs in diesem Dörflein verwiesen. Sie ist jedoch nicht zu Hause, nur ihr Sohn Junior und sein Freund Mauricio sind da. Nachdem wir kurz über uns berichtet haben, nehmen die Beiden die Entscheidung einfach selbst in die Hand und führen uns zum salón.

Dieser stellt sich als Pavillon neben dem Fußballplatz heraus, von einem Drahtzaun umgeben. Die Jungs nehmen den Besen in die Hand und fegen für uns, rücken Holzklötze zurecht und schicken andere Kinder das Wasser andrehen. Wir sind beeindruckt. Der 14 jährige Mauricio verschwindet kurz im Dschungel hinter dem Fußballfeld und kommt mit diversen Früchten für uns zurück. Wir bekommen eine Mandarine, eine Kakaobohne und Mangotones. Die sind neu fuer uns. Mangotón soll wie Mango schmecken, erklärt er uns. Wir finden es total lecker, die Frucht erinnert uns jedoch eher an süßen Kürbis.

Irgendwann geht dann plötzlich das Licht an, das scheint Junior aus dem kleinen Laden seiner Eltern heraus organisiert zu Haben. Mauricio rennt flink rüber, kommt mit dem offiziellen „OK“ der Mutter und zwei Tüten Chips zurück. Pünktlich zum späten Nachmittag fängt ein Gewitter gigantischen Ausmaßes an. Es gießt, donnert und blitzt stundenlang.

Mauricio bleibt noch lange bei uns. Er hilft beim Zeltaufbau und schaut Hardy Tipps gebend beim Kochen zu. Wir fachsimpeln über die verschiedenen Farben der Kühe in Costa Rica und Deutschland. Er kann es kaum glauben, dass die meisten Kühe dort weiß mit schwarzen Flecken seien, so wie die Tiere aus der Werbung. In Costa Rica seien die Kühe nur weiß. Als wir gerade fertig sind mit Essen, fährt ein Auto vorbei, aus dem ein anderes Kind irgendwas mit „mamá“ und „casa“ schreit. Klar, was das nur bedeuten kann. Wir wickeln Mauricios Mathebuch in eine Plastiktüte, dann verschwindet er in den immer noch prasselnden Regen.

Heute werden wir Costa Rica verlassen, nur noch ein Land Mittelamerikas liegt vor uns. Lange wollen wir uns in Panama nicht aufhalten, denn zum Einen sind wir das hiesige schwül warme Klima mit der immensen Luftfeuchtigkeit, die bei der kleinsten Anstrengung Schweißfälle provoziert, leid und zum Anderen liegt das Abenteuer der Darien-Gap-Umgehung vor uns. Das wollen wir endlich angehen!

Posted in Costa Rica

Nicaragua (Juli-August 2012)

Grenzübergang in Las Manos

Das größte Land Zentralamerikas empfängt uns mit stetigem, kühlen Nieselregen. Bei der Migration stellen wir uns erst mal ein Weilchen unters Dach und warten ab. Las Manos ist ein angenehmer Grenzübergang, der Beamte ist freundlich, es gibt keine aufdringlichen Geldwechsler oder Schlepper.

Als wir uns dann in Regenjacken gehüllt voranwagen, will doch tatsächlich so ein adrett aussehender Typ im offiziellen Hemd, mit Klappbrett und ordentlich ausschauenden Quittungen einen Dollar Wegegeld pro Person von uns haben, damit wir auf der Straße irgendein Dorf passieren dürfen. Dies sei eine Hilfe für ökonomisch schwach dastehende Orte, erklärt er uns. Diese sei per Gesetz festgelegt. Wir wollen ihm das ja gern glauben, jedoch können all die tollen Papiere, die er mit sich führt nicht belegen, dass wir tatsächlich einen Dollar zahlen müssen. Das sagen wir ihm offen und freundlich. Solang er uns nichts handfestes vorlegen kann, werden wir keinen Dollar herausrücken. Er will uns weismachen, dass in seinem 20km entfernten Dorf die fehlenden Papiere lägen. Wenn wir hier nicht die Gebühren begleichen wollten, müssen wir dort vorbeifahren. Er droht un anzurufen um uns anzukündigen. Auf diesem Bluff gehen wir gerne ein. NIchts passiert. Irgendwann fahren wir dann einfach weiter und machen an keinem ominösem Dorf halt. Die anderen Grenzübertreter zahlen alle fleißig.

Es geht hügelig voran, auf super Asphalt, mit wenig Verkehr. Die Landschaft ist toll. Wir passieren grüne Berge durch deren Täler sich Bäche gurgelnd dahinwinden. Kühe und Ziegen grasen auf den Weiden. Neben der Straße gibt es überall tolle Plätze für ein zweites Frühstück. Hier fühlen wir uns sicher, pflanzen uns ins weiche Gras und lassen das neue Land auf uns wirken.

Es ist noch früher Morgen. Wir können etwas neues, für uns sehr schönes beobachten. In kleinen Dörfern sehen wir Eltern, die ihre Kinder an die Hand nehmen und zur Schule bringen. Das haben wir lange nicht mehr gesehen. Die Kinder gehen, ordentlich angezogen in weißem Hemd und blauer Hose oder Rock, zur Schule. Sie lachen und schwatzen mit ihren Eltern. Noch kurz zuvor in Honduras sahen wir viele Kinder, die um jene Uhrzeit gar nicht in die Schule gingen. Viele waren in schmutzigen und zerrissenen Klamotten unterwegs auf die Felder.

Ocotal

Ocotal ist ein Ort mittlerer Größe, der jedoch über einen Supermarkt verfügt. Palí nennt sich die Billigsupermarktkette nun. Ich gehe rein und mache mich mit den hiesigen Preisen und dem neuen Geld, dem Córdoba, vertraut. Draußen stehen ein paar alte Frauen herum und betteln nach Geld. Wir beobachten, dass sie von vielen Nicas, die den Supermarkt verlassen das Wechselgeld in die Hand gedrückt bekommen. So geben wir auch einer Frau etwas. Wir sind bei diesem Punkt geteilter Meinung. Hardy würde eher und öfter Geld abgeben als ich. Vielleicht bin ich da zu strikt? Es stimmt schon, wir haben viel mehr Kohle und könnten auch viel mehr geben, aber dies ist ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein und ändert an der Situation der Menschen nichts. Andererseits ändert nichts geben auch nix.  Wir sprechen lange darüber, kommen aber für uns zu keiner befriedigenden Lösung.

In Ocotal sitzen wir dann am frühen Nachmittag beim Mittagessen im Park. Dieser ist schön angelegt. Es gibt viele Gänge mit Bänken, einen Brunnen und einen Pavillon. Die Hecken sind in lustigen Tierformen geschnitten. Es ist nett hier, wir beschließen, den Radeltag vorzeitig zu beenden und hier zu bleiben. Schnell ist eine hospedaje, ein Familienunternehmen, das Zimmer anbietet, gefunden. Es ist unsere billigste Unterkunft bisher überhaupt. Wir zahlen 1,50 Euro pro Person. Dazu muss jedoch angemerkt werden, dass das Zimmerchen winzig ist und es kein Fenster gibt. Ein Schild an der Tür besagt, dass die Gäste das Licht ausschalten und sich ruhig verhalten sollen und außerdem die Dusche nicht als Urinal zu benutzen haben. Unser „spät“-abendliches Geschirrspülen scheint die Familie auch eher zu stören. Als wir uns leise noch um 20h in unserem Raum unterhalten, klopft es an der Tür und die alte Vermieterin meint, wir sollen doch das Licht ausschalten, wenn wir es nicht mehr benötigen. Ich gehe dann noch auf’s frisch geputzte Klo, das Klopapier müssen wir selber stellen, da schaut mich eine riesengroße Kakerlake auf der Klobrille sitzend an. Ich versuche sie mit dem Klopapier wegzuschnipsen, da landet sie mitten auf meiner Hand. Naja, für 1,50 Euro darf man wohl nicht zu viel erwarten 😉

Abseits der Hauptstraßen, von Estelí durch das Naturreservat Miraflores nach Matagalpa

In Richtung Estelí fahren wir weiterhin durch hügeliges Gebiet. Am Wegesrand gibt es viele Ziegelbrennereien. Die Ziegel werden aus Ton- oder Lehmerde geformt, in langen Reihen in der Sonne getrocknet und dann in großen, aufgetürmten, ordentlich geschichteten Haufen gebrannt.

Nachdem wir im Ort Esteli im Palí, wo auch sonst, noch einmal ordentlich eingekauft haben, biegen wir auf schlechter Piste in die Berge ab. Hardy besteht auf seinen Seitentrip, da alle Ideen seinerseits in Honduras aus Sicherheitsgründen lieber gecancled wurden. Durch das große Reserva Natural Miraflor werden wir in den Bergort Matagalpa fahren. Dieses riesige Gebiet besteht vor allem aus Ackerland, indem verstreut ein paar fincas liegen. Drei Klimazonen befinden sich in seinen Höhen von 800m bis 1450m.

An schiefen Häusern und kleinen Bauernhöfen vorbei windet sich die aus zunächst fester Erde oder Schotter bestehende Piste. Ein paar Schlaglöchern müssen wir ausweichen. Die Menschen sind freundlich. An einer total urig aussehenden Wasserpumpe, die Hardy natürlich lange ausprobieren muss, warnt uns schon einmal ein vorbeifahrender Mann auf einem Motorrad für die uns bevorstehenden Kilometer schlechtester Piste. Wir danken ihm, treten dennoch fleißig weiter in die Pedale.

Schon bald sehen und spüren wir, was er gemeint hat. Der Schotter wird lose, große Steine gesellen sich hinzu. Die Steigung verwehrt jegliches Radeln. Wir steigen von den Sätteln und schieben mal wieder. In den steilsten Passagen ein Rad mit vier Händen. Es ist so heiß, meine Laune senkt sich dem Nullpunkt entgegen. Hardy findet es toll und kann im Gegensatz zu mir die Landschaft und Ausblicke während der harten körperlichen Arbeit genießen.

Auf der Hochebene angekommen, trotzen wir dem kalten Wind mit einem heißen Kaffee und freuen uns des tollen Weitblickes. Schier endlos umgeben uns Weiden, kleine Höfe und Seen. Es ist eine wilde Kulturlandschaft, die uns umgibt und einschliesst. Zerzauste Agaven, Sträucher und Bäume stellen sich dem starken Lüftchen. Moose wachsen auf dem Boden. Hohe Gräser umgeben die kleinen Seen. Leicht bergig wellt sich die Landschaft dahin. Gemächlich reiten Männer mit von der Sonne gegerbten Gesichtern auf ihren Pferden an uns vorbei, ihre Hunde folgen ihnen langsamen Schrittes.

Im Dorf La Concordia kommen wir nach 33km harter Schotterpiste völlig fertig am späten Nachmittag an. Die neu gemachte Asphaltstraße empfängt uns unerwartet und entlockt uns Jubelschreie der Begeisterung.

In der Schule überlasst uns eine sehr nette Lehrerin ihren Klassenraum. Wir müssen nur bis 18 Uhr warten, bis sie mit der Nachhilfestunde fertig ist. Gut, müde machen wir es uns im Gang bequem und beantworten neugierige Fragen der Schüler, die uns eifrig Stühle herbeitragen.

Unser „Endspurt“ nach Matagalpa zieht sich, denn hoch und runter geht es dahin. Jedoch ist es ein Augenschmaus. Es gibt so viele Bäume, die hier nicht gerodet werden. Wir sind begeistert. Zwischen ihnen sind auch an den steilsten Hängen im wagen Schachbrettmuster Felder angelegt. Vor allem Kohl wird angebaut. Aber auch Bananen- und Kaffeepflanzen sind zu erkennen. Vor den aus Holzbrettern oder Ziegeln bestehenden Häusern, deren Erdhöfe ordentlich gefegt sind, wachsen bunte Blumen in der milden Bergsonne.

Matagalpa ist ein richtiger Ort. mit Supermärkten, Marktständen, Plätzen und Museen. Nachdem wir in den letzten 10 Tagen im bergigen Gelände durchgefahren sind, beschließen wir einen Ruhetag einzulegen. Wir schlendern durch die Gassen, besuchen das Kaffeemuseum, gammeln, waschen und reparieren Hardys Platten. Die kleine Besitzerin des hoteleigenen Papageien heißt auch Alena. Das ist auch das einzige Wort, das der Vogel kann. Und so schreit er es in allen Tonlagen den ganzen Tag vor sich hin. Zu Hardys Belustigung geht mir das ganz schön auf den Nerv: „Aaleeenaa!“ Abends gibt’s Kartoffeln mit Quark und ein Bier.

Auf nach Granada

Trotz nicht aufhörendem Nieselregens in den Bergen festgehangener Wolken, brechen wir auf. Es geht hinab ins erdrückend warme Tiefland. Bald rasen wir wieder auf der Panamericana und schaffen seit langem über 100km. Es gibt einen schmalen Seitenstreifen, der Verkehr nimmt deutlich zu. Hier im pazifischen Tieflandgürtel, im Großraum Managua, León, Granada leben die meisten Bewohner des Landes. In den Städten haben sich 57% der Nicas angesiedelt. Deutlich nimmt der herumliegende Müll zu. Auch häufen sich die Gringo-Rufe in unsere Richtung. Der Fahrspaß nimmt ab.

Ein Platten kommt selten allein, so verirrt sich ein großes Metallstück in meinen Hinterreifen. Schnell im Gras neben der Fahrbahn alles abladen und Schlauch austauschen. Jeder Handgriff sitzt. Nach 15 Minuten brausen wir weiter und können in der Ferne bereits den großen Lago de Managua erkennen.

Am Rand der Straße steht ein Eimer, darüber hängen vom Ast eines Baumes Fische am Harken. Hardy will sie gerade fotografieren, als der Verkäufer aus dem Schatten des Baumes herbeigeeilt kommt, sie vom Harken abnimmt und in den Eimer packt. Er will nicht, dass Hardy Fotos davon macht, will ihm aber auch nicht erklären, warum nicht, will gar nicht mit ihm reden. Das kann Hardy nun so gar nicht verstehen, dass ihm jemand keine Erklärung abgeben will und ist etwas angepisst.

In Las Maderas trinken wir in einer pulpería (kleines Café/Laden) eine kalte Cola. Die Besitzerin ist richtig nett. Zwei Mädels kommen an, setzen sich neben uns und starren permanent. Auf Nachfragen unsererseits antworten sie nichts. Die Wirtin sagt ihnen, sie sollen weggehen, hier passiere nicht außergewöhnliches. Sie fragt die Kinder: „Eres mirada? Te llamas mirada?“ (Bist du eine Starrerin? Heißt du Starrerin?) Keine Antwort, die Mädchen bleiben. Sie rät uns nicht im nahen San Benito zu übernachten, da es dort gefährlich sei. Und wirklich, als wir es wenig später erreichen, wirkt es nicht besonders einladend. Dreckig, verwahrlost und herunter gerockt ist es hier. Wir fahren ins darauffolgende Chilamatillo und dürfen im Vorgarten eines älteren Ehepaares, die einen Laden betreiben, unser Zelt aufbauen.

Die noch fehlenden 60km nach Granada ziehen sich wie Kaugummi. Es ist heiß, wir schwitzen wie die Blöden. Die vielen Autos nerven uns. Dann kündigen große, gelbe Letter endlich die baldige Stadt an.

Granada

Das restaurierte, koloniale Granada wird nicht zu unrecht als die Gans, die goldene Eier des landesweiten Tourismus legt, bezeichnet. Es ist einfach sehr schön hier. Stunden, ach was, Tage lang können wir durch die Gassen schlendern und wunderschöne, verzierte Portale, elegante sowie klotzige Kirchen und romantische Innenhöfe bewundern.

Schwer vorzustellen ist es, dass die älteste Kolonialstadt Nicaraguas mit all ihrer heutigen Pracht insgesamt dreimal von französischen und englischen Freibeutern geplündert wurde. Im Jahre 1856 wurde sie sogar vom fliehenden Söldner William Walker angesteckt und bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Er hinterließ nur ein Schild mit der Aufschrift: „Hier stand Granada.“

Aber auch in Granada liegen Reichtum und Armut sehr nah beieinander. Vom Tourismusboom scheinen unserer Ansicht nach eher ausländische Investoren zu verdienen. Die Preise der Mieten in der Innenstadt sind in die Höhe geschossen, so dass ärmere Leute an den Rand der Stadt verdrängt werden. Wir sehen viele Menschen, die auf der Straße schlafen, die heruntergekommen sind und nach Geld betteln.

Im Hostel Panda Lodge, dass von einer asiatischen Familie geführt wird und dessen Thema natürlich Pandabären in jeglichen Größen und Ausführungen sind, treffen wir unsere Radelfreunde Raul und Marta wieder. Hier verbringen wir eine ganze Woche und genießen einen Stadturlaub. Sauberkeit, Ruhe, eine ausgestattete Küche und gutes Internet tun ihr übriges dazu.

Des Abends können wir immer wieder ein lustiges Schauspiel beobachten. Hier im Viertel gibt es der Sicherheit wegen einen privaten Wachdienst. In jeden Block sitzt ein Mann auf einem Plastikstuhl, eine Machete und eine Trillerpfeife in der Hand. Einmal in der Stunde hören wir einen Pfeiflaut. Dieser wird von Block zu Block weitergetragen. Ist etwas nicht in Ordnung oder braucht der Wachmann Hilfe, wird ein anderer Lauft gepfiffen.

Durch die tollen Gassen schlendern wir nach links und rechts, besichtigen Plätze und alte Kirchen. Im Kloster San Francisco befindet sich ein Museum über die Geschichte der Gegend. Es zeigt alte Stelen und gefundene Töpferarbeiten sowie Schmuck aus vergangenen Zeiten. Das Schönste jedoch ist der Bau selbst. An den großen, ruhigen Innenhof mit all seinen in den Himmel ragenden Palmen gliedern sich große Säle mit hölzernen Decken. Still ist es hier.

Natürlich besichtigen wir auch das Keramikmuseum. Kleine und große Schalen und Vasen mit wunderschönen Mustern finden unsere Begeisterung. Interessant sind auch die bauchigen Gefäße, die eine Art Stiefelform haben. Wir rätseln ein Weile welche Funktion sie wohl hatten. Dem Text der Schautafeln zur Folge waren es Urnen. Sie gibt es in Ausführungen für Erwachsene sowie für Kinder.

Granada liegt direkt am großen Lago de Nicaragua. Mit satten 8.157 km² ist er der größte See Mittelamerikas. Wir spazieren zur Uferpromenade. Bei leichtem Wind schwappen ein paar Wellen an den Sandstrand.

In anderen Teilen der Welt würde man eine schicke Uferpromenade, Hotels, Restaurant und Eiscafés erwarten, die ihre beste Position direkt am Wasser suchten. Aber hier ist das nicht so. Niemand ist im Wasser. Der „Strand“ ist vermüllt und voll von Treibgut sowie Algen. Außer einer Anlegestelle der Fähre gibt es nur ein sehr verfallenes und wenig einladendes Hostel. Ein einsamer Ticketverkäufer versucht aufdringlich Ausflüge über den See in seinem kleinen Holzboot an den Mann zu bringen. Auf der kaputten Promenade, die es immerhin überhaupt gibt, sind kaum Leute unterwegs. Es gibt wohl in kurzer Entfernung einen gepflegteren Abschnitt, mit Restaurants und allem drum und dran, aber nur um ihn betreten zu dürfen wollen Wächter einen Eintrittspreis von uns. Wir lehnen dankend ab und verkneifen uns den Besuch.

Habe ich schon einmal erwähnt, dass Hardy ein absoluter Fan von Märkten geworden ist? Er genießt es durch die engen Gassen im Schneckentempo zu schlendern, sich alles anzuschauen, mit den Verkäuferinnen zu schwatzen, Preise zu drücken und Unmengen an Obst und Gemüse einzukaufen. In diesem Punkt sind wir mal wieder gegenteiliger Auffassung. Mir ist der Trubel schnell zu viel, ich mag die Enge und die vielen Leute nicht. Da ziehe ich einen ordentlichen Supermarkt vor, in dem die Preise angeschrieben, also fix sind und ich nicht um sie als „unwissender Gringo“ kämpfen muss. Zudem ist der Markt hier in Granada eher von der heruntergekommenen, dreckigen Sorte.

Als wir mal wieder vom Markt wieder kommen und fast am Hostel sind, sehen wir ein Fahrzeug langsam durch die Gassen fahren, irgendwas in die Gegend sprühen. Es ist eine unangenehm riechende, helle Wolke. Wir wollen das nicht einatmen, rennen zum Hostel und schließen eifrig die Türen. Die Hostelbetreiberin öffnet sie wieder und wir erfahren, dass dies eine Maßnahme gegen die Verbreitung von Denguefieber sei. Ups!

An manchen Tagen brauchen auch wir eine Pause voneinander. So fährt Hardy per Bus in die Nachbarstadt Masaya, um ein altes Fort zu besuchen. Das Fortaleza el Coyotepe wurde 1893 als Festung zum Schutz der nahen Eisenbahnlinie erbaut und spaeter vom Diktator Samosa zur Kaserne umgebaut und auch als Gefängnis genutzt. In den düsteren Gängen sind die Folterzellen gut erhalten und man kann sich das Grauen, welches übrigens auch nach der Sandinistischen Revolution weiterging gut vorstellen. Stunden verbringt er später auf dem riesigen Markt und ersteht für uns keinen Schweinekopf, sondern eine neue Bratpfanne.


Naturreservat El Chocoyero y El Brujo

Den Chocoyero, ein kleines Naturreservat westlich von Masaya wollen wir aus einem besonderen Grund unbedingt besuchen. Fritz, ein ehemaliger Kommilitone von Hardy, hatte vor etwa sechs Jahren hier sein Praktikum gemacht und war schwer begeistert. Die Bilder der in Berlin gezeigten Diaschau haben wir immer noch im Kopf. Schwer bepackt mit Fritz besten Grüßen radeln wir in den Chocoyero.

Auf dem Weg dorthin machen wir an der Laguna de Apoyo halt. Von hoch oben schauen wir auf den von tropischem Trockenwald umgebenen Kratersee. Vereinzelt können wir Brüllaffen hören.

Kurz danach treffen wir wieder auf den spanischen Radler Salva. Er fragt uns, ob wir heute morgen das Erdbeben gespürt hätten. Nein! Schon wieder haben wir das einfach nicht mitgekriegt! Wie so oft ist er in gerade genau gegensätzlicher Richtung als wir unterwegs, hat aber das gleiche Ziel. Salva radelt direkten Weges auf dem schmalen, dichtbevölkerten südwestlichen Zipfels Nicaraguas nach Süden. Da wir diese Ecke bereits auf unserem Backpacking-Trip mit den Freunden aus Berlin kennengelernt haben, wollen wir noch eine Runde um den Vulkan Masaya herum drehen um wieder zurück nach Granada zu gelangen und per Schiff über den Lago de Nicaragua überzusetzen. Südöstlich des Sees wollen wir auf diese Weise nach Costa Rica einreisen. Wir verabschieden uns bis zum nächsten Mal von Salva und fahren weiter.

Der nächste Stopp ist in San Juan de Oriente, berühmt für seine Töpferwaren. In kleinen Läden wird vor allem Kitsch, aber auch wenige, Schalen, Kannen und Vasen mit aufwendigem, detaillierten Mustern dargestellt. Auch sehr schöne Holzmöbel, vor allem Schaukelstühle werden angeboten. Das Los einer Radreise, ich kann einfach nichts kaufen!

Auf anstrengendem Terrain kämpfen wir uns voran. Aufgrund diverser Stopps des heutigen Tages, ist es bereits später Nachmittag. Und da sehen wir plötzlich den Vulkan Masaya in der Ferne aufragen. Zu uns wendet sich seine karge, dunkel verkohlte Seite. Rauch steigt auf. Ganz schön beeindruckend.

Die 5km Schotterpiste in den Nationalpark entpuppen sich als nicht endend wollend. Hoch und runter, nach links und rechts windet sich der wirklich schlechte Weg. Tatsächlich sind es dann 8km harte Arbeit rein ins Hinterland. Es gibt Ananasfelder und endlich sind wir auch da, wo die Tomaten herkommen!

Nach 18h sind wir endlich am Eingang des Chocoyeros. Zwei freundliche Ranger heißen uns willkommen. Wir dürfen uns erst einmal hinsetzen und verschnaufen.

Es sind Alfonso und Bayardo. Klar können sie sich noch an Fritz alias Freddy erinnern. Als wir von ihm berichten und herzliche Grüße ausrichten, freuen sie sich sehr. Fritz hat einen großen Stein bei ihnen im Brett. Noch lange erzählen sie von damals und welche Veränderungen es seitdem gegeben hat. Sie fragen sich auch, ob Fritz immer noch sein Bäuchlein besitzt.

Wir dürfen unser Moskitonetz unter dem großen Holzdach des Besucherzentrums gleich neben Vitrinen mit eingelegten Schlangen und Insekten aufbauen und schlafen sogleich ein. Morgens zeigt uns Bayardo die ehemalige cabaña von Fritz. Damals nur mit einer Matratze ausgestattet, ist sie inzwischen zu einem Luxusheim mit Badezimmer, Solarstrom und fließendem Wasser ausgebaut worden, das für 20$ die Nacht an Touristen vermietet wird.

Bayardo bietet uns an, ihn bei seiner Arbeit zu begleiten. Das Angebot nehmen wir gern an. Bald verlassen wir den Hauptwanderweg und biegen auf einem kaum ausgetretenen Pfad ab, der sich anstrengend den Hang hinauf windet. Eine ganz schöne Kletterpartie wird das. Wir steigen immer höher. Dieser Pfad soll zu einem weiteren Wanderweg ausgebaut werden, hören wir. An einem Hang ist eine Aussichtsplattform geplant. Dschungel umgibt uns. Die gegenüberliegenden Berghänge sind wie ein Teppich von Pflanzen dicht an dicht überzogen.

Bayardo hatte uns gesagt, er muss hier oben „saubermachen“. Es entpuppt sich als körperlich sehr anstrengende Arbeit. Schwungvoll haut er mit seiner Machete nach links und rechts, um den für uns nicht erkennbaren Pfad wieder begehbar zu machen. Dabei hackt er ohne mit der Wimper zu zucken schönste Pflanzen kurz und klein, für die man in unseren Breiten beim Blumenladen ganz schön tief in die Tasche greifen würde.

Allein wandern wir zwei noch zum Wasserfall El Chocoyero, neben dessen steilen Felswänden Scharen an kleinen, grünen Papageien Chocoyero brüten. Wir legen uns am Fuße des Wasserfalls auf eine Steinplatte und beobachten das lustige Treiben. Immer paarweise kommen die Vögel angeflogen und verschwinden in den Steinritzen. Ab und an streiten sie sich mit lautem Gezwitscher um ein Plätzchen.


Masaya

Wir schwingen uns wieder auf die Drahtesel und radeln zum nahen Vulkan Masaya. Den wollen wir bewandern und nahebei am Abend zelten. Der erste Schrecken erfolgt sogleich. Es ist kurz vor acht Uhr morgens, bereits jetzt stehen Scharen von Touristen vor den noch geschlossenen Nationalparktoren. Kurze Zeit später hören wir, dass die Besteigung des Vulkans aufgrund des vor ein paar Tagen stattgefundenen Erdbebens und der immer noch anhaltenden seismischen Aktivität nicht möglich sei. So ein Mist!

Etwas geknickt fahren wir in die nahe Stadt Masaya und essen auf der plaza erstmal etwas. Nachdem ein Hotel gefunden ist, machen wir uns auf den Weg zum Markt. Die Hitze und das Laufen in der erdrückenden Sonne sind für mich kaum auszuhalten. Über die Schönheit der Marktes sind wir wieder geteilter Meinung.

Ein Gutes hat das Ganze doch, denn in unserem Hotel gibt es Wifi. So schlägt sich Hardy die Nacht um die Ohren, als er voller Begeisterung live die Landung der Marssonde Curiosity mitverfolgt. Eine neue Leidenschaft ist geboren. Von nun an wird er nicht nur seine Emails, sondern auch die neuesten Erkenntnisse auf dem roten Planeten, mit Spannung verfolgen.

Von Granada nach San Carlos

„Jetzt fahr’n wir übern See, übern See, jetzt fahr’n wir übern See…“

Zurück in Granada wuchten wir die Räder sowie das ganze Restgepäck an Bord der Fähre, die uns in 12-stündiger Fahrt über den Lago de Nicaragua an dessen südöstliches Ende nach San Carlos schippern wird. Es ist recht voll an Bord. Wir blockieren mit unserem Gepäckberg dreist eine ganze Bank für uns. Andere Urlauber pflanzen sich draußen auf Liegestühle, die sie später jedoch bezahlen müssen. Ein Zwischenstopp wird auf der Insel Ometepe eingelegt. Es wird ruhiger. In Schlafsäcken gehüllt, denn die Klimaanlage ist tückisch, breiten wir uns aus und haben jeder eine Bank für uns. Es ist nicht ganz so schlimm und anstrengend wie erwartet, die Bänke haben sogar Polster. Wir werden vom Wackeln der Wellen und des gleichmäßigen Dröhnen des Motors in einen unruhigen Schlaf gewogen.

San Carlos und El Castillo

Morgens um sechs stehen wir dann noch recht müde mit unserem Gepäckberg am Pier in San Carlos. San Carlos ist heiß und erdrückend. Aufgrund der Frühe ist es ein zeitaufwendiges Unterfangen ein freies Hotelzimmer zu finden. Wir stellen die Bikes hinein und gehen zurück zum Pier. Vom Bootsfahren haben wir noch nicht genug.

So steigen wir diesmal in eine kleinere Variante und fahren den Río San Juan ein paar Stunden hinunter. Der schlängelt sich kurvenreich dahin, bis er irgendwann bei Greytown ins karibische Meer mündet.

Ganz so weit wagen wir uns nicht vor und steigen im kleinen Ort El Castillo aus. Eine Vielfalt von Vögeln und auch Krokodile locken, laut unserem vielversprechenden Reiseführer. Nun ja, wie das nun mal immer so ist mit Reiselektüre, die in den buntesten Tönen die Welt beschreibt – außer ein paar Vögeln sehen wir nichts, die größeren Tiere befinden sich weiter unterhalb, und auch das beeindruckende, alte Fort in El Castillo haben wir in 20 Minuten angesehen. El Castillo, einst gebaut, um an strategisch günstiger Position an Stromschnellen des Flusses den Piraten Einhalt zu gebieten, ist nun ein ruhiger, verschlafener Ort geworden.

Wir treten den Rückweg nach San Carlos an und haben eigentlich die Schnauze voll vom Bootfahren.

Morgen, morgen steht wirklich die letzte Etappe dieser schaukelnden Gefährte an, denn um Costa Rica zu erreichen, müssen wir per lancha den Río Frío, den Kalten Fluss, entlang schippern. In Los Chiles werden wir dann bei den Ticos einreisen.

Nicaragua haben wir als ein angenehmes Reiseland erlebt. Wobei die drückende Hitze sehr gewöhnungsbedürftig ist. Insbesondere in Granada liegen Reich und Arm sehr nah beieinander. Viele Menschen haben wir auf der Straße leben sehen, nach Geld wurden wir des öfteren gefragt. Eine Armut, die uns zum Nachdenken bewegt hat.

Ganz klar muss ich jedoch sagen, dass wir in Nicaragua keine Situation erlebt haben, die ich als deutlich unangenehm beschreiben würde.

Posted in Nicaragua

Honduras (Juli 2012)

Von der salvadoreanischen Grenze bis zu den Bay Islands

Honduras, was erwartet uns wohl in diesem Land? Wir sind gespannt. Zuerst gibt es einmal eine neue Währung, den Lempira. Der ist gar nicht so leicht zu bekommen, denn in Nueva Ocotepec, dem ersten größeren Ort hinter der Grenze ist der erste Geldautomat geschlossen, der zweite ist kaputt und der dritte will unsere Kreditkarte nicht lesen. Nach einigem Hin und Her tauschen wir in einem Hotel ein paar unserer Notfall-Dollarnoten in die honduranische Währung ein.

Nueva Ocotepec ist ein nicht sehr ansprechender Durchgangsort. Wir haben uns ein kleines Zimmer in einem Hotel, in dem auch die Busfahrer absteigen, genommen. Ja, Absteige trifft es ganz gut. Das Zimmer ist winzig, stickig, dunkel, mückig und muffig. Kaum kriegen wir die abgeladenen Fahrräder hinein. Unsere Mückennetze befestigen wir mit Klebeband an den Wänden.

Wir durchradeln mal wieder bergiges Gebiet. Im Gegensatz zu El Salvadors Bevölkerungsdichte gibt es in der südwestlichen Region Honduras etwas weniger Bewohner. Wir bestaunen schroffe Felswände mit Kiefern überzogen, ohne Häuser, ohne Menschen. Abfahrten in Hochtäler würzen die sonst recht müßige Kurbelei.

Unsere ersten Eindrücke in Bezug auf die Menschen in diesem Land sind zweigeteilt. Sie scheinen zurückhaltender und distanzierter als ihre Nachbarn zu sein. Die Bevölkerung wirkt oft heruntergekommen und sehr arm. Laut und teilweise aggressiv ertönen in unsere Richtung Gringo-Schreie aus den Hütten, die aus Brettern und Plastikplanen gebaut sind. Aber auch untereinander unterhalten sich die Leute sehr laut, oftmals schreiend.

In einer Mittagspause in einem kleinen Kaff treffen wir den spanischen Reiseradler Salva. Auf Salva treffen wir nun zum zweiten Mal, nur diesmal bietet sich Gelegenheit sich auszutauschen. Er befindet sich gerade auf dem letzten Abschnitt seiner sechsjährigen Weltreise und „muss“, so wie wir, nur noch bis Ushuaia radeln. Wir unterhalten uns eine Weile. Währenddessen laufen junge Burschen mit fetten Pistolen in den Hosenbünden an uns vorbei und erstehen Süssgebäck in der Bäckerei.

Wenn (ehemalige) Fünftklässler Waffen tragen

Es ist unsere zweite Nacht in Honduras, wie gewohnt haben wir bei einer nett erscheinenden Familie gefragt, ob wir in ihrem Garten unser Zelt aufschlagen können. Sie haben drei Kinder, einen zehnjährigen Sohn, eine Tochter, die etwas jünger ist und eine ganz kleine Tochter. Die Mittlere scheint eine Art Nanny-Funktion zu haben. Sie wird insbesondere von der Oma andauernd angehalten hinter der Kleinsten hinter her zu rennen. Die Oma sitzt auf ihrem Stuhl, verscheucht mit der Fliegenklatsche lästige Tierchen und kommandiert ohne Worte, nur mit Pfeiff- und anderen Lauten herum.

Wir sind die Attraktion. Es kommen mehr und mehr Jugendliche vorbei. Sie schauen uns, die Räder und das Zelt an. Hardy unterhält sich mit einem von ihnen, die anderen stehen stumm dabei. Er ist siebzehn Jahre alt. Bis zur fünften Klasse ging er in die Schule, in die escuela. Ab der Sechsten geht man hier ins colegio und ab dann kostet es. Nur die ersten fünf Schuljahre sind gratis in diesem Land, darum geht kaum jemand länger zur Schule. Auch nicht alle Kinder besuchen sie, denn eine Schulpflicht gibt es nicht. Costa Rica ist das einzige Land Mittelamerikas, wo jene gesetzlich verankert ist, lernen wir später.

Etwa mit 11 Jahren war Hardys Gesprächspartner mit der Schule fertig. Was er danach gemacht habe, fragt Hardy. „Nichts, hier und da ein bisschen gearbeitet.“ lautet die Antwort. Was er denn später mal machen will? Das weiß er nicht, da muss er sich mal Gedanken drum machen, doch eine Perspektive hat er nicht. Wahrscheinlich wird er weiter mit der Machete auf dem Land arbeiten.

Bereits am Mittag hatten wir junge Kerle herumrennen sehen, mit dicken Wummen in den Gürteln geklemmt. Hardy nutzt die Chance und fragt nach: „Haben hier viele Leute Waffen? Ist es hier normal, dass alle ihren Waffen tragen?“ – „Ja, fast jeder hier hat eine Pistole. Manche tragen sie offen, manche versteckt. Es ist eigentlich verboten. Wird man von der Polizei erwischt, muss man eine Strafe zahlen.“ Er selbst habe keine Waffe, holt dann aber sein riesiges Klappmesser heraus und macht sich damit die Fingernägel sauber.

Dann erscheinen zwei betrunkene Männer auf der Bildfläche. Der Eine hat auch ein fettes Messer im Gürtel zu stecken. Sie sind natürlich an uns interessiert. Wir haben da gar keinen Bock drauf. Wir überlegen sogar, schnellst Zelt und Zeug zu packen, um ein Hotel zu suchen. Aber es ist bereits kurz vorm Dunkelwerden und so keine gute Zeit, um auf der Straße unterwegs zu sein. Hardy schnappt sich den Familienvater und beschreibt ihm unsere Lage und Gedanken. Dieser sagt, die Leute sind alle wegen uns gekommen und werden bei Dunkelheit abhauen, auch die Betrunkenen. Die Familie ist sehr nett und bemüht sich um uns. Die Betrunkenen werden von uns weg ins Haus gelotst. Opa und Oma der Familie trinken mit den beiden Bier und werden in kürzester Zeit auch betrunken. Uns fällt auch auf, dass die drei Kinder von der Bildfläche verschwunden sind. Auch die Frauen ziehen sich still zurück. Oh man, wo sind wir nur gelandet? Doofe Situation, wir fühlen uns super unwohl, können aber auch nicht weg. Was ist nun sicherer?

Dann gehen auch die Betrunkenen, bzw. Einer fährt in seinem Pick Up davon. Leben kehrt in die Familie zurück. Alle scheinen erleichtert, dass sie weg sind. Uns wird erklärt, dass es gut so sei, da der Opa zum trinken neigt. Auch die Kinder kommen vors Haus und tollen herum. Der Zaun in der Einfahrt wird geschlossen. Wir sind erleichtert und verziehen uns ins Zelt. Uns wird mehrfach versichert, dass wir hier sicher seien und nachts sicher keiner kommt.

Gegen Mitternacht hören wir dann komische Geräusche, die wir nicht einordnen können. Ein Wimmern folgt. Plötzlich sind alle der Familie wach und auf den Beinen. Wir sitzen senkrecht im Zelt und versuchen die Wortschwalle zu verstehen. Der Betrunkene hatte wohl in der Einfahrt oder nahebei geparkt und war dann in seinem Auto eingeschlafen. Drei Menschen, mit Macheten bewaffnet, kamen des Weges, überfielen ihn, raubten sein Auto und verletzten ihn mit der Machete im Gesicht und am Rücken. Wir hören ihn wimmern und klagen. Die Familie ist in Aufruhr und verarzten ihn. Dann wird der jefe angerufen, der Dorfchef? Die Polizei alarmiert niemand, ist wohl keine Hilfe von deren Seite zu erwarten.

Lange können wir nicht einschlafen, wälzen uns hin und her. Was für eine Nacht, was für ein Abend. Wir beschließen aufs Geld zu scheißen und ab jetzt Hotelzimmer hier in Honduras zu nehmen.

Als wir am folgenden Morgen müde die Räder packen, kommt das süße kleine Mädchen der Familie hinzu, verfolgt mit großen Kulleraugen neugierig jeden unserer Handgriffe. Sie ist über zwei Jahre alt, kann kaum ein Wort sprechen. Ach ja, sie wird von ehemaligen Fünftklässlern erzogen. Traurig.

Hierzu sei aber auch ausdrücklich gesagt, dass sich die Menschen ihre Situation bestimmt nicht aussuchen. Honduras gilt als das Armenhaus Mittelamerikas. An oder unter der der absoluten Armutsgrenze sollen 80% der Bevölkerung leben. Eine Affinität zu Waffen in Verbindung zu einem geringen Wert des Lebens bewirkt eine alltägliche Gewalt, die seinesgleichen sucht. Honduras ist eines der Länder mit der höchsten Mordrate. Wir erleben größte Vorsicht. Kein Laden ist betretbar, die Waren werden durch schwere Gitter hindurch gereicht.

Von diesem Erlebnis so geschockt, setze ich mich durch, so dass wir in den folgenden Nächten immer in einem Hotel oder einer hospedaje schlafen. Auch tagsüber fühle ich mich sehr unwohl. Ich möchte am Liebsten immer in Bewegung sein und bloß nicht anhalten. Auch nur die Kamera herauszuholen finde ich gefährlich. Das ist das erste Land auf unserer Reise, in dem es mir so geht. Vielleicht übertreibe ich oder steigere mich da hinein, Hardy ergeht es nicht ganz so heftig.

Über die unspektakulärere Stadt La Entrada fahren wir in Richtung Tela und La Ceiba an die Karibikküste. Unsere Pläne auf Nebenstraßen durch die Berge zu gondeln werden aus Sicherheitsgründen geknickt. Von Passanten und einem Polizisten erfahren wir, dass dies einfach zu gefährlich sei. „Auf den Nebenstraßen gibt es viele maras, viele Banden“, meint er. Wir sollen bloß nicht die Hauptstraße verlassen.

Wir fahren nicht, wir fliegen. Wir schaffen Etappen von über 100km, die wir bereits am frühen Nachmittag erledigt haben.

Dabei beradeln wir, vor Schweiß triefend, die dampfenden Tiefebenen des Landes. Das feuchtheiße Klima ist echt gewöhnungsbedürftig. Wir passieren viele ordentlich geometrisch angelegte Ananasfelder, machen auch mal an Straßenständen halt, genießen frische Früchte und trinken gekühlte Kokosnussmilch. Es ist auch ein bisschen schön.

Utila

Von unsren beiden Berliner Mitbewohnern infiziert, die ihrerseits begeisterte Taucher-Lehrer sind, wollen wir es auch einmal ausprobieren und unsere Bikes gegen Schwimmzubehör eintauschen. Auf der Karibikinsel Utila planen wir einen Anfängertauchkurs zu machen. Wir sind sehr gespannt, ob dieser Sport etwas für uns ist.

Eine Fähre bringt uns geschwind von La Ceiba auf die Insel Utila. Sie liegt etwa 50km vor der Nordküste Honduras. Um sie herum gibt es das zweitgrößte Wallriff der Welt. Korallen, diverse Fischarten, Rochen, Schwämme, Schildkröten und Walhaie sollen hier beheimatet sein.

Anstatt Spanisch wird hier hauptsächlich Englisch gesprochen und das mit breitem karibischen Akzent. Die Vorfahren der Insulaner kommen aus Afrika und kamen einst her, um auf den Bananenplantagen zu arbeiten. Aber auch englische, schottische oder irische Wurzeln sind manchen Leuten deutlich anzusehen. Es ist nicht ungewöhnlich in ein hellrosanes Gesicht mit blauen Augen und rötlichen Haaren zu blicken.

Der Hauptteil der Bevölkerung Utilas lebt in der kleinen Stadt East Harbour. Hier drängen sich die Häuser dich an dicht. Einige sind grau und runtergekommen. In den Gassen müssen wir beim Schlendern, und viel mehr ist auch nicht drin, denn es ist unerträglich heiß, stark aufpassen, nicht von einem der wie irre dahin brausenden Motorräder oder Golfbuggies über den Haufen gefahren zu werden. Die Gässchen sind eng und im schlechten Zustand, der Verkehr dafür um so rabiater. Müll liegt herum. Hotels und Tauchschulen gibt es zuhauf. Deren Mitarbeiter gehen, stellen wir nur einen Fuß auf den Pier, untereinander streitlustig auf Kundenfang. Von allen Seiten werden wir zugelabert. Das müssen wir erstmal alles sacken lassen und ankommen. Wir gewinnen die Insel jedoch lieb, wenn auch erst auf den dritten Blick.

Schließlich landen wir beim Tauchshop Paradise Divers gleich östlich des Fähranlegers. Hier sind auch schon unsere Radlerfreunde Raul und Marta, die wir das letzte mal am Lago Atitlán trafen. Sie hatten eine Empfehlung eines Freundes bekommen und wir beschließen den Kurs zu viert zu machen.

Paradise Divers ist einer der günstigsten Tauchschulen auf der Insel. Zwei Tauchlehrer führen den Laden, zudem macht Ramiro gerade seinen Divemaster und ist auf den Tauchgängen mit dabei. Die Tauchschule besteht aus zwei Gebäuden gleich am Wasser. Wir beziehen überhalb der Rezeption ein recht runtergerocktes Zimmer. Neben einer Küche gibt es draußen eine Terrasse. Paradies Divers ist einer der wenigen von locals geführten Tauchschulen. Der Pier fungiert auch als öffentliche Anlegestelle der Gemeinde, so dass sich Gestalten allerlei Couleur, neben den Tauchgästen hier herumtreiben…

Sogleich fangen wir mit der Theorie in Form von Lektüre eines Paddy-Videos an. Später folgt die Besprechung der Theorie mit unserem Tauchlehrer Pelao. Der hält den Kurs auf englisch. Da er jedoch Spanier ist und einen krassen spanischen Akzent hat, ist sein englisch sehr schwer zu verstehen und wir stellen Fragen so lieber auf Spanisch.

Am folgenden Morgen geht es sogleich ins Meer. Leider ist das tauchschuleigene Boot kaputt, so dass wir und die anderen Taucher uns alle in ein kleines, gemietetes Boot quetschen. Tauchausrüstungen liegen herum, wir können uns kaum bewegen. Dann heißt es über Board in die Wellen springen und im Wasser das Jacket mit dem Tank dran anziehen und mal eben zum Strand schwimmen. „Dabei könnt Ihr ja schon mal den Lungenautomat ausprobieren und Unterwasser atmen“, meint unser Tauchlehrer. Mir geht das alles viel zu schnell. Ich bin mit dem ganzen Equipment überfordert und weiß auch nicht, wie ich meine Beine bewegen soll, um mit diesen Schwimmflossen voran zu kommen. Bei den anderen sieht das alles so leicht aus. Das alles, den Kopf Unterwasser zu haben und dazu noch durch dieses Ding atmen überfordert mich, dazu all die Wellen und die Strömung. An Strand geht’s es Unterwasser gleich los mit den Übungen. Alles geht fix, wischiwaschi und recht schnell. Als ich an der Reihe bin bei einer Übung das Atemgerät aus dem Mund zu nehmen, dann auszublasen und wieder hindurchzuatmen breche ich ab. Ich hab Panik und fühle mich nicht wohl, kann weder dieser Tauchschule, noch unserem Tauchlehrer vertrauen. Letztendlich fühle ich mich mit meiner Entscheidung sehr wohl und verbringe die folgenden Tage relaxend an Land, um lang ausstehende Blogartikel zu verfassen.

Hardy zieht den Kurs durch, obwohl alle drei überlegen aufgrund von Vertrauensmangel und diverser weiterer Mängeln die Tauchschule zu wechseln. Dies hätte jedoch größere Mehr-Kosten nach sich gezogen. Ein Gespräch mit dem Tauchlehrer bringt wenigstens etwas mehr Ruhe in die Sache.

Letztendlich haben die drei doch ein schönes Taucherlebnis und können sich nun offiziell als (Anfänger)-Taucher bezeichnen. Im weiteren Verlauf des Tauchkurses wird auch das Tauchboot repariert, es wird bequemer und entspannter und auch die Übungsgeschwindigkeit nimmt ab. Zusammen sehen sie Rochen, spektakuläre Krebse und die wildesten Korallenbestände.

Trotz der Einblicke in wunderbare Unterwasserwelt erklärt Hardy später im Tauchen wohl nicht seine Erfüllung zu finden. Es sei bisher mehr ein Kino-ähnliches Erlebnis gewesen, auch mit Preisen, die auf eine Ebene mit Luxuskinobesuchen in Europa zu stellen sind. Er vergleicht es oft mit dem Klettern, wo hingegen im Sport ein Miteinander und unmittelbares gemeinsames Erleben und Kommunikation möglich sei.

Das Tolle an unsere Tauchschule ist das Miteinander. Auf der Terrasse hängen wir zusammen mit den Tauchlehrern und den anderen Tauchschülern herum und kochen oft gemeinsam. Jeden zweiten Tag kocht Ramiro für alle. Das erinnert uns stark an unsere Vokü-Zeiten daheim in Berlin. Mal gibt es Pizza a la parilla (vom Grill) und mal einen Grillabend.

Einen Tag verbringen wir auf dem wunderschönen unbewohnten Water Cay. Palmen säumen die kleine, unbewohnte Insel. Um sie herum gibt es tolle Korallen, die eifrig beim Schnorcheln betrachtet werden. Als große Gruppe genießen wir das sanfte, türkisfarbene Meer und spazieren einmal komplett um die Insel. Der alte, etwas verrückte, aber sehr liebenswürdige Fischer Zorro bringt uns hin und holt uns am Nachmittag wieder ab. Auf der Rückfahrt sind die Wellen recht hoch. Sein kleiner Kahn springt hoch und runter. Die Wellen schwappen über die Boardwand in unsere Gesichter. Gut das wir unser Schnorchelequipment bei uns haben. Mit Taucherbrillen bewaffnet sitzen wir bald im wackelnden Kahn.

Zorro wohnt auf einem Cay gleich nebenan. Den zeigt er uns stolz. Dicht an dicht stehen darauf die kleinen Häuser. Es gibt keinen Platz für ein weiteres. Jeden Tag kommt Zorro an den Steg unserer Tauchschule, um dort seine gefangenen Fische zu putzen und sie zu verkaufen. Wir sind auch fleißige Abnehmer. Er erzählt, dass er fast nichts mehr fängt und es sehr schwierig geworden sei. Früher habe er sein ganzes Boot voll bekommen. Aber heute tauchen erwartete Fischschwärme gar nicht mehr auf.

Die höchste Erhebung der Insel, den Pumpkin Hill, bewandern Hardy und ich natürlich. Ein echt toller blick erwartet uns oben. Wo wir auch hinblicken, uns umgibt zu allen Seiten Wasser. Die Insel ist echt klein.

Von den Bay Islands auf nach Nicaragua

Zusammen mit Marta und Raul wuchten wir die Räder und diverses Gepäck auf ein kleines Frachtschiff, dass uns Sonntags wieder zurück aufs Festland schippert. Die Wellen wackeln das Gefährt recht gut durch, bis auf Raul werden wir alle seekrank.

Um drei Uhr nachmittags sind wir endlich angekommen und machen drei Kreuze. Es ist bereits zu spät, um noch weiter zu radeln, so suchen wir zusammen ein Hotel. La Ceiba soll sehr gefährlich sein. Die Straßen sind leer und ausgestorben, jetzt schon. Froh dann doch noch ein bezahlbares Zimmer gefunden haben, nehmen wir es auch in Kauf, die Räder eines nach dem anderen mit vereinten Kräften die steile Treppen hinaufzuwuchten. Dann fix zum Supermarkt und zurück ins sichere Hotel. Vom Nichts-Tun und dem Gewackel sind wir alle völlig fertig und verschwinden schnell in unseren Zimmern.

Am Morgen fahren wir zum Busbahnhof, denn wir wollen einen Bus bis nach El Progreso nehmen. Diese Strecke hatten wir bereits auf der Hinfahrt zur Küste beradelt und haben kein Bedürfnis dies ein zweites Mal zu tun. Die Busfahrt verläuft komplikationslos und wir radeln noch zwei Tage zusammen in Richtung Lago de Yojoa. Leicht wellig verlauft das Gelände. Felder und sanftes Grün zu beiden Seiten.

Kurz nach Talaubé besuchen wir die dortigen Tropfsteinhöhlen und fragen, ob wir nicht auf dem Gelände zelten dürfen. Es klappt und wir freunden uns auch gleich mit dem Nachtwächter an. Wunderschön können wir heute gleich neben dem Höhleneingang schlafen. Als es anfängt zu nieseln kochen wir im Schutz des Eingangs. Fledermäuse fliegen umher. Der Wind raschelt in den Baumkronen über uns.

Über Comayagua und Tegucigalpa fahren wir der nicaraguanischen Grenze entgegen. Ich muss sagen, ich bin froh auch diesen Teil Honduras zu bereisen. Einmal schlafen wir in einer Schule und einmal bei einem Gemeindezentrum einer bautistischen Kirchengemeinde. Wir fühlen uns sicherer. Die Menschen sind anders drauf, freundlicher. Auch die sichtbare Waffenpräsens nimmt ab. Mein erster, negativer, Eindruck verändert sich und klingt etwas ab.

Die stundenlange Durchquerung der Hauptstadt Tegucigalpa ist für uns beide sehr stressig. Mit uns kämpft sich eine Lawine aus dichtem Verkehr voran. Ewig zieht sich das Stadtgebiet hin, dazu ist auch teilweise auch noch recht steil.

Unsere letzte Nacht in Honduras verbringen wir im kleinen Ort El Paraíso. So stelle ich mir das Paradies aber nicht vor! Trist und heruntergekommen ist es hier. Auf dem Platz vor der Kirche werde ich von einem Betrunkenen zugelabert, der mir dreimal das Gleiche erzählt. Wie schön, das nach wie vor Betrunkenen von uns magisch angezogen werden.

In unser mini Hotelzimmer passen gerade so wir und die Bikes. Um von der Tür zum Bad zu kommen, müssen wir übers Bett steigen. Auch hier wird uns geraten bloß vor 19h wieder im Hotel zu sein. Machen wir ja. Abends hören wir draußen betrunkene Leute, Glas klirrt, es wird laut gehupt, Bremsen quietschen. Ich höre unseren Portiere folgenden Satz sagen, den ich bereits so einige Male wahrgenommen habe: „Honduras es bruto“ („Honduras ist brutal“).

Nach all den Ländern, die wir bisher bereist haben, ist Honduras das erste indem wir uns beide nicht wohl gefühlt haben. Das hatte zur Folge, dass wir uns sehr vorsichtig bewegt haben, was eine Fülle an Hotelübernachtungen nach sich zog. In den anderen Ländern haben wir immer von den Einheimischen gehört hier bei ihnen sei es sicher, aber da im Nachbarland dort sei es gefährlich. In Honduras erleben wir dies anders. Hier sagen beschreiben die Mensch ihr eigenes Land als sehr gefährlich, „Hier müsst ihr aufpassen.“

In der Galerie befinden sich weitere Fotos zu unserer Honduras-Etappe.

Posted in Honduras