Von Mendoza bis nach Concepción (Argentinien-Chile/ November 2013)

Über den Bermejo Pass zurück nach Chile

Den hektischen Stadtverkehr Mendozas hinter uns lassend, schrauben wir uns immer höher den Anden entgegen. Der nicht abreißende Strom an Fahrzeugen nervt. Was befinden wir uns auch auf einer der Hauptverkehrsachse zwischen Chile und Argentinien? Viele Lastwagen donnern mit Vollgas dicht an uns vorbei. Einen Seitenstreifen gibt es nicht. Regenwolken ziehen auf. Schnell wird es dunkler. Erste, dicke Tropfen fallen hinab. Wir fahren und fahren, bis wir endlich ein Loch in dem sich zu beiden Seiten der Schnellstraße 5 langziehenden Stacheldrahtzaun entdecken. Die Chance genutzt, schlüpfen wir fix hindurch und sitzen bald gerädert im Zelt. Von Blicken geschützt, versteckt hinter ein paar Sträuchern, hören wir jedoch das Brausen der Autos weiterhin und fühlen uns, als würden wir mitten auf der Autobahn nächtigen. Heute plündern wir den ersten Teil des Inhalts der neusten Pakete, die wir endlich endlich in Mendoza in Empfang nehmen konnten.

Die folgenden zwei Tage kurbeln wir uns immer weiter hinauf und erfahren einmal wieder eine wunderschöne, schroffe Bergwelt. Haben uns eben noch im kleinen Ort Uspallata saftige Weinfelder umgeben, lösen diese sich ab mit weiten, kargen Geröllhängen. Ein Fluss hat einen imposanten Canyon in die Felsen gefressen. Nebenan, auf den steilen hängen verlauft immer in Sichtweite die alte, aufgegebene Eisenbahntrasse des Transandinos. Neben den verrosteten Schieben sind immer wieder rostige Relikte zu finden. Dahinter schieben sich majestätisch die Bergriesen in den Himmel. Schwarzgraue Hänge sind mit Schneewehen überzogen. Wir sind bereits soweit südlich angelangt, dass es erschreckend ist, wie tief die Schneegrenze hier verläuft. Sie befindet sich nur auf 2500m!
In ausgestorbenen Dörfern wie Punta de Vaca oder Puente del Inca, in denen nur in der Wintersaison so einiges los sein muss, stehen Hotelburgen leer. Skilifte scheinen fehl am Platz auf den grünen Wiesen und Schneemobile verrosten vor den Gebäuden.

Auf 3100m Höhe erreichen wir schließlich den Eingang zum 4km langen Grenz-Tunnel Cristo rendedor, der eng und schlecht beleuchtet, völlig zu recht für Radfahrer und Fußgänger gesperrt ist. Bereits die kürzeren Tunnel zuvor haben wir als recht gruselig und gefährlich empfunden.
Es dauert nicht lange, da ruft uns die nette Mitarbeiterin der Betreiberfirma dieses Abschnittes einen kostenlosen Shuttleservice herbei. Die Fahrräder samt Gepäck werden in einen Kastenwagen geladen und wir werden durch den Tunnel chauffiert. Drüben angekommen befinden wir uns bereits in Chile.

Im Gegensatz zum flachen Anstieg auf der anderen Seite, geht es nun steil hinab. Nach ein paar Kilometern erreichen wir den Grenzposten. Argentinische und chilenische Migration, Zollabfertigung und SAG (Lebensmitteleinfuhrkontrolle) sind hier an einer Stelle hintereinander weg angesiedelt. Da man normalerweise motorisiert anrollt, sollen wir uns bei der sich inzwischen in die Länge ziehenden Schlange der Autos anstellen. Wir machen auf unwissend und drängeln uns ganz nach vorn hinter ein paar Motorradfahrer, was dem ordnungsliebenden Grenzpolizisten so gar nicht gefällt. Er wird dann ganz genervt, als wir wieder aus der Reihe ausscheren, um ein weiteres, fehlendes Formular zu besorgen. Mensch, man kann den Gegenübertritt an dieser Stelle aber auch verkomplizieren! Wir benötigen ein Pax, ein Formular, indem unser unmotorisierter! Grenzübertritt irgendwo registriert wird. Dann prüft erst ein Argentinier unsere Pässe und reicht sie gelangweilt weiter an seinen chilenischen Kollegen am Schreibtisch nebenan. Es folgt eine lasche Taschenkontrolle. Dann endlich dürfen wir uns auf die Sättel schwingen und den weiteren Weg hinab antreten. Eine Warnung gibt uns die nette SAG Beamtin noch mit auf den Weg, wir sollen auf die Lastwagen in den folgenden caracoles aufpassen. Denn die Piste windet sich in den fast 30 aufeinanderfolgender, sehr enger und steiler Serpentinen hinab. Wow!

Dieser Abschnitt befindet sich gerade im Bau und ist einspurig. Lange müssen die Autofahrer bis zu ihrer Weiterfahrt warten. Wir sausen ganz nach vorn und überreden den Bauarbeiter uns bereits vor der Lastwagenschlange hindurchzulassen, da es einspurig mit den fetten Brummis bzw. ihren nun übellaunig und vorankommend wollenen Fahren wirklich gefährlich wäre zu radeln. Wir dürfen vorher passieren und haben 30km Abfahrt ganz für uns alleine!

Am Fuße der Anden entlang der Weinfelder
Erst als wir anhalten und der kühle Fahrtwind stoppt, realisieren wir, wie warm es geworden ist. Blümlein wachsen am Wegesrand. In den Bächen gurgelt endlich wieder Wasser. Große Weinfelder dehnen sich aus bis zum Ende der schneebedeckten Kordillere der Anden. Noch eben waren wir da oben.
Am späten Nachmittag treten wir noch einmal kräftig in die Pedalen, denn wir wollen das Haus unserer Gastgeberin Jennifer in Santa María erreichen. Welch‘ Überraschung, unsere Freunde Hardy und Lena sind auch soeben angekommen! Auch sie hatten bei Jennifer über das Netzwerk warmshowers nach einer Übernachtungsmöglichkeit angefragt. Unsere Namensgleichheit führt zu Verwirrung, auf die ein großes Gelächter folgt. Wir dürfen alle bleiben und kriegen sogleich eine Führung durch das gigantische Haus.
Jennifer und ihr Mann Ed aus Kalifornien sind vor 20 Jahren hergezogen und leben ihren Traum: Das unglaubliche Haus umgibt ein großer Garten, in dem es nur so blüht. Seit langem mal wieder riechen wir an Lavendel. Ein Pool steht neben Reihen von Weinreben, die sich auch hinter dem Haus über viele Hektare ausdehnen. Ed ist als Berater einer Weinfirma tätig. Nebenbei bauen sie ihren eigenen Hauswein an. Wir bekommen natürlich gleich eine Kostprobe angeboten. Ich habe noch nie so einen leckeren Rotwein getrunken! Auch nicht von schlechten Eltern ist das Mahl, welches wir am späten Abend aufgetischt bekommen. Ein fetter Kürbis lockt mit vielen Beilagen, dazu gibt es Salat und als Nachtisch Kuchen mit selbstgemachtem Vanilleeis. Jennifer ist eine leidenschaftliche Köchin. Wir staunen nicht schlecht über die vollausgestattete Küche und bekommen den Mund nicht mehr zu, als sie uns zwei Schubladen ihres gut sortierten Gewürzsortiments zeigt.
Augenscheinlich genießt Jennifer unsere Anwesenheit, da sie ansonsten sehr oft mit ihren beiden Söhnen alleine ist. Offen plaudert sie drauf los. Schnell landen wir bei den in zwei Wochen anstehenden Wahlen des Präsidenten, der Abgeordneten und der Gemeindeabgeordneten. Sie sind nicht zu übersehen. Alles ist mit Plakaten, auf denen dämlich grinsende Leute zu sehen sind, vollgepflastert. Wir erfahren, dass zwei sehr populäre Kandidaten für das Präsidentschaftsamt antreten, einer aus einer extrem rechten Partei und der andere aus einer extrem linken Partei. Beide Kandidaten sind Frauen, was den Wahlausgang sehr spannend macht, laut Jennifer.

Wir verabschieden uns von Jennifer und reisen zusammen mit Hardy und Lena weiter. Vorbei an großen Obstbaumplantagen geht es auf kleinen Sträßlein immer parallel zur Autobahn fahren wir in Richtung des Nationalparks La Campana. Die Hardys tauschen ihre Räder und schnattern, vorneweg rollend. Insbesondere Lena und ich genießen es an den kleinen, bunten Häusern vorbeizufahren und all die bunten Blumen anzusehen. Unsere Gespräche drehen sich über’s Zurückkehren, denn Lena und Hardy haben nur noch einen Monat Zeit, bevor sie in den Flieger nach Deutschland steigen werden. Immer wieder betonen beide: „Ihr habt ja noch ewig Zeit.“ Wir empfinden es jedoch, als hätte der Anfang vom Ende unserer schon lange Reise begonnen. Unsere letzten 100 Tage sind angebrochen. Wie wird es wohl werden all die Leute wieder zu sehen? Wie und wo werden wir leben? Und wie werden wir das Leben in Berlin empfinden? Was machen wir da eigentlich?

Parque Nacional La Campana
Am Nachmittag erreichen wir den Nationalpark La Campana. Neben Palmen, unter einem schattigen Geäst bauen wir die Zelte auf dem hiesigen Zeltplatz auf. Es ist super schön hier! Auf einer kleinen Wanderung am immer noch heißen Nachmittag bestaunen wir die chilenische Palme und Kakteen in der netten Bergwelt.

Im kleinen Ort La Cruz, der chilenischen Hauptstadt der Avocados, erstehen wir einen 3kg Sack der grünen Früchte für 1,40 Euro und freuen uns aufs zweite Frühstück auf der nahen plaza. Im Gegensatz zu Argentinien gibt es hier leider kein offenes wifi, aber dafür jede Menge Fitnessgeräte.
Schnell sind wir von sieben Strassenköter umgeben, die hungrig all unsere Handbewegungen verfolgen. In Chile wimmelt es nur so von wirklich netten und nicht heruntergekommen Viechern mit guten Manieren. Leider werden oft Hunde ausgesetzt. Einer dieser Vierbeiner scheint uns sehr ins Herz geschlossen zu haben. Er rennt bestimmt 20km mit uns mit, bevor er nicht mehr kann und zurück bleibt.

Viña del Mar und Valparaíso
Am darauffolgenden Tag machen wir uns zu viert auf den Weg zur Küste. Als wir neben Feldern voller Blumen und Gemüse entlang rollen, kommen die Strandriesen der Hochhäuser ins Blickfeld. Uuuh! All diese schicken Ferienwohnungen sind von gut gestellten Leuten aus Santiago, die nur am Wochenende anreisen. Nicht nur davon sind wir an diesem Küstenabschnitt vor Viña del Mar und Valparaíso abgeschreckt. Viel Verkehr, Lärm und Trubel kehren ein. Genau hier trennen sich unsere Wege. Hardy und Lena radeln weiter nach Valparaíso. Wir bleiben in Viña del Mar, um bei Eduardo, unserem nächsten warmshowers-host, einzukehren.
Eduardo ist etwas jünger als wir und will auch eine Reise per Fahrrad in Richtung Ushuaia antreten. Da ist ja klar, worum sich unsere Gespräche drehen. In einem Stadtrundgang zeigt er uns Viña und bekocht uns danach köstlich. Kochen, das ist nämlich sein Beruf. Als Vorspeise bekommen wir eine Artischocke vorgesetzt. Für uns etwas ganz Neues. Eduardo lacht und zeigt uns, wie man dieses blumige Gemüse isst.

Leider werde ich am naechsten Tag krank ans Bett gefesselt, so dass die beiden Jungs den Tag allein in Valparaíso verbringen. Am Abend berichtet mir Hardy von seinem Ausflug. In Valpo befinden sich die Stadtangestellten gerade im Arbeitskampf – so auch die Müllmänner. Die so schon besondere Stadt bekommt einen noch spezielleren Charme. Am Fuße der über 42 dicht überbauten Hügel türmen sich Müllberge. Dämpfe wabern in den Gassen. Die Hunde sind verzückt. Leider sind auch einige der Hauptattraktionen geschlossen, so auch die steilen Aufzüge. Die beiden verbringen dennoch den ganzen Tag in der Stadt und knipsen die vielen schönen Wandmalereien, Parks und Aussichten ab. Am Abend überraschen sie mich mit einem leckeren selbstgekochten Essen!

Bevor wir am Morgen Viña verlassen, tauschen wir noch fix einen Batzen chilenische Pesos in Dollar um. Diese wollen wir weiter südlich, wie schon zuvor in Salta mit Dollars aus Bolivien, in argentinisches Geld umtauschen. Da in Argentinien die Einfuhr sowie der Handel mit Dollarnoten offiziell verboten ist und eine enorme Inflation herrscht, reißen sich die Händler um den dolar azul, der so sogar höher als der Euro auf dem Schwarzmarkt im Kurs steht. Geschickt getauscht wird Argentinien erschwinglich und wir machen sogar richtig Kohle. 😉

Entlang der chilenischen Pazifikküste
Auf sich gewundenen, engen Straßen arbeiten wir uns voran. Mal passieren wir niedliche Dörfer direkt an der Küste, in denen Fischer ihre Netze reparieren. Überall blüht es! Ganze hänge voller gelber Punkte ziehen sich zum Meer hinab. Wir sind im Frühling angekommen!

Mal befinden wir uns weit oberhalb des Meeresspiegels in schattigem Nadelwald. „Endlich haben wir zuverlässigen Wald“, sagt Hardy zufrieden, nachdem er sich seit Monaten so gesehnt hat. Auch wenn hier nur in Monokultur Pinien und Eukalyptus angepflanzt werden, so ist es dennoch schön sich unter dem dunklen Geäst zu befinden. Um die zwanzig Jahre muss ein solcher Wald wachsen, bevor er abgeholzt und zu Geld gemacht werden kann. Kein Wunder, das er so penibel geschützt wird. Viele Schilder warnen vor Waldbrandgefahr. Dicker Stacheldraht und abgeschlossene Pforten schützen vor unliebsamen Besuchern, die ein Lagerfeuer anzünden könnten. Für uns bedeutet dies eine erschwerte, aber nicht unmögliche Schlafplatzsuche.

Einen Ruhetag legen wir im verschlafenen Strandort Bucalemu ein. Hier ist nichts los, als wir am frühen Morgen nach nur 10km vom Berghang in den Ort rollen. Bunte Fischerboote liegen am Strand, von dem sich gerade der Morgendunst löst und auf die Hänge hinaufzieht. Es gefällt uns.
Wir quartieren uns bei Daniel und seiner Mutter in ihre kleine Pension ein und machen uns auf zu einem Strandspaziergang entlang der Steilküste. Donnernd brettern die Wellen an die Felsen und lassen Gischt emporspritzen. Kleine lila farbene Muscheln kleben am Stein. Es ist wirklich schön hier.
Wir kommen mit Daniel und seiner Mutter ins Gespräch. Nicht zum ersten mal hören wir von dem verehrenden Erdbeben und dem anschließenden Tsunami in Jahr 2010, der drei von den zwölf chilenischen Provinzen arg in Mitleidenschaft gezogen hat. Ein Tsunamiwarnsystem gab es damals noch nicht, so dass viele Menschen von der Welle überrascht wurden. Auf Fotos wird uns der zerstörte Ort gezeigt.
Daniel weiß noch nicht, ob er an den kommenden Wahlen teilnehmen wird, „Es ist egal wen man wähle, die machen eh‘ alles das Gleiche und alle sind Korrupt.“

Wir folgen den engen Wegen an der Küste. Wie gehabt geht es steil auf und ab, das mindert unser Tempo sehr. Es stört uns nicht, denn es ist einfach toll hier. Zwei Tage lang scheint die Sonne, dann ist es bewölkt und diesig. Aber gerade bei diesem Mistwetter kommt das Gelb und Lila der Blumen am Wegesrand besonders gut zum Vorschein. Kühe und Pferde grasen. Es folgen windschiefe Holzhäuser. Chilenische Fahnen wehen von ihren Dächern im Wind. Ochsenkarren passieren uns. Es gibt immer etwas zu gucken!

In kleinen Dörfern wie Chanco kaufen wir ein. Hier gibt es sogar einen Supermarkt. Die Menschen grüßen, schnell kommen wir ins Gespräch. Angélica, die eigentlich auf den Osterinseln lebt, ist besonders angetan von unserer Reise. Sie ist gut beleibt und berichtet stolz, dass sie sich erst vor kurzem einen Beipass legen lassen und danach 40kg abgenommen hat. Beherzt fasst sie sich an die Rollen am Bauch und schwingt sie hin und her. Dann schwärmt sie für uns: „Una noche en pasión en la carpa, con la luna llena!“ („Eine leidenschaftliche Nacht im Zelt bei Vollmond!“). Sie ist bei der Vorstellung hin und weg.

„Was, ihr fahrt bis nach Patagonien? Je weiter ihr südlich kommt, desto schöner wird es!“ Wir sind gespannt, finden wir es doch bereits hier schon toll. Wir lernen gleich die nächsten Leute kennen, eine chilenisch-kanadische Familie, die uns in ihr 25km entferntes Haus bei Curanipe am Strand einlädt. Das lassen wir uns nicht entgehen und kurbeln die folgenden, besonders steilen Hänge am späten Nachmittag erschöpft hoch. In Elisabeth und J.J.’s gigantischem Haus werden wir mit süßen Erdbeeren vom Feld nebenan und deutschem Bier verwöhnt.
Neben tollen Holzarbeiten haben sie sogar einen i-robot, einen staubsaugenden Roboter. Darüber kommen wir nicht hinweg… Wir dürfen unser Zelt im Garten der Mutter Elisabeths aufschlagen. Die alte Frau schaut sich alles begeistert an. Sie war auch immer zelten, erzählt sie uns, aber nun lasse es die Gesundheit nicht mehr zu. Auch sie berichtet vom Tsunami vor ein paar Jahren. „Immer wenn die Erde so doll wackelt, dass du nicht mehr stehen kannst, gehst du rauf auf die Hügel.“, erklärt sie ihr Tsunami-Warnsystem. Leider habe es damals viele Tote gegeben. „Aber die Nachbarschaftshilfe war unglaublich. Die ganze Nacht haben wir oben auf dem cerro gesessen, es gab Lagerfeuer und das Essen wurde geteilt. Später haben wir uns geholfen. Ich habe Matratzen und Schlafsäcke aus meinen cabañas an die Leute verschenkt, deren Häuser zerstört waren. Nun ist alles wieder aufgebaut.“

Wir kommen nicht recht voran, denn nun rollen und schieben wir auf losem Schotter. Das ist anstrengend. Zudem ist heute bei weitem der schlechteste Tag überhaupt auf der Piste südlich von Curanipe. Es wimmelt nur so von Autos, denn es ist Wahltag, aus allen Dörfern kommen die Leute herbei, um im „größeren“ Cobquecura zu wählen. Später erfahren wir, dass es keine eindeutige Mehrheit gibt und eine Stichwahl Anfang Dezember stattfinden wird.

Vollgestaubt sind wir froh, als dieser Tag endet. Wir finden einen tollen Platz am Hang auf Nadeln im Nadelwald mit Blick auf die einiges entfernte Bucht unter uns. Im Abendrot kommen noch drei stattliche Bullen, um auf der Wiese neben an zu grasen. Zum Glück haben wir nicht da das Zelt aufgebaut!

Am nächsten Tag arbeiten wir uns nur 11km auf dem immer noch vorherrschenden Schotter voran, als wir auf den jungen Künstler Alex Ceball treffen. Er ist eigentlich aus Santiago, seine große Familie hat Sommerhäuser hier, direkt am Ufer des Flusses Itata, abseits von Handyempfang und Internetsignal. Seit ein paar Monaten lebt er hier zusammen mit seiner alten Tante und seinem alten Onkel. Gleich im zweiten Satz lädt er uns in sein Häuschen ein. Von ihn erfahren wir viel über die Gegenwart und Vergangenheit Chiles, über die Vertreibung der Mapuche, das Abschlachten unter dem Regimen Pinochets und warum Chile, abgeschirmt durch die Diktatur, das Meer und die Anden „entwicklungstechnisch und mental“ Europa um 50 Jahre hinter her hängt.

Ganz nah, neben der alten Schule des Dorfes, unter den Weiden der Kühe entlang laufend, ist vor ein paar Tagen ein Rohr der Firma Arauca, welche in der Nähe eine Papierfabrik hat, kaputt gegangen. Eine weiße, giftige Brühe läuft auf die Felder und ins Grundwasser. Die Bauern bangen um ihre Lebensgrundlage. Bereits pumpen Lastwagen im Auftrag der Firma das alles ab, aber wir hören, dass ein Bauer sie angeblich weiter oberhalb des Flusses beobachtet hat, wie sie dort den Inhalt ihres Tanks in den Fluss kippen. Alex ist sehr erbost und nimmt an der Versammlung der Bauern mit dem Bürgermeister teil. „Das sind doch alles Bauern, die haben doch keine Universitätsbildung, wie sollen die denn ihr Recht einfordern?!“, ruft er und schreitet, extra schick angezogen mit Aftershavewolke von dannen. Es sollen unabhängige Wasserproben erstellt und Arauca zur Rechenschaft gezogen werden. Wieder einmal hören wir den Spruch „Todo coima“ („Alles Bestechung“). Bestechung und Vertuschung durch die mächtige Firma Arauca wird befürchtet. In der Vergangenheit hatte es bereits zwei ähnliche Fälle gegeben und Arauca kam glimpflich davon. Es wird auf einen Wahlsieg der linken Partei gehofft, damit eventuell unter ihrer Regierung ein Prozess Erfolg haben könnte.

Obwohl wir, angeregt durch Alex‘ Empfehlung gerade gestern Abend unsere Routenplanung durch Chile etwas ausdehnten, entschließen wir uns spontan noch einen Tag hier zu bleiben. Hier scheint es uns entspannter zu sein als im lärmenden Concepción. Zwar drückt langsam die Zeit, es muss auch genossen werden. Die Räder werden wieder einmal gewartet (Wann setzt wohl der Zeitpunkt ein, wenn das für die restlichen wenigen verbleibenden Kilometer Hardy nicht mehr so nötig erscheint?).

Morgen wollen wir Concepción links liegen lassen und auch bald die Küste verlassen. Es geht wieder in die Berge, in die Region der schönsten Seen Chiles und Argentiniens.

Wie immer findet ihr weitere Fotos in der Galerie.

Argentinien, ChilePermalink

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