Eine Runde durch den Nordwesten El Salvadors (El Salvador / Juni 2012)

Wir befinden uns nun im kleinsten Land Mittelamerikas. El Salvador wird von seinen Bewohnern auch Land der halben Stunde genannt. Von der Hauptstadt San Salvador aus kann sei alles in nur 30 Minuten zu erreichen.

Ganze 61 Vulkane sind hier beheimatet. Viele von ihnen sind aktiv. Erdbeben gibt es des öfteren. Auf der fruchtbaren Erde der Lavaböden gedeiht und wächst alles, es ist satt grün.

Morgens, als uns in Ciudad Pedro de Alvarado der Wecker aus dem Schlaf holt, regnet es. Es gießt in Strömen. Wir beschließen uns noch ein Wenig in die Federn zu kuscheln und warten ab. Wir haben gar keine Lust auf einen weiteren Regentag und noch weniger auf die auf einen Grenzübergang folgenden aufdringlichen Schlepper und Geldwechsler.

Aber wir werden positiv überrascht. Die Aus- bzw. Einreise (Nicaragua-El Salvador) verlauft völlig stressfrei. Niemand drängelt sich uns auf. Mit dem wirklich freundlichen Grenzbeamten halte ich erst ein Schwätzchen, dann werden alle Einreiseformalitäten erledigt. Ich bin ein Wenig irritiert und erfahre, einen Stempel bekommt man hier nicht in den Pass. Wir sind immer noch im CA-4-Staatenbund.

Die Leute hier sind nett. Unsere altbekannten Freunde, die Gringo-Rufe, werden durch ein „Hello“ abgelöst. Die Menschen hier sind zurückhaltender als ihre Nachbarn und rücken uns nicht so nah auf die Pelle. Uns fällt auf, das die Leute hier alle so furchtbar schick angezogen sind. Modisch und adrett, eng am Körper anliegend, sitzt die bunte, saubere Kleidung. Auch Plastikschuhe werden hier nicht getragen. Richtiges Schuhwerk gibt es.

Und wir finden unsere Leidenschaft, die aguas wieder! Die hatten wir seit Mexiko so arg vermisst. Aguas (Erfrischungsgetränke auf Fruchtbasis mit Eiswasser versetzt) in allen Farben und Geschmacksrichtungen sind erhältlich. Wir genießen ein agua de tamarindo, super erfrischend bei dieser Hitze!

Seitdem wir neulich in Belize beide gleichzeitig unsere Mäntel wechseln mussten, fahren wir ohne Ersatzreifen. Das rächt sich nun. Hardys wirklich nicht alter Continental TravelContact Mantel reißt auf. Er ist nicht mehr zu gebrauchen. Wir sehen, dass der innere Layer völlig aufgeribbelt ist. So ein Scheiß! Da werden wir uns bei Continental melden.

Ich bleibe auf dem Seitenstreifen bei den Rädern zurück. Hardy holt den Daumen raus und versucht per Anhalter ins letzte Dorf zu trampen. Es gelingt recht schnell. Zurück kommt er mit dem Bus, im Arm einen salvadoreanischen Billigreifen. Mal sehen, wie der sich im Gegensatz zum sogenannten Profireifen macht. Erst mal läuft es wieder rund.

Nationalpark El Imposible

Kurz nach der Grenze biegen wir nach Norden ab in Richtung Nationalpark El Imposible. Der Imposible trägt seinen Namen, da in der Vergangenheit viele Bauern mit ihren Lasttieren in den Tod stürzten, als sie über das schwierige Gelände Kaffee zum Pazifik befördern wollten.

Steil, steiler, am Steilsten, kann ich nur sagen. Die Schotterpiste windet sich die Berge empor. An den besonders schönen (steilsten) Steigungen wurde handtellergroßes Kopfsteinpflaster verlegt. Da wird das bereits anstrengende Schieben zur reinsten Qual. Das beladene Hinterrad rutscht über einen Stein und beleibt sogleich in der Lücke zum Nächsten hängen. Es bedarf einiges an Kraftaufwand, um es da heraus, hin zum nächsten Stein zu befördern.

Stunden verbringen wir mit Schieben. Ein paar Meter fahren wir, um dann wieder zu schieben. Es ist schon später Nachmittag, als wir uns entschließen rund fünf Kilometer vor dem Parkeingang ein Auto anzuhalten. Unsere Räder werden zu den drei Mitfahrerinnen auf die Ladefläche des Pick Ups gehievt. Wir springen hinter her und los geht die ruckelige Fahrt. Welch ein Glück, ohne diese Hilfe hätten wir es heute vielleicht nicht mehr zum Nationalpark geschafft!

Wir sind die einzigen Gäste auf ganzen drei Campingplätzen! Toll, ein Lichtung mitten im Urwald. Es gibt saubere Klos, Quellwasser und Pavillons, die auf Plattformen stehen. Unter einem von ihnen bauen wir unser Zelt auf. Nebel zieht auf. Es fängt ganz fein an zu regnen. Wir sitzen unter unserem Dach, genießen die Stille und die blickenden Glühwürmchen und finden es super endlich mal wieder im Wald zelten zu können.

Mit einen guía, denn ohne einen Führer ist es nicht erlaubt, unternehmen wir eine Wanderung durch Nebel- und Primärwald über viel kleine gurgelnde Flüsse hinauf auf einen Gipfel. Nur der Nebel fehlt heute.

Als unser guía dann nix mehr zur Vegetation zu berichten hat, klärt ihn Hardy über Kontinente, Länder und Plattentektonik auf. Hardy erfreut sich daran seine Spanischkenntnisse ausreizen zu koenn und unser guia fragt wissensdurstig nach.

Am frühen Morgen um sechs wählen wir diesmal lieber den Bus, um zur Hauptstraße zurückzukehren. Obwohl dieser geschlagene zwei Stunden benötigt, ist das auf diese Weise wesentlich schneller, als wenn wir vorsichtig hinabrollen, bzw. schieben würden. Zudem wollen wir unsere Bikes schonen und nicht mit ihnen über dieses sehr unebene Kopfsteinpflaster krachen.

Ruta de las Flores

Die Blumenroute ist eine kurvenreiche, steile Strecke, die durch schönste Landschaft sowie kleine Kolonialstädtchen führt. Zu beiden Seiten des Weges blühen, wie der Name schon sagt, die buntesten Blumen. Obwohl es heute mal bewölkt ist, kommen wir auch so ordentlich ins Schwitzen. Mensch, wieder steil ist es hier! Dafür entschädigt bester Asphalt, teilweise sogar mit Seitenstreifen. Teilweise fehlen die Gullydeckel, höchste Konzentration ist gefragt. Aber auch in diesem Land können oder wollen die Busfahrer einfach nicht abbremsen oder Abstand halten.

Als der kleine Hunger kommt, probieren wir das Nationalgericht El Salvadors, die pupusas. Dicke, fette Maistortillafladen, in deren Teig Bohnen und Käse mit eingearbeitet wird. Diese werden in viel Öl frittiert. Dazu gibt’s Krautsalat und scharfe Soße. Verdammt lecker und sehr gehaltvoll.

Weiter geht’s, frisch gestärkt der Steigung entgegen, ganze 40 km erwarten uns von der kuestennahen Panamerikana bis nach Apaneca in den Bergen. Später fahren wir einen Kilometer und machen schnaufend eine Bonbonpause. Dann folgen weitere ein bis zwei Kilometer und so weiter. Die ersten 500 m gehen immer ganz gut, dann fangen wir an zu prusten und können die Augen nicht vom Tacho lösen, wann den „endlich“ der nächste Stopp dran ist.

Am späten Nachmittag haben wir es ins kleine verschlafene Bergdorf Apaneca auf 1450 Metern Höhe geschafft. Es ist kühl hier oben und beginnt zu regnen. Wir genießen einen kleinen Snack sowie einen Kaffee und zum Dessert ein süßes Teilchen in einer kleinen Bäckerei.

Dann machen wir uns auf zu unserem Gastgeber Angél, der gleich neben der alten Kirche zusammen mit seinen Eltern wohnt. Abends kochen wir gemütlich und genießen Kartoffeln mit Blumenkohl, während Angél lange Klavier spielt. Seine Mutter kreiert die tollsten Bilder. Mit Hilfe von bunten Fäden werden Straßenszenen aus dem Dorf nachgestellt. Dann ein Erdbeben, der Boden hat leicht gewackelt. Angél und sein Vater haben es gespürt, wir leider nicht. Wie schade, ein Erdbeben bewusst mitzuerleben, dass wünscht sich Hardy doch schon so lange.

Wir haben Glück, denn gerade gibt es Wasser. Seit Wochen ist irgendetwas im öffentlichen Wassernetz defekt, so dass es sehr unregelmäßig fließendes Wasser gibt. In den folgenden Tagen gibt es es dann gar nicht mehr. Wenigsten eine Dusche ist für uns noch drin!

Im Nachbarort Juayua soll es am Wochenende die feria gastronómica stattfinden. Rund um den Platz werden Köstlichkeiten der Region angeboten, dazu gibt es Livemusik. Wir fahren mit dem Bus hin und sind dann etwas enttäuscht. Es erinnert eher an eine Aneinanderreihung verschiedener Fressbuden mit gesalzenen Preisen. Ein älterer, geleckter Typ schmettert romantische Trauerballaden in sein Mikrofon. Es trieft nur so. Neben ihm liegt ein heruntergekommener, total besoffener Bursche auf dem Boden. Keiner kümmert sich um ihn.

Wir versuchen das salvadorensische Treiben ganz nachzufühlen. So leisten wir uns einen Teller verschiedener Fleischsorten mit Kochbanane und Gemüse. Dazu trinkt Hardy ein quietsche süßes Zuckerwassergetränk mit kleinen Obststücken. Ich wähle eine eben so süße horchata (gemahlener Reis mit gesüßtem Wasser).

Spater besuchen wir die Chorros de la Calera am Rand des Ortes. Wasserfälle, die über die Klippen in ein künstlich angelegtes Becken hinabstürzen – erst weniger spannend. Doch dann wandelt sich das Blatt, denn ein nicht aufhörender stärkster Starkregen setzt ein. Trotz verbogener Regenschirme unserer lieben Gastgeber, sind wir pitsche Nass. Die Sandstraße verwandelt sich in einen Fluss. Endlich passiert mal etwas Spannendes! In der nahen Bäckerei wärmen wir uns mit einem Kaffee wieder auf.

Mit Angél wollen wir am nächsten Tag den Dorfberg Apaneca besteigen, am morgen, ganz früh, um eine gute Sicht zu haben. Über Finca-Gelände und kleinste Pfade, die dann ganz verschwinden und hohem Gras und Gestrüpp Platz machen, erklimmen wir den Berg. Es ist seltene klare Sicht bei Sonnenschein. Wir können auf der einen Seite bis rüber nach Guatemala und auf der anderen viele Vulkane El Salvadors sehen! Den so nah wirkenden Santa Ana wollen wir als nächstes besteigen.

Santa Ana

Oft werden wir von den Autofahrer gegrüßt, viele strecken den Daumen raus. Aber auch negatives erfährt uns. Hardy wird ein wütendes „Yankee“ entgegen geschleudert. In Santa Ana werden wir von betrunkenen Herumtreibern angebettelt und dann beschimpft. Wir ignorieren es und wenden uns ab, wissen nicht so recht, wie wir am allerbesten reagieren sollen. Die herumstehenden Leute halten sich vornehm zurück. Dann holt der Typ aus und bespuckt uns im hohen Bogen. Echt ätzend! Zum Glück kommt auch gleich der Bus, auf den wir warten und wir können uns verkrümeln. Eine Frau entschuldigt sich bei uns für dieses Benehmen und meint, er hätte getrunken.

Die Universitätsstadt Santa Ana ist auch ohne diese Begegnung nicht so die unsrige. Hektisch ist es hier, viel Verkehr, komische Leute. Auf der plaza sehen wir eine große Gruppe jugendlicher Christen, die mit Jesus-T-Shirts zu lauter Popmusik herumspringen und tanzen, um den wenigen anwesenden Kindern lautstark Jesus-Songs vorzusingen. Tja, Leute gibt’s…

Wir quartieren uns im super gemütlichen Hostal Casa Floraz am Rande der Stadt ein. Im 3er-Dormitory sind wir die einzigen Gäste. Schön ist es hier, viele Bilder schmücken die Wände. Die beiden Brüder, die das Hostal betreiben sind super nett. Wir dürfen die Küche des schicken Restaurants benutzen, kaum Gäste sind da.

Per Bus fahren wir hinauf am darauf folgenden Tag in den Parque Nacional los Volcanes. Von dort fehlen uns nur noch 500 Höhenmeter zum Gipfel des Vulkans Santa Ana. Es wird heute also eine sehr leichte Wanderung. Zusammen mit sieben anderen Touristen, einem guide und begleitet von zwei Polizisten, für die Sicherheit, versteht sich, wagen wir dann die Wanderung. Es gibt gut markierte Pfade, verirren kann man sich also nicht. Auf Banditen oder furchterregende Gestalten stoßen wir auch nicht. Naja, soll’n ’se eben mitkommen. Der eine Polizist erzählt, dass er 10 Mal im Monat den Gipfel besteige. Kein schlechter Job, für Wanderungen bezahlt zu werden.

Im Jahre 2005 brach der immer noch aktive Santa Ana zum letzten Mal aus. Leider begruben folgende Erdrutsche einige Kaffeepflücker sowie Teile des nahen Ortes San Blas. Die Ruinen einer alten Schule passieren wir bei Beginn des Aufstiegs. Der Wald lichtet sich, viele Blumen und Agaven kommen zum Vorschein. Wir passieren Felder, auf denen Pferde grasen.

Dann wird die Vegetation karger, Krautgewächse, vom Winde zerzauste Sträucher und Flechten nehmen zu. Das Grün hat sich in einen tollen blau-grau Ton verwandelt. Das krasse Gelb der blühenden Agaven sticht hervor. Wolken ziehen auf. Es wird heute wohl nichts mit der Aussicht. Den nahen Lago de Coatepeque können wir nur erahnen. Macht nichts, gespenstisch wirkt es mit den tief hängenden Wolkenfetzen. Ich find’s klasse. Bald finden nur noch Agaven Halt im steinernen Boden. Nun zeigt sich auch, wer aus unserer Wandergruppe sportlich aktiv ist. Eine junge Asiatin kackt leider ab und wird vom guide hochgezogen. „It’s to much!“, meint sie und braucht immer öfter eine Verschnaufpause.

Einer nach dem Anderen verschwinden wir im dichten Nebel. Spannend! Nur wage Umrisse der Gestalten sind auszumachen. Und dann sind wir da. Ich bin völlig begeistert, denn vor mir im steil abfallenden Krater befindet sich ein See. Und nicht nur das, er ist auch noch grün! Genauer gesagt Mintgrün und blubbert sanft vor sich hin. Wenn man genau hinsieht, verändert er hier und da leicht seine Farbe. Als dann auch die junge Asiatin ankommt und in den wabernden Kratersee blickt sagt sie freudestrahlend:“It was worth it!“

Suchitoto

Nach einen tollen, anstrengenden Tag hinweg über viele Hügel mit schönen Aussichten, erreichen wir das beschauliche Städtlein Suchitoto, welches oberhalb des Sees Suchitlán gelegen ist. Ein bisschen wirkt es, als wäre hier die Zeit stehen geblieben. Suchitoto scheint der bewegten Vergangenheit des Landes während des Bürgerkrieges stand gehalten zu haben. Danach wurde hier wenig Neues erbaut. Charmant fallen uns die vielen, kleinen, alten und schiefen Gebäude auf. Ein große, etwas heruntergekommene Kirche schmückt den Platz. Um sie herum befinden sich Laubengänge mit gemütlichen Cafés und Restaurants rund um die plaza. Suchitoto ist berühmt für sein Kunstszene. In vielen kleinen Galerien kann man Werke bestaunen. Auch schmücken unzählige Gemälde die Wände in den Restaurants. Die Leute sind freundlich, es ist ruhig hier. Dazu finden wir in einem Hotel, das eins eine Diskothek war, die aber gerade renoviert werden muss ein super tolles Zimmer für uns und die Bikes. Im wörtlichen Sinne, eines für uns beide und in den angeschlossenen Raum kommen die Räder. Gleich nebenan können wir die Küche und die Dachterrasse benutzen. Toll, zum Sonnenuntergang essen wir oben zu Abend, dabei können wir über die Dächer des Ortes bis auf den See schauen!

Am Morgen verquatschen wir uns beim Kaffee trinken und Internetten mit El Gringo, dem Betreiber eines anderen Hostels und Restaurants. Es ist schon früher Nachmittag. Wir beschließen es heute ruhig angehen zu lassen und eine weitere Nacht zu bleiben.

Als wir einen Aussichtspunkt auf den See suchen, hält neben uns ein Auto. Wir werden eingeladen mit runter ans Wasser zu kommen. Drinnen sitzen die Österreicherin Petra und der Salvadoreaner René. Petra kellnert gerade im nahen Juayua. Sie ist mit ihrem Freund im Wohnmobil nach Argentinien unterwegs. Die beiden haben eine fahrbares Strassenkino. Hier in Suchitoto bietet sie im Centro Arte de la Paz einen Workshop des Theater der Unterdrückten an.

René führt seinen Einmannladen Suchitoto Adventure Outfitters anscheinend recht gut. Begeistert erzählt er uns von diversen Touren. Er bietet maßgeschneiderte Ausflüge in El Salvador an. Auch abenteuerliche Kajak- oder Wandertouren stehen auf seinem Programm. Die Beiden wollen auf ein paar Bierchen an den See fahren, wir schließen uns ihnen an. Bier folgt auf Bier…

In den wirklich schmuck aussehenden See Suchitlán werden laut René alle Abwässer aus San Salvador sowie der Dünger aus der Umgebung geleitet. Von einem Bad darin sei dringlichst abzuraten. Fische oder Enten aus der Umgebung sollten auch nicht verzehrt werden. Die Leute in den umliegenden Dörfern tun es dennoch. Wir sehen sie im dreckigen See baden. René meint, in dieser Gegend gäbe es die höchste Rate an Geburtsfehler in ganz El Salvador.

Er erzählt auch, dass die Bewohner sehr stolz auf ihr Land wären. Nach dem bewegten, brutalen Bürgerkrieg, der bis 1992 andauerte, habe sie schnell vieles wieder aufgebaut. Hier gäbe es den höchsten Mindestlohn in ganz Zentralamerika: 150 US$ pro Woche. Gefährlich sei jedoch, dass sich die Wirtschaft sehr auf Überweisungen der im Ausland lebenden Salvadoreaner stützt. Diese machen etwa ein Fünftel der gesamten Volkswirtschaft aus.

Wir verquatschen uns und verbringen mit Petra und René den ganzen Abend. Im Gegenteil zu ihm werden wir beide schnell ziemlich besoffen, sind‘ s ja überhaupt nicht mehr gewöhnt. René meint, das gehöre zu seinem Job, wenn er mit amerikanischen College-Studenten auf Tour sei, muss er mithalten können. Wir lachen viel, es wird ein so ungeplanter echt schöner feucht-froehlicher Abend.

Über die Berge in Richtung La Palma

Über das Örtchen La Palma wollen wir El Salvador in Richtung Honduras verlassen. Aber erst mal müssen wir den nahen See überqueren. Leichter gesagt, als getan. Ein Fähre gibt es, das ist gar kein Problem, wird uns gesagt. Wir haben gestern bereits alles recherchiert. Pünktlich stehen wir morgens um halb acht am Ufer bereit und warten und warten. Die Fähre fährt erst, wenn mindestens ein Auto den See kreuzen will, heißt es nun. Ansonsten würde der Preis für uns als alleinige Fahrgäste extrem hoch sein. Aber kein Auto erscheint. Irgendwann sind wir es leid und heuern ein kleines Holzboot an, dass uns und die Räder ans andere Ufer bringt.

Es folgen anstrengende Kilometer über die Berge. Die Mittagspause verbringen wir im hektischen Chalatenango im Park direkt neben der gigantischen Festung des Militärs, die während des Krieges hier gebaut wurde, um gegen die revolutionären Aktivitäten der FMLN-Hochburg in dieser Gegend anzugehen. Natürlich gibt es mal wieder köstliche pupusas!

The Tamarindo

Kurz nachdem wir losgerollt sind, kommt uns ein Reiseradler entgegen. Es ist John Gulliano, der für seine baldige Charity-Tour hoch im Norden, in den Vereinten Staaten, trainiert. Prompt lädt er uns zum zweiten Mittag ein. Euphorisch berichtet er uns von seiner Geschichte und neuen Vision. Vor etlichen Jahren kam der Amerikaner ins Land und blieb. Kurz nach dem Ende des Bürgerkrieges stieß der Sozialarbeiter auf viele Kinder ohne Eltern. „Es waren viele, viele Kinder, die nur rumhingen und nichts zu tun hatten.“, berichtet er uns. Er schnappte sie sich und verbrachte Zeit mit ihnen. Mit seinem Fahrrad fing er an mit ihnen zu arbeiten. Er brachte ihnen das Radfahren bei. Über den Sport werkelte er an Gemeinschaft, Disziplin und Bildung. Das erste Zentrum Tamanrindo wurde zu einem sicheren Platz für Kinder. Es war ein Reparaturshop für Fahrräder. „We fixed a few bikes but dedicated ourselves to fixing kids.“, sagt er. Darauf folgte in einem Hühnerstall das Gemeinschaftszentrum Tamarindo. Es war eine Schule, Sportzentrum, aber vor allem ein sicherer Platz zum Treffen und Beisammensein. In den letzten 20 Jahren wuchs das Zentrum Tamarindo, bzw. seine Nutzer wuchsen heran. Weitere Kinder kamen hinzu.

Nun gibt es zwei alte Huehnerstaelle, in denen die vielen Kinder und Jugendlichen fast keinen Platz mehr finden. Wir erfahren, einstigen Kinder sind nun erwachsen, einige gehen sogar auf die Universität. Etwas neues, grösseres muss her. Der Traum von John Gulliano und den Nutzern des Tamarindo ist es ein neues, gigantisches Zentrum zu erschaffen, indem riesige sportliche Events stattfinden können, mit Hotel, Restaurants, Fitnessstudio und und und. Der Abend und die Nacht, in denen denen kriminelle Taten ausgeführt werden, sollen zum Tage werden. Die einstigen Kinder sollen es selbst managen, so ihre eigenen Arbeitsplätze schaffen und dafür verantwortlich sein. Einen Wahnsinns-Entwurf gibt es bereits. Der wird uns ausführlich gezeigt. John will nun in den Staaten mit Hilfe eines Charity-Rides Geld sammeln. Er wird viele Unterstützer brauchen, denn der Traum soll 3 Millionen Dollar kosten. Interesse geweckt, neugierig?! Hier könnt Ihr Euch das Projekt Tamarindo mal ansehen. 

La Palma

Um den Kleinen Ort La Palma in den Bergen zu erreichen, müssen wir schwitzend einen langen Anstieg hinter uns bringen. Im Park trinken wir erst mal etwas Kühles. Hier bestimmt Straßenkunst das Bild.

Der Maler Fernando Llort begründete einst die Naive Kunst. Den Einheimischen brachte er in einer Kunstschule bei Werke in der selben Art herzustellen. Schätzungsweise verdienen sich heutzutage dreiviertel der Gemeinde mit dem Verkauf dieser Kunst ihren Lebensunterhalt. Bunte, oft „primitive“ Bilder von Heiligenfiguren, insbesondere von Jesus, Straßenszenen oder Bauern sind auf Bildern, Schlüsselanhängern, Lampen, Ohrringen, Bilderrahmen oder Tellern zu finden. Der ganze Ort scheint kollektiv diese für uns eher kitschige Kunst zu produzieren. Auch wurden das ganze Dorf im naivem Stil dekoriert. In unzähligen Läden und Ständen werden die Werke an die Touristen angeboten. Das andauernde „Komm rein, hab keine Scheu. Sehr billig hier.“ geht mir so was von auf die Nerven, dass es mich von jeglichem Bummeln abhält. Wir halten uns nicht lang hier auf und schwingen uns wieder auf die Drahtesel.

In wenigen Kilometern Entfernung liegt der Grenzübergang nach Honduras, den werden wir heute noch übertreten.

Eigentlich hatte Hardy gedacht, dass El Salvador das gefährlichstes Land auf unserer Reise werden würde. „El Salvador… ‚Salvador‘, schon der Name klingt scharf und gefährlich.“, sagt er. „Die ‚Salvadors‘ sind immer die bösen, ungemütlichsten Gangsterbosse mit Schnauzer und fiesester Fresse.“ Sozialisation lässt gruessen!

Wir haben zwar nur eine kurze Zeit hier verbracht, aber El Salvador bis auf den Zwischenfall in Santa Ana als ein wirklich tolles Land erlebt. Wir haben sehr nette Menschen kennengelernt und wurden überall mit Freundlichkeit, Aufgeschlossenheit und Respekt empfangen. Einmal hörten wir, die Salvadoreaner wollten, dass den Touristen ihr Land gefalle, so dass sie länger hier blieben und Geld ins Land bringen. Sogar die Polizisten sollen höflichst zu Touristen seien und die kriminellen Banden würden eher sich gegenseitig, als Touristen ausrauben. Ob das wohl stimmt?!

Weitere Fotos findet Ihr in der Galerie.

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Von Chichicastenango nach El Salvador (Guatemala / Juni 2012)

Guatemala, wie ich deine steilen Berge liebe! Mal wieder schieben wir ne‘ geschlagene Stunde eine Schlucht empor. Die Felswände sowie jegliche Bäume, Leitplanken und Rinnsteine sind noch farbenfroh vom letzten Wahlkampf geschmückt. Hier wird einfach alles mit Parteiwerbung angepinselt, auch Hauswände. Im Januar diesen Jahres gewann Otto Peréz Molina vom Partido Patriota die Wahl zum Präsidenten des Landes.

 

Panajachel, Lago de Atitlán
Im schönen Städtlein Sololá mit Blick auf den unter uns liegenden Lago de Atitlán treffen wir auf de Platz vor der Kirche die beiden Radler Marta und Raul. Wir hatten sie in Zanatepec in Suedoaxaca zum ersten Mal kennen gelernt. Wie wir wollen sie ins nahe Panajachel, um dort ein paar Tage zu pausieren. Zusammen brausen wir die folgenden Kilometer auf schönster Piste hinab zum See. Schnell ist das gemütliche Hotel Villa Lupita bei der Kirche gefunden.

1 Jahr unterwegs
Heute ist für uns ein ganz besonderer Tag und wir freuen uns sehr diesen Abend gemeinsam mit unseren Freunden ausklingen lassen zu können. Wir kaufen eine Flasche Rum sowie Cola und sitzen Geschichten erzählend bis nach Mitternacht auf der Terrasse.
Vor genau einem Jahr haben wir Berlin verlassen, genau ein Jahr sind wir nun unterwegs. Ein bisschen wehmütig blicken wir zurück, wir können uns noch sehr gut unsere durchgemachte letzte schöne Nacht im Kita-Garten bei unserem Abschiedsgrillen mit euch sowie die Verabschiedung von unseren Familien erinnern. Das soll bereits ein Jahr her sein? Wie die Zeit vergeht! Wir haben so vieles erlebt, so vieles verschiedenes gesehen und so viele Menschen kennengelernt. Eindrücke, die schwer zu fassen und in Worten sehr schwer wieder zu geben sind.
Wir vergleichen Fotos von unserer Ankunft in Alaska und heute, man, zumindest körperlich haben wir uns ganz schön verändert. Gespannt blicken wir auf das kommende Jahr on tour, der Rest Mittelamerikas sowie das gigantisch große Südamerika mit den Anden liegen vor uns. Wir freuen uns auf all die Entbehrungen, Strapazen, Begegnungen und Eindrücke, die auf uns warten. Wir bereuen nichts und sind nach wie vor froh diesen großen Schritt hinein ins Abenteuer Radreise durch Amerika gewagt und getan zu haben.

Auf der kaputten Promenade, die halb im See versinkt genießen wir den Blick über den ruhig dahin liegenden See Lago de Atitlán auf 1560m Höhe, der im Hintergrund von den drei Vulkanen San Pedro, Tolimán und Atitlán umrahmt wird. Die Doerfer entlang des Ufers tragen Namen nach den 12 Aposteln. Je nach Wolken- und Lichtspiel, scheint der See eine andere Stimmung hervor zu rufen. Er wurde damals von Alexander von Humboldt als der schönste See der ganzen Welt betitelt. Dem können wir leider nicht so ganz zustimmen. Aber bestimmt sah es zu Humboldts Zeiten hier malerischer aus. Wir sind beide ein wenig enttäuscht, hatten von magischer Stimmung und schöner Natur gehört und können es nicht ganz nachvollziehen. Es ist schon nett hier, aber der Hammer ist es nicht.
Panajachel, oder ganz cool einfach nur Pana ist auch nicht der tollste Ort. Die meisten Bewohner leben hier vom Tourismus oder versuchen dies zumindest. Vom ehemaligen Mayadorf ist nichts mehr übrig. Hotel, Bars und Restaurants gibt es zuhauf. Sie reihen sich in der Fußgängerzonen aneinander. Dazwischen gibt es jede Menge Souvenirläden. Neben Holzarbeiten und Schmuck dominieren die bunt gewebten Stoffe. Kleidung, Tischdecken, Wandvorhänge und geknüpfter Schmuck wird uns aufdringlich von den herum laufenden Frauen angeboten.

 

Panajachel stellt sich neben einem Treffpunkt für Backpacker, für uns auch als einen Treffpunkt der Reiseradler heraus. Wir treffen auf Salva. Er ist bereits seit sechs Jahren durch die ganze Welt unterwegs. In Utah, beim Wandern im Bryce Canyon waren wir im Herbst letzten Jahres auf sein Fahrrad gestoßen. Leider war er unterwegs.
Und wir treffen Rob und Regula wieder, deren Weg wir vor kurzem in Belize gekreuzt hatten. Belustigt stellen wir fest, dass auch sie die anstrengende Schotterbergetappe bei Lanquin gefahren beziehungsweise gelaufen waren. Wir haben uns nur knapp verpasst! Die beiden sind im Alter unserer Eltern, wir verstehen uns prächtig. Zusammen unternehmen wir einen Ausflug in einem kleinen Boot über den Lago de Atitlán ins am gegenüberliegenden Ufer liegende Santiago de Atitlán. In der Mitte des Sees stoßen wir auf eine schwimmende Müllkippe. Umweltverschmutzung ist auch hier ein Problem. Vieles landet einfach im Wasser. Die Strömung sowie der Wind treibt alles von einem Ufer zum anderen. Jede Menge Plastikflaschen schaukeln auf den Wellen hin und her.

Santiago de Atitlán
Auf fruchtbaren Lavaterrassen gelegen ist dies das Zentrum der Indígenas in der Region. Die Meisten gehören dem Stamm der Tzutuhiles an. Wir haben Glück und können vor der großen Kirche eine Prozession beobachten. Wie im Rest des Landes spielt Religion hier eine wichtige Rolle. Von den einstigen Franziskanern missioniert, vermischte sich der indígene Glaube mit neuen Elementen. Wir beobachten wie Männer in Trachten schwere Heiligenfiguren aus der Kirche transportieren. Mit ihnen drehen sie eine Runde durchs Dorf drehen, während dazu lautstark Kanonenschüsse abgefeuert werden. Mehrere Männer schuften jeweils an einer Figur. Im Trippelschritten wanken sie nach links und rechts schwingend voran. Sie tragen Hemden und dreiviertel Hosen, mit einer Kordel um die Hüfte festgezurrt. Diese sind weiß oder blau und haben dünne Streifen. Sie erinnern mich an Piratenhosen. Manche sind am Hosenbund mit aufwendigen feinen Stickereien verziert. Vögel oder Früchte schmücken sie. Hardy will auch eine Hosen mit Früchten haben. Wir machen uns auf die vergebliche Suche. Sie müsste erst bestickt werden und wäre am Folgetag fertig – keine Früchte, keine Hose.

Die Frauen lassen sich mit ihren Trachten auch nicht lumpen. Zum ersten Mal bestaunen wir cintas, die nur von alten Frauen zu wichtigen Anlässen getragen werden. Aus meterlangen orange-rotem Band wird so ein Kopfschmuck gewickelt. Das Band wird vorsichtig Runde um Runde um den Kopf gewickelt. Das letzte Ende des Bands ist mit vielen Mustern bestickt. Einst diente dies dem Schutz vor der Sonne, aber auch dazu, Lasten geschickter auf dem Kopf platzieren zu können.
Neben dem Reichtum an Webarbeiten, die wir im Museum bestaunen, ist Santiago auch berühmt für seine bunten Malereien. Mit Öl- oder Wasserfarben werden Szenen aus dem alltäglichen Leben sowie die Seeidylle mit den dahinterliegenden Bergen dargestellt.

Gut erholt treten wir ein paar Tage später in Richtung Antigua Guatemala in die Pedale. Eine serpentinenreiche Steigung erwartet uns, die vom Seeniveau in die umliegenden Berge führt.

Der Zustand der Straße lässt zu wünschen übrig. Erst ist sie von einem Fluss ausgewaschen worden, ein ganzer Teil der Fahrbahn fehlt, dann müssen wir die Schuhe ausziehen, um durch einen Fluss zu waten. Dabei holen uns Rob und Regula ein, sie sind auch auf dem Weg nach Antigua. Und zu guter Letzt stoppt ein großer Graben mitten im Weg den Verkehr. Tief drinnen wird gearbeitet, um eine Dränage zu bauen. Die Autos können nicht weiter, hah, wir schon! Die Räder werden schnell abgeladen und mit vielen Händen und Gelächter werden Gepäcktaschen sowie die vier Fahrräder hinüber gehoben. Die jungen Männer sagen, sie trügen auch ganze Motorräder von der einen Seite zur anderen. Junge Männer erinnern mich hier oft an pubertierende Jungs, anzügliche Bemerkungen in Bezug auf mich nehmen zu, auch wenn Hardy direkt neben mir steht. Blöderweise verstehe ich das Meiste, Hardy nicht so viel. Da beneide ich doch sehr Regula. Sie fühlt sich hier sicher und gut respektiert. In dem Aspekt will auch alt sein!

Antigua Guatemala
Steigungsreich geht es natürlich weiter. Sie raubt mir jegliche Energie, so dass ich ab und an schieben muss. Hardy fährt vorneweg, obwohl er kränkelt. Wie er das macht? Das ist mir ’n Rätsel.
Bereits Mittags kommen wir auf der plaza vor der großen Kathedrale an. Im Schatten auf einer Bank sitzend kommen zwei recht jung aussehende Reiseradler auf uns zu. Sie kommen aus Neuseeland und haben erst vor kurzem in Belize ihren Weg angetreten. Wir sind die ersten anderen Radler, die sie treffen. Auch lernen wir sogleich einen schweizer Motorradfahrer und einen älteren Deutschen, der im Rentenalter in Guatemala einen Spanischkurs macht, kennen. Es ähnelt einem Schlagabtausch.
Antigua, ehemals Guatemalas Hauptstadt ist eine kleine Perle. Umgeben wird sie von drei Vulkanen, dem Agua, Fuego und Acatenano, deren Gipfel in den Himmel ragen. Wir schieben die Räder durch die Altstadt, bestaunen die schönen, weiß getünchten kolonialen Gebäude mit ihren Laubengängen und treffen mal wieder auf Rob und Regula.
Eigentlich versuchen wir mit Belinda, unserer Couchsurfing-Gastgeberin, in Kontakt zu kommen. Bis zum hereinbrechenden Abend gelingt dieses Unterfangen leider nicht. Also müssen wir auf Plan B zurückgreifen. Ein weiterer Couchsurfer, der sich gerade in den USA befindet, hatte uns ein einfaches, unmöbliertes Zimmer angeboten. Wir greifen zu und werden von seinem Gärtner hingeführt. Wäre es nicht bereits dunkel und hätte es nicht angefangen sich einzuregnen und bräuchte Hardy nicht unbedingt einen Platz zum Hinlegen, hätte ich auf der Stelle kehrt gemacht. Es ist ein kleiner Raum, dessen Tür und Fenster kaputt sind, so dass ihn die vorhandenen Katzen sowie der nicht aufhörende zu bellende Hund als Klo benutzen. Pisseflecken zieren den Boden, deren Geruch unerträglich ist. Vom Klo und der Dusche will ich gar nicht reden. Wir machen das Beste aus der Situation, versuchen zu lüften und breiten die Plane weitläufig aus, damit sich Hardy hinlegen kann. Derweil ist meine Devise bloß nicht den Boden zu berühren. Morgen werden wir wieder abhauen, soviel steht fest! Ich koche eine Suppe, die Hardy, der mittlerweile Temperatur bekommen hat, dann auch gleich wieder auskotzt. Und das im ekligen Klo. Er tut mir richtig leid, wenn es kommt, dann dicke!

Gleich morgens radeln wir langsam zum Platz, Hardy setzt sich hin und ich versuche schnell die Hotels in der Umgebung abzuklappern. Unserer Cuchsurfing-Bekanntschaft hat sich immer noch nicht gemeldet. Endlich kann Hardy sich ins saubere Bett in unserem Zimmer legen und ausruhen. Ich verbringe den Vormittag auf einer Bank auf der plaza mit Tagebuch schreiben und neuen Bekanntschaften. Immer mal kommt jemand zu mir, setzt sich neben mich und beginnt ein Gespräch. Da gibt es die kleine Ana. Sie wohnt im nahen Sololá und kommt mit ihrer gesamten Familie übers Wochenende her, um Schals und Armbänder an die Touristen zu verkaufen. Sie ist erst neuen Jahre alt und den ganzen Tag allein in den Straßen der Stadt auf den Beinen um Geld zu verdienen. Sie meint, es sei schwierig etwas zu verkaufen. Kein Wunder, da so viele Leute hier Waren anbieten! Ana verkauft drei geknüpfte Armbänder für umgerechnet nur 50 Cent. Lange bleibt sie neben mir sitzen und blättert und blättert im Lonley Planet. Stadtpläne und die Fotos der Autoren interessieren sie. Auf dem Stadtplan von Antigua kann sie fast ohne Hilfe den Weg von der plaza zum Aquädukt mit dem Finger nachverfolgen, wo ihre Eltern auf sie warten. Zusammen schauen wir uns die Länder Mittelamerikas auf der Karte an und sie liest die Namen laut vor. Auch kann sie später rekapitulieren wo sich welches Land befindet und vergleicht von sich aus die kleinen und großen Länder. Freudig, die geschenkte Banane mampfend läuft sie von dannen.

Dann setzt sich ein Mann im Rentenalter neben mich auf die Bank am Brunnen. Er kommt aus den Staaten und hat vor 39 Jahren seine guatemaltekische Spanischlehrerin geheiratet. Nachdem sie jahrelang in Iowa lebten zogen sie mit Beginn seines Ruhestandes hier her. Zuerst unterhält er sich mit anderen amerikanischen Touristen einer Bibelgruppe. Sie bieten an für ihn zu beten, fassen ihn an den Schultern und legen los. So ein langes Gebet habe ich noch nicht gehört! Sie bitten Gott um gute Gesundheit für Bill, so heißt der Gute, Besserung seiner gesundheitlichen Probleme, viel Glück für ihn und seine wify und und und. “Thank you,”sagt Bill, aber eine Bibel will er nicht haben.
Nun unterhalte ich mich mit ihm. In Europa war er auch schon, sein Cousin lebe in Prag. Hier in seiner Nachbarschaft wohnen Menschen aus der ganzen Welt. Er ist glücklich hier zu leben. Mit einem “It’s just another day in paradise”, verabschiedet er sich. Er muss jetzt zu seinem Hund, der habe beim Tierarzt ein Bad genommen.
Auch ich gehe zurück zu Hardy, dem es schon besser geht. Und am Abend schaffen wir es endlich Kontakt zu Belinda herzustellen, sie hatte am Wochenende einfach ihre emails nicht angesehen und heißt uns ab morgen herzlich willkommen.
So ziehen wir hier zum hoffentlich letzten Mal um. Aber es wird von mal zu Mal besser! In Belindas schickem, großen Haus am Rande von Antigua bekommen wir ein eigenes Zimmer. Belinda ist Reiseführerin, sie lebt hier mit ihrem Freund, der mit Gold handelt, ihrer pubertierenden Tochter, ihrem kleinen Baby und zwei Freunden zusammen.

Wir wollen essen gehen und zwar in den Gourmet Express. Vor ein paar Tagen hatten wir Roland kennengelernt, einen deutschen Auswanderer, der hier ein wirklich kleines Restaurant mit deutscher Küche betreibt. Sein Motto ist „Mehr Qualität, weniger Ambition!“. Und so passen wirklich nur zwei Minitische in den kleinen Raum, indem er auch durch eine kleine Absperrung kocht. Wir wählen Bratwurst mit Kartoffelsalat und Leberkäse mit Bratkartoffeln. Ich trinke ein Weißbier. Endlich wieder ordentliches Bier! Es schmeckt vorzüglich! Dazu bekommen wir tolle Unterhaltung, Roland erzählt uns viele Geschichten, von der organisierten Kriminalität, der Korruption und dem Drogengeschäft. Auch berichtet er, und damit ist er bereits der zweite von dem wir diese Aussage hören, dass in Guatemala ein Auftragsmord für nur 500 Quetzales, das sind umgerechnet 50 Euro, ausgeführt wird. Hier sei die Hemmschwelle jemanden zu töten recht niedrig. Er versuche sich aus allem raus zuhalten. In all den Jahren sei ihm noch nichts passiert, auch Schutzgeld wurde von ihm noch nicht erpresst.

Guatemala Stadt
Wir steigen in einen Bus, um ins Moloch Guatemala Stadt zu fahren. Dringend benötigen wir einige Ersatzteile für die Räder. Kettenblätter, Kugeln für die Naben sowie eine Kassette müssen her. Wir fahren kreuz und quer durch die Stadt und befinden dann den dritten Radladen als richtig gut. Der Typ ist ruhig, freundlich und kompetent. Aber wir bekommen nur Kugeln und eine Kassette. Leider wurden bei uns Kettenblätter mit fünf anstelle von vier Schraubenlöchern verbaut. Diese sind hier einfach nicht aufzutreiben! So bummeln wir durch die hässliche Altstadt. Unsere ersten beiden nicht angenehmen Begegnungen passieren hier. Als wir kein Geld abgeben wollen, werden wir verbal übelst beschimpft und dann zielt ein Typ mit seinem imaginären Gewehr auf uns. Mehr passiert zum Glück nicht. Um durch den nicht aufhörenden Verkehr zu kommen, benutzen wir auch die roten Busse, vor denen in unserem Reiseführer aufgrund von vielen Überfällen gewarnt wird.

Ich muss sagen, Guatemala Stadt ist schrecklich, laut, hektisch, schmutzig und gefährlich. Die Busse sind heruntergekommen, ein Brett dient als Bank. Fiese Gestalten fahren mit. Ein mit einer fetten Wumme bewaffneter Sicherheitsmann steht hinter dem Fahrer. Der Smog kratzt im Hals. Der Lärmpegel der Autokarawanen und das ständige Hupen sind echt anstrengend für mich. Es reicht, wir treten den Rückweg an. Als wir dann im Bus nach Antigua sitzen, plärrt das Radio, es wird vom Fahrer wild gehupt und der Fahrkartenverkäufer hängt sich aus der offenen Tür und schreit unaufhörlich: “Antigua, Tigua, Tiguaaa!”

Im ruhigen Antigua schlendern wir durch die Gassen der Altstadt vorbei an diversen Kirchen und Plätzen. Dem Schokomuseum statten wir auch einen Besuch ab und lernen das nicht Bienen, sondern Minifliegen die Blüten bestäuben.

Um uns aus Antigua und von Belinda zu verabschieden, wollen wir für sie kochen. Übers Wochenende ist ihre Schwester mit ihren zwei erwachsenen Kindern und dem Freund der Tochter zu Besuch. Wir stehen lange in der Küche und kochen für die gesamte Mannschaft Pellkartoffeln mit Quark und selbstgemachten Buletten. Dazu gibt es Salat. Es macht richtig Spaß und kommt hervorragend an.

Auf dem Weg nach El Salvador

Auf der Straße zwischen den beiden Vulkanen Fuego und Agua verlassen wir die Stadt Richtung Süden. Haben wir etwas verpasst? Sind wir noch in Guatemala? Es geht so flott voran. Schnell sind wir, es geht bergab. Kaum stoppen uns Steigungen. Nur müssen wir vor dem einsetzenden Starkregen Unterschlupf suchen.
Hier im Süden des Landes nehmen unsere heiß geliebten Gringo-Rufe stark zu. Je näher wir der Grenze El Salvadors kommen, desto rauer scheint die Gegend zu werden. Am Nachmittag erreichen wir den Grenzort Ciudad Pedro de Alvarado und beschließen hier zu Übernachten, um die Grenze morgen bei früher Uhrzeit zu queren. Wir laufen zum Markt, um Gemüse fürs Abendbrot einzukaufen. Ich sehe zum ersten mal einen Mann, der ganz offen mit seiner Knarre im Hosenbund herumsitzt. Ich mache Hardy darauf aufmerksam und als wir darauf Acht geben sehen wir einen weiteren, mit einer noch fetteren Knarre, der mit seinen kleinen Kind auf dem Arm spielt. Unheimlich fühlt es sich an, das Tragen von Waffen so offen und mit einer solchen Selbstverständlichkeit zu beobachten.

Über einen Monat haben wir in diesem doch recht kleine Land verbracht und hatten bis auf unsere paar Stunden in Guatemala Stadt sowie an der Grenze nie ein unangenehmes Gefühl. Wir sind in der Regel auf freundliche, hilfsbereite, zurückhaltende Menschen getroffen.
Morgen geht es rüber nach El Salvador. Unsere eigentliche Route, über die Ruinen von Copán direkt nach Honduras zu reisen hatten wir bei einem Blick auf die Landkarte in einer Mittagspause spontan verändert. Wenn wir schon einmal so nah sind, warum nicht auch El Salvador kennenlernen?

Weitere Fotos befinden sich in der Galerie.

Posted in Guatemala

Los geht’s in Sued-Amerika!

Hurra!! Wir haben es geschafft! Wir sind in Kolumbien!

Am 470. Tag unserer Reise, nach 18.960 Radelkilometer, sind wir heil in Sued-Amerika gelandet. Damit haben wir unseren ersten Kontinent durchradelt und freuen uns nun auf die zweite Halbzeit.

Lange hat uns die Umschiffung des beruechtigten Darien Gaps (Gebiet gebirgigen Dschungels zwischen Panama und Kolumbien, ohne Strassen) Kopfzerbrechen bereitet. Es ging aber letztendlich doch recht problemlos. Ohne regulaeren Schiffsverkehr ist man auf das Wohlwollen von Kapitänen kleiner Fischerboote und Verhandlungstechniken abgewiesen, wenn man eine kostenguenstigere Variante neben den Angeboten der vielen Segler, die einen ueber die San Blas Inseln bis nach Kolumbien schippern, durchziehen will. Wir hatten Glueck und sind mit einem kleinem Schnellboot von Carti direkt bis nach Carpugana in Kolumbien gefahren. War ’nen echt harter Ritt von Wellental zu Wellental, aber wir und die Bikes haben es ganz gut ueberstanden. War auch schoen einen ganz kleinen Einblick in die Welt der Kuna, die auf den Inselchen leben, zu bekommen, da unser Boot voll war und an jeder groesseren Insel Passagiere aus- und einstiegen.

Jetzt sind wir in Cartagena bei einer netten Familie und werden fuer die bevorstehenden Monate in den Anden mit Fleisch zum Fruehstueck, Mittag und Abendbrot gemaestet.

Macht’s mal alle gut!
Eurer Hardy

Posted in Allgemein, Kolumbien, Panama

Von Puerto Barrios nach Chichicastenango (Guatemala / Mai-Juni 2012)

Auf einem kleinen Holzboot mit Außenbordmotor kreuzen wir mit ein paar anderen Fahrgästen in einstündiger Fahrt über den Golf von Honduras nach Puerto Barrios. Wir befinden uns nun wieder in Guatemala. Schnell ist das Einchecken bei der Migration erledigt. Wir bekommen einen Stempel mit einer Aufenthaltsdauer von 90 Tagen für die C4 Länder Guatemala, El Salvador, Honduras und Nicaragua in den Pass gehauen. Na, los geht’s! Drei Monate sind schnell herum, wir haben noch so einiges an Zickzack-Radeln geplant.

Puerto Barrios ist keine schöne, eher hässliche, sehr hektische Stadt. Wir kaufen im Markt sowie im La Despensa Familar ein, der hiesigen Billigsupermarktkette, und verschwinden. Heute werden wir die magischen 15.000 km knacken!
Hügelig geht es voran. Als wir dann auf einem dieser Hügel die 15.000 km erreicht haben, jubeln wir lange laut. Die vorbeirauschenden LKW-Fahrer schauen uns irritiert an. Dann wartet die folgende, saftige Steigung, weiter geht’s.
Am Abend fragen wir bei einer Familie nach einen Plätzchen für unser Zelt. Das sieht folgendermaßen aus: Gegen 16-17 Uhr beschließen wir aufzuhören und rollen langsam an den Häusern vorbei. Wir achten auf die Menschen, die von sich aus winken. Wenn auch Frauen, Kinder oder Kinderwäsche zu sehen ist, nutzen wir die Chance. Wir erzählen woher wir kommen und was wir machen und schwups dürfen wir eintreten. Oftmals werden uns gleich die Wasserstelle und das Klohäuschen gezeigt. Plastikstühle werden oft herbeigetragen, damit wir uns ausruhen können. Es folgt der erste smalltalk, Zeltaufbauen, Räder abladen. Dann holen wir den aufblasbaren Globus heraus, damit wir der Familie zeigen können wo wir herkommen, wo wir uns befinden und wo wir hinradeln werden. Es dient aber auch dazu etwas von uns zu zeigen sowie einen offeneren Kontakt herzustellen, damit die Familie später leichter zu uns kommen kann, um uns Außerirdische bei unseren abgefahrenen Tätigkeiten wie kochen oder Wasser filtern zu beobachten. Und das passiert dann auch genau. Teilweise steht die ganze Familie, plus Freunde, plus Nachbarschaft in einem Kreis um uns herum, bezupft den Stoff des Zeltes und beobachtet jeden einzelnen Handgriff. Ich mache mir einen Spaß daraus und zähle nach. Nicht selten habe ich über 20 Augenpaare gezählt.
Hier lebt in drei Häusern eine Großfamilie zusammen. Vier kleine Kinder gibt es. Als Hardy am Abend kocht, kommen alle herbei. Gern erklärt Hardy unseren Kocher und dass es bei uns üblich ist, das auch die Männer kochen. Eifrig werden weitere Plastikstühle herbeigetragen und extra ein Kabel mit einer Glühbirne herbeigeschafft. Die Kinder werden von der einen jungen Mami so richtig aufgeputscht. Laut kreischend rennen alle herum. Die Attraktion ist eine fette Kröte, die von den Erwachsenen in Richtung der Kinder geworfen wird. Die Kinder schreien.
Es ist mittelmäßig müllig hier. Plastemüll liegt im Garten, volle Kinderwindeln auf dem Boden neben dem Waschtrog, der pila. Und auch hier frage ich mich, warum leben so viele Menschen in ihrem Müll und Ramsch?

Es ist Ananaszeit. Viele windschiefe Holzstände stehen am Straßenrand. Als der kleine Hunger kommt, halten wir bei einer netten Verkäuferin an. Sie schneidet uns die saftige, süße Frucht sogleich auf. Welch‘ Erfrischung!

Río Lindo
Im Ort Río Lindo wird Hardy von einem älteren Amerikaner angequatscht. Er heißt Dave und überführt Boote. Gerade ist er mit einem großen Motorboot Richtung Norden unterwegs. Er ist völlig begeistert ob unserer Reise und sagt: “Kommt, ich lad Euch zum Essen ein und Ihr erzählt mir mehr!“ Gesagt, getan. So sitzen wir bald mit ihm und dem Sohn eines Freundes bei Brunos, einer schicken Marine mit lauter Musik, einem Pool in dem fröhlich laute Amerikanerinnen in den besten Jahren in bunten Badeanzügen dem davor tanzenden Animateur nacheifern. Das Essen schmeckt gut und wir bemühen uns interessante Stories zum Besten zu geben.

Es scheint zu klappen, denn wir bekommen eine Tour im Beiboot zur Marina am gegenüberliegenden Ufer der Bucht im Río Dulce angeboten, in der das große Motorboot vor Anker liegt. Wir bekommen eine Führung durch Aufenthaltsraum, Küche und Schlafkojen. Diese Marina ist echt groß, Bars, Pools und einen Park gibt es. Wir wünschen Dave ein gutes Wetterfenster und radeln weiter.

Neben weiten Ananasfeldern passieren wir Kokosnussplantagen und Papierplantagen. Hügelig ist es. Auf den Feldern weiden Kühe. Die Sonne burnt. Wenige Autos sind unterwegs.

El Estor
Diesmal landen wir im Vorgarten einer Lehrerfamilie. Beide sind in unserem Alter. Sie haben einen kleinen Sohn und wohnen auf dem Grundstück mit ihren Eltern und Angestellten zusammen. Anbei betreiben sie einen kleinen Kiosk, eine tienda. Hier liegt kein Müll herum, das Klo ist sauber und es gibt sogar eine Dusche.

Als wir das Zelt aufbauen, bildet sich auf der anderen Seite des Gartenzaunes eine Menschenansammlung. Erst sind es 8, dann 13 und dann sogar 23 Zuschauer! Eine Mutti trägt sich sogar einen Plastikstuhl herbei. Wir, die Außerirdischen, sind im Dorf gelandet und bauen nun unser Ufo auf. Wenn in Hellersdorf Außerirdische landen würden, wären wir auch schnell zur Stelle. So nehmen wir es gelassen und machen unser Ding, als stünden wir auf einer Bühne im Theater.

Wir wollen in die Berge abbiegen, laut Reiseführer sprechen die Mayas dort kein Spanisch, sondern nur Quiché. In Guatemala sind die meisten indígenas Mayas. Noch immer sprechen sie die Mayasprachen. Spanisch wird als Zweitsprache hinzugelernt, viele sprechen überhaupt kein Spanisch. Im Land werden über 20 verschiedene Varianten der Mayasprachen gesprochen. Menschen, die unterschiedliche Mayasprachen sprechen, können sich nicht unbedingt miteinander verständigen. Von unserem Gastgeber lernt Hardy ein Paar Wörter Quiché. Wir können nun ein wichtiges Wort: „ochoch“, was soviel wie Haus, Hütte oder Zelt bedeutet.
Kurz nachdem wir aufgebrochen sind, überholen uns die beiden Lehrer auf ihrem Motorrad, den kleinen Sohn in die Mitte zwischen ihnen gequetscht. „Ihr seit aber langsam!“, meint er belustigt. Es ist Sonntag, sie fahren in die nahe Stadt, um zu studieren. Sie wollen lernen besser zu lehren.

Eine Bergetappe, die es in sich hat.
Durchs Hinterland Guatemalas auf kleinen Pisten wollen wir über Cahabón, Lanquín, Cobán, Sacapulas und Chichicastenango den Lago Atitlán erreichen. Dieser oftmals sehr schwierige Abschnitt wird uns einiges an Zeit und Energie abverlangen.

Nach El Estor hört schlagartig der Asphalt auf. Hügelig geht’s voran, aber es fährt sich recht gut. Von den vorbeifahrenden Autos werden wir hübsch eingestaubt. Warum habe ich eigentlich gestern meine Haare gewaschen? Nach zwei Stunden harter Arbeit gönnen wir uns die erste Pause, an einem Kiosk und erstehen eine kalte Cola. Auf Schotterpiste vergeht die Zeit wie im Fluge, meint Hardy, es sei wie stundenlang hoch konzentriert Slalom fahren. Da kann ich ihm nur zustimmen.
Dann zweigt eine steinige, sich in die Berge hoch windende Piste ab. Sofort müssen wir runter schalten in den kleinsten Gang. Für mich ist dieser steile Schotter sehr anstrengend, ich schiebe des öfteren, Hardy dagegen weniger. Abschnittsweise schuften wir beide an einem Rad, um es den Hang hinauf zu bekommen. Hardy fasst am Lenker an und ich drücke von hinten. Erst das eine Rad hundert Meter, dann wird es abgestellt, den Hang herunter gelaufen und das zweite folgt sogleich. Bis wir wieder radeln können wiederholt sich diese Tortur einige Male, oft begleitet von diversen starrenden Augenpaaren auf den Feldern arbeitender Bauern oder Mamis, die mit ihren Kindern neben ihren Lehmhäusern herum sitzen.
Wir sehen den sogenannten bajareque, einen traditionellen Mauerbau. Steine, Holzpfähle und Lehm werden verwendet, um die Wände der Häuser zu gestalten. Oftmals gibt es Dächer aus Wellblechplatten, die das traditionelle Stroh oder Ziegeln ersetzen. Diese Gebäude haben meistens nur einen Raum, der minimal eingerichtet ist. In ihm befindet sich auch eine Feuerstelle oder ein Ofen. Die Rauchschwaden quellen häufig aus den Ritzen zwischen Wand und Dach. Oftmals leben drei Generationen auf engem Raum zusammen. Das hat nicht unbedingt etwas mit Zuneigung oder Familiensinn zu tun, sondern hat eher wirtschaftliche Hintergründe.

Auf steilster Piste versuchen wir zu fahren. Steinchen rutschen unter uns weg. Den Lenker haben wir nicht unter Kontrolle, er macht was er will. Noch ein Tritt und noch einer, dann können wir beide nicht mehr und schieben, allein oder wieder zu zweit. Die Sonne burnt obwohl sich über uns dichte Gewitterwolken versammelt haben. Ein Donnern ist zu hören, der erhoffte Regen bleibt leider aus. Hardy wischt sich ununterbrochen mit seinem Schweißtuch die Stirn ab. Mein Shirt ist nass geschwitzt.

Dann taucht in einer Kurve plötzlich ein kleiner Wasserfall auf, dessen kühles Nass an der Felswand herabrinnt. Durch eine Konstruktion halbierter Bambusstäbe fließt das Wasser wie aus einem Hahn auf den Weg. Kalt, erfrischend, toll! Ich könnte den restlichen Tag hier drunter verbringen.

Chulac
In Chulac beschließen wir diesen Tag zu beenden und fragen an einem kleinen Kiosk nach einer Möglichkeit unser Zelt aufzubauen. Wir werden zum Bruder gebracht und dürfen unterm Wellblechunterstand, unter dem sonst das Auto steht, nächtigen. Nur er, also das Familienoberhaupt, spricht Spanisch. Die Anderen, auch die vielen Kinder schauen uns mit großen Augen, Quiché sprechend an. Wir werden als Gringos abgestempelt. Hardy ärgert sich, als er dem Vater lange zu erklären versucht, dass wir gar keine Gringos sein können, da wir ja nicht aus den USA kommen, sondern aus Deutschland und von einem ganz anderen Kontinent. Aber es fruchtet nicht, der Vater scheint gelangweilt und nicht interessiert. Auch als wir den aufblasbaren Globus herausholen scheint er keine Vorstellungen von Ländern oder Kontinenten zu haben. Außer Guatemala und den Vereinigten Staaten ist hier nicht viel mehr bekannt. Aber das ist auch kein Wunder, wenn die Menschen nach der primaria, der Grundschule nach nur sechs Schuljahren keine weitere Bildung mehr erhalten. Leider gehen auch nicht alle Kinder zur Schule, es gibt keine Schulpflicht. Aus ökonomischen Gründen wird der Schulbesuch besonders in den ländlichen Gegenden oftmals vorzeitig beendet. Besonders die Indígenas, die die Hälfte der Bevölkerung stellen, leben in der Regel von weniger als 1$ pro Tag.
Als es des Abends wieder anfängt zu gießen, heben drei Kinder einen Graben neben unserem Zelt aus, damit die Massen abfließen können. Ich freue mich riesig über diese liebe Geste. Mit Lächeln, Hand und Fuß, versuchen wir uns zu verständigen. Als ich feststelle, dass wir neben einem riesigen Benjamini Baum schlafen, bin ich sehr beeindruckt. Die Blätter sind intensiv grün! Wenn ich da an die krüppeligen Zimmerpflanzen bei uns zu Hause denke!

Cahabón
Die Aussichten, einer der Gründe warum wir hier sind, sind unglaublich toll! Der Himmel ist wolkenverhangen. Weltuntergangsstimmung macht sich breit, als wir in die Täler blicken. Diese sind von runden, sowie von schroffen Bergen begrenzt. Tiefe Grün- sowie Brauntöne dominieren das Bild. Bananen- und Ananaspflanzen werden neben Mais angebaut. Hin und wieder riecht es verkokelt an den frisch gerodeten Stellen. Sie machen einen traurigen Eindruck. Wir sehen Asche, angekokelte und umgekippte Bäume.
In der Mehrheit sind die Menschen hier in den Bergen sehr freundlich. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Besonders die jungen Männer, die sich eher wie kleine Jungs aufführen. Sie lachen, kichern und reißen Witze. Ich bin völlig perplex, als ich mit „Hey babe“ und „bitch“ angesprochen werde und habe in der Situation natürlich nicht die richtigen Worte parat.
Auch Hardy passiert bei einem Cola-Stop etwas merkwürdiges. Die rundliche Verkäuferin ist sehr an seinen hellen Haaren interessiert. Ohne zu fragen und ohne jegliche Berührungsängste zupft sie fasziniert an seiner dichten, güldenen Unterarmbehaarung herum. Die persönlichen Distanzen sind hier ganz anders als in Europa, besser gesagt für mich sind sie fast nicht vorhanden.
Wie auch unsere interessierte Verkäuferin tragen die Frauen und Mädchen hier farbenfrohe Trachten. Ein weiter, luftiger Rock, der zwischen den Knien und den Knöcheln aufhört, wird mit einer Kordel an der Hüfte recht eng geschnürt. Darüber kommt ein modernes, enges Top und darüber wird eine durchsichtige Bluse getragen. Diese ist entweder aus modernem Plaste- oder aus richtig dickem Stoff mit vielfältigen Mustern. Sie ist wie ein Klotz geschnitten, nur für die ellenlangen Ärmel geht ein Schlauch ab. Bei den jungen, dünnen Frauen und Kindern sieht das toll aus, bei den älteren, dicklichen Frauen eher kartoffelig, lustig.

Es vergehen geschlagene sieben Stunden Schwerstarbeit, bis wir im eigentlich gar nicht so weit entfernten Cahabón eintreffen. Mucha subida, viele Steigungen – wieder scheiben wir die Räder, zu zweit. So schnell es der Schotter sowie die Steinbrocken zulassen, geht es in die Flusstäler hinab und sogleich schweißtreibend wieder hinauf. Wir sind ganz fertig.
Die letzte, lange Steigung meistern wir zu dritt. Wir haben Gesellschaft von einem Mann auf einem übel quietschendem Fahrrad. Er ist schneller als wir. Am Stadteingang wartet er auf uns und sagt: „Bienvenidos a Cahabón!“ Das ist doch nett!

Im schattigen Park vor der großen Kathedrale erholen wir uns. Leider ist der schweizer Pfarrer Christoph gerade in Brasilien unterwegs. Wir hatten von ihm gelesen und wollten ihn besuchen sowie das hiesige Institut besichtigen, dass er gegründet hat. Auch alle anderen Pfarrer sind in den umliegenden Dörfern unterwegs, wir können also nicht bei ihnen unterkommen. Ein Hotel muss her. Das ist auch schön. Ein Dusche und vor allen Dingen, mal allein sein nach all dem intensiven, nahen Kontakt und dem permanenten Begafftwerden ist es insbesondere für mich eine Wohltat. Einfach mal die Tür hinter mir zu machen.

Lanquín
Kurze 30 Kilometer sind es auf dieser Etappe nach Lanquín „nur“. Wir sind froh, als wir sie geschafft haben und endlich angekommen sind. Die Qualität der Schotterpiste nimmt deutlich ab. Schlimmer geht es immer! Grobe, große, sich bewegende Steinbrocken machen das Fahren sowie das Schieben äußerst schwierig. Hier scheinen mehr Autos unterwegs zu sein. Jegliche Erde ist weggefahren, abgefahrene Steine kommen zu Vorschein. Es ist glatt, die Füße finden nur schwierig Halt. Dazu gesellen sich Schlammpartien, in die die Räder der Trucks tiefe Rillen gedrückt haben. Wenn sie uns mit Sand und Steinen beladen entgegen kommen, ist an ein Abbremsen nicht zu denken. Sie benötigen den Schwung, um am nächsten Hang hinauf zu kommen. Für uns heißt, das Motorengeräusche rechtzeitig zu hören und zwischen der Piste und dem Berghang ein Plätzchen für uns zu finden, um sie passieren zu lassen.

Cobán
Am Morgen besichtigt Hardy noch die Höhlen nahe Lanquín, so kommen wir recht spät los. Es ist bereits unangenehm warm. Die Steigung ist unglaublich! Für die paar 12 Kilometer brauchen geschlagene drei Stunden! Ich bezeichne dies mal als Radwandern, Radschieben und Radzerren. Völlig fertig kommen wir schließlich oben an. Zwei Überraschungen erwarten uns. Ein kleiner Laden steht mit kalten Brausen wie für uns bereit. Das Tollste ist, dass unerwartet früh der Asphalt wieder eintritt. Wir hatten ihn viel später erwartet. Was kann schöner sein?
Bei einer Familie kommen wir diesmal unter ihrem Vordach unter. Nur die ältere Tochter und der Vater sprechen Spanisch. Eine Frauen- und Mädelsrunde versammelt sich um uns herum. Alles wird bestaunt, belächelt, beredet und vorsichtig angefasst. Ein besonderes Highlight für sie sind diesmal die Thermoskanne sowie die Reflektoren an den Bikes. Auch die Tatsache, dass ich in mein Tagebuch schreibe, und dazu noch soviel, findet Interesse. Sie stellen sich die ganze Zeit dicht neben mich und verfolgen jedes Wort. „Hier schreibt man einfach nicht.“ sagen sie.
Diesmal kommt der aufblasbare Globus gut an. Er wandert von Hand zu Hand. Besonders lang betrachtet ihn sich die älteste Tochter. Sie merkt sich sogar wo Guatemala und Deutschland ist und erklärt es den anderen auf Quiché.
Auch hier werden die bunten Trachten getragen. Auf der Straße laufen nun Frauen mit runden Plastikschüsseln, die sie auf dem Kopf balancieren, vorbei. Sie transportieren darin Maiskörner, die sie zur Mahlmaschine bringen. Dort wird daraus eine zähe Masse gemacht, aus welcher die Frauen dann kleine Kugeln zur Tortillafladenproduktion formen. Als die Dämmerung einsetzt und der Verkehr schlagartig aufhört, wird die Straße zum Fußballfeld umfunktioniert.
Als es dazu zu dunkel wird, gesellt sich die gesamte dreizehnköpfige Männerfraktion zu uns unters Vordach. Sie scheinen alle Spanisch zu verstehen. Wieder werden die Bikes begutachtet, diesmal beherzt angefasst und es wird sich posend dagegen gelehnt. Einer will Hardy sein Rad abkaufen, er antwortet, das gehe nicht, denn er brauche es ja noch. Auf die Frage wie viel die Fahrräder gekostet hätten, weichen wir immer mit der Ausrede aus, wir wüssten es nicht, denn es waren Geschenke von unseren Eltern.
Ich finde die Mannschaft irgendwie anstrengend und verziehe mich ins Zelt. Sie sind eh nur an Hardy interessiert und richten alle Fragen an ihn. Und die Männerrunde will so einiges wissen! Belustigt höre ich gemütlich auf der Isomatte liegend zu und muss mich teilweise echt zusammenreißen um nicht laut los zu lachen: Wo wir herkommen? Was es da für Arbeit und zu Essen gibt? Wie lange es von Guatemala City nach Deutschland dauert? Wie wir hergekommen sind? Ob wir in Deutschland waren, als dort die Fußballweltmeisterschaft stattfand? Ob wir ins Stadion gingen und wie viel die Eintrittskarten kosteten? Kann jeder nach Deutschland gehen? Gibt es da Frauen? Wie kann man eine deutsche Frau bekommen? Wo das Geld herkommt? Ob wir englisch reden untereinander? Wann heiratet man in Deutschland und wann bekommen die Frauen Kinder? Wie viel man in Deutschland verdient und wie viele Stunden arbeitet man? Wie teuer sind bei uns Autos? Wer sponsort uns? Was wir machen, wenn wir einen Platten haben? Welche Religion haben wir und ob wir Kinder haben? Wie heißt der Torwart von Barcelona? Ob Hardy eine Schwester habe? Wie kann man die Schwester kennen lernen? Ob der Eine, der obwohl er eine guatemaltekische Frau und Kinder hat, eine Deutsche sucht, Hardy eine Karte für die Schwester mitgeben kann, um sie kennen zu lernen? Hardy antwortet, er könne dies ja gern tun, aber sie habe bereits einen Mann und zwei Kinder. Er meistert die Fragerunde gut und ich bin überrascht der Fortschritte seines Spanisches.
Auch lange, nachdem Hardy ins Zelt gekrochen ist, stehen die Jungs im Dunkeln um unser Zelt herum und unterhalten sich über uns, als ob wir sie nicht verstehen würden. Es scheinen immer mehr Menschen zu werden: Party! Aaaah, da heißt es nur tief durchatmen und einfach ignorieren, schließlich sind wir hier die Exoten und wir haben uns hier ja selbst eingeladen.

Dafür gönnen wir uns am folgenden frühen Nachmittag in Cobán wieder ein Hotelzimmerchen. Das tut richtig gut. Auch beschließen wir nach wenigen Stunden des Radelns hier eine Pause einzulegen. Die Luft ist einfach raus. Den Rest des Tages verbringen wir auf dem Markt und im Hotel mit einem guten Essen. Von den quietsch-bunten auf dem Markt angebotenen Küken kaufen wir keines. Sie sollen maschinell besprüht werden, hören wir. Aufgrund der auffälligen Farben verkaufen sie sich besser. Bei uns gibt es Kartoffeln und Fleisch mit angebratenen Roten Beeten und Zwiebel, zum Nachtisch folgt Vanillepudding.

Sacapulas

Wir bekommen zwei gute Nachrichten: die erwartete 80 km lange Schotterpiste entpuptt sich als nur noch 22 km lang und dazu geht es von 1400 Höhenmetern auf 900 Höhenmeter hinab! Dafür schmerzen nach einer Weile unsere Handgelenke vom vielen Bremsen. Auf sehr abenteuerlicher Piste geht es hinab. Der eigentliche Straßenverlauf wurde vor einigen Jahren von einem Erdrutsch verschüttet, woraufhin ein recht wagemutiger Weg drum herum von den Bauern selbst gebaut wurde. Wir sehen ihn unter uns, als wir auf die steil hinab führende, sich gerade im Neubau befindene neue Schotter-Straße stoßen. Es wird neue Erdrutsche geben, wie sinnvoll ist also diese Art von Strassen-Bau? Während noch eine Planierraupe versucht den Schotter irgendwie in Form zu bekommen, Arbeiter mit schwerem Gerät die umliegenden Erd- und Steinmassen bearbeiten, zieht der Verkehr bereits langsam vorbei. Im Schneckentempo arbeiten wir uns voran, alle Fahrer sind sehr freundlich und geben auf uns acht.
Nachdem wir den Fluss Chixoy überquert haben, rollt dann der Asphalt wieder unter uns. Schroffe Berghänge wechseln sich mit sanften Hügelketten ab. Hier ist es nicht mehr ganz so dicht besiedelt. Auf den Feldern bauen zumeist Männer Mais, Kohl und Kartoffeln an. In der Sonne werden Lehmziegel getrocknet, die hoch aufgestapelt gebrannt werden.

Heute wird uns bei einem Getränkestopp vor einem kleinen Laden von einem eher unsympathischen Vater zu ersten Mal ein Kind angeboten. Ob wir „es“ kaufen wollten! Und das Kind, beziehungsweise der Sohn ist gar nicht mal so jung, etwa vier, fünf Jahre alt. Perplex, verdattert und völlig empört können wir nur „No!“ sagen. Der Vater meint sogar zu ihm: „Dann wirst du in Deutschland leben.“ Was der Junge nur fühlen muss?

Wir landen bei unserer zweiten Lehrerfamilie. Sie sind vom aufblasbaren Globus begeistert und hätten auch gern einen für ihren Unterricht. In der ganzen Schule gibt es nur einen Globus und den muss man sich umständlich im Sekretariat ausleihen. Sie fragen wo wir ihn her haben. Wir berichten, das wir ihn im Internet bestellt haben und er uns dann zugeschickt wurde. Irgendwie können sie das nicht so ganz begreifen. Die beiden sagen über sich selbst, dass sie nicht gut ausgebildet worden sind. Von ihnen wird erwartet, dass sie den Kindern Englisch beibringen, doch haben sie selbst es nie gelernt. Aus Büchern versuchen sie es im Selbsttraining und müssen bei jeder Nachfrage im Wörterbuch nachschlagen.
Der „Gringoismus“ (Hardys Term) wird wieder zum Thema. Aus ihrer Sicht sind wir Gringos, aus unserer Sicht sind wir keine. Hardy bittet um eine Definition des Wortes und erhält folgende Erklärung: Gringos sind Leute mit weißer Hautfarbe, hellen Haaren und anderer Gesichtsform; Menschen, die groß sind und eine andere Kultur haben.

Markt in Chichicastenango
Guatemaltekische Straßen sind tückisch. Steilst geht es auch auf Asphalt voran. Die Busse und Lastwagen arbeiten sich im Schneckentempo empor. Die Straße ist einem Flickenteppich gleich, den viele Löcher zieren. Dazu kommen gemein gefährliche tumulus. Das sind Huckel, in den Dorfein- und Ausfahrten und natürlich bei Abfahrten, die den Verkehr langsam halten sollen. Gerade bei den Abfahrten müssen wir höllisch auf die oft erst spät erkennbaren Dinger aufpassen.

Endlich mal kommen wir gut voran, so dass wir beschließen bis in den späten Nachmittag hinein nach Chichicastenango durchzukloppen.
Ein Radrennen findet statt. Eine lange Auto-Schlange bildet sich, denn die Straße ist von vielen Polizisten gesperrt worden. Wir rollen an die Spitze und fragen, ob wir nicht durch können, schließlich sind wir ja auch Radfahrer. Und wir dürfen! Kein Verkehr für die folgenden 20 km! Wir haben die Piste für uns, denn die fixen Rennradler sausen nur so an uns vorbei. Jubelnd winken wir ihnen sowie dem umstehenden Publikum zu.
Wir haben es geschafft! Für diese Bergetappe von El Estor nach Chichi, wie es Reisende liebevoll nennen, haben wir acht Tage gebraucht, 389 km sind es „nur“ gewesen. Endlich kommen wir in Chichi an, das in einem fruchtbaren Becken liegt, das von der bewaldeten Sierra de Chuacus eingerahmt wird.

Es ist spät, nass und kalt hier in den Bergen auf 2080 m Höhe. Mal wieder sind wir in den Starkregen gekommen. Zur großen Freude gibt es hier im Hotel eine warme, sogar als heiß zu bezeichnende Dusche! Lange stehen Hardy und ich darunter, können uns nicht lösen. Wir können uns nicht mehr erinnern wo wir diesen Luxus das letzte Mal hatten. Eine heiße Schokolade stellt dann das Itüpfelchen dieses Tagesabschlusses dar.

An den Markttatgen zweimal die Woche platzt das Städtchen aus allen Nähten. Hier wird einer der größten und buntesten Märkte des ganzen Landes abgehalten. Darum sind auch wir hier.
Wir verbringen den gesamten Tag auf den engen Gassen des Marktes. Erforschen und bestaunen den Trubel, lassen uns vom Kaufrausch anstecken, handeln, probieren neue Gerichte und müssen wieder und wieder aufdringliche Verkäuferinnen abwimmeln.

Das Beste sind die Menschen. Stunden können wir damit verbringen sie zu betrachten. Die Leute sind hier so klein. Toll ist das, auch im Getümmel kann ich endlich etwas sehen, denn meist bin ich mit meinen 1,60 m immer noch einen Kopf größer als sie. Die Frauen haben tief dunkle Augen und lange schwarze Haare. Ihre Trachten unterscheiden sich von den Gewändern, die wir bisher gesehen haben. Es gibt den corte ein Wickelrock, der aus 7-10 m langem Stoff um den Körper gewickelt wird. Darüber kommt die faja. Das ist ein unheimlich langer, gewebter Gurt, der als Schärpe um die Taille gezurrt wird. Manche cortes sind aufwändig mit bunten Mustern, Blumen oder Vögeln verziert. Frau kann darin Dinge aufbewahren, die andere in die Hosentasche stecken würden. Aufwendige, farbenfrohe Webarbeiten mit vielen Stickereien werden hergestellt. Nicht nur für den Handel, auch für den alltäglichen Gebrauch haben die bunten, traditionellen Gewänder aus Handarbeit einen hohen Stellenwert. Es ist ein identitätsstiftendes Merkmal.

Im nahen Panajachel am Lago de Atitlán wollen wir nach den anstrengenden Bergen ein paar Tage bleiben. Unsere Körper fühlen sich schlapp und ausgelaugt an. Zeit ihnen eine Pause zu gönnen.

Schaut Euch mehr Fotos in der Galerie an.

Posted in Guatemala

Eine kleine Runde durch Belize (Belize / Mai 2012)

In der Grenzstadt Melchor de Menos schreiten wir über die magische Linie hinüber in ein weiteres Land, nach Belize. Die grummelige Beamtin ist nicht ganz so easy going drauf, wie wir es erwartet hatten. Dafür gibt es als Willkommensgeschenk eine Probe der unbeschreiblich leckeren Schokolade, die hier produziert wird.

Belize, easy going, Land der Rasta Kultur und Garifunda Gemeinden, wir kommen! Wir wollen herausfinden, ob es hier wirklich so gechillt abgeht, voller Musik und gut gelaunter Leute.

Was ist anders in Belize? Auf einmal sprechen alle, wirklich alle Englisch! Völlig ungewohnt ist dies für uns. Eine lange Zeit rätseln wir, ob wir die Menschen nun auf Spanisch oder besser Englisch ansprechen sollen. Englisch ist hier die Hauptsprache, Spanisch wird, nicht immer, hinzugelernt.

Die Entfernungsangaben werden in Meilen und Yard angegeben. Wir kramen in unseren Erinnerungen an Amerika und den Umrechnungen ins metrische System.

Dann treffen wir auch auf unsere alten, liebevollen Bekannten, den “No Trespassing!”, “No Loitering!” und “Private Property!” -Schildern.

Der Verkehr ist alles andere als easy-going. Wie die besängten Säue rasen die Autos vorbei. Wer bremst, der verliert. Abstand halten ist hier nicht angesagt. Wie wir kleinen, unwichtigen Radler überhaupt auf die Idee kommen, ihnen ihre Rennbahn streitig zu machen?!

Die kleinen Läden heißen hier “Mary’s Supermarket” oder “Mitch’s Cool Place”, deren Konkurrenz viele, viele Läden, geführt von Chinesen, sind. Die chinesischen Supermarkt-Mafia, wie wir hören. Da jene nur wenige Arbeiter, zumeist ihre eigenen Familienangehörigen beschäftigen und in ihren Großfamilienclans gemeinsam Waren anliefern lassen, können sie die Produkte an die Kunden sehr günstig verkaufen, dass zum Bankrott vieler kleiner einheimischer Läden führt.

Einmal ist es lustig in einem chinesischen Laden einzukaufen. Nachdem die meist in unserem Alter und total gelangweilt, fast am Einschlafen aussehenden Verkäufer mit der Berechnung unserer Waren fertig sind, interessieren sie sich meist sehr für uns. Sie fragen nach wo wir herkommen und wollen Wörter auf deutsch lernen, eins, zwei, drei.

Unsere erste Nacht in diesem netten Land verbringen wir bei unserem warmshower-host Rodolfo und seiner Familie. Wir zelten vor ihrem auf Stelzen stehenden Haus. Rodolfo ist Schulleiter sowie Farmer und bastelt hier und dort an seinem Haus herum. Elektrizität und fließendes Wasser lassen noch ein Wenig auf sich warten. Im Garten steht ein großer Avocadobaum, es gibt Pferde und Kühe.

Die 6-jährige Mary schließt schnell Freundschaft mit Hardy und kuschelt sich schutzsuchend bei ihm unter, als ihr kleiner Bruder Marc sie kontinuierlich zu ärgern versucht. Einst fuhr Rodolfo auch mit dem Fahrrad durch Mittel- und Südamerika, berichtet er uns am Abend. Er schwärmt noch heute davon und zeigt uns Bilder. Leider ist er dagegen in den letzten 10 Jahren überhaupt kein Rad mehr gefahren. 

Bei den Mennoniten in Spanish Lokout

Dies wird ein kurzer Radeltag. Nach unserem Aufbruch ziehen schnell bedrohlich tief hängende Regenwolken auf. Eine tolle Weltuntergangsstimmung! Die Luft knistert. Dann fängt es heftig an zu gießen. Wir schaffen es geradeso uns unter dem Vordach einer Fleischerei unterzustellen – Zeit für eine Bananenpause mit heißem Kaffee aus der Thermoskanne.

Wir befinden uns nun in einer Region, in der Flächen des Dschungel gigantischen Ausmaßes gerodet werden. Einfach weg ist er nun, der gute Urwald. Auf den Feldern wird Landwirtschaft sowie Viehzucht betrieben. Einzelne Baumriesen erinnern an die einstige Vielfalt der Gigantenbäume.

Vom Western Hyway biegen wir auf einer Schotterpiste nach Spanish Lokout ab. Wir hatten gehört, dass dies eine mennonitische Gemeinde sei und sind neugierig. An großen Weiden mit lustig aussehenden weißen Kühen mit Schlappohren geht’s vorbei bis zu einer kleinen, alten, verrosteten Fähre. Während wir auf ihre Ankunft warten, lernen wir Ronny und seinen Freund kennen. Beide wohnen in Spanish Lokout. Dieser Kahn ist ein Unikum, gerade mal drei Autos plus unsere Drahtesel finden darauf Platz. Als wir uns umsehen, stellen wir mit lautem Lachen fest, dass diese Fähre ja noch per Hand betrieben wird! Ronny hat sich an die Kurbel geschwungen und legt fleißig Hand an. Im Akkord kurbelt er uns über den Fluss. Auf der anderen Seite bietet er uns eine Mitfahrgelegenheit auf der Ladefläche des Pick Ups bis zu seiner Arbeitsstelle, dem örtlichen milchverarbeitenden Betrieb, an. Wir sausen nur so über die Hügel, er hat uns einiges an Arbeit erspart. Pünktlich zum Ortseingang Spanish Lokouts beginnt der surrende Asphalt. Nicht die Regierung des Landes hat ihn gesponsert, sondern die Mennoniten haben selbst Hand angelegt.

In Wendys Dairies gibt es neben Milch, Käse oder Fastfood auch das beste Eis der Welt, erklärt uns Ronny. Er läd uns auf einen großen Becher ein. Vier verschiedenen Sorten dürfen wir uns aussuchen. Dann schlemmen wir Kiwi-, Cheesecake-, Joghurt- und Oreo-Eis in uns hinein. Wir können ihm zustimmen, es schmeckt wahnsinnig lecker!

Ein Wifi-Zeichen und Facebook-Werbung ziert das Fenster des Verkaufsbereiches. Was‘ n hier los? Unter einer mennonitischen Gemeinde hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Wir lernen, dass es in der Gegend die modernen und die traditionellen Mennoniten gäbe, die jeglichen Gebrauch von moderner Technik ablehnen. Die Menschen in Spanish Lokout gehören zu ersteren.

Wir ziehen uns trotz der Hitze lange Hosen an, wissen nicht recht, wie hier so die Sitten sind und wollen niemand auf den Schlips treten.

Dann radeln wir weiter zum erstaunlich großen, amerikanisch aussehenden Supermarkt. Vom Stil der Gebäude, den ordentlichen Vorgärten mit adrett geschnittenem Rasen könnten wir uns gut in einer amerikanischen Vorstadt befinden.

Aber die Menschen sehen aus, als hätten sie deutsche, holländische, dänische oder irische Vorfahren. Wir müssen schmunzeln, als wir nach langer Zeit einmal wieder in strahlend, neugierig schauende blaue Augen blicken. Helle, leicht rötliche Haut und blonde Haare mit einem Rotstich zieren die Leute. Wir werden neugierig angesehen und schauen genauso neugierig zurück. Besonders fasziniert uns der altmodische Kleidungsstil. Männer tragen Stiefel, lange, dicke Hosen mit Hosenträgern und ein kariertes Hemd, die Ärmel ordentlich hochgekrempelt. Die Frauen und Mädchen sind oftmals in rot-weiß oder blau-weiß karierte Kleidern, die bis zu den Unterschenkeln reichen und lustige Puffärmel haben, gekleidet. Manchmal tragen sie auch Hauben.

Gegrüßt wird mit „Guten Tach!“. Man redet hier Plattditch! Mensch, das hört sich ja an wie im Ort meiner Großeltern! Ich bin begeistert und verstehe sogar auch ein wenig, Hardy leider nichts. Neben dem Plattditch wird sich in Englisch und teilweise auf Hochdeutsch, das wie eine Mischung aus Plattditch und Englisch ausgesprochen wird, unterhalten.

Im Supermarkt gibt eine große Auswahl. Hardy braucht lange, bis er mit einer Kokosnuss, Joghurt, Toastbrot, richtigem Käse und Erdnussbutter wieder heraus kommt. Die Kokosnuss schlachten wir erst einmal mit der neuen Machete. Ein allround-Werkzeug. Wir essen und warten darauf, dass sich Gespräche entwickeln. Der Plan ist, eine mennonitische Familie dazu zu bringen uns einzuladen.

Lange passiert nichts, nur gegrüßt werden wir. Unsere Idee scheint nicht so richtig aufzugehen. Ich will schon weiter, als uns eine alte Frau im urigen Kleid anspricht. Wir sprechen in Englisch und erzählen von unserer Reise. Bei ihnen zu Hause sprechen sie wohl Platt. Sie berichtet, dass sie vor Jahren einmal slowenische Backpacker als Gäste bei sich hatte. Wir wittern unsere Chance und fragen sie ganz frei heraus. Aber sie scheint nicht so begeistert und muss erst mal ihren Einkauf erledigen. Dann fährt sie in ihrem Auto von dannen. Gut, weiter Leute ins Gespräch verwickeln. Ein Priester ist sehr nett, lebt aber weit entfernt auf einer Insel. Eine Frau, die in einem Hardwareshop arbeitet bietet uns an nebenan zu übernachten. Sie hat aber eine noch bessere Idee. Drei Häuser weiter wohnen ihre Freunde Bertha und Frank, die haben bestimmt gern Gäste. Ein Anruf genügt und sie macht uns einen Übernachtungsplatz klar. Prima!

Als wir schon auf Berthas und Franks Grundstück eingebogen sind, hält plötzlich ein Auto. Die Frau im urigen Kleid ist extra zurück gekommen, um uns Bescheid zu geben. Sie musste ihrem Mann fragen und hat nun das OK. Es tut uns unheimlich leid ihr abzusagen. Sie ist deutlich geknickt. Mensch, hätte sie doch nur was gesagt.

Als wir eintreffen, stoppt Bertha ihre Arbeit an der Nähmaschine. Sie arbeitet an einer neuen Badgarnitur, Vorhänge für ihre Badewanne, einen Halter fürs Klopapier und einen Überzieher für den Toilettendeckel, alles passend in blau mit vielen Rüschen und Herzchen. Frank kommt völlig verstaubt aus dem Schuppen herangeschlurft, wo er gerade an neuen Zaunpfosten schleift. Beide beteuern eigentlich gar keine Zeit zu haben, setzen sich aber doch mit uns zu einem Glas Mangosaft und einem Schwätzchen über uns und unsere Reise zusammen.

Ohne große Worte verständigen wir uns darauf, ein sehr einfaches Deutsch zu verwenden, die Wörter langsam auszusprechen. So verstehen wir uns ganz gut. Wir versuchen moderne Wörter, wie „toll“ und „super“ zu vermeiden und mit „sehr gern“ zu antworten. Die beiden spreche ein uriges Deutsch, dass von Generation zu Generation weiter gegeben wurde. Sie wurden in Kanada geboren, zogen dann mit ihren Familien nach Mexiko und schließlich nach Belize. Es wurde nach Land gesucht und dieses hier gefunden. Einziehung in den Militärdienst sowie die Verwehrung von eigenen Schulen für die Mennoniten waren Gründe für die Wanderung. Sie wollten ihre Kinder nicht in staatliche Schulen schicken. Hier in Belize, welches nach wie vor British Honduras genannt wird, können sie ihren Glauben frei ausleben und betreiben eigene Schulen.

Während Hardy im Haus mit Frank den nicht funktionierenden Internetzugang repariert, nutze ich die Gelegenheit, um mehr von Bertha über die hiesige Gemeinde und ihre Sitten zu erfahren. Ich streife die für mich brennend interessanten Themen wie Heirat und Scheidung.

Die beiden sind schon ewig verheiratet, meint Bertha. Damals war es anders als heute. Sie kannten sich nur vier Monate vor ihrer Hochzeit. Da keine Zeit blieb, konnten sie sich nur sonntags treffen, um sich kennen zu lernen und das auch nicht jede Woche. „Wir kannten uns nicht gut, haben uns erst nach der Heirat richtig kennengelernt. Nach der Hochzeit wurde zusammengezogen und Kinder bekommen.“ Bertha hat fünf Kinder.

Heutzutage lernen sich die Paare vor der Hochzeit besser kennen. Nach wie vor ist es ein Tabu zuvor zusammen zu ziehen oder eine intime Beziehung zu führen. Wenn ein junger Mann an einer Frau interessiert ist, fängt er an des öfteren bei ihrem Vater vorbeizuschauen, um erst ihn und dann sie zu fragen, ob sie ihn heiraten möchte. Männer heiraten im Alter von 26-29, Frauen wenn sie Anfang 20 sind.

Alle Gemeindemitglieder wissen, wenn sie ein gutes Leben haben wollen, müssen sie zusammen leben“, vertraut mir Bertha zum Thema Scheidung an. Wer sich trennt, wird aus der Gemeinde ausgeschlossen. Es sei nicht Gott gewollt. Bei Problemen reden die Paare miteinander, dann wird ein Gespräch mit dem Priester gesucht. In all den ganzen Jahren gab es in Spanish Lokout nur zwei oder drei Scheidungen. Ebenso wenig sei es vorgekommen, dass Männer, welche nicht mehr mit ihrem Frauen zusammenleben wollten, sie verließen. Etwa zwei gingen ins nahe San Ignacio, um dort mit einer andren Frau zusammen zu leben und dort eine neue Familie aufzubauen. Einer von ihnen kehrte in die Gemeinde zurück. Seine erste Frau, die jahrelang dafür betete, musste und wollte ihn auch zurück nehmen. Ebenso musste sie die Kinder, die er mit der neuen Frau gezeugt hatte, aufnehmen. Ich meine, dass die Kinder ja nichts dafür könnten. „Ja“, stimmt mir Bertha zu, „Aber ich weiß nicht, was ich machen würde, wenn mein Mann das täte. Ich weiß das einfach nicht.“

Aber auch Frank beschäftigt eine Frage dringend, die er uns ganze zweimal stellt: „Aber die Mauer in Deutschland, gibt es die denn nicht mehr?“ Kurzzeitig sind wir perplex, mit dieser Frage hatten wir nicht gerechnet. Dann erzählen wir vom Fall der Mauer, der Vereinigung der BRD und der DDR. Dazu zeigen wir Fotos von mir als kleines Kind beim Picken der Mauersteine. Zudem erläutern wir, das Berlin eine Stadt sei und die Mauer sowie einstige Teilung für die jüngere Generation gar kein Thema mehr wären.

Das Internet funktioniert wieder! Hardy hat einen Stein bei Frank und Bertha im Brett. Endlich können sie wieder mit ihrer Tochter im weit entfernten Kanada skypen. Sie wollen sich revanchieren und uns Spanish Lokout zeigen.

Los geht’s im Auto. Wir bekommen als erstes ein schickes, neues Autohaus gezeigt. Große, sich spiegelnde Glasflächen zieren das moderne Gebäude. Dann geht es weiter, wir wollen Berthas und Franks Tochter auf ihrem Grundstück besuchen. In ihrer direkten, sehr sympathischen Art zeigt uns Bertha die Umgebung. „Da ist eine Schule. Dort ist eine Kirche und da noch eine, auf dem Hügel da hinten. Diese dort haben Scharfe. Oh, was macht dieser? Der gräbt mit einer großen Maschine einen Graben. Das ist doch gefährlich! Das kann ich nicht versteh’n.“

Auch zu unserer Fahrradreise sagt Bertha oftmals: „Nein, das kann ich nicht versteh’n!“ Ich glaube Frank findet die Idee gut. Er fragt: „Aber ich bin schon zu alt zu einer solchen Reise?“

Die Tochter wohnt so weit weg, dass die beiden dort nicht oft hinfahren. Etwa 40 Minuten benötigen wir auf Schotterpiste. Wir fahren vorbei an ausgestrecktem Weideland und unzähligen Äckern. Mehr und mehr Land wird aufgekauft, weiterer Urwald gerodet. Die Mennoniten haben den Markt auf Milchprodukte, Gemüse und Geflügel in ganz Belize fest in ihrer Hand, was so langsam zum Brodeln führt, so hören wir später von Bianca, einer deutschen Auswanderin. „Sie arbeiten hart von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, kein Rumhängen. Kein Wunder, dass das Geschäft boomt.“

Die Farmen befinden sich zumeist auf den Kuppen der Hügel. An allen Ecken wird fleißig an Gräben gewerkelt, damit die Massen des baldigen Regens abfließen können.

Auch das Haus der Familie der Tochter steht auf einem Hügel. Sie haben einen Betrieb mit 10 000 Hühnern und betreiben zudem Landwirtschaft. Der älteste Enkelsohn, etwa 19 Jahre alt, ist erst schüchtern, stellt uns aber nach und nach Fragen zum Radel-Alltag. Die jüngeren Enkeltöchter tragen lange Kleider mit hoch geschnittenem Kragen und Puffärmeln. Sie sagen nichts. Ein schüchternes Lächeln kommt uns aus ihren Gesichtern, welche rosarote Wangen und blondes Haar umgeben, entgegen.

Auf dem Rückweg Richtung Spanish Lokout halten wir an einem Park an, in dessen Planungskomitee Frank eifrig mitgewirkt hat. Fünf Jahre lang pflanzte er in dessen Ausführung Bäume, stieß Zaunpfosten in die Erde und baute Klohäuschen. Ein kleiner Fluss wurde angestaut, nun gibt es einen großen See. Der Park wurde einst gebaut, da die Gemeinde einen Ort brauchte an dem alle Platz fänden, um das große Jubiläum des Ortes zu feiern. Wir ziehen den Hut vor dieser Leistung und sind wahrlich beeindruckt!

Abends gibt es Pizza von Wendys Dairies, dunkles Brot, selbstgemachte Marmelade und Käse. Besser kann ein Abendbrot nicht sein! Frank führt uns auf seinem Grundstück herum. Kühe grasen. In einem Teich hinterm Haus tummeln sich unzählige kleine Fische zum baldigen Verzehr. Wir bekommen auch welche mit, tiefgefroren. Es gibt einen Pavillon mit Lichtinstallation, einer Leinwand und einem Beamer. Für die Zusammenkünfte ihrer Familie oder wenn sie mal Freunde einladen, um einen Film anzusehen, erklärt uns Frank.

In einem Schuppen entdeckt Hardy ein altes Fahrrad mit einem sehr großen Hinter- und einem sehr kleinen Vorderrad. Frank hat es selbst gebaut. Früher sei er damit gefahren, aber heute erlaube es Bertha nicht mehr. Hardys Augen bekommen dieses typische Leuchten … er will es unbedingt auch einmal ausprobieren! Elegant sieht es aus, als Hardy sich auf das urige Hochrad schwingt und für eine kurze Zeit auf dem Ross sitzt und ein paar Meter fährt. Weniger elegant ist dagegen seine Landung. Da dieses Gefährt keine Bremsen hat und die Einfahrt ein leichtes Gefälle aufweist, muss sich Hardy zur Seite fallen lassen, um das Rad zum Stoppen zu bringen. Dies geschieht wie in Zeitlupe. Die Landung auf dem Kies ist dennoch hart.

Der Abend klingt sehr nett aus. Wir werden ins Gästezimmer mit eigenem Bad gebeten. Auf dem sehr bequemen Bett direkt am Fenster, welches uns nur durch ein Moskitonetz vom fallenden, kühlen Regen trennt, fühlt es sich fast an wie in unserem Bett zu Hause direkt an unserem Fenster zu liegen.

Blue Hole und Hermanns Cave

Belize ist grün, einfach grün! Es ist ein intensives Mittelgrün, welches hier vorherrscht. Alles ist feucht warm. Es regnet viel. Die Pflanzen wachsen wie verrückt! Sanft hügelig schlänget sich der Humingbird Hyway mit seinem lustigen Namen dahin. Wirklich schön ist es hier! Der Dschungel reicht bis an die Straße hinan. Oft nieselt es leicht. Alles ist feucht, Hose, Hemden, Haut und Haare. Ein Film, gemischt aus Schweiß und Regen legt sich auf unsere Haut. Auf den Brillengläsern bildet sich ein undurchsichtiger Film. Alles fühlt sich klebrig und schleimig an.

Wir besuchen die Hermanns Cave, eine Höhle mit einem unterirdischen Fluss. Wir sind die einzigen Gäste. Mit den Kopflampen bewaffnet laufen wir langsam voran. Nur die ersten paar Hundert Meter sind beleuchtet, es ist ganz still, eine sehr angenehme, ruhige Stimmung.

Danach springen wir ins nahe Blue Hole. Wir brauchen dringend eine Abkühlung. Die Zenote ist aber leider momentan nicht tief blau, sonder eher tief braun. Der Regenfall der letzten Tagen hat Sedimente aufgewirbelt. Schade, aber erfrischend ist das kühle Nass dennoch.

Als wir uns wieder auf die Bikes schwingen treffen wir zwei Radler. Es sind Rob und seine Freundin Regula. Rob hatten wir vor etlichen Monaten hoch oben im Norden in Dawson City (Kanada) kennen gelernt. Er ist auf dem Weg nach Peru. Für acht Wochen kann Regula ihn begleiten. Zusammen wollen sie bis nach Managua radeln. Wie wir haben sie vor im nahen Guatemala einige Runden auf Nebenstraßen zu drehen, vielleicht sieht man sich mal wieder.

Wir durchfahren kleine Dörfer und winken den Kindern in Schuluniformen zu. Bunte Schulbusse bahnen sich laut hupend ihren Weg an uns vorbei.

Wir passieren viele Orangen- und Zitronenplantagen. An einer Juicefabrik kaufen wir den Saft direkt vor Ort. Es gibt viele verschiedene Sorten. Hardy wählt ganz klassisch Orangensaft und ich Multifrucht. Eine Energiebombe!

Hopkins


Nach einer 10 km langen, roten Lehmpiste kommen wir in Hopkins an. Hier, im kleinen Karibikort, wollen wir ein paar Tage ausspannen.

Unser Zelt steht im Garten des bunten Hostels Funky DoDo. Hostelfeeling kommt auf. Zusammen mit anderen Travellern sitzen wir am Tisch unter dem schattenspendeden Palmendach, tauschen interessante Geschichten und Infos aus, während uns die fiesen, zahlreichen Moskitos und Sandfliegen gern aussaugen würden. Hier in Hopkins startet der Regen pünktlich am Mittag und dauert bis etwa 16 Uhr an. In dieser Zeit fällt er in Strömen. Bei einer solchen Regenpause lernen wir Ian kennen. Er kommt aus New York und ist Patternmaker. Es ist lustig Hardy und Ian nebeneinander zu sehen. Was für ein Gegensatz, Hardy, der sich keinen Deut um Kleidung schert und Ian, dem Klamotten so unheimlich wichtig sind.

Hardy will ein Loch in seine Machete bohren lassen, um sie besser am Rahmen seines Fahrrads befestigen zu können. So läuft er selbstbewusst, erhobenen Hauptes mit ihr in der Hand durch den kleinen Ort, auf der Suche nach einer Werkstatt. Die Leute schauen ihn merkwürdig an. Ian, der hinter Hardy läuft, fragen sie, ob er diesen Typen kenne. „Da es ja manchmal Leute gäbe, die verrückt seien, aber dann auch so aussähen würden. Aber der da sähe doch ganz normal aus.“, sagen sie.

Uns gefällt Hopkins mittel-gut. Müll liegt herum, heruntergekommen sind die Häuser. Der Strand ist dreckig und schmal. Mit der Garifuna-Mentalität kommen wir auch nicht so ganz klar. Laut, oftmals schreiend wird sich hier im Slang unterhalten. Uns er scheint dies grob, voller verbaler Gewalt und wenig herzlich. Dennoch bleiben wir drei Tage und spannen ein wenig aus…

Cooksgomb Jaguar Sanctuary

Mit dem Plan eine ganztägige Wanderung zu unternehmen, besuchen wir das Cooksgomb Jaguar Sanctuary. Neben tollem Dschungel, soll es hier natürlich Jaguare, aber auch Wasserfälle und Pools, in denen man baden kann, geben.

Wir sehen die tiefen Wolken bereits herannahen, als wir einen Aussichtspunkt auf einem Hügel erreichen. Zum Glück steht ein Picknicktisch unter einem Wellblechdach wie für uns bereit. Es wird unser Plätzchen für die folgenden Stunden. Erst machen wir Mittag, dann legen wir uns auf den Tisch, um ein Nickerchen einzulegen. Dann regnet es durch und der Wind weht den Regen auf uns.

Am Fuße des Wasserfalls treffen wir später auf den völlig durchnässten Ian. Er hatte sich im nahen Mayan Center ein Fahrrad ausgeliehen und war uns gefolgt. Uns ist allen nicht nach baden im sprudelnden Pool direkt unter dem tosenden Wasserfall oder weiterem Wandern zumute. So treten wir den Rückweg an.

Mit den Rädern geht’s über eine hügelige, schlammige, völlig überflutete Sandpiste zurück zum Mayan Center. Wir finden es lustig, Ian weniger. Er ist die körperliche Anstrengung nicht gewohnt und schiebt oft sein unbepacktes Rad die Hügel empor. Zudem ist er völlig besprenkelt, denn sein Drahtesel hat kein Schutzblech. An einem sich gebildeten See müssen wir absteigen und die Räder hindurch schieben. Hardy ist vor mir. Da sehe ich eine Schlage, sich schnell schlängelnd Hardy nähern. Ich rufe ihm zu, er solle aus dem Nass verschwinden, hier gibt es auch Giftschlangen. Hardy sprintet zum Ufer in einem lustig anzusehenden Stand, nichts passiert.

Zusammen mit Ian verbringen wir einen schönen Abend im Mayan Center, einem Hotel mit Naturheilpraxis. Der Betreiber ist Schamane. Wir sitzen mit einem urigen Franzosen zusammen, der von Google eine mail bekommen hat. Diese besagt, dass er eine Million Dollar gewonnen hätte. Sie hätten wohl auch versucht bei ihm anzurufen, aber seine Frau habe nichts verstanden. Stolz zeigt er uns den ausgedruckten Text. Nun will er nach Amerika reisen, um zur Zentrale von Google zu gehen, ihnen den Text zu zeigen und zu schauen was passiere. Nur sind die Vereinigten Staaten weit, weit weg und er hat auch keinen Reisepass passend fuer die USA. Ian erklärt sich bereit für ihn in New York zur Zentrale von Google zu gehen, um sehen was er erreichen kann. Wir sind alle gespannt und drücken natürlich die Daumen!

Ian macht es vor scharf zu essen. Erst zwei Teller Nudeln mit viel scharfer Sause, Salsa Habanera. Hechelnd und schwitzend sitzt er uns gegenüber. Dann löffelt er die Chileoße pur! Er meint, dies sei wie ein Kick, ein natürlicher Weg high zu werden, ohne Drogen. Und das Beste danach sei, na, was wohl? Die Zigarette danach!

Nun beradeln wir die Mayagemeinden des kleinen Landes. Ulkig fühlt es sich für uns an, die Mayas, die für uns optisch den Mayas jenseits der Grenze Guatemalas gleichen, auf Englisch anzureden und nicht auf Spanisch.

Wir befinden uns auf dem Southern Hyway. Die Landschaft ist nett, aber auf die Dauer langweilig. Es wiederholt sich. Nadelbäume, Bananen- und Orangenplantagen ziehen an uns vorbei. Heute Vormittag müssen wir beide unsere Vordermäntel austauschen. Hardy bekommt mal wieder eine Beule, die explodiert. Mein Mantel ist nach insgesamt vier Jahren und etwa 18.000 km auch einfach durch.

Abends zelten wir im Garten einer kleinen Familie, den ein kühler Bach kreuzt. Sie ist maya, er ketchi. Vor fünf Jahren hat er angefangen von einem Missionar Englisch zu lernen, neben der Sprache natürlich auch den Inhalt der Bibel. Er ist Christ geworden, Englisch lernt er weiterhin. Spanisch wird hier nicht gesprochen. Wir bekommen einen warmen Cacao angeboten. Der kommt direkt von den eigenen Pflanzen im Garten. Schmeckt total intensiv.

Earth Ship

Zum Projekt des Earth Ships unternehmen wir einen kleinen Abstecher. Wir haben gehört, dass man hier gegen Kost und Logie mithelfen kann. Dieses „Erdenschiff“ wird mithilfe von recycelten Materialien gebaut. Unzählige Plastik- und Glasflaschen werden in den Wänden verbaut. Die massiven Wände bestehen aus alten, mit Erde gefüllten Autoreifen und Beton.

Hier leben Richard und seine Frau mit ihren drei Kindern. Sie sind aus England ausgewandert, um hier zu leben und haben sich ein Wahnsinns-Grundstück gleich neben den Ruinen von Lubaantum gekauft. Richard, heute mal gesprächiger, läuft mit uns über das Gelände und zeigt uns Bananen-, Kaffee- und Cacaopflanzungen. Riesig ist es, es nimmt kein Ende. Er hat Jaguarspuren entdeckt. Von einer Mutter mit ihrem Jungen. „Das ist schlecht“, sagt er, „die Mutter ist nun sehr hungrig.“ Der schräge, oftmals grummelige Richard läuft permanent mit Lederstiefeln und seiner Machete herum. Das ist wirklich lustig anzusehen. Hier in Belize gilt englisches Recht, lernen wir. Sobald jemand ungefragt einen Fuß auf sein Grundstück setzt, darf er ihn theoretisch ohne Warnung erschießen. Einst war er Soldat in der englischen Armee und ist jederzeit bereit zu schießen, sagt Richard. Gleich zu Beginn, als die Familie herzog kaufte er sich drei große Hunde sowie Waffen. Er ließ diese Kunde im Dorf streuen und hatte seitdem nie Probleme, wurde weder beraubt, noch überfallen.

Neben Kinderzimmer-, Lagerraum- und Volunteerhaus aufräumen, putzen wir entzwei geschnittene Flaschen, lassen diese in der Sonne trocknen und kleben mit Klebeband die trockenen Hälften wieder zusammen. Total spannend. Irgendwie ist dieses Projekt nicht das wahre für uns. Entweder sind wir zu individuell und unabhängig unterwegs oder das ist einfach nicht das Richtige. Es erfüllt uns nicht.

Als Richard hört, dass vier neue Woofer in Anmarsch sind, ist er wenig begeistert. Er meint, er will hier leben und nicht andauernd fremde Leute um sich herum haben. Kann ich verstehen. Aber anders bekämen sie nicht so viele helfende Hände für den Bau ihres Hauses.

Des Abends sitzen wir dann mit den vier Neuen am Abendbrottisch zusammen. Australier und Engländer erzählen wild durcheinander. Jeder schiebt seinen eigenen Film und lässt niemanden ausreden. Sei es der Akzent oder die späte Stunde, wir verstehen nur rhrhrhrhrrh und gehen ins Bett.

Froh weiter radeln zu können, schwingen wir uns am frühen Morgen auf die Sättel. Schnell brausen wir über die Hügel ins nahe Punta Gorda. Hier bringt uns eine kleine Fähre hinüber über’s Meer, zurück nach Guatemala. Schoen, interessant und wichtig war fuer uns der Belize-Aufenthalt. Gut hier gewesen zu sein!

In der Galerie findet Ihr weitere Fotos zu diesem Artikel.

Posted in Belize

Petén (Guatemala / Mai 2012)

Centro Amerika

Rein geographisch betrachtet zieht sich die Landbrücke Mittelamerika vom 8. bis zum 18. nördlichen Breitengrad, vom Isthmus Tehuantepec in Südmexiko bis zum Dschungel des Darién Gaps in Panama. Neben Mexiko befinden sich sieben Länder auf diesem recht kleinen Gebiet von etwa 545.000 Quadratkilometern, die der Fläche Frankreichs gleichzusetzen ist.
Diese sieben Staaten wollen wir in den folgenden Wochen und Monaten beradeln und genauer unter die Lupe nehmen. Wir sind gespannt auf die Menschen, Kultur, Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Guatemala / Petén
Eine neues Land, eine neue Zeitzone, eine neue Methode eine Grenze zu überqueren. Per lancha, einem kleinen Holzboot mit Außenbordmotor, setzen wir über den Grenzfluss Río Usumacinta ans andere Ufer. Schwups, hier sind wir nun, in La Técnica, einem kleinen Nest in Guatemalas Bundesstaat Petén. Dieser ist der zweit heißeste des ganzen Landes. Es ist nicht trocken-heiß, sondern schwül-warm, wie in der Badewanne. Die Leute hier warten auf den einsetzenden Regen – in diesem Tagen schlägt das Thermometer Rekorde.

Als wenn der Schweiß nicht auch so schon an uns hinunter rinnt! Nein, es erwartet uns auch noch eine steile, lange Treppe hinauf vom Flussufer. Wir laden die Taschen ab und buckeln die Einzelteile hoch. Eine Reihe herumhängender Männer schaut uns beim Klarschiffmachen der Räder zu. Es sind die örtlichen Geldwechsler, denn eine Bank gibt es hier nicht. „Cambio, cambio!“, ertönt es. Auch ohne diese Worte würden wir sie an den sieben Zentimeter dicken Geldbündeln in ihren Händen, gegen die sie die ganze Zeit klatschen, erkennen. Die Migration befindet sich im 17 km entfernten Betél. Dorthin müssen wir.
Lehm- und Bretterbuden umgeben uns. Kinder laufen in dreckigen, abgewetzten Klamotten und ohne Schuhe herum.

Die Piste ist super schlecht, ein Schotterweg jedes Gleichen. Megasteil beginnt sie sogleich, dagegen waren die Bedingungen in Chiapas ein Kinderspiel. Oft schieben wir zu zweit ein Rad nach dem anderen die Hügel hinauf. Etwa zwei Stunden brauchen wir für die folgenden Kilometer.
In Betél legen wir eine Brausepause ein, kaufen Reis, Möhren und ein Dose mit Tomatensauce fürs Abendbrot und gehen der Migration einen Besuch abstatten. Die Beamtin ist freundlich, schnell haben wir unseren Stempel im Pass.
Weiter geht der spaßige Schotter, insgesamt werden es wohl noch weitere 70 km sein, bevor wir wieder auf leisem Asphalt dahin rollen können.
In Petén wird viel Landwirtschaft betrieben. Uns umgeben ausgetrocknete und abgeerntete Felder sowie Bananenplantagen. Verkokelt riechen die vielen Schwelbrände, die die Bauern zur Rodung legen. Gebiete irren Ausmaßes werden abgeholzt. Besonders in diesem Bundesstaat ist dies ein Problem. Der Urwald wird in einem alarmierenden Tempo vernichtet.

Weit und breit ist kein Haus in Sicht. Also machen wir uns auf, wie üblich, nach einem Platz im Gelände Ausschau zu halten. Es ist schwierig einen geeigneten Platz abseits der Straße ausfindig zu machen. Hardy und ich gehen einige Male in ausgetretene Pfade in die Felder hinein, finden jedoch nichts. Nach einer einstündigen Schlafplatz-Suche entdecke ich neben einem eher schlecht als rechtem Plätzchen mitten in Bananenpflanzen eine Machete. Hardy wollte sich seit langem eh eine Besorgen und hier ist sie! Sogleich setzt er sie freudig ein, wild um sich schlagend mehr Platz für unser Zelt zu erarbeiten. Funktioniert prima! Wir haben einen kleinen Kolibri als Nachbar, der eifrig mit vielen Flügelschlägen Nektar aus den Bananenblüten saugt. Abends ist es immer noch um die 30 Grad, unsere Wasserflaschendusche erzielt keine nachhaltigen Erfolge, wir kleben nach wie vor. In Unterhosen bauen wir das Moskitozelt auf und kochen. Dann hüpfen wir schnell hinein, denn die Moskitoschaaren würden uns am Liebsten auffressen.
Es ist schon fast ganz dunkel, als wir Stimmen hören. Etwa hundert Meter neben uns hängen Jugendliche ab, sich laut unterhaltend. Warum kommen die ausgerechnet hier mitten ins Feld und warum so nah neben unserem Lager? Zum Glück bemerken sie uns nicht und ziehen irgendwann von dannen. Das ist uns nichts, wir können die Sicherheitslage in diesem Land noch nicht einschätzen und werden ab morgen bei Leuten fragen, ob wir im Schutz ihrer Gemeinschaft unser Zelt aufbauen dürfen. Generell kommen wir an diesem Abend ins grübeln. Wir sind bald ein ganzes Jahr unterwegs. Das ist eine lange Zeit. Beide empfinden wir so etwas wie Heimweh.

Zum Glück windet sich die Piste heute nur auf leicht hügeligem Terrain dahin. Gemächlich radeln wir mit Musik- und Hörbuchunterhaltung. Ganze 7 km schaffen wir pro Stunde! Die vorbeifahrenden Autos wirbeln jede Menge Staub auf. Unsere Lungen altern jetzt bestimmt um Jahre. Wir sehen aus wie graue Mäuse.
Ein kurzes Bad in einem unerwartet auftauchenden See bringt neuen Schwung in unsere müden Glieder. Und weiter geht’s.
Des Abends fragt Hardy bei einer Familie, die etwas besser gestellt zu sein scheint, um Unterkunft. Sie lebt in einem recht großen Steinhaus. Wir dürfen eintreten und bekommen sogar das Wohnzimmer als Nachtlager angeboten. Denn draußen sei es zu gefährlich. Duschen und Waschen dürfen wir auch, der Hammer! Als wir den vielen Kindern der Familie unseren aufblasbaren Globus vorführen, bewegt sich sogar der Vater vom Fernseher weg. Zusammen erforschen wir die Welt, die verschiedenen Kontinente, Guatemala und Deutschland.
Abends verteilt sich die Familie auf die wenigen Betten in den drei Schlafzimmern. Wir breiten die Isomatten im Wohnzimmer auf dem Boden aus. Links neben uns piepsen Babytruthähne in einem Karton, rechts von uns stehen zwei Motorroller. Die werden des nachts auch ins Haus geholt. Da die Wände nicht bis zur Decke reichen, ist es sehr hellhörig hier. Wir hören jedes Husten der Staublungen und das Schreien des Babys. Türen gibt es nicht, diese ersetzen Vorhänge.

San Benito, buenas cosas
Nachdem wir die Schotterpiste hinter uns gelassen haben, erreichen wir am frühen Abend San Benito. Wir sind beim Amerikaner Memo zu Gast. Als Memo vor Jahren auf Durchreise hier unterwegs war, erkrankte er an Denguefieber und wurde aufopfernd von seinen guatemaltekischen Nachbarn gepflegt, darunter war auch Angélica. Die beiden verliebten sich, zogen zusammen und schon bald entschlüpften eins nach dem anderen die vier Kinder.
Er und seine Frau Angélica gründeten vor wenigen Jahren den Verein buenas cosas, den Verein der guten Dinge. Das ist eine non-profit Organisation, die sich um Verbesserungen in den umliegenden Gemeinden rund um den See Petén Itzá in Zusammenarbeit mit vielen ausländischen Freiwilligen kümmert sowie sich für den Umweltschutz einsetzt.
Wir schlafen im Haus der Freiwilligen, die sich für dieses Projekt engagieren. Hier gibt es Schlafmöglichkeiten für bis zu 12 Personen. Matratzen, Moskitonetze und Ventilatoren stehen bereit. Im Haus ist es warm und stickig, wir wählen den Hinterhof, da dort in der Nacht eine kleine Brise zu fühlen ist, für unser Nachtlager. Es gibt Trinkwasser und eine Art Küche, in der neben Tischen und Plastikgeschirr aber nichts weiter vorhanden ist. Im Haus nebenan will Angélica, Herrin über ihre Küche, diese nicht teilen. Macht nichts, mit unserem Kocher sind wir zum Glück unabhängig. Mit uns sind in diesen Tagen verschiedene Couchsurferinnen zu Gast, die ein und aus gehen. Zudem wohnt hier die hochschwangere Katze Seven. Da ihr Sohn sie aus dem Haus gejagt hat, lebt sie  nun im Volunteerhouse.
Wir besichtigen das nahe Flores, ein Städtchen auf einer Insel im Lago Petén Itzá. Einen sehr touristischen aber netten Ort, voll von Hotels und Bars. Touristen hängen herum und nehmen ein Bad im See, wie wir. Zusammen mit Sandra, einer Reisenden aus Portugal, genießen wir die tolle Stimmung der warmen Farben des Sonnenunterganges im See und gehen gemeinsam Essen. Spagetti gibt es, dazu einen Fruchtshake. Sandra ist reisende Schriftstellerin und hat einen tollen Text über uns verfasst! Schaut Euch den mal an!

Zusammen mit Angélica, ihrer Mutter und einer engagierten Nachbarin fahren wir am nächsten Tag in ein nahes Dorf. Wir sind neugierig und wollen uns eines der Projekte von buenas cosas mal ansehen. Im Gepäck sind Samen für Kräuter- und Gemüsepflanzen. Unter dem Schatten eines großen Baumes wird eine Versammlung abgehalten. Angélica erklärt, dass buenas cosas, eine NGO sei, unabhängig von Staat und Kirche, die die Lebensumstände vor allem der Frauen verbessern möchte. Alles sei kostenlos, von den Samen, dem später selbst hergestellten Dünger bis hin zu den Öfen, die im späteren Verlauf das Holzfeuer ablösen sollen. Denn in der Mehrheit wird im 21. Jahrhundert hier noch mit Holz auf einem Feuer auf dem Boden oder mit Hilfe eines Lehmofens gekocht. Dies verursacht, neben dem Einatmen des Rauchen und den Gefahren durch Verbrennungen, auch die massiv voranschreitende Abholzung. Voraussetzung sei nur, dass die Frauen bereit seien anzupacken und zu arbeiten und nicht den ganzen Tag herum sitzen und erwarten, dass sie etwas geschenkt bekämen.

Später wird gemeinsam ein Dünger hergestellt. Ohne Handschuhe wird der Kalk mit den bloßen Händen zerrieben. Dann wird der große Topf lange über dem Feuer gekocht. Der erst weiße Dünger verändert seine Farbe ins gelbe und bekommt am Schluss einen rötlichen Ton. Auch ich helfe mit den Kalk zu zerreiben und muss leider in den folgenden Tagen feststellen, dass diese ätzende Mischung meine Haut an den Händen pellen lässt. Aber als ich Angélica und Memo auf das Fehlen von Handschuhen anspreche, höre ich nur, dass guatemaltekische Frauen sehr hart im Nehmen seien und Handschuhe Geld kosten würden, welches nicht vorhanden sei.
Wir treffen auf eine Freiwillige aus Polen und aus Spanien, die hier für zwei Wochen in einer guatemaltekischen Familien leben. Morgens arbeiten sie zusammen mit den Frauen an neuen Beeten und am Nachmittag geben sie den Kindern Englischunterricht. Auf den Beeten werden Gemüse und Kräuter für den Eigenbedarf sowie für den Verkauf angepflanzt. Ziel ist, dass die Frauen mit dieser eigenen Einnahmequelle unabhängiger von ihren Männer werden.

Beim abendlichen Bierchen lernen wir Memo und Angélica in langen Gesprächen besser kennen und erfahren eine Menge über Guatemala. Erst 1996 wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet, welches den 36-jährigen Bürgerkrieg beendete. Ein Krieg, indem nach Schätzungen etwa 200 000 Menschen umkamen und eine Million obdachlos wurde. Unzählige Menschen „verschwanden“ einfach. Zumeist Mayamänner wurden gefoltert und dahingerafft. Das Militär löschte im Namen der Politik der „verbrannten Erde“ unter General Ríos Mont ganze Dörfer aus. Jeder, der älter als 16 Jahre ist, hat den Krieg erlebt. Das sind die meisten Leute, denen wir begegnen.
Heutzutage stellen Ungleichgewichte in den Machtstrukturen große Herausforderungen dar, hören wir, „Sieben Familien gehört das Land.“ Anders herum gesagt sind 70% des urbanen Landes in Händen von nur 3% der Bevölkerung. Etwa die Hälfte der Menschen des Landes lebt in Armut, insbesondere in den ländlichen Gemeinden. Des weiteren stellen Analphabetismus sowie ein mangelhaftes Schul- und Gesundheitssystem große Probleme dar.

Tikal
Schon fast Maya-Experten, wollen wir uns die nahen Ruinen von Tikal natürlich nicht entgehen lassen. Die Räder parken wir in einem Hotel im ruhigen Örtchen El Remate am oestliche Ufer des Sees Petén Itzá. Den Nachmittag vertrödeln wir am und im See, indem rund um uns herum fleißig gewaschen wird.
Früh morgen bereits um 5 Uhr steigen wir in ein Combitaxi, dass uns über die vielen Hügel zu den Ruinen bringt. Eine Stunde später macht der Park auf. Obwohl sich eine wahre Taxischlange am Eingang bildet, verlaufen sich die Besuchermassen recht schnell. Dschungelfeeling kommt auf. Kleine Pfade schlängeln sich durch die Anlage, zu allen Seiten von hohen, dichten Bäumen umgeben. Wir hören es rascheln und knacken, irgendwo heulen Brüllaffen. Kleine Äffchen bekommen wir sogar zu Gesicht.
Tikal war einst eine der bedeutendsten Städte der Maya. Machtwechsel, Repräsentationsbedürfnisse sowie aufwendige Begräbnisse waren vielleicht die Motive, um ständig neue, prachtvollere und größere Bauwerke zu schaffen. Man nimmt an, dass bisher nur der kleinere Teil der einstigen Stadt ausgegraben sei. Im dichten Urwald sollen noch etwa 50.000 weitere Bauten im verborgen liegen. Wie auch die Ruinen im mexikanischen Palenque wurde Tikal gegen Ende des 9. Jahrhunderts verlassen. Die Gründe sind bis heute unklar.
Wir setzen uns auf die Mauern rund um den zentralen Platz des großen Jaguartempels und lassen die Stimmung auf uns wirken. Außer uns ist fast niemand hier. Ist schon beeindruckend die großen Pyramiden vor uns zu haben und in der Mitte Stelen und kleinere Bauwerke zu bewundern. Wie muss es wohl hier gewesen sein, als Priester und tausende von Bauern, Dienern und so weiter hier herum wuselten?

Unser Frühstück nehmen wir auf Pyramide Nummer Vier ein. Dies ist für mich der absolut beeindruckendste Augenblick in ganz Tikal. Hoch oben, auf dem höchsten Punkt, haben wir den Dschungel zu unseren Füßen. In kurzer Entfernung schauen die Spitzen der anderen beiden Pyramiden aus dem grünen Teppich. Die Weite, die wir sehen ist zum Greifen nahe. Unbeschreiblich. Die Wolken bilden finstere Formationen. Wird heute der erste Regen einsetzen?

Wir steigen ab und rennen fast hinein in einen „Fuchs“ mit einer Nasenbärschnauze, der ungestört im herumliegenden Müll stöbert. Den restlichen Vormittag schlendern wir durch die alten Bauten. Wir treffen auf einen Pfau mit leuchtend blauen Kopf sowie auf Spechte und dann fängt es tatsächlich an zu regnen! Ein kurzer Nieselregen fällt. Am 13. Mai 2012 beginnt für uns die Regenzeit.

Am Abend quetschen wir uns müde zu unseren Rädern ins Hotelzimmer. Trotz durch gelegener Betten fallen wir sogleich in tiefen Schlaf.

Morgen werden wir wieder eine Grenze überspringen. Spontan haben wir uns entschlossen, das nahe Belize zu erforschen. Wenn wir schon einmal so nah dran sind, muss das doch sein!

In der Galerie könnt Ihr die Bilder zu diesem Artikel ansehen.

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Chiapas ( Mexiko / April 2012)

Zusammen mit Martin, Peter und Bianca haben wir tolle, sehr intensive drei Wochen verbracht, in denen wir per Bus durch Costa Rica, Panama und Nicaragua gereist sind. Der Abschied von den Dreien in San José fällt verdammt schwer. Wer weiß wie lange es dauern wird, bis wir uns wieder sehen?

Sie steigen in den Flieger und wir wieder in den Bus, um das weit entfernte Zanatepec zu erreichen. Dort warten unsere Fahrräder auf uns. Mit einer Übernachtung in San Salvador in El Salvador und Tapachula in Mexiko geht es sonst per Nonstop-Busfahrt zurück nach Oaxaca. Ganz schön anstrengend.

Unsere Freunde Rodrigo und Lupita erwarten uns schon. Es gibt ein herzliches Willkommen. Wir bleiben noch zwei Tage hier. Gemeinsam besuchen wir ein balneario. Eine natürliche Quelle speist das Becken, welches mit künstlichen Betonmauern erweitert wurde. Viele Erwachsene und Kinder sind da, es hat Freibadcharakter. Rodrigo spendiert mir und Lupita eine Pina Colada, Hardy und er trinken Bier. Lupita hatte zuvor einen Berg an Essen vorbereitet, den wir nun in uns hinein stopfen. Dann geht’s ins kühle Nass.

Rodrigos eigentlicher Beruf ist Landwirt. Stolz erzählt er uns von seinen Mangoplantagen. Er verbrachte einige Zeit in den Vereinigten Staaten und spricht ein gutes Englisch. Da in der örtlichen Schule Englischlehrermangel war, fragte man ihn. So ist er Englischlehrer geworden. Wir gehen mit ihm in die Schule und erzählen den Jugendlichen von unserer Reise. Nicht in Englisch, sondern in Spanisch, da die Schüler keine Lust haben Englisch zu reden. Das ist so auch OK so für alle Beteiligten…

Die beiden Radler Raul und Marta schauen vorbei. Letztes Jahr starteten sie in Fairbanks und wollen natürlich auch Patagonien erreichen. Wie wir wollen sie über San Cristobal de las Casas in Richtung Guatemala reisen. Wir sind gespannt, wann sich unsere Wege wieder kreuzen werden.

Chiapas

Dann geht’s los, endlich sind wir wieder on tour! Die nahe Grenze zum Bundesstaat Chiapas erreichen wir schnell. Es geht sogleich in die Berge. Der Wind pfeift nur so durch’s Gebirge. Uns kommen Boehen entgegen, die uns wahrlich umhauen. Wir kommen nicht dagegen an, werden aus dem Sattel geworfen. Also steigen wir ab und schieben einige Passagen. Und auch das ist schwierig. Ich muss mich sehr anstrengend, um mein Rad überhaupt in der Hand zu behalten, es will andauernd umkippen. Ätzend! Eine Mitfahrgelegenheit wäre nicht schlecht, so heftig ist es. Aber natürlich kommt keine vorbei, wenn wir uns schon mal beide dafür entscheiden…

Bergab kommt uns Nick entgegen. Der Niederländer ist der erste Radler den wir treffen, der Richtung Norden unterwegs ist. Ein Bisschen quatschen wir über Kolumbien und Bolivien, dann muss er aber auch schon weiter. Da seine Freundin bald in Mexiko City ankommt, ist er ganz schön in Zeitnot.

Wir sind die Anstrengung bei der Hitze nicht mehr gewöhnt und brauchen des öfteren eine Verschnaufpause. Zudem ist Hardys kleinstes Kettenblatt ausgefahren. Da er gestern eine neue Kette aufgezogen hatte, springt sie, wenn er das kleinste Kettenblatt für die kleinen Gänge benutzen will. Es geht also nicht. Er tut mir richtig leid, nur die mittleren Gänge benutzen zu können. Es ist so heiß, der Schweiß läuft. Ich fühle mich nassklebrig und sonnenmilchglibschig.

Es ist soweit, wir bekommen nicht nur beide gleichzeitig Hunger, müssen gleichzeitig auf’s Klo, sondern haben auch noch beide gleichzeitig einen Platten, beide hinten. Wir belassen es beim Nachpumpen. Am Wegesrand fragen wir an einer Kontrollstelle für Seuchen an Lebensmitteln und Tieren nach Wasser und erhalten sogar Trinkwasser. Toll, also heute kein Filtern! Hardys Loch ist jedoch so groß, dass wir alle fünf Minuten wieder pumpen müssen. Das nervt! Schnell muss ein Platz her, den wir nach kurzem Suchen finden. Diesmal machen wir uns auf einer Kuhwiese breit. Die Kühe laufen gemächlich vorbei, bleiben stehen und schauen uns verwundert mit ihren großen Augen an. Es sind neugierige Tiere, wir müssen sie von unseren Sachen verscheuchen. Des Abends stelle ich fest: “Mensch, das kühlt ja ab hier. Ist ja fast so kühl, dass man sich was übers Kleid überziehen müsste. Wahnsinn!”

Chiapas fühlt sich an, als seien seine Hügel wie auf einer Perlenkette nacheinander aufgefädelt worden. Es geht rauf und runter. Und dies ist erst ein Vorgeschmack auf das anstehende Guatemala…

Hier ist es, kurz vor dem Beginn der Regenzeit, ungeheuer trocken. Gelb und trist sind Gräser und Sträucher anzusehen. Oft lodert oder kokelt es am Wegesrand. Großflächig brennt das trockene Gras nieder. Teilweise von den Bauern bewusst als Rodungsbrand angezündet, teilweise durch eine aus einem Auto geworfene Zigarette oder herumliegende Glasscherben entzünden sich diese Brände. Manchmal werden sie richtig groß. Straßensperrungen oder Feuerwehr sind jedoch keine vorhanden. So stehen Menschen mit Schaufeln in der Hand daneben und wir fragen uns, ob das hier die Feuerwehr sei. Diesmal ist das Feuer und die Rauchentwicklung so heftig, dass wir absteigen, die Straßenseite wechseln und mit einem Tuch vor dem Mund die Räder auf dem Seitenstreifen langsam voran schieben. Die Augen tränen, der Rauch kratzt im Hals.

Diese Gefahr beeinflusst von nun an unsere Schlafplatzsuche und macht sie komplizierter. Denn einfach überall liegt trockenes Gras herum. Wir suchen unser Lager danach aus, ob wir gut wegkommen. Als wir am Morgen gerade Zähneputzen, höre ich es knistern. Es ist nichts zu entdecken, aber das Knistern wird lauter. Wir beeilen uns zur Straße zu kommen und sehen es dort im Graben schon wieder brennen

Wir machen Mittag auf der Plaza im schönen Städtchen Chiapas del Corzo. Hier hatten sich einst die kämpferischen Indios, als der Kampf gegen die Spanier aussichtslos erschien, lieber in eine tiefe Schlucht gestürzt als sich den Spaniern zu ergeben.

Gemächlich gehen wir die lange Steigung nach San Cristobal de las Casas an. Insgesamt sind es 50 km up hill. Heute schaffen wir noch ganze zehn.

Kein Zeltplatz ist zu finden, darum fragen wir bei Leuten in einem kleinen Dorf nach, ob wir bei ihnen im Garten zelten dürfen. Für mich ist dies eine ganz schöne Überwindung. Zudem mag ich es nach einem anstrengenden Tag meine Ruhe zu haben und bin nicht unbedingt begeistert uns nun noch interessant präsentieren zu müssen. Das erste Haus hat keine Zaun und im nahen Straßengraben knistert es schon wieder verdächtig. Ich frage eine Familie, ob wir nicht bei ihnen schlafen dürften. Sie haben ein kleines Kind. Kinder sind immer gut, denken wir uns. Dort, wo Kinder sind, ist es sicher. Die Familie ist arm. Sie leben in einem Bretterhaus. Das Klo ist eine Grube mit Plastikplane drum herum. Wir bauen unser Zelt kleinen im Garten im herumliegenden Müll auf. Warum leben so viele arme Menschen in ihrem Müll? Das verstehe ich nicht. Hardy versucht mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, indem er dem Kind einen Luftballon schenkt. Aber es klappt nicht so richtig.

San Cristobal de las Casas

Die restliche Steigung fordert uns einiges ab. Den ganzen Tag kriechen wir voran, machen nur kurze Pausen, um zu Verschnaufen oder schnell etwas zu essen. Dann, endlich, vier Kilometer vor San Cristobal haben wir es geschafft! Sind wir froh, als wir die Stadt unter uns sehen und auch recht fix in unserer Unterkunft, dem super gemütlichen El Hostalito ankommen. Das Hostalito gehört einem Radler, der aber gerade selber unterwegs ist. Anne aus dem Ruhepott, die nun die Stellung hält, erwartet uns schon. Mit einem Wohnzimmer, einem Garten mit Kräutern und Hängematten und einer gemütlichen Küche wie in einer WG in Friedrichshain, fühlen wir uns sogleich wohl.

San Cristobal ist eine sehr angenehme Mischung aus mexikanischen Einflüssen, immer noch aufrechterhaltener alter Traditionen und Trachten sowie europäischem und amerikanischem Einfluss aufgrund der vielen Aussteiger, die hier hängen geblieben sind. Es gibt eine Menge an Bars und kleinen Restaurants, Krimskramsläden und alternativer Straßenkunst. Heute gehen wir essen. Gleich um die Ecke gibt es bei la flaca, einer dünnen, hibbeligen Italienerin zwei Pizzen zum Preis von einer. Dazu genießen wir ein Bier. Salud!

Später juckt und kribbelt alles. Viele Bisse zieren insbesondere unsere Beine. Nun haben wir auch endlich die Bekanntschaft dieser drolligen Tierchen gemacht. Es sind Bettwanzen. Anne tut es total leid. Sie hilft unsere gerade frisch gewaschene Wäsche erneut zu waschen. Wir bekommen ein neues Zimmer und sind um eine Erfahrung reicher.

Wir genießen es durch die Fußgängerzone und die kleinen Gässchen zu steifen, machen Besorgungen und lassen uns treiben. So lässt Hardy seine Sonnenbrille richten, deren runde Gläser, Fielman sei dank, nicht richtig festgemacht wurden und beim Putzen verrutscht sind. Der freundliche Optiker nimmt sich viel Zeit für uns, besorgt Gummiband und postiert damit die Gläser an der richtigen Stelle. Das ganze kostet nur 35 Pesos, etwa 2 Euro.

Wir schlendern über den großen Gemüse und Obstmarkt, kaufen Mangos, Litschis und Marakuyas ein. Habe ich schon einmal erwähnt, dass Hardy eine neue Leidenschaft hat? Ich bezeichne es mal als marktgierige Kauflust. Sobald er einen erspäht, muss er langsam darüber streifen, alles minutiös ansehen und wild um sich kaufen. So ersteht er hier vier kleine Expressotassen aus Aluminium.

Als wir danach den Kunstmarkt besuchen, treffen wir plötzlich alte Bekannte wieder. Mit Maria, nun hochschwanger, und Pablo hatten wir Silvester an einem Strand auf der Baja California gefeiert. Die beiden sind her gereist, um hier ihr Kind zu bekommen, da die bessere Versorgung sowie günstigere Lebenskosten gewährleistet seien. Leider verkaufen sie fast nichts, es gibt einfach zu viele Artesanos.

Wir können uns nicht so recht motivieren, diesen angenehmen Ort zu verlassen, schaffen aber doch den Absprung. Zum Abschied gehen wir nach einem Abendspaziergang noch mal essen, bei la flaca natürlich. Heute gibt es zwei Portionen Nudeln zum Preis für eine mit selbstgemachter roter und grüner Soße.

Chiapas Hinterland

Nachdem wir eine saftige Steigung erklommen haben, eröffnet sich uns eine schöne, hügelige Landschaft. Dorf folgt auf Dorf. Manchmal gurgelt ein kleiner Bach neben uns. Nadelwald tritt auf. Es riecht gut. Erstaunlicherweise liegt hier fast kein Müll in der Natur herum. Die windschiefen Häuser bestehen aus Bretterwänden, umgeben von Bretterzäunen. Frauen laufen in bunten Trachten herum. Sie sind weniger interessiert an uns, dafür die Kinder. Ein Mädchen ruft etwas in einer piepse Stimme und winkt und winkt. Ich lache und winke zurück, sie freut sich.

Uns fällt auf, dass auf selbstgemalten Schildern, die verschiedenste Waren anpreisen häufig Buchstaben, die eine ähnliche Betonung haben wie das s, z und c oder das v und b vertauscht werden. Das h, welches im Spanischen gar nicht ausgesprochen wird, findet seinen Weg nur selten in die Schriftsprache.

Wie sendet man in Mexiko ein Paket ab?

In Comitán treffen wir Andrew wieder. Den englischen Reiseradler hatten wir am Árbol de Tule in Oaxaca kennengelernt. Da seine Freundin erst vor kurzem zu ihm gestoßen ist und eine Operation an der Archillessehe hinter sich hat, sind sie in den letzten 1000 km nur mit 5-6 km pro Stunde vorangekommen. Nun hat Andrew eine Durchfallerkrankung ans Bett gefesselt. Der Arme, er sieht nicht gut aus.

Zu Kämpfen haben auch wir gerade und zwar mit der Versendung unseres Paketes nach Berlin. Wie sendet man in Mexiko ein Paket ab? Oder: Wie kann man es möglichst kompliziert machen?

Wir haben einen Schuhkarton mit unserem zu versendenden Kleinkram fertig, der noch nicht geschlossen ist. Die Adresse ist darauf geschrieben. In der Poststelle sagt man mir, das gehe so nicht. Das Paket muss zum Zoll, dessen Inhalt muss begutachtet und dann fein säuberlich aufgelistet werden. Dann muss Paketpapier gekauft werden, um den Karton damit zu umhüllen. Wenn dies getan ist, kann ich wieder kommen. Ich bin völlig genervt und so übernimmt Hardy an dieser Stelle für mich. Er stiefelt los. Der erste Papierladen hat nicht das gewünschte Papier. Im Zweiten wird er fündig.

In der Zollstelle, zum Glück gleich um die Ecke, wird alles aus unserem Schuhkarton ausgepackt und ordentlich begutachtet. Der Beamte benötigt nun eine Passkopie von Hardy. Kein Problem, hinter ihm steht ja ein Kopierer bereit. „Nein, dieser ist doch nur für interne Dinge, nicht für private Kopien.“ Hardy kommt zu mir und kramt sein Passkopie aus einer seiner Gepäcktaschen. Zurück zum Zoll. Doch kurze Zeit später erscheint er wieder, leicht genervt.

Ich fülle die Zollerklärung aus. Jedes Teil wird einzeln aufgelistet. Zurück zum Zoll, das Paket darf endlich in Paketpapier eingewickelt werden. Ob Hardy Klebeband habe, fragt der Beamte. „Ja, unser schwarzes Gafa.“ Aber nein, auch das geht nicht, das Klebeband muss durchsichtig sein. Hardy stiefelt wieder zum Papierladen und kauft eine Rolle durchsichtiges Klebeband.

Zurück beim Zoll, unser Paket im Paketpapier wird nun zugeklebt. Der Zöllner legt den ausgefüllten Formularbogen mit Inhaltsangaben und Adresse oben darauf und stempelt ihn zweimal an der einen Seite ab. Hardy muss mit dem Klebeband über den Stempel kleben. Dieser Vorgang wird weitere zwei Male wiederholt.

Nun endlich darf Hardy für unseren Schuhkarton, umwickelt mit Paketpapier, zugeklebt mit durchsichtigem Klebeband und abgestempelt vom Zoll beim Postamt sein Porto bezahlen. Auf die Frage, warum dieser ganze Vorgang denn hier so kompliziert sei, lautet die seelenruhige Antwort der älteren Dame, dass sei so, da wir uns so nah an der Grenze zu Guatemala befänden. Aus San Cristobal wäre es etwas ganz anderes gewesen. Dort hatten wir es bereits versucht, nur war die Post geschlossen.

Auf nach Guatemala

Für unsere letzten Tage in Mexiko haben wir uns ein ganz besonderes Schmankerl ausgedacht. Parallel zu einem gurgelnden Fluss schlängelt sich eine kleine, verlassene Piste durch den Urwald Chiapas. Zu meiner großen Freude ist die Strecke inzwischen vollständig asphaltiert worden. Jedoch macht uns Mexiko seinen Abschied trotzdem nicht leicht. Steilst windet sich der Weg empor. Wir durchstreifen dschungeliges Bergland. Hier in der Zapatistenhochburg müssen wir insgesamt fünf Millitärkontrollposten passieren. Teilweise werden wir recht intensiv ausgefragt, woher kommen wir und wohin reisen wir. Als die Beamten befriedigt sind und ihnen keine weiteren Fragen einfallen, werden wir weitergelassen.

Die Berge gehen in ein welliges Flachland über. Leider finden wir nicht den erwarteten Dschungel. Dieser wurde zu großen Teilen gerodet. Wir radeln vorbei an Acker- und Weideland.

Leider bekomme ich erhöhte Temperatur und muss mich ganz schön quälen. Ganz langsam, mit vielen Pausen rolle ich voran. Hardy muss oft auf mich warten. Als er die Ruinen von Ixan besichtigt, ruhe ich mich lieber aus.

Wir passieren Minidörfer, in denen wir in Miniläden einkaufen. Die Piste wird so steil, dass wir anfangen die Hügel in Kehren zu erklimmen. Eine nach links, eine nach rechts. Ist auch anstrengend, aber die Puste bleibt auf diese Weise nicht weg. Der wenige Verkehr lässt dies zum Glück zu.

Dazu sind es über 40 Grad. Zum Glück finden wir ein passendes Plätzchen für unsere Hängematten in der verdienten Mittagspause.

Des öfteren sehen wir den Fluss, dem wir die ganze Zeit folgen, kommen aber einfach nicht ran. Eine Chance nutzen wir aber doch. Eine Weide ragt direkt ans ersehnte kühle Wasser. Wir öffnen den Zaun und machen den Kühen ihre Trinkstelle streitig. Ach, wie gut tut doch so ein Bad nach Tagen!

In Pico de Oro ist feria, Jahrmarkt. Die Räder schiebend betrachten wir die Buden und Stände am Morgen. Wir wollen Kaffee trinken und ein zweites Frühstück essen. Es ist bisher wenig los. Ein paar Verkaufsstände haben offen, wir könnten T-Shirts, Hosen und Kuechenuntensilien erstehen. Ein Fußballspiel findet statt. Ansonsten scheinen eher wir die Attraktion zu sein. Wir in Indien reihen sich die Jungs nebeneinander auf und gaffen zu uns herüber.

Die restlichen 50 km bis zur Grenze sind dann doch noch recht dschungelig. Zu beiden Seiten des Weges erstreckt sich dichtes Grün. Dörfer oder Läden gibt es in diesem Abschnitt nicht. Nur eine Millitärkontrolle. Wir radeln noch ein Weilchen dem Abend entgegen und fragen an einem kleinen Bretterhäuschen, dessen Grundstück von einem Flüsslein durchquert wird nach Wasser. Dann suchen wir unseren Schlafplatz. Das ist gar nicht so einfach heute.

Morgen werden wir den Fluss, beziehungsweise die Grenze nach Guatemala überqueren. Ein neues Land steht bevor. Über vier Monate haben wir nun im großen, extrem vielfältigen Mexiko verbracht. Eine tolle Zeit ist es gewesen. Nicht ein mal haben wir uns unwohl oder bedroht gefühlt, alles andere als das. Bis auf den Bundesstaat Michoacán und die Gegend um Mexiko Stadt haben wir zudem die meiste Zeit wild gezeltet. Wir wurden weder angegangen, noch bedroht oder ausgeraubt. Im Gegenteil, wir hatten tolle Begegnungen und intensiven Kontakt zu den Menschen. Hier kennen wir uns nun aus, wir sind ein bisschen aufgeregt. Wie wird wohl Guatemala sein?

Wie immer findet Ihr die Fotos zu diesem Artikel in der Galerie.

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Gastbeitrag: Costa Rica, Panama und Nikaragua. Es geht auch ohne Fahrrad. (März/April 2012)

Sechs Wiedersehen, zwei Grenzüberschreitungen, kein Ziel. Von San José über Panama bis Nikaragua

Urlaub ist gut und mensch sollte sich ihn öfters gönnen! Vorausgreifend mit diesem Fazit bin ich froh, dass mein werter Mitbewohner Martin, Bianca und mich (im folgenden: die Urlauber) überredet hat, mit ihm zusammen unsere Radlerfreunde im März und April in Mittelamerika zu treffen.

Nachdem Alena & Hardy ihre Fahrräder in Zanatepec (Oaxaca/Mexiko) geparkt und eine zweieinhalb Tage dauernde Busreise auf sich genommen haben, holten sie uns trotz oder auch dank einstündiger Verspätung unsererseits pünktlich am 22ten März vom Flughafen “Juan Santamaria” bei San José ab. Das freudige Wiedersehen begangen wir mit mehreren Litern Bier und leckersten Früchten aus der Region in einem kleinem, sowie gemütlichen Hostel. Die schwerer als mein Reisegepäck wiegende Tasche mit Mitbringseln und Ersatz- bzw. Zubehörteilen wurde freudig erregt geplündert, Hardy freute sich sehr über seine neue Kamera und beide genossen die Berge an Süßigkeiten.

Da San José wenig Attraktionen zu bieten hat, sind wir gleich am näxten Tag mit einem Bus nach Cahuita an die Karibikküste gefahren. Die vierstündige Busfahrt durch die südlichen Ausläufer des Vale Central vermittelten uns einen ersten Eindruck dieses Landes. Vorbei an mit dichter Vegetation bewachsenen Bergen, tiefen Tälern und während der Trockenzeit fast leeren Flussbetten, kamen wir nach einer kurzen Pause in Puerto Limón nachmittags in Cahuita an. Tatsächlich entspricht dieser, höchstens 3000 Einwohner zählende Ort, ganz meiner Vorstellung der Karibik: drückend schwüle Hitze, Bars mit laut tönender Reggaemusik, Fleischspieße bratende Muttis und der Geruch von Weed in der Luft. Famos!

Sogleich werden wir(die Urlauber) auch gleich in die Taktik des “Wir-suchen-uns-eine-…-Quatsch,-die-preiswerteste-Unterkunft” von Hardy & Alena eingeführt: es wird ein schattiges Plätzchen aufgesucht und das gesamte Gepäck abgestellt, woraufhin zwei Freiwillige von uns sich auf die Suche machen. Obwohl Hardy nie das erstbeste Angebot (O-Ton) nehmen will, entschieden wir uns letztendlich doch für dieses (und es sollte nicht das letzte mal sein…): eine gemütliche Cabina mit Küche, Bad und drei Betten (Alena&Hardy wählten ihre bewährten Isomatten). In Cahuita verbrachten wir drei Nächte. Wir besuchten den Playa Negra (ja, schwarzer Sand), badeten im karibischen Meer (sowas von warm…!!) und erkundeten den gleich vor der Haustür liegenden Nationalpark (Eintritt gegen Spende). Dort konnten wir (die Urlauber) das  erste mal lokale Flora & Fauna bestaunen (Brüll- und andere kleine Affen, ein Waschbär, eine Giftschlange, Spinnen und etliche Kriechtiere) und Bianca & ich haben auch gleich eine Schnorcheltour unternommen. Das hiesige Korallenriff, aufgrund eines Erdbebens erheblich beschädigt, ist sicherlich nicht so gross und vielfältig wie viele andere auf den Weltmeeren, aber zwei Grossstadtjunkies wie uns hat es trotzdem beeindruckt. Bei einer Sicht von 10 Metern haben wir diverse Korallen, einige bunte Fische, Seeigel und sogar einen Rochen gesichtet. Die tropische Sonne noch nicht gewöhnt haben wir auch unseren ersten Sonnenbrand davon getragen.

Die lokale Küche in Augenschein nehmend gastierten wir einen Abend in einer ‚comedor‘ und aßen  ‚casados‘ (Reis mit Bohnen, Salat, frittierte Bananen + Aas oder Vegi). Gesättigt stürzten wir uns hernach auch gleich auf eine weitere lokale Spezialität: ‚Guaro‘, der landesübliche Rum (bzw. Rum-ähnliches Gesöff).
Obwohl vom Postkarten-gleichen Strand schon schwer beeindruckt und wir nicht gedacht hätten, dass es noch besser geht, wurden wir an den folgenden Tagen eines besseren belehrt.

Cahuita hinter uns lassend sind wir mit dem Bus, vorbei an endlosen Bananenplatagen, in Richtung Panama gefahren. Noch vor der üblichen Mittagspause haben wir die Grenze über eine alte Eisenbahnbrücke bei Guabito beschritten. Mit einer Stunde Gewinn (wir haben die Grenze sehr schnell überschritten…) haben wir in Almirante ein Wassertaxi bestiegen, welches uns auf einen der schönsten Flecken dieser Erde geschifft hat: das Insel-Archipel Bocas del Toro, einer von drei Bezirken der gleichnamigen Provinz.

Dieser besteht aus mehreren kleinen (z.T. mit Urwald und schönsten, touristisch noch unerschlossenen Stränden übersähten) Inseln vor der Küste Panamas. Die Touristenhochburg (Isla Colon) im Transit nehmend erreichten wir schließlich die Isla Bastimentos und haben uns in der einzigen größeren Siedlung namens Old Bank in einem simpel gebauten Hostel auf Stelzen im Meer eingemietet. Räudig und schön!

Von da aus haben wir einen unglaublich schönen sowie lehrreichen Ausflug quer über die Insel an den malerischen Wizards Beach unternommen. Wir haben die Schönheit dieses Ortes in vielen seiner Facetten auf uns wirken lassen (Urwald, fast keine Menschen, Wellen, Einsiedlerkrebse, Pferde, eine Kuh(?), mißverstandene Streuner) und außerdem gelernt, was “Riptides” sind. Nochmal Glück gehabt…

Spannung gab’s für Hardy und mich bei dem Besuch in einer Höhle (bis zum Hals im Wasser…in echt!) sowie für alle Zuschauer seines ausführlichen Foto-Vortrages ihrer bisherigen Reise. In mehreren Stunden konnten wir nur einzelne Etappen des Erlebten erfassen und Bianca, Martin und ich bestaunten die unglaubliche Bilderflut.
Nachdem wir Panama den Rücken gekehrt hatten waren wir wieder auf dem Weg Richtung Norden mit Umweg über Puerto Viejo, welches Hardy offenbar so schön fand, das er unseren Aufenthalt dort mit einem beherzten Griff in den Deckenventilator (morgens beim hektischen Packen, um den Bus zu bekommen) um einen Tag verlängerte (da Krankenhaus). Ohne viel Wind drum zu machen (…) nutzten wir die Möglichkeit zu einem ausgedehnten Strandspaziergang, bei dem wir den unheimlich hohen Wellen trotzten und Surfern, die vor Ort den größten Teil der Touristen ausmachten, bei ihrem Ritt bestaunten.

Nach einem weiteren Tag Busfahrt und einer Polizeikontrolle, bei der sie keine Drogen fanden, erreichten wir den Nationalpark Santa Elena bei Monteverde im Bergland des nördlichen Vale Central. Die Fahrt in die Berge war spannend, denn der sehr volle Bus schlich nur im Schneckentempo die Berge hinauf und dekorierte bei Ortseinfahrt das örtliche Stromkabelnetz um.  Der besagte Park ist ein Nebelwald, welcher schöne Wanderrouten und jede Menge Pflanzen&Tiere (die letzteren sieht man bei Tage allerdings kaum) beherbergt. Wie der Name schon impliziert, erwarteten wir Nebel; dem war nicht so. Dafür staunten wir über die zahlreichen Epiphyten (Aufsitzerpflanzen), welche den Großteil der hiesigen Flora ausmacht.

Nach einem ausgiebigen Wandertag kochten wir abends noch gemeinsam in einem gemütlichen Hostel und legten uns früh schlafen, da wir uns am näxten Tag einen weiten Weg vor genommen haben.

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Oaxaca (Mexiko / März 2012)

Nach unserem Großstadtabenteuer Mexiko City landen wir wieder in der etwas kleineren Stadt Toluca. Unsere Fahrräder hatten wir in Alfonsos Hinterhof geparkt und nehmen sie freudig in Empfang. Wir müssen Alfonso berichten was wir alles gemacht haben. Er fragt uns: „Wart ihr hier und da und dort?“ „Nein, waren wir natürlich nicht.“ Eine Woche reicht für Mexiko City einfach nicht aus.

Nevado de Toluca

Am folgenden Tag mache ich es mir an Alfonsos hölzernem Esstisch bequem und schreibe eineinhalb tagelang wie eine Wahnsinnige an künftigen Blogartikeln. Ich genieße es in Ruhe eine Tasse schwarzen Tee nach der anderen zu trinken und mal allein zu sein. Das geht on tour nicht.

Derweil ist Hardy auf Achse. Gleich vor den Toren Tolucas befindet sich der einzige Ride-In-Vulkan Mexikos. Sehr gut per Rad zu erklimmen. So kämpft sich Hardy, nur mit dem nötigsten Gepäck, bis auf 4000 m hinauf, schließt sein Radl an und wandert mit Rucksack weiter. Oben am Kraterrand angekommen offenbart sich eine grandiose Winterlandschaft mit einem Kratersee und ausgedehnten Schneefeldern. Der eigentliche Plan, den höchsten Punkt zu besteigen, verabschiedet sich so gleich, da Hardy ohne Steigeisen und vor allen Dingen sich nicht alleine durch Schnee und Eis durch unbekanntens Terrain kämpfen möchte. Trotzdem bleibt die Uebernachtung neben dem See bei 4300 m und einer sternenklaren, eiskalten Nacht. Kurz nach Sonnenuntergang erwachen die so genannten Vulkanmäuse und krabbeln über seinen  Schlafsack. Niedlich sollen die aussehen im Licht der Stirnlampe. Er ist natürlich zu faul gewesen das Zelt aufzubauen und muss nun sein Essen irgendwie über die Nacht bringen. Fast wie zu Kanadas(Bären)-Zeiten wird es etwas Abseits auf dem Eis abgelegt. So übersteht es die Nacht.

Am nächsten Morgen erglüht erst das oberste Ende des Kraterrandes in herrlichem gelben Licht, welches sich dann langsam bis in den Krater hineinarbeitet. Hardy beschliesst erst eine kleine Wanderung im Krater zu unternehmen bevor er seinen Rucksack versteckt, um einen unverschneiten Nebengipfel zu besteigen. Von dort oben lassen sich sogar die Gipfel von Popocatépetl und Iztaccíhuatl westlich von Puebla erkennen. Bei Abstieg beginnen ihn Kopfschmerzen zu plagen. Der alte Mist mit den ersten Symptomen der Höhenkrankheit…

Die Abfahrt geht doch recht schnell und schon bald sitzt er wieder neben mir am hölzernen Esstisch. Ein kleiner Sonnenbrand rötet seine Nase.

Oaxaca ruft, aber erst mal müssen wir den verkehrsreichen Großraum um Mexiko Stadt durchqueren. Wir wählen einen anstrengenden Weg Richtung Cuernavaca über die Berge. Das heißt für uns 30km lange Steigungen zu überwinden. Langsam, ganz langsam kämpfen wir uns voran. Der Puls pocht, der Schweiß rinnt in Strömen. An meiner Schläfe bilden sich Tropfen, die langsam an der Seite meiner Wange Richtung Kinn hinunter rinnen. Dort verweilen sie, bis sie auf meine Knie hinab tropfen, tropf, tropf, tropf.

Täglich trinken wir mindestens eine drei Liter-Flasche Erfrischungsgetränk aus. Meine Lieblingssorte ist ganz klar Apfelschorle, ist nicht ganz so süss wie Coca Cola oder Sprite. Und man kann sie auch noch trinken, wenn sie warm geworden ist. Gegen Mittag wird es sehr heiß, über 50 Grad beim Fahren in der Sonne überm schwarzem Asphalt. Gegen vier Uhr nachmittags geht es dann endlich wieder, dann sind es nur noch um die 30 Grad, aber um diese Uhrzeit suche wir ja schon meist einen Zeltplatz. Zum Schlafen benutzen wir zurzeit nur das Moskitoinnenzelt.

Cautla

Am Rande der Stadt Cautla bohrt sich eine fiese fette Schraube in meinen Mantel. Die Luft pfeift sofort heraus. Sie hat sich bis in die Felge hinein gebohrt. So ein Mist! Zum Glück hat es die Felge nicht zu doll lädiert. Also abladen und Reifen wechseln. Das machen wir in Rekordgeschwindigkeit, denn es ist bereits spät. Der nette Betreiber eines kleinen Ladens schaut uns mit seiner gesamten Familie zu. Leider hat er keinen Platz für unser Zelt, dafür schenkt er uns jedoch kaltes Wasser, ein Trinkpäckchen mit Guavengeschmack und Kekse. Er rät uns an der nahen Polizeistation nach einer Übernachtungsmöglichkeit zu fragen. Die nette Polizistin schickt uns sodann zur benachbarten, geschlossenen Tankstelle. Nach vielem lauten Rufen erscheint ein Junge, der dann seinen alten Vater holt. Nachdem dieser eine Weile über unser Anliegen sinniert hat, dürfen wir eintreten. Am Rande der Betonfläche machen wir es uns unter Bäumen bequem. Wir dürfen sogar ins Haus kommen und duschen. Der 12-jährige Junge kommt mit seinem Fußball an und schaut interessiert unserer Prozedur des Zeltaufbauens und Kochens zu. Er erzählt, dass seine Mutter irgendwo anders lebe und sein großer Bruder auch schon ausgezogen sei. Und, dass er seit drei Tagen nichts mehr gegessen hätte. Ob das nun stimmt oder nicht, wir kochen einfach eine Portion Nudeln für ihn und seinen Vater mit. Er bedankt sich und nimmt beide Teller mit hoch ins Haus, denn er will nun ein Video ansehen.

Oaxaca

Und dann rollen wir über die Grenze in den Bundesstaat Oaxaca. Sogleich wird die Qualität der Straße deutlich schlechter. Wir holpern auf einem recht buckeligen Asphalt dahin. Aber die Freundlichkeit der Menschen nimmt zu. Sie grüssen und winken. Auch stellen wir eine Veränderung in der Landschaft fest. Die triste, grau beige Trockenheit verwandelt sich in Leben! Yuccapalmen nehmen zu. Wir können an einen Hang hinunter sehen, der voll von diesen tollen Pflanzen ist. Insgesamt wird es grüner. Wir finden kleine Bäche, in denen das Wasser dahin gurgelt. Eine willkommene Abkühlung!

Bergig ist es nach wie vor. Aber interessanter wird’s. Oftmals passieren wir kleine Dörfer, mit ordentlichen Dorfkirchen, meist in weiß oder blau, manchmal auch in bunt. Die bunte Blüten an den Sträuchern leuchten. Ich mag die intensiv violetten am Liebsten.

Oaxaca Stadt

Aufgrund der Kombination der Hitze und den Bergen empfinden wir diese Etappe nach Oaxaca Stadt als sehr anstrengend. Aber nachdem auch der letzte Platten, diesmal an Hardys Hinterrad geflickt ist, radeln wir in Oaxaca ein.

Wir wohnen bei Meagan und Manuel. Manuel ist Künstler und malt an einem Selbstportrait. Meagan arbeitet für diverse Künstler in der hiesigen, überraschend großen Kunstszene als Assistentin.

Oaxaca ist eine sehr schöne, gemütliche Stadt. Die Altstadt ist toll restauriert. Es gibt viele Plätze, die von bunten Häusern umrahmt werden. Auf der Plaza vor einer Kirche betrachten wir eine Freilichtausstellung. Eine Schar von 2056 Tonfiguren stehen herum. Einige sind fast so groß wie ich. Sie symbolisieren die 2056 Personen, zumeist Männer, aus einem Dorf Mexikos, die legal sowie illegal in die USA gereist sind, um dort Geld zu verdienen. Dieses Dorf sei so gut wie ausgestorben, es gäbe nur noch Kinder und alte Menschen, lesen wir. Dem Künstler war es wichtig dieses Thema zu verdeutlichen, da dies ein aktueller Prozess in vielen Dörfern sei.

Wir nutzen die Chance und geben unsere dermaßen stinkende Wäsche in eine nahe Wäscherei. Dabei verliere ich einen Socken, schade, da waren doch bunte Fahrräder drauf!

Heute ist Weltfrauentag. Um die Ecke ist eine Bühne aufgebaut, Vorträge werden gehalten, Bands spielen. Ein schöner Ausklang des Abends, so ganz unmachoistisch! 

Mit Meagan besuchen wir verschiedene Vernissagen und erhalten so einen Einblick in die Kunstszene Oaxacas. Die Künstler können hier anscheinend vom Verkauf ihrer Bilder leben! Es gibt Mezcal umsonst und leckere, kleine gefüllte Croissants. An den Wänden hängen bunte Bilder, eine Installation steht auf dem Boden. Es ist ein kleiner Pool, in dem weiße Plastikbälle und blaue Glassteine drapiert worden sind. Sei es der Mezcal oder nicht, leider macht jemand einen Rückwärtsschritt zu viel und landet im Pool. Wasser schwabt über, Steine und Bälle fliegen durch die Gegend. Es ist mucksmäuschenstill geworden. Beschämt greift er sich einen Besen und versucht die große Pfütze in den Griff zu bekommen. Drapiert hier und da, aber es sieht einfach anders aus.

Mit dem Bus fahren wir auf den nahen Stadtberg, um die Ruinen von Monte Albán anzusehen. Die letzten 2km müssten wir laufen, doch da hält ein Van an und wir bekommen eine Mitfahrgelegenheit angeboten. Drinne sitzen zwei Kanadier, die auch nach Ushuaia unterwegs sind. Hier in Oaxaca pausieren sie, um einen Spanischkurs zu besuchen.

Vom Monte Albán, dem weißen Berg, haben wir einen tollen Ausblick aufs etwa 10km entfernte Oaxaca, das sich wie ein bunter Flickenteppich zu unseren Füssen ausstreckt. Hier oben bauten einst die Zapoteken ihre Hauptstadt, welche gleichzeitig ihr religiöses Zentrum war. Heute können wir nur noch Reste der einst prachtvollen Wohn- sowie Kultstätten, Grabkammern, Skulpturen und Wandmalereien besichtigen. Sogar ein Observatorium gab es!

Wir verbringen den halben Tag in der parkähnlichen Anlage und fahren per Bus zurück in die Stadt. Dort stürmen wir hungrig die Markthalle, um die örtliche “Pizza” zu essen. Wir erhalten jeder einen Teller mit einem großen, dünnen, knusprigen Tortillafladen, belegt mit Bohnenmatsche, Tomaten, Avocado und Chorizowurst. Mensch, ist das Lecker! Weniger angenehm sind die nervigen Verkäuferinnen, die insbesondere mich nicht in Ruhe essen lassen, sondern mir andauernd ihre Waren, bestehend aus Kochlöffeln, hölzernen Lesezeichen, Ketten oder Schals, direkt vors Gesicht halten.

Hardy probiert auch noch eine andere Spezialität Oaxacas, Chapolines. Das sind getrocknete und gegrillte Heuschrecken. Natürlich sind seine Augen grösser als sein Magen und die volle Tüte wird spaeter von Manuel mit Freude gelehrt.

Árbol de Tule

Wir rollen weiter nach Mitla. Hier wächst in einem Kirchengarten der berühmte Árbol de Tule. Der Baum von Tule ist eine mexikanische Sumpfzypresse gigantischen Aussmasses (Taxodium mucronatum). Dieser beeindruckende Baum ist nicht nur 1200 bis 3000 Jahre alt, sondern soll auch der dickste Baum der Welt sein, mit einem Stammdurchmesser von 14 Metern. Neben ihm, auf der anderen Seite der Kirche wächst sein kleiner Bruder oder sein kleine Schwester.

Hier treffen wir auf eine Gruppe Wochenendradler. Ihnen angeschlossen hat sich Andrew, ein englischer Reiseradler, der in San Francisco angefangen hat und auch auf dem Weg nach Argentinien ist. In Oaxaca besucht er, wie so viele, natürlich einen Spanischkurs und ist Banknachbar unserer kanadischen neuen Bekannten. Zudem wartet er auf die Ankunft seiner Freundin, beide wollen zusammen weiter reisen. Vielleicht kreuzen sich noch einmal unsere Wege!

Das ist ja hier wie im Mittelalter, denken wir uns später. Menschenmengen stehen am Rand und auf der Straße herum, der Verkehr wird dadurch stark beeinträchtigt. Um einen Bus steht ein Traube, Gepäckberge werden hinein gewuchtet. Viele Männer haben Macheten und Speere in der Hand. Heftig wird diskutiert und gestikuliert. Polizisten stehen herum, abseits. Bei einem Mann mit einem besonders alt aussehenden Speer fragt Hardy nach. Der erzählt, dass Mexikaner aus einem anderen Teil des Landes gekommen seien, um das Land auf dem nahen Berg hinterm Dorf zu besetzen, um dort zu leben. Die Dorfis haben das mitbekommen, wollen es nicht und haben angefangen die Neuankömmlige schwer bewaffnet wieder zu vertreiben. Ein Bus wurde angehalten, in den nun die Neuen und ihr Gepäck gequetscht werden, damit sie dahin verschwinden woher sie gekommen sind. Die Polizei sei nur dazu da, um für Sicherheit zu sorgen. Aus Hardys und meiner Sicht steht diese jedoch nur herum. Aber vielleicht bringt ihre pure Anwesenheit Sicherheit, wer weiß, wie es hier sonst angehen würde … Der Speer unseres Gesprächspartners sei überigens wirklich antik, ein Familienerbstück aus Zeiten seines Ur-Urgroßvaters.

Am Nachmittag besuchen wir in einem kleinen Ort einen lebhaften bunten Markt unter Planen, die nicht für mittelgrosse Europär aufgehangen sind, kaufen Gemüse fürs Abendbrot ein und machen uns so langsam auf Schlafplatzsuche.

Den finden wir diesmal am Rande eines Magueyfeldes. Die Agaven berühren fast unser Zelt. Wir müssen uns in die freie Stelle ein Wenig hinein quetschen, aber es geht. Ein schöner Tag neigt sich dem Ende, wir genießen die warme Abendstimmung.

Hierve el Agua

Aiaiai, was für ein Morgen. Ich habe Schmerzen innen am Oberschenkel, hab mir wohl was gezerrt, zudem beißt mich meine Freundin die große rote Ameise in die Hacke. Es hört nicht auf zu brennen. Dann geht es auch noch auf schönster Schotterpiste steil bergauf. Es wir wohl die folgenden Stunden so bleiben. Meine Laune sinkt dem Nullpunkt entgegen. Ich schaffe 7km und fange an zu schieben. Hardy ist voraus. Dann hält zum Glück wieder einmal ein Auto. Diesmal ist es ein roter Pick Up. Drei Italiener sitzen drinnen und fragen mich, ob ich Hilfe brauche. Das Angebot nehme ich freudestrahlend gern an! Gemeinsam wuchten wir mein Rad auf die Ladefläche, ich steige ein und wir quatschen drauf los. Die Drei freuen sich mir einen qualvollen Aufstieg zu ersparen und sind begeistert ob unserer Tour. Als wir auf Hardy treffen, läd auch er sein Gepäck auf die Rückfläche, will aber mit dem nackten Rad hochfahren. Ohne Gepäck braucht er dann nur eine Viertelstunde länger als ich. Pah! Das ist ja wohl keine Kunst!

Ziel dieser ganzen Strapazen ist das Hierve el Agua, der Ort des kochenden Wassers. Auf etwa 3000m Höhe finden wir versteinerte Wasserfälle. Ganze 70m reichen diese in die Tiefe. Da sie vor mehr als 2000 Jahren für die benötigte Bewässerung kanalisiert wurden, trockneten sie aus und offenbarten Versteinerungen aufgrund der Mineralien und Salze im Wasser. Es gibt mehrere kleine Pools, in denen das Wasser eiskalt und alles andere als kochend ist. Aber sie erfrischen und der Ausblick ist der Hammer! Steil geht es den Berghang hinab, ein Panorama an Bergen und Tälern vor uns.

Und weiter geht’s, hoch und runter. Teilweise ist die Schotterpiste so steil, dass wir zu zweit die Räder schieben. Hardy fasst am Lenker an und ich schiebe von hinten. Seine Prognose stellt sich als gegenteilig heraus. Er meinte, das dieser Abschnitt, da der Weg sich auf unserer Karte ja nur am Fluss lang schlängelt, recht fix und gut zu fahren sei. Aber weit gefehlt! Er entwickelt sichzu einer abenteuerlichen Odyssee. Zwei Tage schuften wiruns voran. Hoch und runter und dann noch einen Berg und noch einen. Wir fahren jedes Seitental voll ausund kreuzen nur manchmal den Fluss. Natürlich geht es danach sogleich wieder steil bergauf. Es ist staubig und heiß. Zum Glück fahren hiernur wenige Autos. 

Die Menschen sind eher zu Fuß, ihre Kühe vor sich her treibend oder auf ihren Pferden unterwegs. Offen und freundlich wird meistens ein Gespräch mit uns angefangen. Reiseradler scheinen hier nicht allzu oft durchzukommen.

Für die Plackerei werden wir mit tollsten Landschaften und Aussichten belohnt. Es ist wirklich etwas anderes in Oaxacas Hinterland zu radeln, als nur auf den Hauptstraßen. Der Kontakt zu den Menschen sowie die Naturerlebnisse sind anders, intensiver. Kakteen, windschiefe Bäumchen, kleine Blumen, die gelb und weiß blühen, ziehen an uns vorbei. Wir sind genau in der Agarven-, Aloe Vera- und Kakteenblüte. Besonders toll ist das warme, leuchtende Gelb der Agarvenblüten im Kontrast zum strahlend blauen Himmel.

In dieser Region werden die Magueyagaven für die Mezcalproduktion angebaut. Ordentlich in Reihen angelegt ziehen die sich Felder an den Hügeln entlang. Bis auf die steilsten Hänge reichen sie!

In den Dörfern selbst boomt die Mezcalproduktion. Die Mehrheit der Bewohner scheint in dieser Branche zu arbeiten. Da die kleinen Dörfer am Fluss in den Tälern zu finden sind, bleiben die Dunstschwaden des Destillationsgeruches in den Tälern hängen. Wir brauchen gar nichts trinken und werden auch so leicht beduselt. Überall treffen wir auf kleine Fábricas de Mezcal. Unter Wellblechdächern stehen drei bis vier Holzbottiche, abgedeckt mit Planen, in denen der Mezcal gärt. Daneben, wie aus alten Zeiten, ein Mahlstein, der per Esels- oder Pferdekraft bewegt wird. Dieser mahlt die zuvor mit Feuer und Glut behandelten Agaven klein. Freundlich erklärt ein Mann Hardy den Destillationsprozess, er darf auch mal probieren. Schade, dass wir erst vor wenigen Tagen in Oaxaca Stadt neuen Mezcal gekauft hatten. Noch eine weitere Flasche wollen wir nicht mitschleppen.

Im nächsten Dorf werden wir wieder gefragt, ob wir nicht Mezcal kaufen wollen und zu einem recht großen Probeschluck eingeladen. Hier strickt die Hausherrin bunte Blusen und Oberteile. Nun bin ich gefragt und gehe mit ihr ins Haus. Nun ja, leider stellen sich die Werke als potthässlich, dick und schwer heraus. Blusen in Neonfarben, orange, grün, rosa und lila werden mir hingehalten. Einen kurzen Moment bin ich geneigt, die dunkel lilane dennoch zu kaufen, da es ja ein Handarbeitsprodukt aus dieser Gegend ist. Aber 300 Pesos will sie dafür haben, etwa 15 Euro. Das finde ich ganz schön viel für die hiesigen Verhältnisse. Ich frage nach, wo sie diese Kunst denn gelernt habe, erwarte eine Antwort wie von ihrer Mutter und die hat es wiederum von ihrer Mutter gelernt. Aber “de una revista”, „aus einer Zeitung“, ist die freudestrahlende Antwort. Gut, nun bin ich wirklich überzeugt keine dieser Blusen kaufen zu wollen und versuche mich mit unseren Gepäckbergen als Ausrede aus der Affäre zu ziehen.

Endlich, endlich beginnt dann nach nur 10km Schotterpiste am nächsten Morgen der Asphalt, urplötzlich, irgendwo im Nirgendwo. Auch gute Qualität hat er. Wir freuen uns einen Kullerkeks, pumpen wieder Luft in die Reifen, denn diese hatten wir aufgrund der Schotterpartie entweichen lassen und sausen davon. Endlich mal wieder 20km pro Stunde!

Tehuantepec

Morgens, nachmittags und abends nerven Hardy die Platten. Bei Nummer 28 ist er inzwischen angekommen. Ist irgendwie der Wurm drin heute. Wir setzen uns erst mal auf den Platz und werden nach einer Essenspause heute zum wiederholten Male flicken. Hardy verschwindet in der Markthalle, um Tomaten, Avocado und aguas zu kaufen.

Aguas, also kalte Wässerchen, sind unsere neuen Lieblingsgetränke. In der Hitze ist dies das Beste was man trinken kann. Je nach Angebot können wir Orangenwasser, Mangowasser, Papayawasser, Melonenwasser, Tamarindowasser, Guyavenwasser oder Horchatawasser kaufen. Die verschiedenen Früchte werden ausgepresst oder püriert undmit Trinkwasser vermischt. Horchata ist Reismilch. Ungekochte Reiskörner werden püriert und etwas Zucker und Zimt vermischt, dann wird Wasser hinzugefügt. Eiswürfel bringen die erwünschte Kühlung. Das Ganze wird in einen Plastikbecher oder in eine Plastiktüte abgefüllt und mit einem Strohhalm bestückt. Eine super Erfrischung! Aber Vorsicht, sie machen süchtig.

Ich bin mit Manuel ins Gespräch gekommen. Er studiert Sprachen und wohnt mit seiner Familie gleich um die Ecke. Plötzlich kommen noch zwei Reiseradler angefahren. Es sind Marie und Johann aus der Schweiz, natürlich auch auf ihrem Weg nach Patagonien. Erstaunt stellen Hardy und Johann fest fast den gleichen Tachostand zu haben, obwohl die Beiden eine ganz andere Route fuhren als wir.

Ich frage, ob wir nicht alle heute Nacht bei Manuels Familie irgendwie unterkommen könnten. Manchmal muss man den Leuten halt sagen, dass es eine super tolle Idee wäre uns einzuladen. Manuel verschwindet für eine Viertelstunde, er muss erst seine Mutter fragen und kommt mit einem OK wieder zurück. Klasse!

Zusammen schieben wir die Räder zu ihrem Haus. Manuels Eltern betreiben einen kleinen Kiosk, der neben vielen Süssigkeiten auch mit vier Computerspielkonsolen gespickt ist. Wie davon magisch angezogen, hängen den ganzen Tag Kinder und Jugendliche davor. Das Geschäft läuft gut. Mit Marie und Johann teilen wir uns einen Raum und breiten unsere Isomatten aus. Die beiden haben Matratzen mit einem integrierten Blasebalg, den Marie, denn das ist ihr Job, erst 20 Minuten betätigen muss, bevor das Nachtlager fertig ist. Diese Variante wäre für uns nichts, es würde uns zu sehr nerven.

Zusammen mit Manuels Mutter beschließen wir für uns alle quesadillas zu kochen und gehen einkaufen. Quesadillas sind Tortillafladen mit Tomaten, Avocado und Käsefuellung, die zusammengeklappt auf dem Herd knusprig angebraten werden. Es wird ein schöner und lustiger Abend.

Wir verabreden uns, am folgenden Tag zu viert zu radeln, wir haben das selbe Ziel: Zanatepec. Dort lebt Rodrigo, unser warmshower-host. Es wird ein anstrengender Tag, 120km stehen an. Zudem müssen wir die berüchtigte La Ventosa passieren. Auf dem Isthmus von Tehuantepec, der kürzesten Landverbindung zwischen dem Golf von Mexiko und dem Pazifik (ungefähr 200 km Luftlinie), bläst der Wind in heftigen Boehen.

Langsam gehen wir diesen anstrengende Tag an. Unser erster ungeplanter Stop geht uns nahe und lässt uns sehr nachdenklich werden. Der Verkehrsfluss ist hoch. Plötzlich knallt es laut, bremsen quietschen. Scheiße, was ist denn jetzt passiert? Ein alter, dünner Mann, den wir eben noch aus den Augenwinkeln gesehen hatten, wollte mit seinem Holzbündel die Straße überqueren. Er wurde angefahren, voll auf die Autohaube genommen. Vor Schmerzen krümmend liegt er benommen am Boden. Blut rinnt von seinem Ellenbogen und aus einer kleinen Verletzung am Kopf. Alle Autos halten sogleich an, viele Leute stehen herum, ein Krankenwagen wird gerufen. Ein Mann redet beruhigend auf den Alten ein. Er solle sich nicht aufrichten und sich nicht bewegen, Hilfe sei unterwegs. Auch fragt er ihn nach seinem Namen und ob er sich noch an das gerade Geschehene erinnern könnte. Die Ankunft des Krankenwagens dauert. Zuvor kommt ein Polizeiauto vorbei. Und noch einmal werden wir geschockt. Die Polizisten schauen kurz aus ihrem Fahrzeug und fahren dann einfach weiter. Sie kümmern sich weder um den Verletzten, noch um die Absperrung der Unfallstelle oder den Verkehr, der sich in beide Richtungen anstaut. Nichts! Endlich erschient der Krankenwagen, der alte Mann wird auf eine Bahre gelegt. Wir radeln vorsichtig weiter.

In Juchitan legen wir eine Pause ein und trinken auf dem Platz vor der Kirche ein erfrischendes Orangenwässerchen. Juchitan wird auch „Stadt der Frauen“ genannt und man munkelt, es gäbe Reste von Matriarchat. In einem Baumarkt fallen uns Frauenfiguren auf, die einen Blaumann tragen. Und auch Frauenstimmen ertönen hier aus den Lautsprechern der vorbeifahrenden Autos, die lautstark Werbung für den nahen Supermarkt ankündigen. Sonst blöken hier nur Männer.

La Ventosa

Also wenn hier in Mexiko Scharen an Windkrafträdern zu finden sind, dann hat dies wirklich einen Grund! Die durchfegenden Windböhen legen teilweise sogar beladene LKWs auf die Seite. Schwungvoll bläst auch heute der Wind, aber wir haben Glück, er soll nicht doll sein. Dennoch werden wir wie Halme im Wind mal nach links und mal nach rechtes geschoben. Die anderen Drei fegt es sogar von der Straße in den Graben. Anstrengend ist es dagegen anzuackern. Ganz langsam kommen wir voran.

Dann staut sich der Verkehr. Lange LKW-Schlangen bilden sich. Wir schlängeln uns hindurch bis an die Spitze und stellen bestürzt eine Straßenblockade fest. Die Straße ist mit Steinen und großen Hölzern von den Dörflern besetzt. Entrüstet protestieren sie so gegen den Bau der vielen Windkrafträder. Sie sind eindeutig gegen sie. Zum Einen wurden sie nicht gefragt und zum Anderen ist Bauherr und Einheimser des Profits eine spanische Firma. Ganz schlecht. Eine Frau erklärt uns, es sei wie damals, als die Spanier kamen, um die Indigenen zu vertreiben und ihnen ihre Schätze klauen. Nun kommen die Spanier wieder, dominieren dieses Gebiet und verdienen sich dumm und dämlich. Das wollen die Dörfler nicht, protestieren und sperren den Verkehr. Dass sie damit eher ihren eigenen Landsleuten, als der spanischen Firma schaden, scheinen sie nicht so zu sehen. Nun gut. Auch uns wollen sie nicht durchlassen. Lange müssen wir mit ihnen diskutieren. Theatralisch stellt Hardy dar, dass wir unbedingt noch bei Tageslicht in Zanatepec ankommen müssen, da dort ein Freund auf uns wartet und im Dunkeln zu radeln viel zu gefährlich für uns sei. Und dass wir für die vor uns liegende Strecke noch einige Stunden brauchten. Aber es hilft nicht wirklich, die Anführerin und ihre Freunde zeigen kein Erbarmen. Erst als sich immer mehr wartende Menschen mit uns verbünden und lautstark auf sie einreden, werden wir durchgelassen. Glück gehabt.

Also weiter geht’s, ankämpfen gegen diese Böhe, dann gegen Jene. Für die zwei folgenden Stunden haben wir aber die Gesamtbreite der Straße für uns. Da können wir schon mal ein Bisschen aus der Bahn geworfen werden.

Als wir gerade eine Trinkpause machen und drei Liter Apfelschorle in uns schlingen, hören wir den nahenden Verkehr heranrasen. Wie die Irren brausen die Truckerfahrer vorbei. Wow, die haben eine Laune. Wir bleiben besser noch ein wenig sitzen.

Zanatepec

Völlig fertig kommen wir am frühen Abend an der Busstation im kleinen Zanatepec an. Hier wollen wir uns mit Rodrigo treffen. Johann holt erst mal ein Bier und wir stoßen auf diesen harten Tag an.

Rodrigo lebt mit seiner Frau Lupita und ihren zwei kleinen, sehr lebhaften Söhnen in einem schönen Haus. Im Garten steht einen riesiger Mangobaum. Auf dem Grundstück gleich nebenan leben Rodrigos Eltern und seine Schwester. Zu unserer allen riesen Freude ist gerade Mangozeit. Ich kann ohne zu lügen behaupten, dass es hier Mangos regnet. Andauernd fallen sie herunter. Rodrigos kleinster Sohn sowie sein Hund stehen besonders darauf. Beide laufen mit verdächtig verschmierten Mund herum.

Diesmal habe ich einen Platten, eifrig wollen mir die beiden Kinder helfen ihn zu flicken und die Luft wieder aufzupumpen. Alles wird begutachtet und ausprobiert, die Bremsen, die Pedalen und natürlich die Klingel.

Wir fühlen uns durch Rodrigos und Lupitas herzliche Art sehr willkommen und wohl in ihrem Haus. Hier werden wirfür vier Wochen unsere Räder lassen, um Backpacker zu werden. Per Bus geht’s ins recht nahe Tapachula an der Grenze zu Guatemala. Dort werden wir in den Tica Bus steigen, deruns durch Guatemala nach El Salvador bringt. Am folgenden Morgen werden wirmit ihm weiter durch Honduras und Nicaragua reisen, um in Costa Rica anzukommen. Ein Busmarathon erwartet uns. Dem stellen wiruns aber gern entgegen, dauns in wenigen Tagen unsere lieben Freunde Martin, Peter und Bianca aus Berlin besuchen kommen. Mit ihnen werden wir drei Wochen verbringen und durch Costa Rica, Panama und Nicaragua reisen. Wir freuen unswie kleine Kinder unsere Lieben nach so langer Zeit wiederzu sehen!!!

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Mexiko City (Mexiko / Februar 2012)

Großstadthungrig machen wir uns auf in eine der grössten Städte der Welt – Mexiko City, La Ciudad de México oder einfach nur D.F.(„De-Efe“). Dem Districto Federal, wie die jüngeren Leute sagen. Ein weiterer Name ist einfach schlicht México.

Wenn vom Land Mexiko die Rede ist, wird jenes als La República benannt, die Republik. Bis wir dahinter gestiegen sind, war dies für uns anfangs verwirrend.

Ein gemütlicher Reisebus bringt uns in einer einstündigen Fahrt mit Cartoonunterhaltung mitten hinein ins pulsierende Abenteuer. Im Jahr 2009 lebten hier bereits 8,8 Millionen Menschen. Die Region der Metropole erfasst über 20 Millionen Einwohner (Quelle: Wikipedia). Wie viele mögen es wohl heute sein?

Der Geschichte nach wurde die einstige Siedlung genau an dieser Stelle gegründet, da die Azteken, eigentlich die Méxica, der Aufforderung ihres Gottes Huizilopochtli folgten, exakt dort eine Stadt zu gründen, an der sie auf einen Adler stießen, der auf einem Kaktus sitzend eine Schlange verspeiste. So begann die Geschichte Tenochtitláns.

Museo Nacional de Antropología

Als erstes statten wir dem Museo Nacional de Antropología (MNA) einem langen Besuch ab. In diesem riesigen Museum werden die präkolumbianische Vergangenheit sowie die heutige lebende indianische Kultur Mexikos an vielen künstlerisch wertvollen und sehr beeindruckenden Exponaten dargestellt. Besonders berührt und inspiriert mich die wunderschöne Töpferkunst Mexikos. Ich kann mich gar nicht satt sehen und würde am Liebsten sogleich Ton in die Hand nehmen und anfangen zu modellieren. Geht ja nicht! Drum kaufe ich mir nur im Souvenirshop eine Zeitschrift über die hiesige Töpferei und hoffe so wenigstens etwas mit nach Hause zu nehmen.

Hardy wird vom gigantisch aztekischen Kalenderstein in den Bann gezogen, der Piedra del Sol, der einen Durchmesser von 3,6 Metern misst. Jener ist eine sehr große monolithische Skulptur, die ehemals im Haupttempel Tenochtitláns stand.

Wiedereinmal wird unsere derart unterschiedliche Herangehensweise an einen Museumsbesuch deutlich: während Hardy in vollen vier Stunden “nur” die untere Etage akribisch erkundet, bin ich in der halben Zeit mit beiden Etagen fertig. Hardy sagt immer, ich sehe mir die Exponate gar nicht richtig an, aber ich habe einfach ein anderes Museumstempo drauf. Später fragt er mich lehrerhaft aus und stellt entrüstet meine lückenhafte Erinnerung an das Gesehene fest.

Vor dem Museum findet ein Spektakel für die Touristen statt. Auch wir schauen staunend zu. Fünf Männer, in bunten Trachten erklimmen einen hohen Holzpfahl, welcher sich zu drehen beginnt und postieren sich oben drauf auf einer Art Plattform. Unter der Begleitung von melodischem Flötenspiel lassen sie sich langsam, per Seil an den Beinen befestigt, in großen Kreisen, schwingend hinab gleiten. Toll!

Metro

Danach machen wir uns per U-Bahn auf zu unserem warmshower-Gastgeber. Everardo wohnt mit seiner Familie im Süden der Stadt, in der Nähe der Universität. Und so wagen wir uns in den mexikanischen Untergrund … und sind völlig begeistert! Unerwartet sauber ist es hier. Die Gänge und Waggons quellen nur in der Rushhour über, ansonsten ist es sehr erträglich. Zudem kostet eine Fahrt nur 5 Pesos, etwa 0,30 Euro. Alle 2 Minuten saust lautlos, ohne jegliches Quietschen, eine Bahn ein. Daran sollten sich mal die Berliner Verkehrsbetriebe ein Beispiel nehmen! Und wie schnell die Bahnen dahin düsen!

In der U-Bahn selbst herrscht ein lustiges Treiben. Verkäufer am laufenden Band. Und was wir nicht alles kaufen könnten! Für nur fünf Pesos gibt es Kaugummi, Klebeband, Vollmilchschokolade, Schlüsselringe, einen Intelligenztest, Übungsbögen für den Intelligenztest, Musik, hölzerne Kochlöffel und so weiter und so fort.

Eine Darbietung lässt uns jedoch nachdenklich werden. Ein Mann beteuert keine Drogen zu nehmen sowie keinen Alkohol zu trinken, nicht die Leute anzubetteln und anders sein Geld zu verdienen. Mit sich trägt er ein Bündel. Dieses breitet er auf dem Boden aus. Glasscherben kommen zum Vorschein. Er drapiert die Scherben und stösst dann schwungvoll seinen Ellenbogen hinein. Das Ganze zwei Mal. Blut rinnt an seinem Arm hinunter. Alle schauen weg. Von einigen Fahrgästen sammelt er dann Geld ein.

Everardo wohnt mit seinen Eltern, seiner Schwester und ihren zwei Hunden in einem ruhigen Viertel am südlichen Rande Mexiko Citys. Sein Vater und seine Schwester sind Augenärzte und arbeiten in derselben Praxis. Everardo studiert Mechatronik und schuftet an seiner Abschlussarbeit.

Als wir angebliche Radfahrer dort ohne die Bikes aufkreuzen, meint Everardos Vater wir seien gar keine richtigen Radler, da ja alle anderen fahrradfahrenden Gäste sehr wohl mit ihrem Gefährt bei ihnen aufkreuzen.

Welch Überraschung, Martin ist hier! Martin, den Berliner Radler, den wir einst vor einem halben Jahr in Las Vegas kennengelernt hatten. Was für ein unerwartetes Wiedersehen! Lange tauschen wir unsere Routen, Erlebnisse und Geschichten aus. Schön, ihn wieder zu treffen. Auch kann er zu unseren Gunsten von unserem ersten Treffen in Las Vegas berichten. Da hatten wir auch Bikes dabei…

Historisches Zentrum

Natürlich erforschen wir die Stadt. Die große Kathedrale, der Regierungspalast und der berühmte Zocalo mit seinen Taubenschwärmen und der XXL-Mexikofahne stehen neben dem Besuch des Restes der Altstadt sowie dem Palacio de Bellas Artes auf dem Programm.

Letzterer ist dem Theater, der Musik und der visuellen Künste gewidmet. Wir bestaunen die interessanten Wandmalereien Diego Rivieras.

Das Zentrum der Stadt, ach was sag ich, irgendwie ist hier ja alles Zentrum, brodelt nur so von Menschen- und Automassen. Wie in einem niemals stillstehenden Ameisenhaufen geht es hier zu! In der Fußgängerzone verkaufen fliegende Händler Piratenware, Haargummis, CDs, Halstücher und Elektrokleinwaren. Wie Katz und Maus kämpfen Polizeitrupps und gewitzte Händler um die Vorherrschaft des Bodens. Wir sehen belustigt zu. Die Verkäufer warnen sich per ausgeklügelten Peilflauten vor den nächsten Polizisten. Sie raffen ihr Bündel zusammen, verschwinden um die Ecke und kommen nach ein paar Minuten wieder.

Abends treffen wir uns mit Everardo und ein paar Freunden in einer urigen Biererei im Zentrum. Wir lernen Nallely, Everardos Freundin kennen und feiern gemeinsam mit Andrea und ihre Freund die frisch gefundene neue Wohnung. Andrea ist Fotografin und kann in wenigen Wochen ihre Bilder in Berlin ausstellen. Dicht gedrängt stehen die Tische beieinander, es ist rappel voll. Das Bier schmeckt super!

Xochimilco

Per Metro und Vorortzug fahren wir nach Xochimilco. Das Viertel ist berühmt für seine „schwimmenden Gärten“. Kleine, künstlich angelegte Inseln, mit Seeschlamm bedeckte Flösse, prägen mit einem Netz aus Kanälen das Bild. Letztere haben eine Gesamtlänge von 150km. In vergangenen Zeiten legten die Bauern diese Inseln an, da der fruchtbare Schlamm ihnen eine ganzjährige Ernte ermöglichte. Auch heute werden sie neben der Touristenakttaktion auch noch für landwirtschaftliche Zwecke genutzt.

Eine ganze Armada an Ausflugsbooten, den trajineras, liegt vor Anker. Wir heuern einen dieser kleinen, quitschbunt angemalten Kähne an und werden langsam von unserem Bootsmann per Holzstange durch die Kanäle bugsiert.

Auf anderen Kähnen spielt eine Mariachitruppe. Laut klatscht eine belustigte Gesellschaft Beifall. Auf anderen werden Bier und Erfrischungsgetränke verkauft. Ganz so hat es unser Chauffeur nicht drauf, ab und an rammen wir andere Holzboote, aber das stört hier anscheinend niemand. Alle sind fröhlich und gelassen. Am Ufer werden bunte Blumen verkauft. Überhaupt ist hier vieles liebevoll damit geschmückt.

In der Markthalle geht es ebenso bunt zu. Heute wird die Jungfrau des Ortes gefeiert. Mit schicken Kleid steht die Statue herum, davor sind jede Menge Blümchen drapiert. Flotte Lieder spielen eine Mariachis, in schickem beigem Dress, auf dem Kopf riesige Sombreros.

Kamerasuche

Da Hardys alte Knipse ihm nicht mehr ausreicht und er seine neues Leidenschaft des Fotografierens entdeckt hat, sind wir auf Kamerasuche. Everardo will uns helfen. So klappern wir alle First- und Secondhandfotografiegeschäfte im Zentrum ab. Das Gute hier in Mexiko ist, dass sich die Fachgeschäfte zu einem Themenbereich alle an einer Stelle ansiedeln, so dass wir keine weiten Wege haben. Nach etlichem Anschauen, Testen und Beraten entscheidet sich Hardy dafür, eine neue Kamera in Deutschland übers Internet zu ordern und diese in wenigen Wochen von unserem baldigen Besuch mitbringen zu lassen. Hier sind Kameras noch teurer.

Geradeso schaffen wir es uns unter einem Dachsims in Sicherheit zu bringen. Der Himmel hat sich bedrohlich zugezogen, ein Starkregen verwandelt sich in einen Hagelsturm. Die Straße verwandelt sich in einen reißenden Strom. Und das im März in Mexiko!

Als sich das Wetter wieder beruhigt hat, schlendern wir durch die Fußgängerzone und den nahen kleinen Markt, in dessen Gassen Kinder mit der Hagelmatsche spielen. Es gibt bereits fantasievolle Eiskunstwerke. Wir wärmen uns mit heißen elotes und einer Art Maissuppe auf.

Bei den Narcos und Beautiqueens

Zur Einweihung seiner neuen Wohnung gibt ein Freund Nallelys heute ein Party, Motto ist Narco und Beautyqueen, also Drogenhändler und Schönheitskönigin. Einen Narco könnte man in dieser Situation wohl eher als einen Cowboy bezeichnen, die Drogenhändler werden hier so in romantisierter Form dargestellt.

Wir müssen grinsen, als wir das Thema zur Kenntnis nehmen. Leider, leider haben wir sowie Martin nur unsere paar Reiseklamotten dabei und können uns nicht schick machen. Da ist Everardo schon ganz anders in Zugzwang. Aber auch er ist nicht fürs Verkleiden zu haben. Ganz zum Leidwesen seiner Freundin, die sich zusammen mit ihrer Mitbewohnerin ordentlich aufstylt.

Wir treffen auf Mädels in den tollsten Kleidern, in allen Farben, funkelnde Plastikdiademe im Haar. Wenn ich es nicht besser wüsste, dächte ich, wir seien auf einem amerikanischen Abschlussball gelandet. Die Jungs tragen Cowboystiefel, breite Gürtelschnallen und Cowboyhüte, die bunt im dunklen Raum blinken.

Bei Eintreffen erhält jedes Mädel eine selbstgebastelte Schärpe, um so eine Miss aus jeder Region Mexikos darzustellen. Sie können gar nicht verstehen, warum ich sie mir nicht auch begeistert vor die Brust binde. Als Kompromiss benutzte ich sie als Gürtel. Laut dröhnt die Popmusik. Der Bass bringt die Wände zum Beben. Wir trinken Bier aus Einliter-Flaschen. Stehen rum und versuchen uns mit Martin und den Leuten schreiend zu unterhalten.

Als dann in den frühen Morgenstunden in Affenlautstärke Britney Spears gespielt wird und Nallely und ihre Freundinnen kreischend dazu abgehen, beschließen wir diesen Ort zu verlassen.

UNAM

Everardo studiert an der UNAM, eine der ältesten und größten Universitäten Amerikas. Diese hat einen gigantisch großen Campus, dessen Gelände autonom Verwaltet wird. Die Uni betreibt einen privaten Sicherheitsdienst nur für den Campus. Polizei und Militär haben keinen Zugang, nachdem im Jahre 1968 bei Studentenprotesten hunderte Menschen vom Militär erschossen wurden.

Es wimmelt nur so von bunten Studenten. Wir sehen uns das Stadion, die Zentralbibliothek und den Rektoratsturm an. Die Außenwände aller drei Gebäude sind mit beeindruckenden Mosaik überzogen. Im Park zu ihren Fuessen hängen Studenten Café trinkend ab. Tischtennisplatten stehen zur Verfügung und es wird ein Yogaworkshop angeboten. Ach, da wollen wir doch auch wieder Studenten sein!

Monumento a la Revolución

Das Denkmal der Revolution ist ein klotzartiges Bauwerk mit runder Dachkuppel, dass in den 30er Jahren gebaut wurde. Einst waren die Baupläne ganz anders, eher im Stil des Weißen Hauses geplant. Jene mussten doch aufgrund der Revolution eingestellt werden. Nun beherbergt es eine Ehrengrabstätte der mexikanischen Revolutionäre.

Wir stehen lange am Rande des Brunnens vor dem Komplex, der des nachts in den verschiedensten Farben angestrahlt wird. Endlich kommt Hardy zum Zuge und kann mir was über Lichtinstallationen aus landschaftsarchitektonischer Sicht erzählen! Nun weiß ich auch über Punkt- und Linienbeleuchtung Bescheid. Kinder und Jugendliche rennen kreischen durch die verschiedenen Fontänen, die neben ihrer Beleuchtung auch ihre Positionen verändern. Alle werden patschnass.

Abschiednehmen fällt mal wieder schwer, eine ganze Woche haben wir hier verbracht. Als Dankeschön wollen wir heute für die Familie kochen. Martin macht auch mit. Es gibt Pellkartoffeln mit Quark und dazu selbstgemachte Buletten. Kommt super an! Noch lange sitzen wir mit Everardos Eltern und Ihm am großen Tisch und tauschen Rezepte aus. Unseres gegen ein Familienrezept der sehr leckeren scharfen Soße von Everardos Vater, der berühmten Weber Sauce. 

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